juris PraxisReporte

Autor:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Erscheinungsdatum:18.06.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2 ArbGG, § 2a ArbGG, § 26 BDSG 2018, § 76 BetrVG, § 79a BetrVG, § 167 SGB 9, § 18a BetrVG, EGRL 46/95, 12008E267, EUV 2016/679
Fundstelle:jurisPR-ArbR 24/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Düwell, jurisPR-ArbR 24/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Das Arbeitsrecht im Sofortprogramm der Bundesregierung

I. Koalitionsausschuss legt Arbeitsprogramm der Regierung fest

Der erste Koalitionsausschuss von Union und SPD hat 28.05.2025 getagt und ein „Sofortprogramm“ beschlossen.1 Danach will die Koalition mit der zügigen Verabschiedung der Haushalte 2025 und 2026, der mittelfristigen Finanzplanung 2026 bis 2029 sowie erheblichen Investitionen den Grundstein für wirtschaftliches Wachstum legen. Binnen drei Monaten soll für jeden sichtbar werden, dass es mit Deutschland vorangeht. Das Programm gliedert sich in die Abschnitte:

1.
Investitionsoffensive,
2.
Vereinfachung und Beschleunigung,
3.
Sicherer und handlungsfähiger Staat,
4.
Neues Wirtschaftswachstum,
5.
Starker Zusammenhalt, standfeste Demokratie.

Die Abschnitte 2, 3 und 5 enthalten für die arbeitsrechtliche Praxis relevante Vorhaben.

II. Arbeitsrecht im Bereich Vereinfachung und Beschleunigung

Ein Punkt der stichwortartigen Aufstellung nennt: „Einführung von Online-Verfahren als neue Verfahrensart in der Zivilgerichtsbarkeit zur Vereinfachung und Verbesserung des Zugangs zur Justiz“. Da das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren in § 2 ArbGG nur eine Modifikation des Zivilprozesses ist, wird die Einführung von Online-Verfahren in den Zivilprozess auf das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren durchschlagen. Ob das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren, das in § 2a ArbGG vor allem für betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten gilt, betroffen sein wird, ist unwahrscheinlich, denn dieses Verfahren ist stärker an das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.20082 orientiert. Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit ist noch in der 20. Wahlperiode von der Bundesregierung am 04.09.2024 beschlossen, aber nicht mehr in die gesetzgebenden Körperschaften eingebracht worden.3 Daher kann Stefanie Hubig, die neue Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, auf eine fertige Vorlage zurückgreifen. Wesentliche Maßnahmen sind:

1.
Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen für die Nutzung digitaler Eingabesysteme bei einer Klageerhebung und der weiteren Kommunikation im Zivilprozess,
2.
Öffnung der Zivilprozessordnung für eine verstärkte Nutzung digitaler Kommunikationstechnik, insbesondere durch eine Ausweitung von Verfahren ohne mündliche Verhandlung und von Videoverhandlungen, einer digitalen Strukturierung des Streitstoffs sowie durch Erleichterungen im Beweisverfahren,
3.
Schaffung rechtlicher Grundlagen zur bundeseinheitlichen Erprobung einer Kommunikationsplattform, welche der Pilotierung digitaler Kommunikations-, Austausch- und Übermittlungsformen zwischen den Verfahrensbeteiligten und mit dem Gericht dient,
4.
Vorgaben zur Bundeseinheitlichkeit, Barrierefreiheit und Nutzerfreundlichkeit sowie Regelung einer zentralen Anlaufstelle für das Online-Verfahren als Bestandteil eines Bund-Länder-Justizportals.

III. Arbeitsrecht im Bereich Sicherer und handlungsfähiger Staat

Last but not least ist in diesen Abschnitt aufgenommen worden: Einführung eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes. Damit wird der Erfüllung eines seit 33 Jahren bestehenden Regelungsverlangens der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder Rechnung getragen.4 Seit Inkrafttreten der DSGVO5 zum 25.05.2018 hat sich der Bezugsrahmen des Beschäftigtendatenschutzes von der nationalen auf die unionsrechtliche Regelungsebene verschoben. Damit verbunden ist die wachsende Bedeutung des EuGH, der nach Art. 267 AEUV über die Auslegung des Unionsrechts verbindlich entscheidet und inzwischen die Unanwendbarkeit der Kernnorm des deutschen Beschäftigtendatenschutzes in § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG festgestellt hat.6 Der deutsche Gesetzgeber hat es nämlich bislang nicht vermocht, die in Art. 88 DSGVO geschaffene Öffnungsklausel für das nationale Recht ordnungsgemäß zum Erlass spezifischer Vorschriften im Beschäftigungskontext zu nutzen. Erst als das Ende der Ampel-Koalition absehbar war, kam es zu einem Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung eines fairen Umgangs mit Beschäftigtendaten und für mehr Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Beschäftigte in der digitalen Arbeitswelt (Beschäftigtendatengesetz – BeschDG)“.7 Angesichts der Auflösung des Bundestags konnte der Referentenentwurf nicht mehr im Bundeskabinett beschlossen und dem Bundesrat als Regierungsentwurf zugeleitet werden. Es ist damit zu rechnen, dass nach der Aufnahme in das Sofortprogramm die federführende Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas für das Vorhaben, an dem auch das Bundesministerium des Innern beteiligt ist, auf den Referentenentwurf als Arbeitsgrundlage für den zu erstellenden Regierungsentwurf zurückgreift. Hier zeichnen sich einige Neuerungen ab, die von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sicherlich unterschiedlich bewertet werden.

