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Anmerkung zu:BVerwG 10. Senat, Urteil vom 07.11.2024 - 10 A 5/23
Autor:Dr. Franz Schemmer, RiBVerwG
Erscheinungsdatum:24.02.2025
Quelle:juris Logo
Normen:Art 5 GG, Art 38 GG, Art 20 GG, § 1 BNDG, Art 32 GG
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 4/2025 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Schemmer, jurisPR-BVerwG 4/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Presserechtlicher Anspruch auf Auskunft zu Nutzung einer Spionagesoftware



Leitsatz

Journalistisch-redaktionelle Inhalte unterfallen dem verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit sowohl in gedruckter Form als auch in elektronischen Medien.



A.
Problemstellung
Ist der Bundesnachrichtendienst (BND) verpflichtet, einem Journalisten Auskunft über den Erwerb und Einsatz einer Spionagesoftware zu erteilen? Spielt es eine Rolle, ob der Journalist in den Printmedien publiziert oder in den digitalen Medien? Mit diesen Fragen hatte sich das BVerwG zu befassen. Seine Antworten zum Gewährleistungsgehalt der Pressefreiheit weisen über den konkreten Fall hinaus und sind rechtsgrundsätzlicher Natur.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist Journalist und leitet u.a. das Rechercheteam für die Transparenz- und Investigativ-Plattform FragDenStaat.de. Der Kläger begehrte vom BND Auskunft zum Erwerb und Einsatz der Software „Pegasus“. Diese Software ist eine sog. Spyware, die von dem israelischen Technologieunternehmen NSO Group Technologies Limited entwickelt wurde. Mit Hilfe der Software können mobile Endgeräte mit den Betriebssystemen iOS oder Android ausgespäht werden. Sie ermöglicht einen Zugriff auf Daten sowie die Aktivierung von integrierten Mikrofonen und Kameras. Den Auskunftsantrag lehnte der BND mit der Begründung ab, dass er zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten beträfen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung nehme.
Die Klage vor dem BVerwG hatte keinen Erfolg. Dem Kläger standen auf der Grundlage des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse die begehrten Auskünfte nicht zu. Der Kläger konnte sich zwar auf das Grundrecht der Pressefreiheit berufen. Es kam nicht darauf an, ob seine publizistische Tätigkeit im Rahmen von Printmedien oder der digitalen Presse erfolgt. Sowohl die Verkörperung journalistisch-redaktioneller Inhalte in gedruckter Form als auch deren Darstellung auf dem Bildschirm unterfallen dem verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit. Der Kläger ist auch publizistisch tätig. Das konkrete Auskunftsbegehren diente einem journalistisch-redaktionellen Zweck. Der Kläger beabsichtigte, seine Rechercheergebnisse zum Erwerb und zur Nutzung der Software „Pegasus“ nach Auswertung zu veröffentlichen. Außerdem war der Kläger im Besitz eines aktuellen bundeseinheitlichen Presseausweises. Dieser indizierte, dass der Kläger als Inhaber des Ausweises sich auf die Pressefreiheit berufen kann. Anlass zu Ausführungen, unter welchen Voraussetzungen diese Indizwirkung entkräftet sein kann, bestanden bei ihm nicht. Den erbetenen Auskünften standen aber überwiegende öffentliche Interessen entgegen. Der BND hatte plausibel dargelegt, dass diese Auskünfte seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigen könnten. Die Fragen zielten auf die Offenlegung seiner aktuellen nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Methodik ab. Diese könnte mittelbar auch operative Vorgänge gefährden. Zudem wären die Informationen für ausländische Geheim- und Nachrichtendienste und andere mögliche Aufklärungsziele von bedeutendem Interesse. Auch der Schutz der Zusammenarbeit des BND mit solchen Diensten wäre bei Erteilung der Auskünfte beeinträchtigt.


