§ 13 Abs. 1 Satz 1 KSG gebietet das Einstellen der ermittelten klimarelevanten Auswirkungen in die Abwägung ohne gesetzlich vorgegebene Gewichtung oder Bindungswirkung. Ein etwaiges Verfehlen der Klimaziele für den Verkehrssektor ohne schlüssiges Minderungskonzept führt nicht dazu, dass Vorhaben im Verkehrsbereich nicht mehr ohne Verstoß gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG zugelassen werden können.
- A.
Problemstellung
Es geht um § 13 Abs. 1 Satz 1 Bundes-Klimaschutzgesetz (künftig KSG). Die Norm hat folgenden Wortlaut:
„Die Träger öffentlicher Aufgaben haben bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck dieses Gesetzes und die zu seiner Erfüllung festgelegten Ziele zu berücksichtigen.“
In der hier zu besprechenden Entscheidung, die die Ortsumgehung Flöha betrifft, haben die klagenden Naturschutzverbände vom 9. Senat des BVerwG, der für solche straßenrechtlichen Vorhaben zuständig ist, eine Neuausrichtung seiner Senatsrechtsprechung zu § 13 KSG gefordert. Zum besseren Verständnis soll deshalb nachfolgend zunächst diese Rechtsprechung dargestellt werden.
Der 9. Senat hat das in § 13 Abs. 1 Satz 1 verankerte Berücksichtigungsgebot erstmals im Mai 2022 im Zusammenhang mit der Nordverlängerung der A 14 ausgelegt (Urt. v. 04.05.2022 - 9 A 7/21 - BVerwGE 175, 312; vgl. hierzu ausführlich Sieveking, jurisPR-BVerwG 19/2022 Anm. 1). Die damalige Entscheidung betraf – ebenso wie die hier zu besprechende – noch das KSG in der Fassung, die es aufgrund des viel diskutierten Klimaschutz-Beschlusses des BVerfG vom 24.03.2021 erhalten hatte. Dies ist für die nachfolgenden Ausführungen insofern wichtig, als diese Fassung noch sektorenbezogene jährliche Minderungsziele vorsah (vgl. § 4 Abs. 1 KSG). Inzwischen wurde das KSG durch Art. 1 des Gesetzes vom 15.07.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 235) geändert. Nun ist nicht mehr auf die zulässigen Jahresemissionsmengen je Sektor, sondern auf die Gesamtmenge abzustellen. Auf diese Gesetzesänderung geht die Besprechung am Ende unter D. (Auswirkungen für die Praxis) noch einmal näher ein.
Die zentralen Aussagen der Entscheidung aus Mai 2022 lassen sich in einigen Kernsätzen zusammenfassen:
I. Im Rahmen der Abwägung müssen die Auswirkungen der Planungsentscheidung auf den Klimaschutz – bezogen auf die in den §§ 1 und 3 KSG konkretisierten nationalen Klimaschutzziele – ermittelt werden (Rn. 71).
II. Zwar gibt es bislang noch keine konkretisierenden Vorgaben (wie Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften, Leitfäden o.Ä.), dennoch ist die Vorschrift nicht inoperabel. Die Anforderungen an die Behörde dürfen aber nicht überspannt werden (Stichworte: inhaltliche Bestimmung „mit Augenmaß“ / kein unzumutbarer Aufwand) (Rn. 80).
III. Die Berücksichtigungspflicht ist sektorübergreifend, d.h. für die Planung einer Straße ist nicht nur der Verkehrssektor von Bedeutung (CO-Ausstoß der Fahrzeuge), sondern etwa auch der Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (vgl. § 3a KSG) z.B. durch die Zerstörung von Wäldern und Mooren (Rn. 83).
IV. Die Norm begründet selbst keine neuen Handlungs- oder Entscheidungsspielräume, sondern setzt das Bestehen derartiger Spielräume aufgrund anderer gesetzlicher Regelungen voraus.
V. § 13 Abs. 1 Satz 1 enthält eine Berücksichtigungspflicht, aber keine gesteigerte Beachtenspflicht i.S. eines Optimierungsgebots (Rn. 85).
VI. Eine Behörde darf sich trotz negativer Folgen für den Klimaschutz und trotz voraussichtlichen Verfehlens der Klimaziele im Verkehrssektor für ein Vorhaben aussprechen. Begründung: Das KSG und die darin festgelegten Klimaschutzziele richten sich an Gesetzgeber. Steuerungsmaßnahmen für den Verkehrssektor sind acht Bausteine, zu denen nicht der Verzicht auf Straßen gehört (Rn. 97).
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Nachdem im Flöha-Urteil zunächst die zentralen Aussagen aus der Leitentscheidung aus Mai 2022 referiert werden (Rn. 221 f.), geht es um die Kritik der klagenden Umweltverbände. Diese hatten insbesondere zum obigen Punkt 6 (konkrete Abwägungsentscheidung) Folgendes eingewandt: Immer dann, wenn die jeweilige sektorbezogene Vorgabe verfehlt werde (so sei es unzweifelhaft beim hier betroffenen Verkehr), müsse die Behörde prüfen, ob ein konkretes Sofortprogramm vorliege. Sei dies nicht der Fall – Letzteres stehe hier aufgrund der Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg vom 30.11.2023 (11 A 1/23 Rn. 2 und 6) fest – könne die Klimazielverträglichkeit nicht bejaht werden. Des Weiteren sei das im Urteil aus Mai 2022 zu findende „Promilleargument“ (auch „Drop-in-the-Ocean“-Argument genannt) unzulässig. Damit ist der Einwand gemeint, eine einzelne individuelle oder staatliche Maßnahmen sei angesichts des globalen Problems des Klimawandels zu geringfügig, um zur Reduktion von Treibhausgasemissionen beizutragen.
