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Anmerkung zu:VGH Kassel 6. Senat, Beschluss vom 19.12.2024 - 6 B 1811/24
Autor:Prof. Dr. Michael Hippeli, LL.M., MBA, Ministerialrat
Erscheinungsdatum:19.08.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 146 VwGO, § 54 KredWG, § 80 VwGO, § 28 VwVfG, § 45 VwVfG, § 24 VwVfG, § 48 VwVfG, § 49 VwVfG, § 35 KredWG, § 49 KredWG
Fundstelle:jurisPR-BKR 8/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Stephan Meder, Universität Hannover
Dr. Anna-Maria Beesch, RA'in und FA'in für Bank- und Kapitalmarktrecht
Zitiervorschlag:Hippeli, jurisPR-BKR 8/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Vorbeugender Eilrechtsschutz gegen Maßnahmen der BaFin



Leitsätze

1. Die Zulässigkeit vorbeugenden Eilrechtsschutzes gegen den Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt jedenfalls voraus, dass Inhalt und tatsächliche wie rechtliche Voraussetzungen des von der Behörde im Rahmen einer Anhörung angekündigten Verwaltungshandelns schon so weit feststehen, dass eine Rechtmäßigkeitsprüfung möglich ist.
2. Die Anhörung zu einer bestimmten, durch einen Verwaltungsakt anzuordnenden Maßnahme ist nicht gleichbedeutend damit, dass dieser Verwaltungsakt später auch inhaltsgleich erlassen wird. Denn eine Anhörung dient der Behörde als wichtiges Mittel der Sachaufklärung und eröffnet ihr so die Gelegenheit, ihren Standpunkt nochmals zu überdenken.
3. Ein verwaltungsgerichtlicher Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz parallel zu einer Anhörung in einem laufenden Verwaltungsverfahren widerspricht dem in der Verwaltungsgerichtsordnung angelegten System eines grundsätzlich nachgelagerten Rechtsschutzes. Nur wenn es der Behörde möglich bleibt, sich im Rahmen einer Anhörung mit den Einwendungen des Betroffenen gegen den in Aussicht genommenen Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu befassen, wird der Umfang der gerichtlichen Prüfung auf diejenigen Streitfragen beschränkt, deren Klärung wirklich notwendig ist, was die Effizienz des Eilrechtsschutzes wahrt.
4. Vorbeugender verwaltungsgerichtlicher Eilrechtsschutz setzt immer voraus, dass die Möglichkeiten, die der nachgelagerte Rechtsschutz eröffnet also neben der gebotenen zeitnahen Entscheidung auch eine behördliche Stillhaltezusage, bzw. ein kurzfristiger sog. Hängebeschluss oder die spätere Vollzugsfolgenbeseitigung nicht ausreichen, um die Antragstellerseite vor schlechthin unzumutbaren Folgen der anstehenden Entscheidung der Behörde zu bewahren.
5. Eine drohende Veröffentlichung durch die BaFin (oder auf ihre Veranlassung hin) über mutmaßliche Rechtsverstöße eines von ihr beaufsichtigten Instituts oder dagegen gerichtete Anordnungen vermittelt im Regelfall keinen Anspruch auf vorbeugenden Eilrechtsschutz. Zur Stärkung der Finanzmarktintegrität hat der Gesetzgeber ihre Folgen für das Image betroffener Unternehmen bewusst in Kauf genommen, um der Aufsichtsbehörde ein effektives Aufsichtsmittel an die Hand zu geben. Das Naming & Shaming soll Finanzmarktakteure im Wege der Abschreckung zu verantwortlichem Handeln anhalten und Anleger rechtzeitig vor unseriösen Instituten oder Praktiken warnen.