C.
Kontext der Entscheidung
Der vorliegend einschlägige verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch setzt voraus, dass der Antragsteller als Journalist aktivlegitimiert ist. Er muss als materiell-rechtlicher Anspruchsinhaber berechtigt sein, den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geltend zu machen.
Presserechtliche Auskunftsansprüche können ihre Grundlage in den Pressegesetzen der Länder haben und im bundesrechtlichen Zusammenhang im verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch. Das BVerwG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Grundrecht der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden auf dem Niveau eines Minimalstandards verleiht, soweit auf sie die Landespressegesetze wegen einer entgegenstehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht anwendbar sind (BVerwG, Urt. v. 16.03.2016 - 6 C 65/14 Rn. 13 - BVerwGE 154, 222 und BVerwG, Urt. v. 28.10.2021 - 10 C 3/20 Rn. 25 m.w.N. - BVerwGE 174, 66; vgl. auch Schemmer, jurisPR-BVerwG 1/2025 Anm. 2). Das Grundrecht der Pressefreiheit ist nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist auch die „institutionelle Eigenständigkeit“ der Presse gewährleistet (BVerfG, Beschl. v. 25.01.1984 - 1 BvR 272/81 - BVerfGE 66, 116, 133; BVerwG, Urt. v. 03.12.1974 - I C 30.71 - BVerwGE 47, 247, 252). Aufgrund des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Presseangehörige auf hinreichend bestimmte Fragen behördliche Auskünfte verlangen, soweit die entsprechenden Informationen bei der Behörde vorhanden sind und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen.
Die publizistische Tätigkeit kann im Rahmen von Printmedien oder der digitalen Presse erfolgen. Der entwicklungsoffene Begriff der Presse ist weit und formal und kann nicht von einer Bewertung des Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.01.1984 - 1 BvR 272/81 - BVerfGE 66, 116, 134 und BVerfG; Beschl. v. 08.10.1996 - 1 BvR 1183/90 - BVerfGE 95, 28, 35; Bethge in: Sachs, Grundgesetz, 10. Aufl. 2024, Art. 5 Rn. 68; Kaiser in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 4. Aufl. 2023, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 86; Degenhart in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Oktober 2024, Art. 5 Rn. 193 ff.). Der Verfassungsgeber ist bei der Begriffswahl „Presse“ mit dem Ziel der grundrechtlichen Sicherung der Demokratie (BVerfG, Urt. v. 05.08.1966 - 1 BvR 586/62 u. a. - BVerfGE 20, 162, 174 f.) von dem zu dieser Zeit existierenden Massenmedium der Presse ausgegangen und hatte Druckerzeugnisse entsprechend der damaligen Herstellungstechnik vor Augen (etwa Degenhart in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Oktober 2024, Art. 5 Rn. 193; Grabenwarter in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Stand August 2024, Art. 5 Abs. 1 Rn. 239). Dieser technikbezogene Ansatz bestimmt den Begriff der Presse aber nicht abschließend. Der intendierte Schutz richtet sich nicht ausschließlich auf den Einsatz der Druckerpresse. Das Druckwerk ist die ursprüngliche, aber unter den Bedingungen der heutigen Zeit nur eine unter vielen weiteren Methoden der Vervielfältigung. Vor dem Hintergrund der gewandelten tatsächlichen Verhältnisse (Kaiser in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 4. Aufl. 2023, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 7) ist es für den Gewährleistungsgehalt der Pressefreiheit unerheblich, auf welche Art und Weise der geistige Inhalt verkörpert wird. Damit stehen mit der klassischen Presse vergleichbare Massenmedien, die deren Aufgabe erfüllen, umfassende Informationen zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten (BVerfG, Urt. v. 28.02.1961 - 2 BvG 1/60 u. a. - BVerfGE 12, 205, 260 f. und BVerfG, Beschl. v. 06.11.1979 - 1 BvR 81/76 - BVerfGE 52, 283, 296), gleichermaßen unter verfassungsrechtlichem Schutz. Auch elektronische Medien haben an der Aufgabe der Sicherung der Demokratie teil (vgl. auch Degenhart in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Oktober 2024, Art. 5 Rn. 197 f.; Grabenwarter in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Stand August 2024, Art. 5 Abs. 1 Rn. 251 ff., 266; Cornils in: Löffler, Presserecht, 7. Aufl. 2023, Einl. Rn. 106). Maßgeblich ist allein, inwieweit Online-Angebote funktional der Presse entsprechen. Jedenfalls journalistisch-redaktionell aufbereitete Beiträge in Wort und Bild, die an der für das demokratische Gemeinwesen unentbehrlichen Aufgabe der Wiedergabe der Meinungsvielfalt und der Meinungsbildung teilhaben, sind deshalb dem verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit nach den dafür maßgeblichen Kriterien zuzuordnen. Dementsprechend unterfällt die digitale Presse, soweit sie funktional den traditionellen Presseerzeugnissen vergleichbar ist, der Pressefreiheit (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.10.2024 - 6 S 37/24 Rn. 12 f.). Von einem digitale Formen der Verbreitung umfassenden Begriff der Presse ist auch das BVerfG ausgegangen, als es das Setzen eines Links in einem Online-Artikel wegen seiner Einbettung in eine pressetypische Stellungnahme von der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als erfasst angesehen hat (BVerfG, Beschl. vom 15.12.2011 - 1 BvR 1248/11 - BVerfGK 19, 278, 284). Für den verfassungsrechtlichen Schutz als Presse ist gleichfalls ohne Belang, ob die digitale Version ergänzende Texte zu einer Printversion enthält, das alleinige Format der Publikation ist oder der Alternativverbreitung der Printversion dient.
