Erhebung eines sanierungsrechtlichen AusgleichsbetragsLeitsätze 1. Ob ein bestimmtes Gebiet sanierungsbedürftig ist und ob seine Sanierung aus der maßgeblichen Sicht der Gemeinde erforderlich ist, lässt sich abschließend nur unter Berücksichtigung des - seinerseits auf einer Abwägung beruhenden - Sanierungskonzepts und aller übrigen öffentlichen und privaten Belange (§ 136 Abs. 4 Satz 3 BauGB), also im Wege einer Abwägung, entscheiden (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 04.03.1999 - 4 C 8/98 Rn. 19 - Buchholz 406.11 § 142 BauGB Nr 5 ; und BVerwG, Beschl. v. 24.03.2010 - 4 BN 60/09 - Buchholz 406.11 § 136 BauGB Nr 7 Rn. 3). 2. Bei der Beurteilung, ob die Sanierung durchgeführt ist, steht der Gemeinde ein Einschätzungsspielraum zu, der aus ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit für das Sanierungskonzept folgt. Ob die Sanierung durchgeführt ist, beurteilt sich daher nach der jeweiligen städtebaulichen Situation, den von der Gemeinde formulierten Sanierungszielen, dem darauf aufbauenden Sanierungskonzept und dem Grad seiner Verwirklichung. Dabei ist auf das Sanierungskonzept der Gemeinde im Zeitpunkt der Aufhebung der Sanierungsverordnung abzustellen. 3. Bei der Prüfung, ob eine Bodenwerterhöhung sanierungsbedingt ist, bedarf es keiner Betrachtung der fiktiven Eigenentwicklung ohne den Erlass der Sanierungsverordnung. - A.
Problemstellung „Ruinen schaffen ohne Waffen“ war in der DDR eine gängige karikierende Umschreibung für den Verfall vieler Städte infolge sozialistischer Misswirtschaft. Nach der Wiedervereinigung 1990 und der Einführung des Baugesetzbuchs in den „neuen“ Bundesländern ist dort eine Reihe von Sanierungsverfahren durchgeführt worden, um die beschriebenen Zustände zu beseitigen, so auch in den östlichen Bezirken Berlins. Nach Abschluss der Sanierung wurden von den Bezirksverwaltungen sanierungsrechtliche Ausgleichsbeträge erhoben, um bei den Grundstückseigentümern in den Sanierungsgebieten die durch die Sanierung bedingten Erhöhungen des Bodenwerts abzuschöpfen. Diese Beträge waren und sind Gegenstand zahlreicher Verwaltungsgerichtsverfahren. Dabei mussten sich die verwaltungsgerichtlichen Instanzen insbesondere mit der Frage der Sanierungsbedingtheit von Bodenwerterhöhungen befassen. Der 2. Senat des OVG Berlin-Brandenburg hat für das Gebiet Spandauer Vorstadt angenommen, bei diesem handle es sich um einen vor allem historisch begründeten sowie durch die besondere Lage und Qualität des Sanierungsgebiets geprägten Sonderfall. Es unterscheide sich von einem typischen Sanierungsgebiet, das keine Eigenentwicklung aus eigener Kraft der Eigentümer oder investitionsbereiter Erwerber erwarten lasse. Mit einer Verbesserung der den Bodenwert (mit)bestimmenden Lagemerkmale sei hier auch ohne städtebauliche Sanierungsmaßnahme zu rechnen gewesen. Aus diesem Grund könne eine Sanierungsbedingtheit der Bodenwerterhöhung jedenfalls nicht im vollen Umfange angenommen werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.10.2018 - OVG 2 B 2.16 Rn. 50 ff.). Der 10. Senat dieses Gerichts hat für das hier streitgegenständliche Sanierungsgebiet eine andere Lösung gewählt. Ihr ist der 4. Senat des BVerwG in dem sich anschließenden Revisionsverfahren allerdings nicht gefolgt.