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Anmerkung zu:LG Hildesheim 10. Zivilkammer, Beschluss vom 17.03.2023 - 21 Qs 1/23
Autor:Ana-Christina Vizcaino Diaz, LL.M., RA'in
Erscheinungsdatum:12.06.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 451 StPO, § 73 StGB, § 73e StGB, § 459g StPO
Fundstelle:jurisPR-StrafR 10/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:Vizcaino Diaz, jurisPR-StrafR 10/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung



Leitsätze

1. Die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung unterbleibt nicht, weil der Tatverletzte die Forderung selbst vollstrecken kann.
2. Die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung ist aber unverhältnismäßig und hat auf Anordnung des Gerichts zu unterbleiben, wenn ein öffentlich-rechtlicher Tatverletzter die der Einziehungsentscheidung zugrundeliegende Forderung im Wege der Verwaltungsvollstreckung selbst beitreibt, denn schon die tatsächliche Vollstreckung der gleichen Forderung durch zwei Vollstreckungsbehörden stellt für den Schuldner eine belastende Maßnahme dar.



A.
Problemstellung
„Verbrechen darf sich nicht lohnen!“ – Unantastbares Kredo des Gesetzgebers im Zusammenhang mit den bestehenden Einziehungsregelungen und der unbedingten vollständigen Abschöpfung von Taterträgen oder deren Wert (vgl. zuletzt BT-Drs. 19/27654, S. 111). Die äußerst begrüßenswerte Entscheidung des LG Hildesheim befasst sich diesbezüglich mit den (wenigen) Grenzen der Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung und hilft bei der Entwicklung von Fallgruppen, wie es der Rechtsprechung durch den Gesetzgeber auferlegt wurde. Im Rahmen des Beschlusses kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall eine Vollstreckung der Einziehungsentscheidung jedenfalls unverhältnismäßig sei und zu unterbleiben habe, da der öffentlich-rechtliche Tatverletzte die der Einziehung zugrunde liegende Forderung im Wege der Verwaltungsvollstreckung selbst betreibe und eine Doppelbelastung der Einziehungsbeteiligten daher aus Sicht der Kammer unverhältnismäßig sei.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im Kern hatte die Kammer darüber zu entscheiden, ob es der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde nachträglich zu gestatten ist, von der grundsätzlich zwingenden Vollstreckung der Einziehungsentscheidung vorübergehend (gemäß § 459g Abs. 5 StPO) oder dauerhaft (§ 459g Abs. 4 StPO) abzusehen.
Hintergrund der Entscheidung der 2. Großen Wirtschaftskammer des LG Hildesheim war die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss des AG Hildesheim vom 09.01.2023. Diesem ging die Verurteilung der Einziehungsbeteiligten durch das AG Hildesheim mit Strafbefehl vom 03.05.2019 wegen Steuerhinterziehung voraus. Neben dem Ausspruch einer Geldstrafe wegen der Tat, ordnete das AG Hildesheim die Einziehung des Wertes des Erlangten an. Mit Schreiben vom 26.10.2022 teilte die Tatverletzte – die Familienkasse – der Staatsanwaltschaft mit, die Vollstreckung der Rückforderung der Taterträge gegenüber der Verurteilten aus eigenem Titel im steuerrechtlichen Verwaltungsvollstreckungsverfahren selbst betreiben zu wollen. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin, die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung gemäß § 459g Abs. 5 StPO auszusetzen („die Vollstreckung habe zu unterbeleiben“). Mit Beschluss vom 09.01.2023 ordnete das AG Hildesheim an, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung „ausgeschlossen sei“. Im Rahmen der Begründung stützt sich das Amtsgericht – irritierenderweise – auf den Umstand, dass die Tatverletzte ihre etwaigen Forderungen im Zusammenhang mit dem rechtskräftigen Strafbefehl vom 03.05.2019 bisher nicht angemeldet habe. Daher sei nach Ansicht des Gerichts die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des AG Hildesheim vom 09.01.2023 wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde; mit der sie weiterhin die Anordnung verfolgt, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung unterbleibt.