1. In § 7 Abs. 2 des Entwurfs ist der Ausschluss verschlechternder Kollektivvereinbarungen geregelt: „(Sie) dürfen nicht zu Lasten des Schutzes der Beschäftigten von diesem Gesetz abweichen. Sie können nicht die Zulässigkeit der Verarbeitung von Beschäftigtendaten festlegen.“ Damit wird eine Rechtsprechung, die Verschlechterungen und Verbesserungen saldieren will, korrigiert.

2. Es wird ein Informationsrecht der Beschäftigten beim Einsatz von KI-Systemen eingeführt. Nach § 10 Abs. 2 muss der Arbeitgeber die betroffenen Beschäftigten spätestens mit Beginn der Verarbeitung über den Einsatz und das nach Absatz 3 bestehende Auskunftsrecht informieren, wenn er bei der Verarbeitung von Beschäftigtendaten ein KI-System eingesetzt.

3. In § 11 Abs. 1 Satz 1 wird das Verwertungsverbot geregelt: „Wurden Beschäftigtendaten datenschutzrechtswidrig verarbeitet, dürfen diese Daten in einem gerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit einer auf diese Daten gestützten personellen Maßnahme des Arbeitgebers gegen einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte nicht verwertet werden.“ Nach Satz 2 gilt dies jedoch nicht, „wenn ein offensichtliches Missverhältnis zwischen dem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen beschäftigten Person durch die gerichtliche Verwertung und dem grundrechtlich geschützten Interesse des Arbeitgebers an der gerichtlichen Verwertung besteht“. Diese Einschränkung soll unbillige Ergebnisse zulasten des Arbeitgebers verhindern. In Absatz 2 wird in Abweichung von der Rechtsprechung des BAG zugunsten der Betriebsparteien bestimmt: „(2) Die Verhandlungspartner können für datenschutzrechtswidrige oder kollektivvereinbarungswidrige Verarbeitungen von Beschäftigtendaten ein Verwertungsverbot in Kollektivvereinbarungen regeln.“ Damit werden Betriebsvereinbarungen für die Vereinbarung von Beweisverwertungsverbote geöffnet.

4. In § 12 soll ein volles Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Bestellung des und Abberufung des Datenschutzbeauftragten eingeführt werden: „Der Betriebsrat hat bei der Bestellung und Abberufung der oder des betrieblichen Datenschutzbeauftragten mitzubestimmen. Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle nach § 76 des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.“ Diese Regelung ist konsequent; denn über § 79a BetrVG hat der Datenschutzbeauftragte gegenüber dem Betriebsrat eine Kontrollfunktion. Deshalb muss er vom Vertrauen des Betriebsrats getragen werden.

5. Eine deutliche Verbesserung der Rechtslage zugunsten der Arbeitgeberseite stellt die beabsichtigte Zulässigkeit der verdeckten Überwachung in § 20 dar. Danach müssen die betroffenen Beschäftigten über die Verarbeitung von Beschäftigtendaten durch Überwachungsmaßnahmen nicht im Voraus informiert werden, „soweit

1.
zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass aus einem räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Beschäftigten heraus eine Straftat oder schwere Pflichtverletzung begangen wurde,
2.
die Datenverarbeitung zur Aufdeckung dieser Straftat oder schweren Pflichtverletzung erfolgt und
3.
keine andere Möglichkeit besteht, diese Straftat oder schwere Pflichtverletzung aufzudecken.“

6. Pragmatisch wird die für Lieferdienste wichtige Zulässigkeit der Ortung in § 22 des Entwurfs angegangen. Die Verarbeitung von Beschäftigtendaten durch Ortung ist nach Satz 1 zulässig, „soweit sie für einen konkreten Zweck zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses, zur Erfüllung von durch Rechtsvorschrift oder Kollektivvereinbarung festgelegten Pflichten des Arbeitgebers, oder zur Wahrung wichtiger betrieblicher oder dienstlicher Interessen erforderlich ist und dabei die Interessen des Arbeitgebers an der Verarbeitung die Interessen der betroffenen Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegen.“ Die Verarbeitung wird allerdings darauf beschränkt, dass sie „nur kurzzeitig und entweder anlassbezogen oder stichprobenhaft erfolgen“ darf.

