juris PraxisReporte

Autor:Dr. Stefan Tüngler, RA
Erscheinungsdatum:28.04.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 13 StromPBG, § 19 GWB, § 29 GWB, § 24 AVBFernwärmeV, § 32b GWB, § 27 EWPBG, § 38 EWPBG, § 29 StromPBG, § 30 StromPBG, § 22 EWPBG, § 43 StromPBG, § 12 StromPBG, § 4 EWPBG, § 12 EWPBG, § 134 BGB, § 39 StromPBG
Fundstelle:jurisPR-Compl 2/2023 Anm. 5
Herausgeber:Prof. Dr. Norbert Nolte, RA
Zitiervorschlag:Tüngler, jurisPR-Compl 2/2023 Anm. 5 Zitiervorschlag

Die Preisbremsengesetze - Neue Befugnisse des Bundeskartellamts in der Energiewirtschaft

I. Einleitung

Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind die Energiepreise stark gestiegen. Hierunter leiden Unternehmen und Verbraucher gleichermaßen. Diesen Belastungen will der Gesetzgeber mit Preisbremsen entgegenwirken, indem der weitere Anstieg der Energiepreise begrenzt wird.

Das mit den Energiepreisbremsen – Strompreisbremsengesetz (StromPBG1) und Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG2) – geschaffene bürokratische Monstrum ist andernorts bereits hinlänglich beschrieben worden.3 Noch nicht im selben Maße analysiert worden ist die Rolle des Bundeskartellamts bei der Aufsicht über die Umsetzung der Preisbremsengesetze.4 Erstmals geht es insofern nämlich nicht um Wettbewerbs-, sondern auch um Subventionsaufsicht. Geschützt werden sollen, wie es der Präsident des Bundeskartellamts in einem Interview Ende Januar 2023 formuliert hat, „der Staat und die Steuerzahler vor einer Plünderung der Staatskasse“5.

Dieser Beitrag beleuchtet im Anschluss an eine Zusammenfassung der Wirkungsweise der Preisbremsen und der Aufgaben der vornehmlich mit der Umsetzung der Preisbremsengesetze betrauten Energieversorgungsunternehmen (dazu II.) den Inhalt der besonderen Missbrauchstatbestände des StromPBG und des EWPBG (dazu III.). Im Mittelpunkt stehen die Konsequenzen für die Praxis, weswegen die Darstellung unvollständig bliebe, wenn nicht auch auf die Durchsetzung und Sanktionsmöglichkeiten eingegangen würde (dazu IV.). Der Beitrag schließt mit einem Fazit und Ausblick (dazu V.).

II. Die Wirkungsweise der Preisbremsen und die Aufgaben der Energieversorgungsunternehmen als mit der Umsetzung der Preisbremsen betraute Akteure

Die Energiepreisbremsen zielen auf die finanzielle Entlastung von Letztverbrauchern von Strom und Erdgas/Wärme. Zu ihren Gunsten wird ein über eine bestimmte Höchstgrenze, den sog. Referenzpreis, hinausgehender Preisanstieg verhindert.6 Die damit für Letztverbraucher verbundene Entlastung fußt im Ausgangspunkt auf zwei Säulen: dem Differenzbetrag und dem Entlastungskontingent. Für Unternehmen kommt eine dritte Säule hinzu, die Begrenzung der Entlastung durch bestimmte Höchstgrenzen.

Der „Differenzbetrag“ meint die Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Arbeitspreis und den in den Preisbremsengesetzen bestimmten Referenzpreisen. Sonstige Preisbestandteile, die wie etwa der Grundpreis nicht Bestandteil des Arbeitspreises sind, sind in der Berechnung des Entlastungsbetrags nicht zu berücksichtigen.

Das „Entlastungskontingent“ betrifft die von den Preisbremsengesetzen erfassten Mengen, beschreibt also den Bezugspunkt für die Gewährung des Differenzbetrags.

Wenn der Letztverbraucher ein Unternehmen ist, darf die Entlastungssumme für sämtliche Netzentnahmestellen dieses Unternehmens und der mit ihm verbundenen Unternehmen bestimmte Höchstgrenzen nicht überschreiten. Hierdurch sollen Überkompensationen, die durch eine Kumulation unterschiedlicher Fördermaßnahmen entstehen könnten, verhindert werden.