Im Rahmen des Beschlusses kommt das LG Hildesheim zu dem Ergebnis, dass die sofortige Beschwerde zulässig und begründet sei. Der Beschluss des AG Hildesheim vom 09.01.2023 sei daher aufzuheben. Es sei – entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft – anzuordnen, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung aus dem Strafbefehl vom 03.05.2019 unterbleibe, aufgrund der doppelten Belastung des Einziehungsbeteiligten wäre eine Vollstreckung unverhältnismäßig:
Wie im Lehrbuch führt die Kammer den Leser im Rahmen der Entscheidungsgründe durch die eigenen Überlegungen. Ausgangspunkt sei das durch den Gesetzgeber festgesteckte Ziel im Zusammenhang mit der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung „Verbrechen dürfen sich nicht lohnen!“ und die damit einhergehende Haltung, dass die Einziehungsentscheidung grundsätzlich – unantastbar – durch die Staatsanwaltschaft zu vollstrecken ist. Nur so sei eine vollständige Abschöpfung der Taterträge oder deren Werte zu gewährleisten. Eine entsprechende gesetzliche Regelung sieht § 451 StPO vor. Demnach soll die rechtskräftige Einziehungsentscheidung grundsätzlich durch die mit der Vollstreckung befassten Behörde (die Staatsanwaltschaft) vollstreckt werden. Als „doppelter Boden“ sichere § 2 StVollStrO diese Pflicht der Staatsanwaltschaft, indem ihr auferlegt wird, die Entscheidung des Gerichts stets mit Nachdruck und Beschleunigung zu vollstrecken, so dass die Ernsthaftigkeit der Bestrebungen des Gesetzgebers sichergestellt ist.
Richtig erkennt die Kammer, dass aber auch der Gesetzgeber unter bestimmten (engen) Voraussetzungen von dieser Regel eine Ausnahme kennt und die Suspendierung der Vollstreckung oder gar den Ausschluss der Einziehungsentscheidung im Vollstreckungsverfahren gesetzlich geregelt hat. Sauber differenziert die Kammer an dieser Stelle in ihrer Entscheidung zwischen den bestehenden gesetzlichen Alternativen der Durchbrechung der Vollstreckungspflicht: § 459g Abs. 4 StPO versus § 459g Abs. 5 StPO. Es sei zu unterscheiden zwischen dem dauerhaften Ausschluss des staatlichen Einziehungsanspruchs gemäß § 459g Abs. 4 StPO, sofern der Anspruch des Tatverletzten zwischenzeitlich erloschen sei, und der Möglichkeit, die Vollstreckung einer im Erkenntnisverfahren ausgesprochenen Einziehungsanordnung auf Wertersatz zu unterlassen gemäß § 459g Abs. 5 StPO, wenn die aus der Vollstreckung folgende Härte unverhältnismäßig wäre. Letzteres sei im verfahrensgegenständlichen Fall einschlägig. Daher kommt die Kammer im Rahmen ihrer Entscheidung auch zu dem richtigen Ergebnis, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung zu „unterbeleiben habe“ gemäß § 459g Abs. 5 StPO, und nicht „ausgeschlossen“ sei.
Im Rahmen der Begründung weißt die Kammer transparent darauf hin, dass die Frage der Unverhältnismäßigkeit in Fällen der anderweitigen Inanspruchnahme durch den (öffentlich-rechtlichen) Tatverletzten zwar umstritten sei, vorliegend aber die besseren Argumente dafür sprächen, dass die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung unverhältnismäßig wäre, da der öffentlich-rechtliche Tatverletzte seinen aus der Tat folgenden Anspruch im Wege der Verwaltungsvollstreckung tatsächlich selbst betreibe. Überzeugend führt das Gericht insofern aus, dass die öffentlich-rechtliche Tatverletzte daher nicht nur abstrakt die Möglichkeit habe, ihre Forderungen selbst zu titulieren und im Verwaltungsvollstreckungsverfahren beizutreiben, sondern faktisch von dieser Möglichkeit Gebrauch mache. Hinzu käme auch die Tatsache, dass die Familienkasse eine öffentlich-rechtliche Bundesfinanzbehörde sei (kein privater Gläubiger), mithin sei sichergestellt, dass die Durchsetzung der Einziehungsentscheidung mit derselben Intensität verfolgt würde, wie es die Staatsanwaltschaft täte. Denn auch die Familienkasse sei als Verwaltungsbehörde – anders als der private Gläubiger – aufgrund des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in gleicher Weise verpflichtet, den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch vollständig und mit Nachdruck zu verfolgen. Eine parallele Vollstreckung der Einziehungsentscheidung durch die Staatsanwaltschaft sei daher weder erforderlich noch geboten. Diese Lösung überzeugt.