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Schauplatz des Falles ist ein alter Arbeiterkiez im früheren Bezirk Prenzlauer Berg, der heute zum Bezirk Pankow gehört. Die Klägerin ist Eigentümerin eines dort gelegenen, 341 qm großen und mit einem fünfgeschossigen Wohnhaus bebauten Grundstücks, das zu einem 1994 förmlich festgesetzten Sanierungsgebiet gehörte. Nach Aufhebung der Sanierungsverordnung im Jahre 2011 wurde sie zu einem sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrag i.H.v. ca. 26.000 Euro herangezogen, gegen den sie sich erfolglos mit Widerspruch und Klage wehrte. Dabei bezog sich die Klägerin auf die Rechtsprechung des 2. Senats des OVG Berlin-Brandenburg und bestritt die Sanierungsbedingtheit der eingetretenen Bodenwerterhöhungen mit dem Argument, diese Erhöhungen wären in dem Sanierungsgebiet aufgrund der infolge der „Wende“ 1989/1990 eingetretenen tiefgreifenden Veränderungen der Sozial- und Wirtschaftsordnung ohnehin eingetreten. Diesem Einwand ist der 10. Senat des OVG Berlin-Brandenburg nicht gefolgt und hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Der Ausgleichsbetrag sei sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach rechtmäßig. Insbesondere liege der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen Sanierungsmaßnahmen und Bodenwerterhöhung vor. Dafür streite bei – wie hier – „herkömmlichen Sanierungsgebieten“ eine tatsächliche Vermutung. Die Sanierungsbedingtheit der Bodenwertsteigerung werde ungeachtet dessen nicht durch besondere Umstände infrage gestellt, wie sie der 2. Senat des OVG Berlin-Brandenburg für das Sanierungsgebiet „Spandauer Vorstadt“ angenommen habe und die Klägerin unter dem Schlagwort „wendebedingte Effekte“ behaupte. Es stehe nicht mit Gewissheit fest, dass es auch ohne Sanierung in einem vergleichbaren Umfang zur Verbesserung der städtebaulichen Qualität des Gebiets und zur Beseitigung der städtebaulichen Missstände gekommen wäre. Zur Begründung ihrer vom OVG zugelassenen Revision trug die Klägerin u.a. vor, die Beweislast des Beklagten für die Sanierungsbedingtheit der Bodenwertsteigerung dürfe nicht durch die Annahme einer tatsächlichen Vermutung umgangen werden. Die Sanierung sei wegen „wendebedingter Effekte“ nicht für die gesamte abgeschöpfte Bodenwertsteigerung kausal gewesen. II. Der für die Beantwortung der Frage maßgebliche Normbestand in § 154 BauGB ist übersichtlich: Der Eigentümer eines im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks hat zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts seines Grundstücks entspricht (Absatz 1 Satz 1). Die durch die Sanierung bedingte Erhöhung des Bodenwerts des Grundstücks besteht aus dem Unterschied zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre (Anfangswert), und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets ergibt (Endwert) (Absatz 2). Aus diesem Regelungszusammenhang folgt, dass allein die kausal auf die Sanierung zurückzuführende Bodenwerterhöhung abzuschöpfen ist. Aber was ist insoweit kausal? Bietet die vom OVG in „herkömmlichen“ Sanierungsgebieten angenommene tatsächliche Vermutung für die Sanierungsbedingtheit der im Sanierungszeitraum eingetretenen Bodenwertsteigerung die Lösung? Nein. Dafür gibt es weder einen Bedarf noch eine dogmatische Grundlage. Sinn und Zweck des Ausgleichsbetrags sowie die Regelungssystematik des förmlichen Sanierungsverfahrens sprechen dagegen. Wie stellt sich die Dogmatik nun dar? Mit dem Ausgleichsbetrag werden die Bodenwertsteigerungen abgeschöpft, die durch die Aussicht auf und die Durchführung der Sanierung eingetreten sind. Es genügt regelmäßig schon die (bloße) Sanierungsabsicht für den Eintritt einer Bodenwertsteigerung, weil der Grundstücksmarkt in Kenntnis