Zur Umsetzung sind – sofern die benötigte Energie von den Letztverbrauchern nicht selbst beschafft wird – die Lieferanten von Strom und Erdgas/Wärme berufen. Sie sind – unter Anknüpfung an ein komplexes Geflecht aus Mitteilungs- und Informationspflichten – verpflichtet, den Letztverbrauchern die sich aus Differenzbetrag, Entlastungskontingent und Höchstgrenzen ergebenden Entlastungen zu gewähren.

Für die so gewährten Entlastungen stehen ihnen im Bereich Erdgas/Wärme Ausgleichsansprüche gegen den Bund und im Bereich Strom Ausgleichsansprüche gegen den für die betreffende Netzentnahmestelle regelzonenverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber zu. Über Zuschüsse an die Übertragungsnetzbetreiber ist auch im Strombereich sichergestellt, dass die Entlastungen aus staatlichen Mitteln stammen. Refinanziert werden diese staatlichen Zuschüsse zumindest teilweise durch die Übererlösabschöpfung nach den §§ 13 ff. StromPBG.

III. Die besonderen Missbrauchstatbestände der Preisbremsengesetze im Einzelnen

Die Preisbremsengesetze beschränken sich jedoch nicht auf Vorgaben zur Ermittlung der Entlastungsbeträge und auf die Ausgestaltung des Entlastungsverfahrens. Sie suchen mit einem speziellen Instrumentarium Missbräuchen bei der Entlastung von Letztverbrauchern vorzubeugen (dazu 1.). Das aber wirft angesichts der teils unklaren Regelungen Anwendungsfragen auf (dazu 2.).

1. Inhalt der besonderen Missbrauchstatbestände und Unterschiede zwischen StromPBG und EWPBG

§ 39 Abs. 1 Satz 1 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 1 EWPBG verbieten Elektrizitätsversorgungsunternehmen und Lieferanten von Erdgas oder Wärme, ungeachtet deren Marktstellung und Größe, eine Gestaltung ihrer Preissetzung oder eine sonstige Verhaltensweise, die eine missbräuchliche Ausnutzung der Regelung zur Entlastung von Letztverbrauchern nach den Preisbremsengesetzen darstellt. Insbesondere ist ihnen im Zeitraum der Gültigkeit der Preisbremsen gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 2 EWPBG verboten, ihre in die Ermittlung des Erstattungs- und Vorauszahlungsanspruchs einfließenden Arbeitspreise sachlich ungerechtfertigt zu erhöhen. Gleiches gilt nach § 39 Abs. 1 Satz 3 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 3 EWPBG für Gestaltungen der Preissetzung oder sonstige Verhaltensweisen, die in ähnlicher Weise zu sachlich nicht gerechtfertigten überhöhten Erstattungs- und Vorauszahlungsansprüchen führen.

Eine sachliche Rechtfertigung kann sich gemäß § 39 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 und 2 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 und 2 EWPBG aus marktbasierten Preisen und Kosten, insbesondere aus vor dem 25.11.2022 geschlossenen Beschaffungsverträgen, oder aus vom Energieversorgungsunternehmen im regulatorischen Sinn nicht beeinflussbaren Preis- und Kostenbestandteilen ergeben.7 Eine sachliche Rechtfertigung scheidet hingegen aus, soweit ein Beschaffungskostenanstieg auf der Veräußerung vor dem 25.11.2022 beschaffter Energiemengen und teurerer Wiederbeschaffung beruht.8

Im Wärmebereich besteht die Besonderheit, dass sich – im Sinne eines besonderen Regelbeispiels – eine sachliche Rechtfertigung auch aus der Anwendung einer Preisanpassungsklausel ergeben kann, die bereits am 30.09.2022 bestanden hat und § 24 AVBFernwärmeV entspricht. Dahinter steht die sich aus der letztgenannten Bestimmung ergebende Besonderheit, dass sich der Umfang von Preisänderungen vor allem wegen der Anbindung an das sog. Marktelement von der Entwicklung der Kosten des jeweiligen Lieferanten lösen kann. Im Wärmebereich prüft das Bundeskartellamt (inzident) also auch, ob Preisanpassungsklauseln § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entsprechen.