C.
Kontext der Entscheidung
„Verbrechen darf sich nicht lohnen“ – Leitmotiv des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 (BGBl I, 872; Berichtigung BGBl I 2018, 1094), das nicht nur als werbewirksames Stilmittel benutzt wurde. Vielmehr bildete der Gedanke die Grundlage essentieller Änderungen im Rahmen der Reform; zum Beispiel die klare Bekennung zum sog. Bruttoprinzip bei der Berechnung des Einziehungsbetrags durch den Gesetzgeber (vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 46 ff., insb. S. 55). Aber auch die Streichung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F., wonach von einem Verfall insoweit zwingend abzusehen war, wenn (mögliche) Ansprüche Dritter bestanden, macht die konsequente Umsetzung des Leitmotivs im Rahmen der gesetzlichen Regelungen nach der Reform mehr als deutlich. Um dem sog. „Totengräber des Verfalls“ zukünftig den Boden zu entziehen, entschied sich der Gesetzgeber für einen Wegfall der Bereicherung im Erkenntnisverfahren und verfolgt damit das Ziel, eine Privilegierung des Straftäters entgegenzuwirken; insbesondere sollte der bösgläubige Dritte, der den erlangten Vermögenswert schnell ausgibt, nicht geschützt werden. Ihm sei nach Ansicht des Gesetzgebers nämlich bewusst, dass ihm dieser Vorteil nicht zustehe (hier sah der Gesetzgeber die Pfändungsschutzvorschriften als ausreichend an: vgl. BT-Drs. 19/27654, S. 111 f.; Coen in: BeckOK StPO, 47. Ed. 01.04.2023, § 459g StPO Rn. 20). Soweit nachvollziehbar.
Bei aller Stärkung der Opferrechte im Rahmen der Reform der Einziehungsregelung verlor der Gesetzgeber – wenn auch sehr eingeschränkt – zum Glück gleichwohl nicht das Maß auch auf potenzielle Belange des Einziehungsbetroffenen reagieren zu können. Denn auch die neuen gesetzlichen Regelungen enthalten unter bestimmten Voraussetzungen Korrekturmöglichkeiten: Für das Erkenntnisverfahren findet sich in den §§ 73 ff. StGB zwar keine vergleichbare „Härtefallregelung“ mehr. Lediglich § 73e StGB sieht vor, dass eine Einziehung des Tatertrages oder des Wertersatzes ausgeschlossen ist, soweit die Rückgewähr des Erlangten oder der Ersatz des Wertes des Erlangten erloschen ist, wobei Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind, ausgeschlossen sind (leider höchstrichterlich bestätigt: BVerfG, Beschl. v. 07.04.2022 - 2 BvR 2194/21 - NJW 2022, 2251). Eine Korrektur kann jedoch – allerdings ausschließlich – im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens vorgenommen werden; gemäß den Regelungen des § 459g Abs. 4 oder Abs. 5 StPO (so auch höchstrichterliche festgestellt: BGH, Urt. v. 15.05.2018 - 1 StR 651/17 - NStZ-RR 2018, 241; BGH, Beschl. v. 28.03.2019 - 4 StR 45/19 - NStZ-RR 2019, 252).
