juris PraxisReporte

Anmerkung zu:LArbG Nürnberg 1. Kammer, Urteil vom 24.02.2025 - 1 SLa 153/24
Autor:Prof. Dr. Ulrich Koch, Vors. RiBAG a.D.
Erscheinungsdatum:08.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 134 BGB, § 112 BetrVG, § 111 BetrVG, § 139 ZPO, § 17 KSchG, 12008E267
Fundstelle:jurisPR-ArbR 40/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Koch, jurisPR-ArbR 40/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Einleitung und Durchführung eines Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG



Leitsätze

1. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG kann mit den Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs/Sozialplans verbunden werden. Übermittelt ein Arbeitgeber einen Entwurf eines Interessenausgleichs/Sozialplans, aus dem eine Verbindung dieser beiden Verfahren hervorgeht, wird damit regelmäßig auch ein Konsultationsverfahren eingeleitet. Das gilt auch dann, wenn auf diese Verbindung beider Verfahren nicht ausdrücklich hingewiesen wird.
2. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist rechtzeitig durchzuführen. Vorher darf ein Arbeitgeber keine unumkehrbaren Maßnahmen einleiten. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber selbst unumkehrbare Maßnahmen getroffen hat (BAG v. 14.04.2015 - 1 AZR 794/13). Es geht hier um die Konsultationspflicht des Arbeitgebers und das Verbot für den Arbeitgeber, vorher unumkehrbare Maßnahmen zu treffen. Für Maßnahmen anderer hat dieser nur einzustehen, wenn er diese selbst steuert.
3. Solange seitens eines Arbeitgebers noch keine Kündigungen ausgesprochen wurden, kann ein Konsultationsverfahren grundsätzlich noch wirksam durchgeführt werden, auch wenn das Konsultationsverfahren früher hätte durchgeführt werden können. Die Frage der Rechtzeitigkeit eines Konsultationsverfahrens gehört nicht zu den Kriterien, die dazu führen, dass ein Konsultationsverfahren nicht ordnungsgemäß ist. Eine Kündigung nach einem „verspätet“ ausgeführten Konsultationsverfahren führt daher nicht zur Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich im Wesentlichen mit den Voraussetzungen für die Einleitung eines Konsultationsverfahrens (§ 17 Abs. 2 KSchG) bei einer Betriebsschließung.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristgerechten betriebsbedingten Kündigung. Die Beklagte stellte Möbel her und beschäftigte rund 200 Mitarbeiter. Ihre Geschäftsführung beschloss im Sommer 2023 aufgrund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, den Geschäftsbetrieb einzustellen und kündigte allen Arbeitnehmern, darunter auch dem Kläger. Mit der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage machte dieser u.a. die Unwirksamkeit der Kündigung wegen einer verspäteten Einleitung des nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderlichen Konsultationsverfahrens geltend. Das LArbG Nürnberg hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Anfang August 2023 wurde der Betriebsrat über die beabsichtigte Betriebsstilllegung informiert. Am 22.08.2023 händigte ihm die Beklagte u.a. Entwürfe für einen Interessenausgleich und Sozialplan aus. In dem Entwurf des Interessenausgleichs war eine Passage enthalten, wonach der Betriebsrat im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen umfassend gemäß § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet und beteiligt worden ist, das Konsultationsverfahren mit dem Abschluss des Interessenausgleichs abgeschlossen ist und der Betriebsrat eine entsprechende Stellungnahme gemäß § 17 Abs. 3 KSchG abgeben wird (Rn. 18). Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan führten nicht zum Abschluss von entsprechenden Vereinbarungen.
Am 30.10.2023 leitete die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat nunmehr ausdrücklich ein Konsultationsverfahren ein und forderte ihn auf, spätestens bis 14.11.2023 hierzu Stellung zu nehmen. In seiner Stellungnahme stellte der Betriebsrat in Abrede, über die geplanten Entlassungen rechtzeitig, umfassend und vollständig informiert worden zu sein (Rn. 24 f.). Am 20.11.2023 erstattete die Beklagte gegenüber der Arbeitsverwaltung eine Massenentlassungsanzeige, deren Inhalt in der Entscheidung aber nicht mitgeteilt wird (Rn. 27).
Die Klage ist auch gegenüber der am 23.11.2023 erklärten Kündigung hinsichtlich der auf § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 2 KSchG gestützten Unwirksamkeit erfolglos geblieben. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Beklagte habe nicht erst am 30.10.2023, sondern bereits am 22.08.2023, zugleich mit dem Beginn der Verhandlungen über einen Interessenausgleich das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet. Dies folge aus einer Auslegung des Entwurfs für den von ihr beabsichtigten Interessenausgleich (Rn. 102 ff.) Zwar sei dieser nicht abgeschlossen worden. Dennoch habe der Betriebsrat die von der Beklagten beabsichtigte Verbindung beider Verfahren deutlich erkennen können. Diese wiesen so große Schnittmengen auf, dass es wenig effizient erscheine, beide Verfahren wirklich getrennt zu betreiben. Eine Verbindung beider Verfahren sei daher weithin üblich, so dass von einer entsprechenden Verkehrssitte gesprochen werden könne (Rn. 107).
In einer Zweitbegründung verneint das Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung aus § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 2 KSchG, weil die Beklagte das Konsultationsverfahren auch mit ihrem Schreiben vom 30.10.2023 gegenüber dem Betriebsrat ordnungsgemäß eingeleitet und durchgeführt habe. Unumkehrbare Maßnahmen seien bis zu diesem Zeitpunkt nicht getroffen worden (Rn. 155 ff.). Dies gelte auch dann, wenn die Beklagte das Konsultationsverfahren hätte früher einleiten können. Ein zu spät eingeleitetes Konsultationsverfahren führe wie auch ein nachgeholtes Konsultationsverfahren nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung, wenn noch keine Kündigungen ausgesprochen wurden und die bewusste Verzögerung nicht dazu geführt hat, dass jedenfalls Verhandlungen über eine Abmilderung nicht mehr möglich sind (Rn. 165 ff.).