dieser Information die erwartete Aufwertung vorwegnimmt. Wird die Sanierung durchgeführt, verbessert sich das Sanierungsgebiet. Die Werterhöhung bildet diese Verbesserung (ebenfalls) ab. Der Begriff „Durchführung der Sanierung“ ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Er umfasst sämtliche Ordnungs- und Baumaßnahmen innerhalb des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets, die nach den Zielen und Zwecken der Sanierung erforderlich sind (§ 146 Abs. 1 BauGB). Die vorrangig den Grundstückseigentümern obliegenden Baumaßnahmen (§ 148 BauGB), wie etwa Modernisierung und Instandsetzung, sind damit – ebenso wie die Ordnungsmaßnahmen (§ 147 BauGB) – von Gesetzes wegen Teil der Sanierung und bei der Ermittlung der sanierungsbedingten Bodenwerterhöhung zugrunde zu legen. Das gilt unabhängig davon, ob sie ausschließlich privat finanziert und/oder mit Mitteln des Denkmalschutzes gefördert wurden. Dies kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass privat finanzierte Sanierungsaufwendungen nach Maßgabe des § 155 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BauGB auf den Ausgleichsbetrag anzurechnen sind. An dieser Dogmatik orientieren sich die Vorgaben zu den Stichtagen für die Ermittlung des Ausgleichsbetrags; der Senat hatte sich insoweit noch an den Vorgaben der ImmoWertV 2010 (BGBl I 2010, 639) zu orientieren, die sich aber – soweit hier von Bedeutung – nicht von der aktuellen Rechtslage nach der ImmoWertV 2021 (BGBl I, 805) unterscheiden. Bei der Ermittlung der sanierungs- oder entwicklungsbedingten Bodenwerterhöhung zur Bemessung von Ausgleichsbeträgen nach § 154 Abs. 1 BauGB sind die Anfangs- und Endwerte auf denselben Zeitpunkt zu ermitteln (§ 16 Abs. 5 ImmoWertV 2010, § 40 Abs. 4 Satz 1 ImmoWertV 2021). Damit ist der Wertermittlungsstichtag angesprochen, der vom Qualitätsstichtag zu unterscheiden ist. Er bezeichnet den Zeitpunkt, auf den sich der für die Wertermittlung maßgebliche Grundstückszustand bezieht (vgl. § 4 Abs. 2 ImmoWertV 2010, § 2 Abs. 1 ImmoWertV 2021). Der Qualitätsstichtag für den Anfangswert ist grundsätzlich durch den Zeitpunkt des beginnenden Sanierungseinflusses bestimmt und damit dem Wertermittlungsstichtag vorgelagert. Für die Ermittlung des Endwertes ist demgegenüber der Grundstückszustand nach Abschluss der Sanierung maßgeblich. Die unterschiedlichen Stichtage ermöglichen einen Qualitätsvergleich des Grundstückszustands vor und nach der Sanierung und ordnen sämtliche Zustandsveränderungen im Ausgangspunkt der Sanierung, d.h. der Gesamtheit der einzelnen Sanierungsmaßnahmen zu. Dabei gewährleistet der identische Wertermittlungsstichtag für Anfangs- und Endwert, dass Änderungen in den allgemeinen Wertverhältnissen auf dem Grundstücksmarkt (vgl. § 153 Abs. 1 Satz 2 BauGB) bei der Ermittlung der sanierungsbedingten Bodenwerterhöhung außer Betracht bleiben. Als nicht sanierungsbedingt ausgeschieden werden müssen ferner solche wertbeeinflussenden Änderungen des Grundstückszustands (vgl. § 4 Abs. 2 ImmoWertV 2010, § 2 Abs. 3 ImmoWertV 2021), etwa durch sog. externe Effekte, die zwar im Zeitraum des Sanierungseinflusses eintreten, aber in keinem Kausalzusammenhang mit der Sanierung stehen. Dies erfolgt in der Regel durch eine entsprechende Anpassung bzw. Fortschreibung des Anfangswertes. Fazit: Bei der Prüfung, ob eine Bodenwerterhöhung sanierungsbedingt ist, bedarf es einer Betrachtung der fiktiven Eigenentwicklung des Gebiets ohne den Erlass der Sanierungsverordnung nicht.