Spiegelbildlich zu § 73e StGB sieht § 459g Abs. 4 StPO vor, dass die Vollstreckung ausgeschlossen ist, wenn der zivilrechtliche Anspruch des Geschädigten – der Gegenstand der Einziehungsentscheidung im Erkenntnisverfahren war – nach Abschluss der Beweisaufnahme erloschen ist (aber Achtung: erfasst werden nur Schadenswiedergutmachungen nach Abschluss der Beweisaufnahme, vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 94; Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66 Auf. 2022, § 459g Rn. 10). Eine vor diesem Zeitpunkt erfolgte, rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigte Schadenswiedergutmachung führt dazu, dass die Vollstreckung der Wertersatzeinziehung wegen Unverhältnismäßigkeit gemäß § 459g Abs. 5 StPO unterbleibt und stellt eine Untergruppe der nun ausschließlich im Vollstreckungsverfahren implementierten Härtefallregelungen dar. Denn der durch das Gesetz vom 25.06.2021 (BGBl I, 2099) mit Wirkung zum 01.07.2021 neu gefasste § 459g Abs. 5 StPO sieht vor, dass eine Vollstreckung der Einziehung auf Anordnung unterbleibt, soweit diese unverhältnismäßig wäre. Ab wann dies anzunehmen sei, bestimmt die gesetzliche Regelung nicht. Im Rahmen der Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber ausdrücklich klar, dass die Ausbildung von Fallgruppen der unverhältnismäßigen Vollstreckung der Rechtsprechung überlassen werden soll (vgl. BT-Drs. 19/27654, S. 39).
Die vorliegende Entscheidung leistet einen solchen Beitrag zur Ausbildung der Fallgruppen in Bezug auf die „Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung bei Vollstreckung durch den Tatverletzten im Verwaltungsvollstreckungsverfahren“ und gibt eine Antwort auf die Frage, ob die Vorschrift des § 459g Abs. 5 StPO Anwendung findet und eine Vollstreckung zu unterbelieben hat. Nota bene: ja.
Durch die klare Positionierung der Kammer schafft das Gericht – dankenswerterweise – ein Stück Rechtssicherheit im Dickicht des „Case Law“:
Denn gemäß dem Wunsch des Gesetzgebers obliegt es der Rechtsprechung, entsprechende Fallgruppen zu erarbeiten. Dabei ist die Frage nach der Unverhältnismäßigkeit in der vorliegenden Konstellation in Literatur und Rechtsprechung auch nicht unumstritten; wie auch die Kammer aufzeigt. Überraschenderweise wird die Anwendung vorliegend auch von klugen Köpfen unerwartet kritisch gesehen. So kommt Coen zu dem Ergebnis, dass die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit gemäß § 459g Abs. 5 StPO nach der Neuregelung der Normen in den Fällen, in denen der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Betroffenen vorhanden sei, wohl ausgeschlossen ist, und verweist in diesem Zusammenhang u.a. auf den hier vorliegenden Fall, in dem Vollstreckungsmaßnahmen durch den Gläubiger betrieben werden (vgl. Coen in: BeckOK StPO, 47. Ed. 01.04.2023, § 459g Rn. 29). Etwas weniger kritisch – aber dennoch tendenziell ablehnend – sieht es Köhler, der sich zwar grundsätzlich gegen eine Anwendung des § 459g Abs. 5 StPO ausspricht, dabei aber unterstreicht, dass dies jedenfalls solange gelte, bis die Vollstreckung durch den Tatverletzten im Verwaltungsvollstreckungsverfahren jedenfalls faktisch betrieben werde. Zur Sicherung der Durchsetzung des Abschöpfungsanspruchs sei es ferner legitim – und notwendig – dass die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung durch die Tatverletzten abwarte (Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 459g Rn. 13a). Dies vermag nicht zu überzeugen.
Da das Verfahren faktisch durch die Familienkasse betrieben und eine identische Ernsthaftigkeit der Verfolgung dieses Verfahrens durch die Gläubigerin – gesetzlich – gesichert ist, ist nicht ersichtlich, woraus sich das Bedürfnis der Sicherung der Durchsetzung der Einziehungsentscheidung durch die Staatsanwaltschaft ergeben sollte. Es drängt sich vielmehr auf, dass die Regelung des § 459g Abs. 5 StPO gerade für die hier in Rede stehende Konstellation eine Korrekturmöglichkeit bietet, da es ansonsten zu einer künstlichen und unverhältnismäßigen Doppelbelastung des Einziehungsbetroffenen kommen würde. So sah es auch die Kammer im Rahmen ihrer Entscheidung und schloss sich den vorzugswürdigen Stimmen im Schrifttum (u.a. Krumm in: Tipke/Kruse, AO, 165 Lfg. 4/2021, § 375 Rn. 29; Reh, NZWiSt 2018, 20, 23; Schnabelrauch, NZWiSt 2022, 473, 480) und insbesondere der Rechtsprechung (vgl. LG Stralsund, Beschl. v. 30.01.2019 - 26 Qs 2/19) an. Offen ließ sie dabei aber – leider – die Frage, ob eine Unverhältnismäßigkeit sogar angenommen werden kann, wenn allein die Möglichkeit einer Geltendmachung der Forderung durch den öffentlich-rechtlichen (oder gar privaten) Tatverletzten anzunehmen ist. Da diese Konstellation im vorliegenden Fall nicht gegeben war, konnte die Frage auch offenbleiben.