A.
Problemstellung
Kann eine Bank vorbeugenden Eilrechtsschutz gegen Maßnahmen der BaFin (hier: drohende Aufhebung der Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften) erlangen, wenn sie ein Anhörungsschreiben der BaFin i.S.d. § 28 VwVfG enthält, bei welchem der Aufhebungsbescheid bereits als Entwurf beigefügt ist? Darüber musste nun der VGH Kassel befinden.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die BaFin hatte in einem laufenden Verwaltungsverfahren zur etwaigen Aufhebung der Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften der Antragstellerin (= deutsche Zweigstelle einer iranischen Bank) im Rahmen einer Anhörung i.S.d. § 28 VwVfG einen Bescheidsentwurf hinsichtlich dieser Aufhebung übersendet. Die Antragstellerin begehrte daraufhin vorbeugenden Eilrechtsschutz beim Verwaltungsgericht, welchen dieses aber ablehnte. Mit einer Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts verfolgte die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel daraufhin weiter.
Der VGH Kassel hat die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Zumindest habe die Antragstellerin im Rahmen ihrer Begründungspflicht keine durchgreifenden Gründe i.S.d. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO dargelegt, aus denen heraus die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben war.
Anders als die Antragstellerin meine und wie vom Verwaltungsgericht zutreffend beurteilt, bedeute die Übersendung des Bescheidsentwurfs noch nicht, dass die Entscheidung der BaFin damit vorgezeichnet war. Vielmehr habe die Anhörung zum Inhalt eines solchen Bescheidsentwurfs zum Ziel, dass solche Darlegungen gemacht werden können, welche ergebnisoffen auf das Verwaltungsverfahren einzuwirken imstande sind, so dass womöglich auch kein oder ein anders lautender Bescheid erlassen wird. Insoweit fehle es beim Bescheidsentwurf damit an einer verlässlichen Grundlage, auf der bereits im Stadium des vorbeugenden Eilrechtsschutzes eine Rechtmäßigkeitsprüfung des künftigen Bescheids durchgeführt werden kann. Für die Beurteilung hypothetischer Bescheide sei jedenfalls im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zur Erlangung vorbeugenden Eilrechtsschutzes kein Raum. Auch wenn die Antragstellerin behaupte, dass die BaFin typischerweise Bescheidsentwürfe später so oder so ähnlich als Bescheid erlässt und damit die Stellungnahme zur Anhörung nur noch pro forma abwartet (ohne diese Stellungnahme inhaltlich in entscheidender Weise zu berücksichtigen), so stellt dies eine seitens der BaFin bestrittene wie auch unsubstantiierte Behauptung dar.
Die seitens der Antragstellerin ursprünglich bewirkte Parallelität von Anhörungsverfahren und vorläufigem Rechtsschutz entspreche jedenfalls nicht der gesetzlich vorgesehenen Konzeption eines grundsätzlich nachgelagerten Rechtsschutzes im Verwaltungsrecht, von welchem nur im Ausnahmefall bei schlechterdings unerträglichen Auswirkungen für den jeweiligen Antragsteller abgewichen werden kann. Derartige Auswirkungen seien aber weder hinreichend vorgetragen (auch nicht mit Blick auf etwaige Strafbarkeiten i.S.d. § 54 KWG im Anschluss an eine etwaige Aufhebung der Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften) noch sonst irgendwie erkennbar. Hinsichtlich der Antragstellerin sei somit festzuhalten, dass ihr im Falle der Aufhebung der Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften das Stellen eines nachgelagerten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO möglich und zumutbar ist, sofern sie zumindest darlegen kann, dass für sie ein Zuwarten auf eine Entscheidung über einen Rechtsbehelf in der Hauptsache etwa wegen des Zeitlaufs nicht zumutbar ist.
Auch weitere von der Antragstellerin angeführten Umstände im Zusammenhang mit einer etwaigen (vorübergehenden) Aufhebung der Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften (Reputationsschaden; Verlust von Mitarbeitern; Auswirkungen auf bestehende Vertragsverhältnisse) seien nicht in einer Weise vorgetragen worden, dass sie eine Ausnahme vom Prinzip des grundsätzlich nachgelagerten Rechtsschutzes rechtfertigen können.