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls in einem Punkt rechtsfehlerhaft. Die Mitglieder der 1. Kammer hätten angesichts der tragenden Ausführungen zur Ordnungsmäßigkeit des Konsultationsverfahrens die Revision gegen ihr Urteil zulassen müssen. Dies gilt sowohl für die Annahme, dass dieses bereits am 22.08.2023 mit der Übergabe des Entwurfs eines Interessenausgleichs eingeleitet worden ist, als auch für die Ausführungen zu dem am 30.10.2023 ausdrücklich eingeleiteten Konsultationsverfahren. Die Entscheidung bewegt sich damit auf einer bei mehreren Kammern des LArbG Nürnberg zu beobachtenden Tendenz, dem BAG eher keine Möglichkeit zu geben, zu den zweitinstanzlichen Rechtssätzen Stellung zu nehmen.
Als Ausgangspunkt seiner Ausführungen zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 2 KSchG gibt das Landesarbeitsgericht die Rechtssätze des BAG zutreffend wieder, wonach bei Massenentlassungen vom Arbeitgeber zwei selbstständige Verfahren mit jeweils eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen durchzuführen sind. Nach § 17 Abs. 2 KSchG besteht eine Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats, während nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG eine Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit besteht. Es entspricht gleichfalls der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass das Konsultationsverfahren und die Verfahren nach den §§ 111, 112 BetrVG miteinander verbunden werden können. Die Konsultationspflicht ist der Sache nach regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG, soweit mit ihr ein anzeigepflichtiger Personalabbau verbunden ist oder sie allein in einem solchen besteht, einen Interessenausgleich abschließt und dann erst kündigt. Soweit die ihm obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie nämlich gleichzeitig erfüllen. Voraussetzung ist aber, dass der Betriebsrat klar erkennen kann, dass die Handlungen des Arbeitgebers (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen (BAG, Urt. v. 13.06.2019 - 6 AZR 459/18 Rn. 42).
Das Landesarbeitsgericht nimmt nun unter Rückgriff auf die Rechtsprechung an, dass es nicht erforderlich gewesen sei, dass das Schreiben, mit dem das Konsultationsverfahren eingeleitet werden soll, einen expliziten Hinweis darauf enthält, dass der Arbeitgeber hiermit seinen Verpflichtungen nach § 17 Abs. 2 KSchG nachkommen will. Die bloße Übermittlung des Entwurfs eines Interessenausgleichs reiche dazu aus. Die dafür gegebene Begründung erweist sich allerdings als wenig überzeugend. Die Kammer verweist pauschal auf „große Schnittmengen“ zwischen dem Interessenausgleichs- und Konsultationsverfahren und dass es „wenig effizient“ erscheine, beide Verfahren wirklich getrennt zu betreiben. Deren Verbindung sei „weithin üblich“, so dass von einer entsprechenden Verkehrssitte gesprochen werden könne (Rn. 107). Der Wille der Beklagten sei für den Betriebsrat „wenig überraschend“ (Rn. 108). Woher das Landesarbeitsgericht seine Erkenntnisse hat und ob es diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat (wozu es nach § 139 ZPO verpflichtet war), wird nicht weiter ausgeführt. Die nicht fallbezogenen Ausführungen lassen nicht wirklich erkennen, wieso der Betriebsrat des klägerischen Betriebs die beabsichtigte Verbindung klar erkennen konnte (kannte dieser eine