Korrigiert der Arbeitgeber eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung, die sich für das Betriebsratsmitglied als Anpassung seines Entgelts entsprechend § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darstellen durfte, hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass die Vergütungserhöhung objektiv fehlerhaft war.
- A.
Problemstellung
Macht ein Betriebsratsmitglied eine Entgeltanpassung nach § 37 Abs. 4 BetrVG geltend, trägt es grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen.
Die vorliegende Entscheidung des BAG befasst sich mit der Frage, ob von diesem Grundsatz abzuweichen ist, wenn der Arbeitgeber eine zuvor mitgeteilte und tatsächlich gewährte Entgelterhöhung nachträglich rückgängig macht, obwohl sich diese für das Betriebsratsmitglied nach der objektiven Sachlage als bloße Anpassung seines Arbeitsentgelts gemäß § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darstellen durfte.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger bezog bei der Beklagten als Anlagenführer bis zum 01.05.2002 eine Vergütung nach Entgeltstufe 13. Seit dem 02.05.2002 war er freigestelltes Betriebsratsmitglied. Die Beklagte nahm bis 2015 regelmäßig Anpassungen seiner Vergütung unter Bezugnahme auf § 37 Abs. 4 BetrVG vor und ordnete ihn schließlich der Entgeltstufe 20 zu.
Nach der Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) überprüfte die Beklagte die Vergütungsentwicklung der Betriebsratsmitglieder. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die bisherige Vergütung des Klägers die Grenzen des § 37 Abs. 4 BetrVG überschritten habe, und stufte ihn ab März 2023 in die Entgeltstufe 18 zurück. Für die vorangegangenen Monate forderte sie eine Rückzahlung, die der Kläger unter Vorbehalt leistete.
Der Kläger verlangte die Zahlung der Differenz zur Entgeltstufe 20, die Rückzahlung des geleisteten Betrags sowie die Feststellung, dass die Beklagte ab dem 01.01.2015 verpflichtet sei, das Arbeitsverhältnis entsprechend den jeweils geltenden tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen für Beschäftigte in der Entgeltstufe 20 durchzuführen.
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Beklagten im Wesentlichen zurück. Zwar verneinte es einen Anspruch nach § 37 Abs. 4 BetrVG im Hinblick auf die Vergütungsentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung, es bejahte jedoch einen Anspruch des Klägers nach § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB aufgrund einer hypothetischen Karriereentwicklung.
Das BAG hielt die Revision der Beklagten für begründet.
Der Feststellungsantrag sei unzulässig, da dieser nicht hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sei. Insbesondere bleibe unklar, welche tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen erfasst sein sollen und was unter der „Durchführung“ des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist. Für eine Entscheidung über die Zahlungsanträge fehlten ausreichende tatsächliche Feststellungen. Der Anspruch aus § 37 Abs. 4 BetrVG sei vorrangig vor dem Anspruch aus § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB zu prüfen. Soweit das Landesarbeitsgericht den Anspruch aus § 37 Abs. 4 BetrVG mit der Begründung verneint habe, der Kläger sei seiner Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen, beruhe dies auf einem Rechtsfehler.
Zwar trage das Betriebsratsmitglied grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, dies gelte jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber zuvor Vergütungserhöhungen mitgeteilt und gewährt hat, die sich für das Betriebsratsmitglied nach der objektiven Sachlage als bloße Anpassung des Entgelts im Sinne dieser Vorschrift darstellen durften. In einem solchen Fall habe der Arbeitgeber die objektive Fehlerhaftigkeit der Vergütungserhöhung darzulegen und zu beweisen.
- C.
Kontext der Entscheidung
Die vorliegende Entscheidung stellt erstmals höchstrichterlich klar, dass bei einer rückwirkenden Korrektur einer zuvor durch den Arbeitgeber nach § 37 Abs. 4 BetrVG mitgeteilten und gewährten Vergütungsanpassung die Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitgeber übergeht.
Der Senat überträgt damit die Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung auf § 37 Abs. 4 BetrVG. Danach trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Fehlerhaftigkeit einer einmal mitgeteilten und angewandten Bewertung, wenn er diese nachträglich ändert (vgl. BAG, Urt. v. 16.08.2023 - 4 AZR 339/22). Das Betriebsratsmitglied darf bei einer auf § 37 Abs. 4 BetrVG gestützten Anpassung grundsätzlich davon ausgehen, dass der Arbeitgeber seine gesetzliche Verpflichtung erfüllt hat. Nur wenn sich dem Betriebsratsmitglied hätte aufdrängen müssen, dass es sich um eine unzulässige Begünstigung handelt, verbleibt es bei der originären Beweislast.
Das LArbG Hannover hatte noch die Anwendung dieser Grundsätze auf § 37 Abs. 4 BetrVG abgelehnt und dem Kläger die volle Darlegungslast auferlegt. Diese Sichtweise steht nicht im Einklang mit der Funktion der Norm, die als Konkretisierung des Benachteiligungsverbots aus § 78 Satz 2 BetrVG den Entgelt- und Tätigkeitsschutz während der Amtsausübung sicherstellt (vgl. BAG, Urt. v. 22.01.2020 - 7 AZR 222/19; BAG, Urt. v. 23.11.2022 - 7 AZR 122/22). Die Entscheidung grenzt sich zugleich von den Anforderungen ab, die für einen eigenständigen Anspruch aus § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB gelten.
Insoweit ist es nur konsequent, die Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung auf den Anspruch nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG anzuwenden, nicht jedoch auf den Anspruch nach § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB.
- D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung verpflichtet Arbeitgeber, bei einer nach § 37 Abs. 4 BetrVG erfolgenden Vergütungsanpassung sorgfältig und auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage zu prüfen, ob die Anpassung den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Eine spätere Korrektur führt dazu, dass der Arbeitgeber die objektive Fehlerhaftigkeit der Anpassung darlegen und beweisen muss. Dies erhöht das Risiko für Arbeitgeber, wenn die Vergleichbarkeit der herangezogenen Arbeitnehmer oder die zugrunde gelegte Entwicklung im Streit steht.
Vor einer Anpassung ist daher eine umfassende Dokumentation der Vergleichspersonen, ihrer Entwicklung und der angewandten Kriterien geboten. Die Entscheidung könnte dazu führen, dass Arbeitgeber Anpassungen erst vornehmen, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen vollständig ermittelt und gesichert sind. Für Betriebsratsmitglieder stärkt die Rechtsprechung die Durchsetzbarkeit bestehender Ansprüche, wenn der Arbeitgeber von einer zuvor mitgeteilten Anpassung wieder abrückt.