- C.
Kontext der Entscheidung Die Entscheidung des Senats führt die Prüfung des kausalen Zusammenhangs zwischen der Sanierung und der Bodenwerterhöhung auf ihren Kern zurück. Damit bleibt es dabei, dass allein die Erhöhung des Bodenwerts abzuschöpfen ist, die kausal auf die Aussicht auf und die Durchführung der Sanierung – als Gesamtheit aller unter diesen Begriff fallenden Einzelmaßnahmen – zurückzuführen ist. Ist das nicht der Fall, scheidet eine Abschöpfung aus. Für eine regelhafte Abbildung hypothetischer Kausalverläufe bieten die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen jedenfalls keine Grundlage.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die für das Vorliegen einer sanierungsbedingten Bodenwertsteigerung beweispflichtigen Gemeinden (BVerwG, Beschl. v. 24.07.2020 - 4 B 18/19 Rn. 12) sind nicht gehalten, bei ihrer Kausalitätsprüfung hypothetischen Kausalverläufen oder fiktiven Eigenentwicklungen des von der Sanierung betroffenen Gebiets nachzugehen. Sie müssen allerdings (gewissermaßen streitvorbeugend) darauf achten, dass etwaige (erkennbare) externe Effekte (vgl. z.B. einer am Sanierungsgebiet vorbeigeführten neuen U-Bahn-Linie, Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 10. Aufl. 2023, VI Rn. 337) durch eine entsprechende Anpassung bzw. Fortschreibung des Anfangswertes berücksichtigt werden.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Der Senat hat sich noch zu weiteren sanierungsrechtlichen Fragen geäußert, die hier nur kursorisch erwähnt seien: I. So war es notwendig, daran zu erinnern, dass sich nach der Senatsrechtsprechung die Frage, ob ein bestimmtes Gebiet sanierungsbedürftig ist und seine Sanierung aus der maßgeblichen Sicht der Gemeinde erforderlich ist, abschließend nur unter Berücksichtigung des – seinerseits auf einer Abwägung beruhenden – Sanierungskonzepts und aller übrigen öffentlichen und privaten Belange (§ 136 Abs. 4 Satz 3 BauGB), also im Wege einer Abwägung, entscheiden lässt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.03.2010 - 4 BN 60/09 Rn. 3) und damit eine – wie geschehen – „eigene“ Erforderlichkeitsprüfung durch das Gericht ausgeschlossen ist. II. Der Senat hat erneut betont, dass der in § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB verwendete Begriff des Abschlusses der Sanierung (§§ 162, 163 BauGB) förmlich zu verstehen ist. Die Pflicht zur Zahlung des Ausgleichsbetrags entsteht also mit der rechtsförmlichen Aufhebung der Sanierungssatzung gemäß § 162 Abs. 1 BauGB oder mit der Erklärung der Gemeinde gemäß § 163 BauGB, dass die Sanierung für ein Grundstück abgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.03.2014 - 4 C 11/13 Rn. 14 m.w.N.). Verdeutlicht hat der Senat ferner, dass die Durchführung der Sanierung keine Totalsanierung erfordert und stützt sich hierbei auf die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drs. 10/2039 ,S. 12). III. Einen breiten Raum nehmen die Erwägungen des Senats zur Ermittlung des Ausgleichsbetrags ein. Die dabei zugrunde gelegten Maßstäbe zum Wertermittlungsspielraum und zur gerichtlichen Kontrolldichte entsprechen der bisherigen Senatsrechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 24.07.2020 - 4 B 18/19 Rn. 14 f.). Daran anknüpfend hat sich der Senat mit einzelnen Fragen der Wertermittlung – etwa zur Anwendung der sog. Zielbaummethode – befasst.
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