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Anmerkung zu:BAG 7. Senat, Beschluss vom 18.06.2025 - 7 ABR 6/24
Autor:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Erscheinungsdatum:15.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 164 SGB 9, § 50 BetrVG, § 180 SGB 9, § 177 SGB 9, § 29 BPersVG 2021
Fundstelle:jurisPR-ArbR 41/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Düwell, jurisPR-ArbR 41/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Symmetrie der Beteiligungsverhältnisse von Gesamtschwerbehindertenvertretung und Gesamtpersonalrat



Leitsatz

Ist bei Stellenbesetzungsverfahren im öffentlichen Dienst nach den einschlägigen (landes-)personalvertretungsrechtlichen Vorschriften der Gesamtpersonalrat zu beteiligen, folgt aus dem Prinzip des Gleichlaufs der Beteiligungsebenen auch im Bereich der einstufigen Verwaltung für die schwerbehindertenvertretungsrechtliche Beteiligung die Zuständigkeit der Gesamtschwerbehindertenvertretung.



A.
Problemstellung
In Großstädten ist regelmäßig die Stadtverwaltung so strukturiert, dass die verschiedenen Fachbereiche mit den zugeordneten Ämtern als personalvertretungsrechtlich verselbstständigte Dienststellen eigene Personalräte wählen, die wiederum für die gesamte Verwaltung (Gesamtdienststelle) einen Gesamtpersonalrat als Gegenpol zur Gesamtleitung durch den Oberbürgermeister errichten. Nach § 180 Abs. 1 SGB IX sind dann parallel zu den Personalvertretungen Schwerbehindertenvertretungen und eine Gesamtschwerbehindertenvertretung (GSBV) zu wählen. Dieses Strukturprinzip führt zu Zuständigkeitskonflikten.
Der Besprechungsfall zeigt diesen Konflikt anhand eines Stellenbesetzungsverfahrens auf. Der Oberbürgermeister hat die Entscheidung über höher bewertete Stellen zentralisiert. Da eine GSBV nach § 180 Abs. 6 Satz 1 SGB IX die Interessen der schwerbehinderten Menschen in den Angelegenheiten vertritt, die das „Gesamtunternehmen“ betreffen, wird vom Oberbürgermeister die Zuständigkeit der GSBV für das Beteiligungsverfahren geltend gemacht. Demgegenüber beruft sich die Schwerbehindertenvertretung (SBV) des Amtes, dem die zu besetzende Stelle zugeordnet ist, auf ihre „örtliche“ Zuständigkeit.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Stadtverwaltung von Hannover ist in verschiedene verselbstständigte Dezernate und Fachbereiche gegliedert. Dem Dezernat I ist u.a. der Fachbereich „Personal und Organisation“ zugeordnet, zu dem Dezernat V gehört u.a. der städtische Eigenbetrieb S. Im Eigenbetrieb S war eine Stelle mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 12 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD/VKA) zu besetzen. Nach einer Weisung des Oberbürgermeisters entscheidet über die Besetzung von Stellen mit der Entgeltgruppe 12 und höher „letztendlich der Oberbürgermeister bzw. das Dezernat I“. Nur für Stellen bis einschließlich Entgeltgruppe 11 ist diese Entscheidungsbefugnis auf die einzelnen Fachbereiche delegiert. Dementsprechend wird seit September 2021 bei allen den Eigenbetrieb S betreffenden Besetzungsverfahren von Stellen, die mit der Entgeltgruppe 12 oder höher dotiert sind, nicht mehr die „örtliche“ SBV, sondern die GSBV beteiligt.
Gegen ihre Nichtbeteiligung hat die SBV des Dezernats V, zu dem der Eigenbetrieb S gehört, das Arbeitsgericht angerufen. Sie hat im Beschlussverfahren die Feststellung beantragt, dass sie bei sämtlichen Stellenbesetzungsverfahren, die den Eigenbetrieb S betreffen, zu beteiligen ist, es sei denn, der/die Bewerber/in lehnt eine Beteiligung nach § 164 Abs. 1 SGB IX ausdrücklich ab. Der Oberbürgermeister hat beantragt, den Feststellungsantrag abzuweisen. Die vom Gericht am Beschlussverfahren beteiligte GSBV hat keinen Antrag gestellt.
Die Vorinstanzen haben dem Antrag der SBV stattgegeben. Die vom Landesarbeitsgericht zugelassene und vom Oberbürgermeister auch eingelegte Rechtsbeschwerde war beim BAG erfolgreich.