7. Der Einsatz betrieblicher oder dienstlicher Systeme für Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die auf der Grundlage automatisierter Vorschläge erstellt werden, wird erleichtert, indem Profiling in § 24 erlaubt wird, soweit Art. 22 der DSGVO dafür einen Spielraum lässt. Dazu bedarf es einer vom Arbeitgeber vorgenommenen Interessenabwägung. Bei dieser muss geprüft werden, ob Profiling „für einen konkreten Zweck zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses, zur Erfüllung von durch Rechtsvorschriften oder Kollektivvereinbarungen festgelegten Pflichten des Arbeitgebers oder zur Wahrung wichtiger betrieblicher oder dienstlicher Interessen erforderlich ist und dabei die Interessen des Arbeitgebers an der Verarbeitung die Interessen der betroffenen Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung erheblich überwiegen.“

8. Im Interesse der Attraktivität des in § 167 Abs. 2 SGB IX geregelten betrieblichen Eingliederungsmanagements ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber in § 29 die Datenverarbeitung in diesem Klärungsverfahren spezifisch ausgestalten will. Dabei soll auch klarstellend ein Verbot der zweckändernden Nutzung von (Gesundheits-)Daten geregelt werden: „Der Arbeitgeber darf Beschäftigtendaten, die nach den Absätzen 1 und 2 erhoben wurden, nicht zu anderen Zwecken verarbeiten“. Damit wird die Besorgnis mancher Betroffener entkräftet, dass BEM-Daten zu Kündigungszwecken verwendet werden können.

IV. Arbeitsrecht im Bereich Starker Zusammenhalt, standfeste Demokratie

Im ersten Unterpunkt wird ein Bundestariftreuegesetz angekündigt. Hier kann bereits auf einen Regierungsentwurf der Ampelkoalition zurückgegriffen werden. Dieser ist unter der Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes (Tariftreuegesetz)“ am 20.12.2024 in den Bundestag eingebracht worden.8 Da er wegen des Diskontinuitätsgrundsatzes als erledigt gilt, muss die neue Bundesregierung erneut einen Entwurf beschließen und in die gesetzgebenden Körperschaften einbringen. Dabei wird das federführende BMAS schon aus Zeitgründen auf den im Dezember eingebrachten Entwurf zurückgreifen. Allerdings wird die im Koalitionsvertrag vom 05.05.2025 vereinbarte Geltungseinschränkung berücksichtigt werden müssen:

„Das Bundestariftreuegesetz gilt für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Startups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro.“

Für die betriebliche Praxis von Interesse ist, dass zusätzlich zu den tariflichen Regelungen in Art. 7 des Entwurfs eine Ergänzung des BetrVG vorgesehen war. Danach sollte in § 18a BetrVG für die im Zeitraum vom 01.03.2026 bis 31.05.2026 stattfindenden regelmäßigen Betriebsratswahlen die Möglichkeit der Online-Wahl eingeführt werden. Es ist zu erwarten, dass an dieser Modernisierung, die Stimmabgabe auch im Wege der elektronischen Stimmabgabe durchzuführen (Online-Wahl), festgehalten wird, denn im Koalitionsvertrag ist verabredet:

„Zusätzlich soll die Option, online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden“.

Im Koalitionsvertrag ist noch die weitere Abrede getroffen:

„Wir ergänzen das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe um einen digitalen Zugang, der ihren analogen Rechten entspricht.“

Daher ist zu vermuten, dass der neue Regierungsentwurf des Tariftreuegesetzes noch eine weitere Ergänzung des BetrVG enthält.


Fußnoten


2)

BGBl I, 2586, 2587, das zuletzt durch Art. 3 des Gesetzes vom 07.04.2025 (BGBl. 2025 I Nr. 109) geändert worden ist.

4)

Entschließung der 43. Konferenz vom 23./24.03.1992 abrufbar unter datenschutz.sachsen-anhalt.de/konferenzen/nationale-datenschutzkonferenz.

5)

Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG, ABl EG Nr. L 119, S. 1.

6)

EuGH, Urt. v. 30.03.2023 - C-34/21 - NZA 2023, 487.

7)

Der Entwurf (Bearbeitungsstand 08.10.2024) liegt dem Autor vor; er ist im Schrifttum vorgestellt von Wybitul/Roth, BB 2024, 2999.


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