Die Tätigkeit muss einem publizistischen Zweck dienen. Das BVerwG hat im Urteil vom 21.03.2019 (7 C 26/17 Rn. 24 ff. - BVerwGE 165, 82) diesen Zweck ausdrücklich betont. Es genügt daher nicht, dass ein vornehmlich außerpublizistischer Geschäftszweck verfolgt wird.
Jenseits der typischen Inhalte von Erzeugnissen, gemeint sind solche wie gedruckte oder digitale Bücher und Zeitungen, produziert von Verlegern, Herausgebern und Journalisten, gibt es Zweifelsfälle, etwa bei Unternehmen, deren Tätigkeit und Erzeugnisse formal betrachtet der Presse zugeordnet werden könnten, inhaltlich mit Presse aber zu wenig gemein haben. Für die Klärung der Pressezugehörigkeit bedarf es der Betrachtung der Funktionen der Presse. Die Pressefreiheit ist nach der Rechtsprechung des BVerfG unentbehrliches Medium und wesentlicher Faktor der öffentlichen Meinungsbildung (BVerfG, Urt. v. 28.02.1961 - 2 BvG 1/60 - BVerfGE 12, 205, 260). Aufgabe der Presse ist es, umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten (BVerfG, Beschl. v. 06.11.1979 - 1 BvR 81/76 - BVerfGE 52, 283, 296).
Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch ist nicht schrankenlos. Da er nicht einfachrechtlich positiviert ist, fehlt eine ausformulierte Regelung, die die Erteilung der Auskunft sperrt, wenn überwiegende öffentliche und private Interessen entgegenstehen. Es bedarf daher einer einzelfallbezogenen Abwägung des Informationsinteresses der Presse mit entgegenstehenden Belangen. Als schutzwürdiges öffentliches Interesse anerkannt ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste. Dieses Erfordernis, das das BVerfG als Grenze des parlamentarischen Informationsanspruchs aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG anerkannt hat (BVerfG, Beschl. v. 13.06.2017 - 2 BvE 1/15 Rn. 94 f., 109, 112 ff. - BVerfGE 146, 1) und das als überwiegendes öffentliches Interesse in den Kanon der Auskunftsverweigerungsgründe nach den Landespressegesetzen eingeordnet werden kann, begrenzt den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse. Es findet – als Sicherung der Erfüllung der in § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG benannten Aufgaben des BND – spezielle Ausprägungen in dem Schutz der operativen Vorgänge des Dienstes, dem Schutz seiner Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten, dem Schutz seiner Arbeitsweise und Methodik, dem Schutz seiner Mitarbeiter vor Enttarnung sowie in dem nachrichtendienstlichen Quellenschutz (BVerwG, Urt. v. 18.09.2019 - 6 A 7/18 Rn. 19 f. m.w.N. - BVerwGE 166, 303 und BVerwG Urt. v. 09.11.2023 - 10 A 2/23 Rn. 20 - NVwZ 2024, 573). Auch der Schutz der auswärtigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland kann der Erteilung einer presserechtlichen Auskunft als überwiegendes öffentliches Interesse entgegenstehen (BVerwG, Beschl. v. 12.09.2024 - 10 VR 1/24 Rn. 27 - NVwZ 2024, 1773 und BVerwG, Beschl. v. 06.11.2024 - 10 VR 3/24 Rn. 7). Die Pflege auswärtiger Beziehungen fällt innerhalb des Verfassungsgefüges der Bundesrepublik Deutschland von der Verbandskompetenz her dem Bund zu (Art. 32 Abs. 1 GG), beim Bund zuvörderst der Bundesregierung. Deswegen steht ihr in diesem Bereich auch ein weit bemessener Spielraum eigener Gestaltung zu (BVerfG, Urt. v. 07.05.2008 - 2 BvE 1/03 - BVerfGE 121, 135, 158), der sich weitgehend der gerichtlichen Kontrolle entzieht (BVerwG, Urt. v. 29.10.2009 - 7 C 22/08 Rn. 15 - NVwZ 2010, 321). Dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden liegt ein umfassendes Abwägungsmodell zugrunde. Von vornherein abwägungsfest im Sinne eines Vorrangs des öffentlichen Geheimhaltungsinteresses vor dem Informationsinteresse der Presse ist aber insbesondere das Interesse an einem Geheimschutz für die operativen Vorgänge des Bundesnachrichtendienstes. Nähere Darlegungen der Beklagten sind dann nicht erforderlich (BVerwG, Urt. v. 18.09.2019 - 6 A 7/18 Rn. 20 - BVerwGE 166, 303).
Aus Art. 10 EMRK ergaben sich – wie regelmäßig – keine weiter gehenden Rechte (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.06.2017 - 7 C 24/15 Rn. 45 - BVerwGE 159, 194, BVerwG, Urt. v. 24.01.2018 - 6 A 8/16 Rn. 34 - Buchholz 402.71 BNDG Nr 7, BVerwG, Urt. v. 25.10.2018 - 7 C 6/17 - Buchholz 422.1 Presserecht Nr 19 Rn. 18 und BVerwG, Urt. v. 28.10.2021 - 10 C 3/20 Rn. 28 - BVerwGE 174, 66).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Mit dem vorliegenden Urteil hat erstmals ein oberstes Bundesgericht entschieden, dass die Pressefreiheit über das bisherige Verständnis hinaus, nicht nur die gedruckte Presse schützt, sondern auch die digitale Presse. Dies wird in der Rechtswirklichkeit seinen Niederschlag finden. Das konkrete Entscheidungsergebnis ergab sich im vorliegenden Fall aus einer fallbezogenen Abwägung anhand gesicherter rechtlicher Maßstäbe.



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