Zur Aufsicht über die Einhaltung der besonderen Missbrauchstatbestände des Strom- und des EWPBG ist das Bundeskartellamt berufen, und zwar unabhängig davon, ob das jeweilige Energieversorgungsunternehmen länderübergreifend tätig ist oder nicht. Als Preisaufsichts- oder Preisgenehmigungsbehörde fungiert das Amt jedoch nicht; die Kontrolle der Einhaltung von § 39 Abs. 1 Satz 1 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 1 EWPBG ist und bleibt ein Akt (repressiver) Missbrauchsaufsicht.

2. Anwendungsfragen der besonderen Missbrauchstatbestände

Die Anwendungsfragen sind vielfältig und sollen im Rahmen dieses Beitrags nur im Hinblick auf ausgewählte Fragestellungen behandelt werden. Sie betreffen die Einordnung der speziellen Missbrauchsverbote (dazu a), den Regelungsgehalt des Regelbeispiels der missbräuchlichen Arbeitspreiserhöhung (dazu b) und die Ausgestaltung von Vergünstigungen und Zugaben sowie Grundpreisen (dazu c).

a) Verhältnis der besonderen Missbrauchstatbestände der Preisbremsengesetze zu den allgemeinen Anforderungen an die Energiepreisgestaltung

Die preisbremsenrechtlichen Missbrauchsverbote erfassen als rein objektiv zu verstehende Tatbestände9 jede Form der missbräuchlichen Ausnutzung der Vorgaben zur Entlastung von Letztverbrauchern. Entsprechenden Regelungsbedarf sah der Gesetzgeber wegen der Verhaltensspielräume im Zusammenhang mit den Preisbremsengesetzen10, insbesondere also aus zweierlei Gründen:

Erstens haben Letztverbraucher wegen der durch die Energiepreisbremsen gedeckelten Preise keinen oder nur einen geringen Anreiz, unangemessenen Preisen zu widersprechen und/oder den Lieferanten zu wechseln.11

Zweitens wird den Energieversorgungsunternehmen die Differenz zwischen tatsächlichem und gedeckeltem Preis aus staatlichen Mitteln erstattet.

Hieraus kann sich jedenfalls theoretisch ein Anreiz für Energieversorgungsunternehmen ergeben, Preise stärker als notwendig zu erhöhen oder auf Preissenkungen zu verzichten. Diesem Anreiz sollte mit der Einführung der besonderen Missbrauchsverbote in § 39 Abs. 1 Satz 1 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 1 EWPBG Rechnung getragen werden. Dementsprechend ist es nur konsequent, dass gemäß § 39 Abs. 3 StromPBG und § 27 Abs. 3 EWPBG die allgemeinen kartellrechtlichen Missbrauchsverbote für marktbeherrschende Unternehmen, namentlich also die §§ 19 und 29 GWB, unberührt bleiben. Ebenso unberührt bleiben die allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben für Preisanpassungen, denn § 39 Abs. 1 Satz 1 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 1 EWPBG erheben während der Dauer der Preisbremsen keinen Ausschließlichkeitsanspruch, sondern treten als zusätzliche Vorgaben neben die allgemeinen zivil- und kartellrechtlichen Vorgaben für Preisgestaltungen.

Aus diesem Nebeneinander von besonderen Missbrauchstatbeständen in den Preisbremsengesetzen und allgemeinen Vorgaben zur Preisgestaltung von Energieversorgungsunternehmen resultiert die folgende Frage: Liegt ein Verstoß gegen die preisbremsenrechtlichen Missbrauchsverbote, die zusätzlich allerdings die Inanspruchnahme staatlicher Entlastungen erfordern, schon bei jedem Verstoß gegen allgemeine Preisbildungsvorgaben vor oder setzt ein Verstoß voraus, dass die Normadressaten spezielle, aus der Existenz der Preisbremsen resultierende Verhaltensspielräume ausgenutzt haben?12

Nach hier vertretener Auffassung ist diese Frage in dem letztgenannten Sinne zu beantworten:

Der Wortlaut von § 39 Abs. 1 Satz 1 StromPBG und von § 27 Abs. 1 Satz 1 EWPBG stellt nicht lediglich auf eine missbräuchliche Preisgestaltung, sondern auf die missbräuchliche Ausnutzung der Regelungen zur Entlastung von Letztverbrauchern nach den Bestimmungen der Preisbremsengesetze ab. Das Unwerturteil folgt also gerade aus der zweckwidrigen Ausnutzung der mit den Preisbremsengesetzen verbundenen Verhaltensspielräume.