Danach kommt die Beteiligung an den Stellenbesetzungsverfahren ab Entgeltstufe 12 nicht der SBV zu. Vielmehr fällt diese bei entsprechender Anwendung des in § 180 Abs. 6 Sätze 3 und 4 SGB IX verankerten Prinzips der Symmetrie der personalvertretungs- und schwerbehindertenvertretungsrechtlichen Beteiligungsverhältnisse in die Zuständigkeit der GSBV.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Siebte Senat des BAG prüft im ersten Schritt die unmittelbare Anwendung von § 180 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 Satzteil 1 SGB IX. Diese Vorschrift ist nach Auffassung des Senats erkennbar der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat in § 50 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BetrVG nachgebildet. Folglich müssen für die Zuständigkeit der GSBV zwei kumulativ verknüpfte Voraussetzungen vorliegen: „Zum einen muss die Angelegenheit mehrere Dienststellen ‚des Arbeitgebers‘ betreffen; zum anderen darf sie von den Schwerbehindertenvertretungen der einzelnen Dienststellen nicht geregelt werden können.“
Unter Heranziehung der Rechtsprechung zur Zuständigkeitsabgrenzung bei Einstellungen (BAG, Beschl. v. 22.10.2019 - 1 ABR 13/18 Rn. 11; BAG, Beschl. v. 12.06.2019 - 1 ABR 5/18 Rn. 31 ff. - BAGE 167, 43) fehlt es nach Ansicht des Senats an der zweiten Voraussetzung. Die Beteiligung bei Stellenbesetzungen erfordere regelmäßig keine „überbetriebliche Regelung“. Eine teleologische Reduktion von § 180 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 Satzteil 1 SGB IX sei nicht angezeigt, um einen umfassenden Gleichklang der personalvertretungsrechtlichen und schwerbehindertenvertretungsrechtlichen Vertretungsebenen zu gewährleisten. Der Gesetzgeber habe nämlich über die Bezugnahme für die mehrstufigen Verwaltungen in § 180 Abs. 6 Satz 2 SGB IX deutlich gemacht, auch die zweite aus dem Bereich der Betriebsverfassung stammende Voraussetzung von § 180 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 Satzteil 1 SGB IX ohne Einschränkung auf den Bereich des öffentlichen Dienstes zu übertragen.
Im zweiten Prüfschritt verwirft der Senat eine aus § 180 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 SGB IX abgeleitete Zuständigkeit der GSBV. Er weist zu Recht darauf hin, die Vorschrift eröffne allein eine Kompetenz für die „nach Satz 2“ von § 180 Abs. 6 SGB IX „zuständige Schwerbehindertenvertretung“, mithin die Konzern-, Bezirks- und Hauptschwerbehindertenvertretung sowie die Schwerbehindertenvertretung der obersten Dienstbehörde, wenn bei einer mehrstufigen Verwaltung Stufenvertretungen nicht gewählt sind. Dieser Fall liegt jedoch hier nicht vor.
Im dritten Prüfschritt kommt der Senat zu der sein Ergebnis begründenden Rechtsgrundlage: die analoge Anwendung des in § 180 Abs. 6 Sätze 3 und 4 SGB IX verankerten Prinzips der Symmetrie der personalvertretungs- und schwerbehindertenvertretungsrechtlichen Beteiligungsverhältnisse. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf Düwell, jurisPR-ArbR 4/2020 Anm. 4. Er stellt fest: Die Regelungen in § 180 Abs. 6 Sätze 3 und 4 SGB IX beruhen auf der konzeptionellen Maßgabe, dass für die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretungen in öffentlich-rechtlichen Dienststellen die Dienststellenverfassung gilt, wie sie in den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder ausgeformt ist. Diese Erkenntnis gebietet einen Gleichlauf der Zuständigkeiten der personalvertretungsrechtlichen (hier: Gesamtpersonalrat) und schwerbehindertenvertretungsrechtlichen (hier: Gesamtschwerbehindertenvertretung) Vertretungsebenen. Eine Regelungslücke liegt insoweit vor, als es in von § 180 Abs. 1 Satz 1 SGB IX erfassten Geschäftsbereichen von Verwaltungen, bei denen ein Gesamtpersonalrat errichtet ist und demzufolge die Schwerbehindertenvertretungen der einzelnen Dienststellen eine GSBV wählen, an einer ausdrücklichen Regelung zur Zuständigkeitsverteilung für die Fälle fehlt, in denen in persönlichen Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen eine Entscheidung auf der Ebene der Gesamtdienststelle getroffen wird. Das Erfordernis der Füllung einer planwidrigen Regelungslücke begründet er unter sorgfältiger Auswertung der Gesetzesmaterialien unter Bezug auf den damals für das Schwerbehindertenrecht zuständigen Ministerialreferenten (Cramer, SchwbG, 5. Aufl., § 27 Rn. 8a) und den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzesentwurf zur ersten Änderung des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG; BT-Drs. 10/3138), welches die fast wortgleiche Vorgängervorschrift zu § 180 Abs. 6 Satz 3 SGB IX in § 