C.
Kontext der Entscheidung
Nach § 28 Abs. 1 VwVfG muss eine Behörde vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts dem betroffenen Beteiligten die Gelegenheit geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die dann auch typischerweise erfolgende Stellungnahme im Rahmen dieser Äußerungsmöglichkeit des betroffenen Beteiligten muss die Behörde auch zwingend zur Kenntnis nehmen und ernsthaft berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 22.02.2022 - 4 A 7/20 - NVwZ 2022, 978, 981; Kallerhoff/Mayen in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 28 Rn. 38).
Nur unter bestimmten Umständen (nach Maßgabe von § 28 Abs. 2 VwVfG) kann von einer solchen Anhörung ausnahmsweise abgesehen werden. Ohne Zweifel ist eine Aufhebung der Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften ein belastender Verwaltungsakt, weil dieser in die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis der betroffenen Bank nachhaltig eingreift. Nachdem die BaFin in der Vergangenheit bereits über fehlende erforderliche Anhörungen und Fehler bei der etwaig heilenden nachträglichen Anhörung i.S.d. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG gestrauchelt ist (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 23.09.2011 - 6 B 1701/11 - NVwZ-RR 2012, 163), hat sich das vorliegende Anhörungsprozedere mit Beifügung des belastenden Verwaltungsakts im Entwurfsstadium bei der BaFin als Standard herausgebildet.
Die BaFin versendet ein derartiges Anhörungsschreiben allerdings immer erst dann, wenn der Erlass des belastenden Verwaltungsakts ernsthaft in Rede steht, der Sachverhalt also nach Maßgabe der Amtsermittlungspflicht i.S.d. § 24 Abs. 1 VwVfG weitestgehend ausermittelt ist. Der Erlass des eigentlichen Bescheids kann aber immer noch abgewendet werden, indem durch die Stellungnahme zur Anhörung neue Erkenntnisse auftreten. Es ist keineswegs so, dass die Inhalte der Stellungnahme keinerlei Auswirkungen mehr haben können, wie auch der Ersteller der Anmerkung aus langjähriger (früherer) Tätigkeit bei der BaFin aus eigener Anschauung bestätigen kann. Diese Stellungnahmen müssen schon aufgrund der Vorgaben der Rechtsprechung zwingend gelesen und berücksichtigt werden. Die anderweitige Behauptung der hiesigen Antragstellerin ist schon deswegen Fiktion, da auf Seiten der BaFin in Fällen wie vorliegend zwingend mit einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen ist. Dort würde es aber natürlich auffallen, wenn die BaFin den Inhalt von Stellungnahmen zu Anhörungen schlicht unberücksichtigt ließe. Diese Blöße einer höchstwahrscheinlichen Offenlegung eines klaren Rechtsbruchs vor Gericht würde sich natürlich auch keine Behörde freiwillig antun.
Allerdings ist es tatsächlich eher unwahrscheinlich (aber eben auch nicht ausgeschlossen), dass der angehörte Beteiligte in diesem Verfahrensstand noch bahnbrechend neue, überraschende Erkenntnisse wird liefern können, welche den Erlass des Bescheids auf Basis des Bescheidsentwurfs abwenden oder wesentlich verändern können. Damit ist die Entscheidung des VGH an dieser Stelle richtig: Der Bescheidsentwurf kann noch keine Grundlage einer Entscheidung von Verwaltungsgerichten sein. Der Beteiligte muss sich erst einmal zur Anhörung äußern und die Einwertung bei der BaFin abwarten. Wird dann der Bescheid auf Basis des Bescheidsentwurfs erlassen, muss er sich gegen diesen Bescheid wenden, womöglich dann auf Basis von nachgelagertem Eilrechtsschutz oder im Hauptsacheverfahren mit einer Anfechtungsklage.
Die Thematik der Erlangung generell von Eilrechtsschutz im Zusammenhang mit der Aufhebung der Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften ist im Übrigen recht speziell, was in der besprochenen Entscheidung aber nur sehr bedingt zum Ausdruck kommt. Ermächtigungsgrundlage der BaFin für eine Aufhebung ist dabei § 35 Abs. 2 KWG. Danach kann die BaFin – unbeschadet der §§ 48, 49 VwVfG – nach Maßgabe der dort genannten elf Nummern mit einzelnen Gründen die Erlaubnis aufheben. Die in der Praxis zumeist angewendeten Aufhebungsgründe sind in den § 35 Abs. 2 Nr. 2 bis 6 KWG verankert (Tatsachen werden nachträglich bekannt, die eine Versagung der Erlaubnis rechtfertigen würden; Gefahr für die Erfüllung der Verpflichtungen; nachhaltige Gesetzesverstöße). Gegen einen derartigen Aufhebungsbescheid können sich Beteiligte dann mit Widerspruch und Anfechtungsklage beim VG Frankfurt wehren. Diese Rechtsbehelfe haben aber dann nach § 49 Abs. 1 KWG keine aufschiebende Wirkung. Dagegen kann zwar die Anordnung der aufschiebenden Wirkung i.S.d. § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO beantragt werden. Vor den Verwaltungsgerichten ist dieses Vorgehen aber selten erfolgreich, denn der Gesetzgeber hat die sofortige Vollziehbarkeit in Kenntnis gravierender wirtschaftlicher Auswirkungen für die betroffene Bank vorgeschrieben und dabei das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Aufhebung bewusst höher als das Interesse des Erlaubnisinhabers am uneingeschränkten Fortbestand der Erlaubnis gewichtet (Fischer/Krolop in: Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 6. Aufl. 2023, § 35 Rn. 65). Das dürfte der Grund sein, warum die Antragstellerin um vorbeugenden Eilrechtsschutz angesucht hat und sich nicht auf nachgelagerten Eilrechtsschutz verlassen wollte. Dass sie sich nicht auf eine Anfechtungsklage gegen den etwaigen Bescheid der BaFin hinsichtlich der Aufhebung der Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften (= Hauptsacheverfahren) verlassen wollte, erscheint allerdings verständlich. Denn nach der jüngsten offiziellen Statistik des Statistischen Bundesamts zur Verfahrensdauer an deutschen Verwaltungsgerichten beträgt die Dauer alleine eines erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens an einem hessischen Verwaltungsgericht derzeit durchschnittlich 16,5 Monate (https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Justiz-Rechtspflege/Publikationen/Downloads-Gerichte/statistischer-bericht-verwaltungsgerichte-2100240237005.html, zuletzt abgerufen am 24.05.2025). Dies ist für eine Bank, die um ihre Zulassung ringt, natürlich nicht darstellbar. Wartet sie die erste und womöglich die zweite Instanz des Hauptsacheverfahrens ab, braucht sie gewissermaßen den Laden gar nicht mehr aufsperren, wenn sie nach 1,5 oder gar drei bis vier Jahren doch noch obsiegt. Denn dann sind ihre Kunden weg, das Image und damit das wichtige Kundenvertrauen so oder so ramponiert.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Einen Versuch war es wert. Gleichwohl steht fest, dass Banken mit schwankender Zulassung schon während der Anhörung durch die BaFin (und nur dort) all ihre argumentativen Pfeile verschießen müssen. Mit Eilrechtsschutz kommt eine solche Bank regelmäßig schon nachgelagert zu einem Aufhebungsbescheid nicht weiter. Nun steht fest, dass auch vorbeugender Eilrechtsschutz in den allermeisten Fällen kein Schlupfloch bilden dürfte.



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