In diese Richtung weist auch die Entstehungsgeschichte von § 39 Abs. 1 Satz 1 StromPBG und von § 27 Abs. 1 Satz 1 EWPBG. Die aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Klimaschutz und Energie an den vorgenannten Normen vorgenommenen Änderungen sind allein mit dem Ziel effektiverer Verhinderung von Subventionsmissbräuchen, d.h. der ungerechtfertigten Inanspruchnahme staatlicher Zuschüsse, begründet worden.13

Zwar erfordern die preisbremsenrechtlichen Missbrauchsverbote keinerlei Schädigungsabsicht, gleichwohl ist in systematischer Hinsicht ausdrücklicher Bezugspunkt der besonderen Missbrauchstatbestände die missbräuchliche Ausnutzung der Regelungen zur Entlastung von Letztverbrauchern nach den Preisbremsengesetzen. Hieran knüpfen § 39 Abs. 1 Satz 3 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 3 EWPBG an und stellen auf „Gestaltungen der Preissetzung oder sonstige Verhaltensweisen [ab], die […] zu sachlich nicht gerechtfertigten überhöhten Erstattungs- und Vorauszahlungsansprüchen führen“. Insofern können ausweislich der Materialien auch Vergleiche mit der bisherigen Kalkulation des Arbeitspreises sowie der Beschaffungsstrategie der Energieversorgungsunternehmen von Bedeutung sein.14 Das wiederum deutet darauf hin, dass ohne Änderungen der Kalkulationspraxis oder der Beschaffungsstrategie Preiserhöhungen zwar unwirksam sein können, hieraus aber (noch) kein Missbrauch im Sinne der Preisbremsengesetze folgt.

Teleologische Erwägungen stützen das Ergebnis. Mit den preisbremsenrechtlichen Missbrauchsverboten sollte das bestehende Instrumentarium nicht verschärft, sondern im Hinblick auf die aus den Preisbremsengesetzen resultierenden zusätzlichen Verhaltensspielräume nur ergänzt werden.15

Konsequenz dessen ist, dass nicht jede unwirksame Preisgestaltung zu einem Missbrauch im Sinne der Preisbremsengesetze führt. Missbräuchlich ist eine während der Geltung der Preisbremsen vorgenommene Preisänderung nur, wenn mit ihr eine zweckwidrige Ausnutzung der Regelungen zur Entlastung von Letztverbrauchern verbunden ist. Das wiederum setzt voraus, dass das jeweilige Energieversorgungsunternehmen mit seiner Preisgestaltung zusätzliche Verhaltensspielräume, die gerade aus der Geltung der Preisbremsen resultieren, ausgenutzt hat. Indizien können sich etwa aus einem Vergleich mit der bisherigen Kalkulationspraxis oder der bisherigen Beschaffungsstrategie des betroffenen Energieversorgungsunternehmens ergeben.16 Unabdingbare weitere Voraussetzung ist, dass das jeweilige Energieversorgungsunternehmen staatliche Entlastung für seine über die Referenzpreise der Preisbremsengesetze hinausgehenden Arbeitspreise beansprucht. Ist das nicht der Fall, so sind die besonderen Missbrauchstatbestände der Preisbremsengesetze nicht einschlägig.17

b) Zum Regelbeispiel der missbräuchlichen Arbeitspreiserhöhung

§ 39 Abs. 1 Satz 2 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 2 EWPBG verbieten Energielieferanten, im Zeitraum der Anwendbarkeit der Preisbremsengesetze insbesondere ihre in die Ermittlung des Erstattungs- und des Vorauszahlungsanspruchs einfließenden Arbeitspreise sachlich ungerechtfertigt zu erhöhen. Dementsprechend sind Erhöhungen der Arbeitspreise für Strom und/oder Erdgas/Wärme nicht schlechterdings unzulässig:

Arbeitspreiserhöhungen sind zunächst nur insoweit verboten, als sie sachlich nicht gerechtfertigt sind. Soweit Erhöhungen auf marktbasierten Preisen und Kosten, insbesondere auf vor dem 25.11.2022 geschlossenen Beschaffungsverträgen, auf der Erhöhung nicht beeinflussbarer Preis- und Kostenbestandteile oder im Wärmebereich auf der Grundlage einer Preisanpassungsklausel beruhen, welche bereits am 30.09.2022 bestanden hat und den Vorgaben des § 24 AVBFernwärmeV entspricht18, sind sie uneingeschränkt zulässig. Interpretationsspielräume eröffnet die Vorgabe, dass Preise und Kosten nur insoweit herangezogen werden dürfen, wie sie marktbasiert sind.

Außerdem kann von einer missbräuchlichen Arbeitspreiserhöhung nur gesprochen werden, wenn die Erhöhung zu einem über dem jeweiligen Referenzpreis liegenden Arbeitspreis führt.19 Erst mit Überschreitung der Referenzpreise entstehen Erstattungsansprüche und Vorauszahlungsansprüche der Energieversorgungsunternehmen. Ferner kann erst ab Überschreitung der Referenzpreise der Preisbremsengesetze ein Wechselanreiz reduziert sein.

Tatbestandsmäßig ist schließlich nur eine erhebliche Überschreitung der nach den Energiepreisbremsen zulässigen Verhaltensweise. Dies folgt aus der Ausgestaltung des § 39 Abs. 1 Sätze 1, 2 StromPBG und des § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 EWPBG als Missbrauchstatbestand. Das ihm innewohnende Unwerturteil setzt per definitionem das Überschreiten einer Erheblichkeitsschwelle voraus.

c) Reichweite der besonderen Missbrauchstatbestände im Hinblick auf Vergünstigungen und Zugaben sowie Grundpreisgestaltungen

Von den Missbrauchsverboten der Preisbremsengesetze nicht erfasst sind die Ausgestaltung von Zugaben und Vergünstigungen sowie der Grundpreise. Insofern existieren Spezialregelungen in § 12 Abs. 1 Sätze 1, 4 StromPBG und in den §§ 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EWPBG. Sie sind als gesetzliche Verbote ausgestaltet („darf nicht“), so dass Zuwiderhandlungen als Verstoß gegen § 134 BGB unmittelbar zur Unwirksamkeit der entsprechenden Vereinbarungen führen. Weiter gehend ergibt sich aus § 43 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StromPBG und aus § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EWPBG, dass auch Verstöße gegen die Vorgaben der Preisbremsengesetze zu Vergünstigungen und Zugaben sowie zur Grundpreisgestaltung bußgeldbewehrt sind.

IV. Durchsetzung der besonderen Missbrauchstatbestände

Die tatbestandliche Offenheit der besonderen Missbrauchstatbestände, aber auch die bereits vor Inkrafttreten der Preisbremsengesetze erfolgte Ankündigung des Bundeskartellamts, die Einhaltung der neuen Missbrauchsverbote strikt zu überwachen20, lenkt den Blick auf die Durchsetzungsebene. Zu trennen ist insofern zwischen kartellbehördlichem Verwaltungsverfahren (dazu 1.), Bußgeldverfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (dazu 2.) und der zivilrechtlichen Durchsetzung (dazu 3.).

1. Kartellbehördliches Verwaltungsverfahren

Aufgrund § 39 Abs. 2 Satz 8 StromPBG und § 27 Abs. 2 Satz 8 EWPBG kann das Bundeskartellamt bei Verstößen gegen die preisbremsenrechtlichen Missbrauchsverbote zunächst ein kartellbehördliches Verwaltungsverfahren einleiten. Zuständig ist die 11. Beschlussabteilung. Im Rahmen eines solchen Verfahrens führt das Bundeskartellamt alle erforderlichen Ermittlungen und erhebt die notwendigen Beweise. Das schließt Auskunftsverlangen, auch ohne Anfangsverdacht21, ebenso ein wie die Prüfung von geschäftlichen Unterlagen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen von beweiserheblichen Gegenständen, Zeugenvernehmungen und die Beauftragung von Sachverständigen. Die Beteiligten, insbesondere also das betroffene Energieversorgungsunternehmen, müssen angehört werden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme und Akteneinsicht. Der Anhörung und Stellungnahme des Energieversorgungsunternehmens kommt besondere Bedeutung deswegen zu, weil ihm im Rahmen solcher Verfahren die Darlegungs- und Beweislast für eine sachliche Rechtfertigung obliegt.22

