Zuständigkeit des EuGH bei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUVOrientierungssätze zur Anmerkung 1. Der EuGH ist nur für die Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts zuständig, die im Ausgangsverfahren tatsächlich anwendbar sind. 2. Es reicht nicht aus, dass die fragliche Bestimmung nur Teil einer umfassenderen nationalen Regelung ist, von der einige andere Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht erlassen worden sind; vielmehr muss die Regelung im Hinblick auf den in Rede stehenden Sachverhalt eine spezifische Verpflichtung auferlegen, die durch die betreffenden Bestimmungen des nationalen Rechts umgesetzt wurde. 3. Verlangt das nationale Recht vor Durchführung einer Massenentlassung vom Arbeitgeber die Erstellung eines Plans zur Erhaltung der Arbeitsplätze mit dem Ziel der Vermeidung von Entlassungen oder der Begrenzung ihrer Zahl, so geht es dabei nicht um die Umsetzung einer durch die Richtlinie 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen auferlegten Verpflichtung. 4. Ob der EuGH für die Beantwortung von Vorlagefragen, die allein den überschießenden Teil einer nationalen Regelung zur Umsetzung einer Richtlinie betreffen, zuständig ist, musste der EuGH nicht entscheiden. - A.
Problemstellung Die im Prozess der Harmonisierung des Rechts innerhalb der EU zunehmende Regelungsdichte führt dazu, dass das nationale Recht in immer größerem Maße unionsrechtlich determiniert ist. Das wiederum unterstreicht die Bedeutung des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV. Der EuGH verfährt bei der Prüfung der Zulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen recht großzügig, wohl auch um den Harmonisierungsprozess voranzubringen. Im vorliegenden Fall stand die Zuständigkeit des Gerichtshofs auf dem Prüfstand.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin wurde am 12.10.1992 von der Beklagten, die in Frankreich ein Hotel betreibt, als Senior-Projektleiterin eingestellt. Seit 2017 überließ J, ein externer Dienstleister, der Beklagten im Rahmen des Hotelbetriebs elf ihrer Beschäftigten zur Durchführung von Wartungs- und Reinigungsleistungen in den Räumlichkeiten des Hotels. Im September 2018 teilte die Beklagte ihrem Personal mit, dass umfangreiche Renovierungsarbeiten an dem von ihr betriebenen Hotel durchgeführt würden, wodurch der Hotelbetrieb für mindestens 20 Monate eingestellt werde, und dass sie deshalb ein betriebsbedingtes Massenentlassungsverfahren ihrem gesamten Betriebspersonal gegenüber einleiten werde, das 29 ihrer 39 Beschäftigten betreffe. Das französische Arbeitsgesetzbuch schreibt vor, dass der Arbeitgeber in Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten, wenn die geplante Entlassung mindestens zehn Beschäftigte innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen betrifft, einen Plan zur Erhaltung der Arbeitsplätze mit dem Ziel der Vermeidung von Entlassungen oder der Begrenzung ihrer Zahl auszuarbeiten und durchzuführen hat (Art. L. 1233-61 Abs. 1 Arbeitsgesetzbuch). Art. L. 1111-2 Arbeitsgesetzbuch lautet auszugsweise: „Für die Umsetzung der Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuchs wird die Beschäftigtenzahl des Unternehmens wie folgt berechnet: … 2. Befristet beschäftigte Arbeitnehmer, Gelegenheitsarbeiter und dem Unternehmen von einem externen Unternehmen überlassene Arbeitnehmer, die in den Geschäftsräumen des entleihenden Unternehmens anwesend sind und dort mindestens seit einem Jahr arbeiten, sowie Zeitarbeiter werden bei der Beschäftigtenzahl des Unternehmens entsprechend der Zeit ihrer Anwesenheit während der letzten zwölf Monate anteilig berücksichtigt. Befristet beschäftigte Arbeitnehmer und von einem externen Unternehmen überlassene Arbeitnehmer einschließlich Zeitarbeiter sind jedoch von der Berechnung der Beschäftigtenzahl ausgeschlossen, wenn sie einen abwesenden Arbeitnehmer oder einen Arbeitnehmer, dessen Vertrag insbesondere wegen Mutterschaftsurlaubs, Adoptionsurlaubs oder Erziehungsurlaubs ausgesetzt ist, ersetzen; …“ Nach Art. L. 1235-10 Abs. 1 Arbeitsgesetzbuch ist eine Kündigung nichtig, wenn die geplante Entlassung mindestens zehn Beschäftigte innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen betrifft und wenn sie erklärt wird, ohne dass eine Entscheidung über die Genehmigung oder Bestätigung eines Plans zur Erhaltung der Arbeitsplätze ergangen ist oder wenn sie ungeachtet einer ablehnenden Entscheidung erklärt wird. Die Beklagte legte vor der Entscheidung über die Entlassungen der betreffenden Beschäftigten keinen Plan zur Erhaltung der Arbeitsplätze vor. Daraufhin beantragte die Klägerin am 05.12.2018 beim Arbeitsgericht eine – nach französischem Recht zulässige – Klage auf Auflösung des Arbeitsvertrags wegen Verschuldens des Arbeitgebers und verlangte außerdem die Zahlung verschiedener damit verbundener Beträge. Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, dass sich die für die Anwendung von Art. L. 1233-61 Arbeitsgesetzbuch erforderliche Anzahl von 50 Beschäftigten nur auf Beschäftigte beziehe, zu deren Entlassung sie berechtigt sei. Ein Plan zur Erhaltung der Arbeitsplätze könne auch nur diesen Beschäftigten zugutekommen. Das treffe auf die 11 von J überlassenen Arbeitnehmer nicht zu. Folglich sei der Schwellenwert von 50 Beschäftigten nicht erreicht. Nachdem das Arbeitsgericht die Anträge zurückgewiesen hatte, gab das Berufungsgericht ihnen statt. Der daraufhin von der Beklagten angerufene Cour de cassation hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: „Ist Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen, dass die dem Unternehmen von einem externen Unternehmen überlassenen Beschäftigten, die an den Betriebsstätten anwesend sind und im Zeitpunkt der Durchführung des Entlassungsverfahrens in der Regel im entleihenden Unternehmen beschäftigt sind, bei der Berechnung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Beschäftigtenzahl als Arbeitnehmer anzusehen sind?“ Die Beklagte und die Europäische Kommission haben geltend gemacht, der Gerichtshof sei für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens nicht zuständig, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Der Ausgangsrechtsstreit betreffe nur die Frage, ob die Beklagte nach der anwendbaren nationalen Regelung verpflichtet gewesen sei, einen Plan zur Erhaltung der Arbeitsplätze auszuarbeiten, und dass die Richtlinie 98/59/EG, die für die betreffenden Arbeitgeber keine spezifische Verpflichtung zur Ausarbeitung und Durchführung eines solchen Plans vorsehe, im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Dem folgt der EuGH. Der Gerichtshof ist nur zur Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts zuständig, die im Ausgangsverfahren tatsächlich anwendbar sind (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-942/19 „Servicio Aragonés de Salud“ Rn. 29; EuGH, Urt. v. 14.10.2021 - C-244/20 „INSS“ Rn. 59). Dazu reiche es – so der EuGH (Rn. 32) – nicht aus, dass diese Bestimmungen nur Teil einer umfassenderen nationalen Regelung sind, von der einige andere Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht erlassen worden sind. Um die Anwendbarkeit der Richtlinie 98/59/EG auf den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt feststellen zu können, müsse diese vielmehr auch im Hinblick auf den in Rede stehenden Sachverhalt eine spezifische Verpflichtung auferlegen, die durch die betreffenden Bestimmungen des nationalen Rechts umgesetzt wurde. Die RL 98/59/EG sehe Informations-, Konsultations- und Meldepflichten, jedoch keine spezifische Verpflichtung der Arbeitgeber vor, im Rahmen des betriebsbedingten Massenentlassungsverfahrens einen Plan zur Erhaltung der Arbeitsplätze auszuarbeiten und durchzuführen. Außerdem entspreche der in Art. L. 1233-61 Abs. 1 Arbeitsgesetzbuch vorgesehene Schwellenwert „von mindestens 50 Beschäftigten“ keinem der in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a RL 98/59/EG festgelegten Schwellenwerte. Darüber hinaus stelle die RL 98/59/EG nur eine teilweise Harmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen sicher. Die Mitgliedstaaten hätten nach Art. 5 der Richtlinie die Möglichkeit, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere tarifvertragliche Vereinbarungen zuzulassen oder zu fördern. Schließlich lasse sich der Vorlageentscheidung nicht entnehmen, dass durch das nationale Recht die in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a RL 98/59/EG vorgesehenen Berechnungsmodalitäten auf Fälle wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden für anwendbar erklärt wurden.
- C.