Jedenfalls stellte die Kammer fest, dass hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts kein Grund für eine parallele Vollstreckung des Einziehungsanspruchs bestehe, wenn der öffentlich-rechtliche Tatverletzte im Verwaltungsverfahren die Vollstreckung des eigenen Titels betreibe. Denn eine solche Doppelbelastung des von der Einziehung Betroffenen sei vom Gesetzgeber weder beabsichtigt noch notwendig. Es werde vielmehr durch den Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialen gerade darauf hingewiesen, dass ein Ausschluss der Vollstreckung insbesondere bei einer Zuviel-Vollstreckung gemäß § 459g Abs. 4 StPO anzunehmen sei (BT-Drs. 418/16, S. 57). Ferner würde eine parallele Vollstreckung für den Betroffenen auch eine tatsächliche Härte darstellen, da dieser beispielsweise seine vollstreckungsrechtlichen Einwendungen ggf. doppelt geltend machen müsste. Aufgrund der Pflicht der öffentlich-rechtlichen Tatverletzten, die Vollstreckung identisch konsequent – wie die Staatsanwaltschaft – zu verfolgen und den Anspruch durchzusetzen, wäre eine solche Doppelbelastung unverhältnismäßig, die Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft daher auch nicht notwendig. Ein „Zuwarten“ der Staatsanwaltschaft bis zur tatsächlichen Vollstreckung durch die öffentlich-rechtlichen Tatverletzte – wie es Köhler fordert – ehe die Behörde die Sache abschließen könne, ist nach hiesiger Rechtsauffassung ebenfalls überflüssig. Eine solche Maßnahme ist zur Sicherung des Abschöpfungsanspruchs nicht ersichtlich und würde eine Verschwendung von Ressourcen bedeuten, die anderweitig sicherlich gewinnbringender eingesetzt werden könnten. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Kammer und stellt fest, dass ein „Zuwarten“ nicht zweckmäßig sei.
Insgesamt kommt die Kammer somit zu der äußerst begrüßenswerten Entscheidung, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung vorliegend gemäß § 459g Abs. 5 StPO zu unterbleiben habe, da die öffentlich-rechtliche Tatverletzte die Forderung selbst betreibe und dies – wahrlich – ausreichend sei.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die klare gesetzgeberische Positionierung, im Rahmen der letzten Neuerung des § 459g Abs. 5 StPO der Kasuistik den Vortritt zu geben und etwaige Fallgruppen zur Unverhältnismäßigkeit durch die Rechtsprechung erarbeiten zu lassen, trägt Licht und Schatten zugleich. Zum einen bietet dies die Chance, dass sich die Fallgruppen individuell bilden können und etwaige Konstellationen, die durch den Gesetzgeber nicht gesehen werden, nicht unberücksichtigt bleiben. Auf der anderen Seite war aus Sicht der Verfasserin unser Rechtssystems aber doch eigentlich dadurch geprägt, dass die Ausprägung normativer Begrifflichkeiten und Fallgruppen, nicht schon im ersten Antritt unmittelbar auf die Richterbank verwiesen werden sollte. Dies birgt nämlich die Gefahr, dass Fallgruppen uneinheitlich behandelt werden und ein Flickenteppich von Entscheidungen entstehen könnte. Ferner verdammt es die zukünftigen Einziehungsbeteiligten dazu, die Anwendung des § 459g Abs. 5 StPO wohl deutlich öfter ausfechten zu müssen. Das freut zwar die Berater, führt aber nicht gerade zu Rechtssicherheit. Es bleibt daher abzuwarten, ob die Idee des Gesetzgebers – die Ausarbeitung von Fallgruppen – auf die Rechtsprechung zu delegieren letztlich wirklich so innovativ und zielführend ist oder Utopie bleibt.



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