Abgeschlossen wird das Verwaltungsverfahren entweder durch eine Abstellungsverfügung23oder eine Verpflichtungszusage24. Im Rahmen von Abstellungsverfügungen kann das Amt dem Energieversorgungsunternehmen alle Maßnahmen aufgeben, die erforderlich sind, um das missbräuchliche Handeln wirksam abzustellen. Es kann insbesondere anordnen, dass Erstattungen und Vorauszahlungen ganz oder teilweise zurückzuerstatten sind, sowie die Abschöpfung sonstiger wirtschaftlicher Vorteile des Lieferanten anordnen und dem Lieferanten die Zahlung des entsprechenden Geldbetrags auferlegen.25 Allerdings ist es dem Amt im Rahmen der besonderen Missbrauchstatbestände nach den Preisbremsengesetzen verwehrt, Preissenkungsverfügungen zu erlassen. Ergänzt werden sollen die aktuell gültigen Regelungen der Preisbremsengesetze um die Vorgabe, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Abstellungsverfügungen nach § 39 Abs. 2 Satz 2 StromPBG und § 27 Abs. 2 Satz 2 EWPBG sowie Anordnungen nach § 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 StromPBG und § 27 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EWPBG keine aufschiebende Wirkung haben.26

2. Bußgeldverfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz

Alternativ, in der Praxis aber wohl nur nachrangig zu Verwaltungsverfahren, kann das Bundeskartellamt bei Verstößen gegen das Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Arbeitspreiserhöhungen ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten.27 Geahndet werden kann eine solche Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 1 Mio. Euro oder bei einem Gesamtumsatz des Unternehmens von mehr als 12,5 Mio. Euro mit einer Geldbuße von bis zu 8% des weltweiten Konzernumsatzes im vorangehenden Geschäftsjahr.28

Bußgelder in Höhe von bis zu 500.000 Euro können gemäß § 43 Abs. 2 Nr. 2 StromPBG oder § 38 Abs. 2 Nr. 2 EWPBG bei Verstößen gegen die Vorgaben zur Grundpreisgestaltung und gegen Mitteilungspflichten aus den §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 4 Halbsatz 1, Abs. 2, 30 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StromPBG oder § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 EWPBG verhängt werden. Bußgelder in Höhe von bis zu 100.000 Euro drohen gemäß § 43 Abs. 2 Nr. 3 StromPBG oder § 38 Abs. 2 Nr. 3 EWPBG bei Verstößen gegen das Vergünstigungs- und Zugabenverbot nach § 12 Abs. 1 Satz 1 StromPBG oder den §§ 4 Abs. 2 Satz 1, 12 Abs. 2 Satz 1 EWPBG.

3. Zivilrechtliche Rechtsfolgen

Unabhängig von der Durchsetzung der preisbremsenrechtlichen Missbrauchsverbote im Rahmen von kartellbehördlichen Verwaltungsverfahren oder im Rahmen von Bußgeldverfahren steht die zivilrechtliche Durchsetzung. Sowohl § 39 Abs. 1 Satz 1 StromPBG als auch § 27 Abs. 1 Satz 1 EWPBG stellen gesetzliche Verbote i.S.v. § 134 BGB dar, so dass gegen ihre Vorgaben verstoßende Preisgestaltungen unwirksam sind.

Auf diese Unwirksamkeit können sich betroffene Letztverbraucher im Sinne einer rechtshindernden Einwendung unmittelbar berufen. Konsequenz dessen ist, dass das im Streitfall zuständige (Zivil-)Gericht prüft, ob die Voraussetzungen eines Missbrauchs nach § 39 Abs. 1 Satz 1 StromPBG oder § 27 Abs. 1 Satz 1 EWPBG vorliegen. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt demjenigen, der sich auf die Einwendung beruft; die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach § 39 Abs. 1 Satz 4 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 4 EWPBG ist auf kartellbehördliche Verwaltungsverfahren beschränkt.