Kontext der Entscheidung I. Zuständigkeit des EuGH Es handelt sich um einen der eher seltenen Fälle, in denen der EuGH seine Zuständigkeit im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV verneint. Nach Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Unionsrechts. Die Beantwortung rein nationaler Rechtsfragen, die das Unionsrecht nicht betreffen, sowie die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem – ggf. zuvor vom EuGH ausgelegten – Unionsrecht obliegt allein den nationalen Fachgerichten (EuGH, Urt. v. 29.07.2024 - C-184/22 u.a. - NZA 2024, 1265 Rn. 45 f.; BAG, Urt. v. 19.05.2022 - 2 AZR 467/21; Holler, jurisPR-ArbR 36/2022 Anm. 1; Höpfner in: EuArbRK, 5. Aufl. 2024, Art. 267 AEUV Rn. 10 u. 13; Preis/Sagan/Roloff, EuArbR, 3. Aufl. 2024, Rn. 2.17). Demgemäß verlangt Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, dass das Vorabentscheidungsersuchen die Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, darstellen und zudem den Zusammenhang dieser Vorschriften mit dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellen muss. Lässt der dem EuGH von dem vorlegenden Gericht unterbreitete Sachverhalt einen solchen Zusammenhang erkennen, billigt der EuGH den nationalen Gerichten allerdings einen weiten Beurteilungsspielraum sowohl hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung als auch ihrer Erheblichkeit für die Entscheidung des nationalen Rechtsstreits zu (Vermutung der Entscheidungserheblichkeit; EuGH, Urt. v. 23.01.2025 - C-421/23 „ONSS“; Hamann, jurisPR-ArbR 20/2025 Anm. 8; EuGH, Urt. v. 17.10.2024 - C-408/23 - NZA 2024, 1631 „Präs. OLG Hamm“, Rn. 47). Hiervon macht der EuGH drei Ausnahmen: 1. Die erbetene Auslegung steht offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, 2. die Rechtsfrage ist rein hypothetischer Natur (EuGH, Urt. v. 23.01.2025 - C-421/23 „ONSS“ Rn. 65 ff.) oder 3. der Gerichtshof verfügt nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der Frage erforderlich sind (EuGH, Urt. v. 24.10.2024 - C-441/23 „Omnitel u.a.“; Hamann, jurisPR-ArbR 49/2024 Anm. 1). Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine sog. „überschießende Umsetzung“ der RL 98/59/EG durch den französichen Gesetzgeber. Dieser hat es nicht bei der Umsetzung der in der RL 98/59/EG vorgesehenen Informations-, Konsultations- und Meldepflichten belassen, sondern mit dem Plan zur Erhaltung der Arbeitsplätze nach Art. L. 1233-61 Arbeitsgesetzbuch eine zusätzliche Anforderung aufgestellt. Das ist unionsrechtlich unbedenklich, weil Art. 5 RL 98/59/EG den Erlass von für Arbeitnehmer günstigeren Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erlaubt. Die Rechtmäßigkeit dieser Voraussetzung einer wirksamen Massenentlassung beurteilt sich allein nach nationalem Recht. Ob der EuGH für die Beantwortung von Vorlagefragen, die allein den überschießenden Teil einer nationalen Regelung betreffen, zuständig ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Der EuGH hat dies vereinzelt bejaht, insbesondere wenn der nationale Gesetzgeber zu erkennen gegeben habe, dass die nationale Regelung insgesamt, also einschließlich ihres überschießenden Teils, einheitlich im Sinne des Unionsrechts ausgelegt werden soll (EuGH, Urt. v. 28.03.1995 - C-346/93 - Slg. 1995, I-615 „Kleinwort Benson“, Rn. 16; Wegener in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 267 AEUV Rn. 5; Ehricke in: Streinz, EUV, 3. Aufl. 2018, Art. 267 Rn. 17). Im nationalen Schrifttum wird die Zuständigkeit zum Teil generell befürwortet (Höpfner in: EuArbRK, Art. 267 AEUV Rn. 23; Preis/Sagan/Sagan, EuArbR, Rn. 1.166). Es bestehe ein Interesse an der einheitlichen Auslegung unionsrechtlicher Begriffe (Preis/Sagan/Roloff, EuArbR, Rn. 2.17). Der Gerichtshof müsse auch nicht über die Anwendung einer Richtlinie auf einen rein nationalen Sachverhalt entscheiden, sondern lediglich