etwaige Verkehrssitte?). Der Kardinalfahler in der Subsumtion liegt aber darin, dass die erkennende Kammer nicht genügend unterscheidet zwischen den unterschiedlichen Voraussetzungen für die Einleitung der Verfahren und der Unterrichtung über die notwendigen Angaben. Der Arbeitgeber muss bei der Einleitung eines Konsultationsverfahrens den Betriebsrat u.a. zur Abgabe einer Stellungnahme auffordern, die der Massenentlassungsanzeige beizufügen ist (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Erst mit der entsprechenden Aufforderung ist das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß und für den Betriebsrat erkennbar eingeleitet. Die für dessen Durchführung notwendigen Informationen können selbstverständlich im Rahmen der Verhandlungen über einen Interessenausgleich dem Betriebsrat übermittelt werden. Nur hierauf beziehen sich die Rechtssätze des BAG. Dass allein mit einem Entwurf eines vom Arbeitgeber beabsichtigten Interessenausgleichs ohne Hinzutreten von besonderen Umständen das Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG wirksam eingeleitet werden kann, ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden und rechtlich zumindest zweifelhaft. Weiterhin bleibt offen, wie die Beklagte in der Anzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG die Einleitung (22.08.2023/30.10.2023) und den Verlauf des Konsultationsverfahrens dargestellt hat. Denn es ist ihr bzw. ihrem Bevollmächtigten offenbar erst nach dem erstinstanzlichen Urteil eingefallen, dass die Einleitung bereits im August 2023 gewesen sein könnte.
Die Überlegungen des Landesarbeitsgerichts zu den Rechtsfolgen eines „späten“ Konsultationsverfahrens sind hingegen durchaus nachvollziehbar, wenngleich nur auf eine rudimentäre Auswertung des arbeitsrechtlichen Schrifttums gestützt. Allerdings schweigt die Entscheidung dazu, warum die von der Kammer aufgeworfenen Rechtsfragen aus ihrer Sicht keine grundsätzliche Bedeutung haben. Es mutet – vorsichtig ausgedrückt – seltsam an, dass hier das Landesarbeitsgericht letztinstanzlich i.S.v. Art. 267 Abs. 3 AEUV entscheidet und keine Überlegungen zu seiner (jedenfalls nicht fernliegenden) Vorlagepflicht an den EuGH formuliert. Ausführungen zur Massenentlassungsrichtlinie sucht man im Urteil vergeblich. Soweit ersichtlich, ist aber die unionsrechtliche Rechtslage zu „späten“ Konsultationsverfahren jedenfalls nicht als geklärt anzusehen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung zeigt erneut auf, dass die Einhaltung der Formalien bei der Einleitung des Verfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG unbedingt beachtet werden sollte. Es bleibt unverständlich, warum im vorliegenden Verfahren der ausdrückliche Hinweis an den Betriebsrat und die Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG zunächst unterblieben sind. Denn nach dem mitgeteilten Sachverhalt konnte die Beklagte im August 2023 nicht wirklich von einer Einigung mit ihrer Arbeitnehmervertretung und dem Abschluss eines Interessenausgleichs ausgehen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die sonstigen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit der streitbefangenen betriebsbedingten Kündigung sind einzelfallbezogen und bewegen sich innerhalb der von ihm angeführten Rechtsprechung des BAG.



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