V. Fazit und Ausblick

Die besonderen Missbrauchstatbestände nach den Preisbremsengesetzen stellen ein neuartiges Konstrukt einer auch subventionsrechtlichen Aufsicht dar. Selbst wenn das Bundeskartellamt aus Sicht des Gesetzgebers die fachlich bestgeeignete Behörde ist, so zeigt die Berücksichtigung von 18,5 zusätzlichen Planstellen29 doch, wie komplex die Durchsetzung ist. Zudem hat das Amt jüngst betont, dass sich die Planung von konkreten Ermittlungsmaßnahmen in einem fortgeschrittenen Stadium befindet. Zugleich geht es aber davon aus, dass viele Verfahren vermutlich erst lange nach Ablauf des zeitlichen Anwendungsbereichs der Preisbremsen abgeschlossen werden können.


Fußnoten


1)

Gesetz zur Einführung einer Strompreisbremse (Strompreisbremsegesetz – StromPBG) v. 20.12.2022, BGBl I, 2512.

2)

Gesetz zur Einführung von Preisbremsen für leitungsgebundenes Erdgas und Wärme (Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz – EWPBG) v. 20.12.2022, BGBl I, 2560.

3)

Vgl. nur Neumann/Lißek, N&R 2023, 17; Schellberg/Kümpel, N&R 2023, 74, und Scholtka/Keller-Herder, NJW 2023, 890.

4)

Vgl. bislang lediglich die Übersichten bei Becker/Blau, EnK-Aktuell 2023 und Gleave, EnWZ 2023, 97 sowie Büdenbender, RdE 2023, 105.

5)

Vgl. BKartA-Präsident Andreas Mundt im Interview mit der F.A.Z. v. 27.01.2023.

6)

Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, BT-Drs. 20/4685, S. 1; Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Preisbremsen für leitungsgebundenes Erdgas und Wärme und zur Änderung weiterer Vorschriften der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, BT-Drs. 20/4683, S. 1.

7)

§ 39 Abs. 1 Satz 5 StromPBG, § 27 Abs. 1 Satz 5 EWPBG, vgl. auch BT-Drs. 20/4685, S. 113 und BT-Drs. 20/4683, S. 91.

8)

§ 39 Abs. 1 Satz 6 StromPBG und § 27 Abs. 1 Satz 6 EWPBG.

9)

BT-Drs. 20/4685, S. 113 und BT-Drs. 20/4683, S. 91.

10)

BT-Drs. 20/4685, S. 112 und BT-Drs. 20/4683, S. 91.

11)

Vgl. Fn. 10.

12)

Vgl. auch Büdenbender, RdE 2023, 105.

13)

Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Klimaschutz und Energie zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen, BT-Drs. 20/4915, S. 153, zu § 39 StromPBG.

14)

BT-Drs. 20/4685, S. 113 und BT-Drs. 20/4683, S. 91.

15)

BT-Drs. 20/4685, S. 112 und BT-Drs. 20/4683, S. 91.

16)

Das Bundeskartellamt plant vor diesem Hintergrund die Abfrage von Kalkulations- und Beschaffungsdetails auf Monatsbasis ab Januar 2021.

17)

So auch Gleave, EnWZ 2023, 97, 98.

18)

Explizit ist eine solche Rechtfertigung nur im Wärmebereich, vgl. § 27 Abs. 1 Satz 7 EWPBG, wegen der dort aufgrund von § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV normativ vorgegebenen Loslösung von einer reinen Kostenbetrachtung vorgesehen, eine entsprechende Rechtfertigung kommt aber auch im Bereich Strom und Gas in Betracht.

19)

Vgl. auch BMWK, FAQ zu Anträgen nach dem EWPBG, Version 4.0 v. 24.03.2023 unter Punkt 7.7; a.A. Büdenbender, RdE 2023, 105, unter IV. 3b.

20)

Vgl. Bundeskartellamt, Pressemitteilung v. 20.12.2022.


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