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Anmerkung zu:BGH 8. Zivilsenat, Beschluss vom 22.07.2025 - VIII ZR 5/25
Autor:Prof. Dr. Markus Würdinger
Erscheinungsdatum:22.08.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 312g BGB, § 355 BGB, § 2022-05-2 BGBEG §, § 356 BGB, § 357 BGB, EURL 83/2011, EURL 2019/2161, 12016E267
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 17/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Würdinger, jurisPR-BGHZivilR 17/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Telefaxnummer bei der Belehrung über einen verbraucherschützenden Widerruf



Leitsätze

1. Ein Unternehmer, der beim Abschluss eines Fernabsatzvertrags mit einem Verbraucher eine von der Musterwiderrufsbelehrung in Teilen abweichende Widerrufsbelehrung verwendet, muss dort nicht seine Telefaxnummer mitteilen, wenn er in der Widerrufsbelehrung als Kommunikationsmittel beispielhaft seine Postanschrift und die E-Mail-Adresse mitgeteilt hat, über die der Verbraucher schnell mit ihm in Kontakt treten und effizient kommunizieren kann (Fortführung von BGH, Beschl. v. 25.02.2025 - VIII ZR 143/24 - NJW 2025, 1268 Rn. 6 ff., 16 ff. [zur Telefonnummer des Unternehmers]).
2. Ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher würde von der rechtzeitigen Ausübung des Widerrufs selbst im Falle einer Unrichtigkeit oder Nichterreichbarkeit der im Impressum der Internetseite des Unternehmers angegebenen Telefaxnummer nicht abgehalten, wenn in der Widerrufsbelehrung beispielhaft sowohl die Postanschrift als auch die E-Mail-Adresse des Unternehmers mitgeteilt sind.
3. Dem Anlaufen der Widerrufsfrist steht es - jedenfalls im Anwendungsbereich der Verbraucherrechterichtlinie - nicht entgegen, wenn die Widerrufsbelehrung das Bestehen eines Widerrufsrechts (abstrakt) an die Verbrauchereigenschaft des Käufers und die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln knüpft. Der Unternehmer ist nicht gehalten, den Verbraucher konkret einzelfallbezogen über das Vorliegen der persönlichen und sachlichen Voraussetzungen eines Widerrufsrechts bei ihm zu belehren (Bestätigung von Beschl. v. 25.02.2025 - VIII ZR 143/24 Rn. 29; im Anschluss an BGH, Urt. v. 09.11.2011 - I ZR 123/10 - NJW 2012, 1814 Rn. 27).
4. Es hindert das Anlaufen der Widerrufsfrist auch nicht, wenn der Unternehmer in der Widerrufsbelehrung dem Verbraucher zwar mitgeteilt hat, er habe die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Ware zu tragen, entgegen Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 EGBGB jedoch keine - zumindest schätzungsweise - Angaben zu den Kosten der Rücksendung gemacht hat (Bestätigung von Beschl. v. 25.02.2025 - VIII ZR 143/24 Rn. 28).