24 Abs. 5 SchwbG enthielt. Der federführende Ausschuss des Bundestags übernahm den Vorschlag der Bundesregierung, nahm in seine Beschlussempfehlung (BT-Drs. 10/5673, S. 18) jedoch zusätzlich den (heutigen) Satz 4 auf. Erkennbares Ziel war es, für den Bereich der persönlichen Angelegenheiten im öffentlichen Dienst einen Gleichklang der personalvertretungs- und schwerbehindertenvertretungsrechtlichen Zuständigkeiten sicherzustellen. Zwar beziehen sich diese Bestimmungen in § 180 Abs. 6 Sätze 3 und 4 SGB IX auf mehrstufig-hierarchische Verwaltungsbereiche und die entsprechenden Stufenvertretungen. Zu Recht schließt jedoch der Siebte Senat auf ein „beredtes“ Schweigen des Gesetzgebers für den (hier vorliegenden) Bereich der einstufigen Verwaltung. Es gibt keinen Anhalt, dass der Gesetzgeber bei einstufigen Verwaltungen eine Inkongruenz der personal- und schwerbehindertenvertretungsrechtlichen Zuständigkeiten in Kauf nehmen wollte.
Im vierten Schritt prüft der Siebte Senat den Gleichlauf mit der Zuständigkeit des Gesamtpersonalrats. Da nach § 80 Abs. 1 Satz 1 NPersVG der Gesamtpersonalrat bei allen Maßnahmen zu beteiligen ist, für die die Gesamtdienststelle zuständig ist, gilt dies auch im vorliegenden Fall. Hat sich nämlich der Leiter der Gesamtdienststelle die Entscheidungsbefugnis vorbehalten, so bestimmt sich die Kompetenzverteilung zwischen dem Personalrat und dem Gesamtpersonalrat nach der Entscheidungsbefugnis der Dienststellenleitung (OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.08.2014 - 18 LP 3/14 Rn. 29 m.w.N.). Die Zuständigkeit des Gesamtpersonalrats bedingt die Zuständigkeit der GSBV; denn es liegt kein Fall einer „Rückausnahme“ nach § 180 Abs. 6 Satz 4 SGB IX (entsprechend) vor, der sonst eine Zuständigkeit des Personalrats und in der Folge der SBV begründete. Die Vorschrift regelt nur den hier nicht vorliegenden Fall, dass eine landespersonalvertretungsrechtliche Sonderregelung besteht, die auch im Falle der Entscheidung durch eine übergeordnete Dienststelle (Gesamtdienststelle) die Zuständigkeit der örtlichen Personalvertretung anordnet.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Diese Entscheidung des Siebten Senats verdient die Bezeichnung als Grundsatzentscheidung; denn sie bringt in das komplexe Regelungswerk des § 180 Abs. 6 Sätze 3 und 4 SGB IX für den öffentlichen Dienst endlich die gebotene Klarheit. Sie erkennt das Prinzip der Symmetrie der personalvertretungs- und schwerbehindertenvertretungsrechtlichen Beteiligungsverhältnisse an und prägt dafür den neuen Begriff: „Symmetrie der Beteiligungsverhältnisse“. Für das Recht der Schwerbehindertenvertretungen wird mit dieser Grundsatzentscheidung auch ein Vertretungsdefizit vermieden; denn dieses träte bei Annahme einer Zuständigkeit des Gesamtpersonalrats und der „örtlichen“ SBV auf. Der SBV käme nämlich kein beratendes Teilnahmerecht an der Sitzung des Gesamtpersonalrats zu, und damit entfiele die Möglichkeit, auf die Beschlussfassung des Mitbestimmungsträgers Einfluss zu nehmen.
Soweit Instanzgerichte es „als zweifelhaft“ bezeichnet haben, dass der Gesetzgeber des SGB IX einen Gleichlauf gewollt habe (so LArbG Chemnitz, Beschl. v. 23.06.2020 - 7 TaBV 23/18 Rn. 45), sind diese Zweifel jetzt höchstrichterlich behoben. Schließlich strahlt diese Grundsatzentscheidung auch auf die in § 177 Abs. 8 SGB IX ausgelassene Regelung des Übergangsmandats der Schwerbehindertenvertretungen im öffentlichen Dienst aus. Da Personalrat und SBV beteiligungsrechtlich im Gleichlauf wie ein Tandem aufgestellt sind, muss dann, wenn dem Personalrat landes- oder bundesgesetzlich (vgl. § 29 BPersVG 2021) ein Übergangsmandat eingeräumt wird, dieses auch für die SBV gelten (so schon: BAG, Beschl. v. 07.04.2004 - 7 ABR 35/03 Rn. 31 - BAGE 110, 146).


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der Siebte Senat hat bei dieser Gelegenheit einen häufig auftauchenden Verfahrensfehler der Instanzgerichte „heilend“ korrigiert. Diese hatten nämlich die Körperschaft (hier: Landeshauptstadt Hannover), vertreten durch den Oberbürgermeister, beteiligt. Zu beteiligen war jedoch der Oberbürgermeister als Leiter der (Gesamt-)Dienststelle i.S.v. § 8 Abs. 1 Satz 1 NPersVG.



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