über die Auslegung der Richtlinienvorschrift befinden (Höpfner in: EuArbRK, Art. 267 AEUV Rn. 23). Vorliegend bestätigt der EuGH seine eher restriktive Linie. Für eine Zuständigkeit reiche es nicht bereits aus, dass die überschießende nationale Bestimmung Bestandteil der gesetzlichen Regelung zur Umsetzung einer Richtlinie ist. Vielmehr müsse die nationale Regelung einen Zusammenhang mit einer konkreten Richtlinienvorgabe aufweisen. Das kann z.B. geschehen, indem das nationale Gesetz hinsichtlich des überschießenden Teils auf die Richtlinie Bezug nimmt. Im vorliegenden Fall wäre die Vorlagefrage also zulässig gewesen, wenn sich dem französischen Recht hätte entnehmen lassen, dass auch für die Berechnung des Schwellenwertes von 50 Beschäftigten in Art. L. 1233-61 Arbeitsgesetzbuch der Beschäftigtenbegriff des Art. 1 Abs. 1 Buchst. a RL 98/59/EG maßgeblich sein soll. Dazu hatte das vorlegende Gericht indes keine Angaben gemacht. II. Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern beim Schwellenwert des § 17 Abs. 1 KSchG Mangels Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens konnte der EuGH nicht klären, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer beim Schwellenwert in Art. 1 Abs. 1 RL 98/59/EG mitzählen. Ein darauf abzielendes Vorabentscheidungsersuchen des BAG aus dem Jahr 2017 (Beschl. v. 16.11.2017 - 2 AZR 90/17 (A); Hamann, jurisPR-ArbR 11/2018 Anm. 5) hatte sich aufgrund einer Klagerücknahme im Ausgangsverfahren erledigt. Im Rahmen des Massenentlassungsschutzes nach § 17 KSchG sind zwei Zahlenwerte zu betrachten. Zum einen geht es um die Betriebsgröße, zum anderen um die Zahl der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer. 1. „Zu entlassende Arbeitnehmer“ Als gesichert gelten dürfte, dass Leiharbeitnehmer nicht bei den von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmern mitzählen. Mit § 17 Abs. 1 KSchG hat der nationale Gesetzgeber Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a (i) RL 98/59/EG umgesetzt. Daher kommt dem mit der Richtlinie verfolgten Zweck vorrangige Bedeutung zu. In der Entscheidung „Pujante Rivera“ hat der EuGH festgestellt, dass der Begriff „Entlassung“ in der RL 98/59/EG eine Beendigung des Arbeitsvertrags voraussetzt (EuGH, Urt. v. 11.11.2015 - C-422/14 Rn. 48). Da dieser zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher nicht besteht, können Leiharbeitnehmer nicht i.S.d. RL 98/59/EG entlassen werden. Ihnen kommt der Massenentlassungsschutz allein bei ihrem Vertragsarbeitgeber, dem Verleiher, zugute (BAG, Beschl. v. 16.11.2017 - 2 AZR 90/17 (A) Rn. 23; LArbG Düsseldorf, Urt. v. 08.09.2016 - 11 Sa 705/15; Bissels, jurisPR-ArbR 13/2017 Anm. 2; Moll in: APS, 7. Aufl. 2024, § 17 KSchG Rn. 29; Bissels in: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, 4. Aufl. 2024, § 14 Rn. 87; Callsen in: D/D/Z, KSchR, 11. Aufl. 2020, § 17 KSchG Rn. 12; Kiel in: ErfKomm, 25. Aufl. 2025, § 17 KSchG Rn. 8; Hamann in: Schüren/Hamann, AÜG, 6. Aufl. 2022, § 14 Rn. 158; Pfeiffer in: HaKo-KSchR, 8. Aufl. 2025, § 17 KSchG Rn. 24; Lembke/Oberwinter in: T/R/L, KSchG, 5. Aufl. 2024, § 17 Rn. 64). 2. „In der Regel beschäftigte Arbeitnehmer“ Seit dem 01.04.2017 sind Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten des BetrVG und der Mitbestimmungsgesetze einschließlich der Wahlordnungen nach Maßgabe von § 14 Abs. 2 Sätze 4 bis 6 AÜG zu berücksichtigen. Eine normzweckorientierte Auslegung der jeweiligen Schwellenwertvorschrift findet insoweit nicht mehr statt (BAG, Beschl. v. 02.08.2017 - 7 ABR 51/15 - NZA 2017, 1343). Dagegen ist bei Schwellenwerten außerhalb dieser Gesetze jeweils im Einzelfall nach dem mit dem Schwellenwert verfolgten Zweck zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer mitzählen (Ulrici in: HaKo-AÜG, 1. Aufl. 2017, § 14 Rn. 37; Hamann in: Schüren/Hamann, AÜG, § 14 Rn. 154). Danach