A.
Problemstellung
Erneut musste sich der BGH mit einem verbraucherschützenden Widerruf eines Fernabsatzvertrags bei einer möglicherweise unvollständigen Widerrufsbelehrung befassen. In casu hatte die Unternehmerin auf ihrer Internetseite und im Impressum ihre Telefaxnummer mitgeteilt, nicht aber explizit in ihrer Widerrufsbelehrung. Dort hat sie aber ihre Postanschrift und E-Mail-Adresse angegeben. Beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen und erlischt diese erst nach zwölf Monaten und 14 Tagen nach dem Beginn der gesetzlichen Widerrufsfrist (§ 356 Abs. 3 Satz 2 BGB)?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Kläger erwarb am 18.04.2022 und am 15.06.2022 als Verbraucher von der Beklagten, die mit Kraftfahrzeugen handelt, jeweils ein Neufahrzeug im Wege des Fernabsatzes. Die Beklagte, die auf ihrer Internet-Seite unter „Kontakt“ ihre Telefonnummer und im Impressum erneut ihre Telefonnummer und dort zusätzlich auch ihre Telefaxnummer angegeben hat, verwendete nicht die Musterwiderrufsbelehrung, sondern eine in Teilen davon abweichende Widerrufsbelehrung. Dort werden die Postanschrift und die E-Mail-Adresse der Beklagten mitgeteilt, nicht aber ihre Telefon- und ihre Telefaxnummer. Dazu heißt es, dass der Widerruf „mittels einer eindeutigen Erklärung (z.B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail)“ erklärt werden könne.
Am 17.09.2022 wurde dem Kläger das zuerst erworbene Fahrzeug übergeben, am 28.12.2022 das zweite Fahrzeug. Am 24.08.2023 erklärte er per E-Mail den Widerruf seiner auf den Abschluss der beiden Kaufverträge gerichteten Erklärungen.
Der Kläger begehrte Rückgewähr der Kaufpreiszahlungen nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe der Fahrzeuge. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg.
II. Zu Recht habe das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des jeweiligen Kaufpreises aufgrund eines Widerrufs der Verträge (§§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1, 3 Satz 1, 357 Abs. 1 BGB) verneint, weil das fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht im Zeitpunkt der Widerrufserklärung bereits erloschen war.
1. a) Der BGH rekurriert auf eine grammatische, systematische und teleologische Auslegung und bezieht auch eine richtlinienkonforme Auslegung mit ein. Es sei offenkundig weder dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Verbraucherrechterichtlinie, dem Kontext der Bestimmung noch den vom Unionsgesetzgeber verfolgten Regelungszielen zu entnehmen, dass der Unternehmer in einer Widerrufsbelehrung seine Telefaxnummer anzugeben hat, wenn er in der Widerrufsbelehrung – wie im gegebenen Fall – seine Postanschrift sowie seine E-Mail-Adresse mitteilt. Im Übrigen habe der Unionsgesetzgeber bereits längere Zeit vor Abschluss des ersten Kaufvertrags der Parteien (am 18.04.2022) zu erkennen gegeben, dass Faxgeräte „inzwischen nur noch selten verwendet werden und weitgehend überholt sind“ (so Erwägungsgrund 46 der ab dem 07.01.2020 geltenden Neufassung der Richtlinie 2011/83/EU durch die Richtlinie (EU) 2019/2161).
b) Dem Anlaufen der Widerrufsfrist stünde es auch nicht entgegen, wenn im Impressum der Internetseite der Beklagten eine unrichtige oder nicht funktionierende bzw. nicht erreichbare Telefaxnummer angegeben worden sein sollte, obwohl in der Widerrufsbelehrung die Möglichkeit eines Widerrufs per Telefax erwähnt ist. Dies sei nicht geeignet, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Fernabsatzvertrag herrührenden Rechte und Pflichten – konkret: seines Widerrufsrechts – einzuschätzen, bzw. sich auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken. Der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher würde selbst bei einer fehlerhaften Angabe der Telefaxnummer nicht irregeführt und von einer rechtzeitigen Ausübung des Widerrufsrechts abgehalten, wenn der Unternehmer – wie hier – sowohl seine Postanschrift als auch seine E-Mail-Adresse mitteilt, über die der Verbraucher schnell mit ihm in Kontakt treten und effizient kommunizieren kann. Ein solcher Verbraucher, der einen vergeblichen Übermittlungsversuch mittels eines Telefaxschreibens vergeblich versucht hätte, würde sodann ein effizientes Kommunikationsmittel wählen, welches der Kläger in Gestalt einer E-Mail auch von vornherein tatsächlich gewählt hat.
2. Das Berufungsgericht habe ebenfalls rechtsfehlerfrei entschieden, dass dem Anlaufen der Widerrufsfrist auch nicht entgegensteht, dass die Beklagte in ihrer Widerrufsbelehrung dem Käufer zwar mitgeteilt hat, er habe die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Ware zu tragen, entgegen Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 EGBGB jedoch keine – zumindest schätzungsweise – Angaben zur Höhe der Kosten der Rücksendung gemacht hat. Dies hindere jedoch das Anlaufen der Widerrufsfrist nach § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht. Die Folgen einer fehlerhaften Belehrung über die Kosten seien nämlich in der Vorschrift des § 357 Abs. 5 BGB (§ 357 Abs. 6 BGB a.F.) abschließend und vorrangig geregelt.


C.
Kontext der Entscheidung
Das Judikat liegt ganz auf der Linie des Beschlusses des BGH vom 25.02.2025, der einen vergleichbaren Fall betraf. Auch hier ging es um den Widerruf eines Fernabsatzvertrags bei einer von der Musterwiderrufsbelehrung in Teilen abweichenden Widerrufsbelehrung. Es fehlte dort in der Widerrufsbelehrung die Angabe der Telefonnummer. Der VIII. Zivilsenat hatte entschieden, dass dieser Umstand dem Anlaufen der Widerrufsfrist nicht entgegensteht (BGH, Beschl. v. 25.02.2025 - VIII ZR 143/24 Rn. 8). Als Folgefrage musste der BGH klären, ob er als konkret letztinstanzliches Gericht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (Vorabentscheidungsverfahren) verpflichtet ist. Dies verneinte der BGH, weil die Beurteilung der Wirksamkeit der Widerrufsbelehrung derart offenkundig sei, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibe („acte clair“). Hieran hielt der Senat auch in casu fest.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil überzeugt und bewahrt die Rechtspraxis vor einem überbordenden und überschießenden Verbraucherschutz. Unternehmern kann nur angeraten werden, die Musterwiderrufsbelehrung zu verwenden. Andernfalls droht in noch nicht entschiedenen Fällen eine unliebsame Rechtsunsicherheit, die der Unionsgesetzgeber aber „mit dem Verzicht auf eine verpflichtende Musterwiderrufsbelehrung … bewusst in Kauf genommen“ hat (vgl. dazu Rn. 6 des Beschlusses).



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