hält das BAG eine Berücksichtigung unionsrechtlich für möglich, wenn Leiharbeitnehmer einen regelmäßigen Beschäftigungsbedarf abdecken, also nicht zur Vertretung vorübergehend verhinderten Stammpersonals oder zur Abdeckung eines zeitlich begrenzten Personalmehrbedarfs eingesetzt werden (BAG, Beschl. v. 16.11.2017 - 2 AZR 90/17 (A) Rn. 24 ff.; Callsen in: D/D/Z, KSchR, § 17 KSchG Rn. 12; Fuhlrott/Fabritius, NZA 2014, 122, 126; Pfeiffer in: HaKO-KSchG, § 17 KSchG Rn. 132; Holler, ZESAR 2018, 74, 76; Preis/Sagan/Naber/Sittard, EuArbR, Rn. 8.28). Das BAG weist im Fall des § 17 Abs. 1 KSchG aber selbst auf die Ambivalenz einer solchen „gespaltenen Berücksichtigung“ von Leiharbeitnehmern hin. Beim Eingangsschwellenwert in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG wirkt sich die Berücksichtigung zugunsten der Stammbelegschaft aus, weil der Schwellenwert von 20 eher erreicht ist. Auf der zweiten Stufe wirkt sich die Berücksichtigung dagegen nachteilig aus, weil sich die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer prozentual nach der Beschäftigtenzahl richtet; es müssen also verhältnismäßig mehr Stammbeschäftigte entlassen werden, um den Massenentlassungsschutz zu erlangen. Vorzugswürdig ist es daher, Leiharbeitnehmer insgesamt unberücksichtigt zu lassen (LArbG Düsseldorf, Urt. v. 08.09.2016 - 11 Sa 705/15; Bissels, jurisPR-ArbR 13/2017 Anm. 2; Moll in: APS, KSchG, § 17 Rn. 29; Ulrici in: HaKo-AÜG, § 14 Rn. 37; Hamann in: Schüren/Hamann, AÜG, § 14 Rn. 158; Heinkel in: KR, 14. Aufl. 2025, § 17 KSchG Rn. 47; Spelge in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 6. Aufl. 2024, § 121 Rn. 33; Boemke in: NK-GA, 2. Aufl. 2023, § 17 KSchG Rn. 32; Lembke/Oberwinter in: T/R/L, KSchG, § 17 Rn. 64). Denn der Schutz nach der RL 59/98/EG erfordert keine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern. Die Auswirkungen von Massenentlassungen, deren Bewältigung die RL 98/59/EG und § 17 KSchG bezwecken, hängen von der Anzahl der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und nicht von der Betriebsgröße ab. Die Zahlenwerte zielen nicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers ab, sondern treffen nur eine typisierende Unterscheidung zwischen Klein-, Mittel- und Großbetrieben. Zudem erscheint es systemfremd, Stammbeschäftigten den Massenentlassungsschutz auf der ersten Stufe allein durch Hinzurechnung von Leiharbeitnehmern zu verschaffen, die von dem Schutz nicht profitieren können (näher Spelge in: EUArbRK, Art. RL 98/59/EG Rn. 31 ff.).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Bis zur Klärung der Rechtslage sollten von Massenentlassungen betroffene Unternehmen eine Vergleichsberechnung anstellen, wobei die Variante, nach der Leiharbeitnehmer bei den zu entlassenden Arbeitnehmern berücksichtigt werden, vernachlässigt werden darf. Als realistische Szenarien bleiben die komplette Nichtberücksichtigung von Leiharbeitnehmern und die „gespaltene“ Berücksichtigung. Je nach dem, bei welcher Variante der Massenentlassungsschutz früher einsetzt, sollten die Informations-, Konsultations- und Meldepflichten beachtet werden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht belegt das Urteil, dass bei der Formulierung der Vorlagefragen große Sorgfalt geboten ist. Fehlen wesentliche tatsächliche Aspekte oder werden die Fragen nicht zielgenau formuliert, besteht die Gefahr, dass die Antwort des EuGH wenig weiterhilft (instruktiv Preis/Sagan/Roloff, EuArbR, Rn. 2.69 ff.). Hätte das vorlegende Gericht hier festgestellt, dass der französische Gesetzgeber die Berechnungsmodalitäten nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a RL 98/59/EG auch in Art. L. 1233-61 Abs. 1 Arbeitsgesetzbuch zugrunde gelegt hat, so hätte sich der EuGH mit der eigentlichen Vorlagefrage befassen können.
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