I. Zum Promilleargument
Das BVerwG schließt sich der kritischen Bewertung des „Promillearguments“ an und stellt hierzu klar:
„Wie in der mündlichen Verhandlung bereits ausgeführt wurde, hat der Senat mit dem von den Klägern kritisierten Hinweis auf ‚einen äußerst untergeordneten Anteil von höchstens einem Zehntel Promille‘ in seinem Urteil v. 04.05.2022 - 9 A 7/21 Rn. 96 - BVerwGE 175, 312) lediglich das Beklagtenvorbringen in indirekter Rede wiedergegeben; in der nachfolgenden zusammenfassenden Begründung derjenigen Erwägungen, die nach Auffassung des Senats nicht zu beanstanden waren, wird das Promilleargument demgegenüber nicht wiederholt.“
II. Zur Prüfung der Berücksichtigungspflicht des § 13 KSG
Demgegenüber hält der 9. Senat an den entscheidungstragenden Erwägungen aus dem A-14-Urteil fest. Diese werden im Flöha-Urteil als wörtliches Zitat eingerückt wiedergegeben:
„(Dass der Beklagte) dem Klimaschutzgebot keine Beschränkung auf die Planfeststellung ausschließlich klimaneutraler Straßenvorhaben entnommen hat, ist nicht abwägungsfehlerhaft. Das Bundes-Klimaschutzgesetz und die in ihm festgelegten konkreten Klimaschutzziele richten sich in erster Linie an den Gesetzgeber, in dessen Entscheidung es liegt, wie er innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit in den einzelnen Sektoren die Klimaziele erreichen will. Ein Verzicht auf den Bau von Straßen ist kein im Rahmen der politischen und umweltschutzfachlichen Klimaschutzdiskussionen besonders propagiertes Ziel; erst recht hat es im Bundes-Klimaschutzgesetz keinen Niederschlag gefunden. Für den Verkehrssektor sind als Steuerungsmaßnahmen für einen klimagerechten Verkehr acht Bausteine im Gespräch, die ordnungsrechtliche, ökonomische und infrastrukturelle Instrumente umfassen und die Elektrifizierung und Effizienz von Pkw und Lkw, den Abbau klimaschädlicher Subventionen, eine verursachergerechte Bepreisung, Geschwindigkeitsbegrenzungen, den Ausbau des Schienenverkehrs, die Stärkung des Öffentlichen Nahverkehrs, Rad- und Fußverkehrs sowie postfossile Brennstoffe betreffen (…); die Reduzierung des Baus neuer Straßen gehört nicht dazu. Das Erfordernis von Infrastruktur auch für den Individualverkehr wird als solches nicht in Frage gestellt. In der anstehenden Bedarfsplanüberprüfung sollen künftig auch die möglichen Auswirkungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes in geeigneter Weise berücksichtigt werden (…); es gibt aber kein Moratorium für den im Bundesverkehrswegeplan 2030 vorgesehenen Straßenbau. Hierüber zu entscheiden ist Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der einzelnen Planfeststellung. Deswegen stellt es auch kein Abwägungsdefizit dar, dass der Planergänzungsbeschluss die voraussichtliche Verfehlung der Klimaziele im Verkehrssektor nicht eigens erwähnt.“
Sodann stellt der Senat im Flöha-Urteil fest, dass er an diesen Annahmen festhält:
„Selbst wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses die Zielverfehlung im Verkehrssektor festgestanden und kein schlüssiges Minderungskonzept vorgelegen hätte, führte dies nicht automatisch dazu, dass jedes Vorhaben im Verkehrsbereich gegen § 13 KSG verstößt. Eine solche Schlussfolgerung war im Bundes-Klimaschutzgesetz in der hier maßgeblichen Fassung − wie ausgeführt − nicht angelegt. Dieses sah bei Zielverfehlungen andere Instrumentarien vor, insbesondere Sofortprogramme nach § 8 KSG, nicht aber eine vorübergehende Aussetzung von Genehmigungen (Moratorium) oder gar eine endgültige Nichtzulassung jedes weiteren klimaschädlichen Projekts im Verkehrsbereich.“
Der von den Klägern vorgeschlagenen Lösung hat das BVerwG damit eine Absage erteilt.
III. Zur Frage der Leitfäden
Hinsichtlich des 2022 noch bemängelten völligen Fehlens von Leitfäden (vgl. o. A.II.) heißt es:
„(Zwar) bleibt es dabei, dass es für die Bewertung dieser Auswirkungen bislang keine rechtlichen Vorgaben gibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.05.2022 - 9 A 7/21 Rn. 102 - BVerwGE 175, 312). Immerhin liegen aber inzwischen erste Leitfäden und Handreichungen vor, an denen sich die Planfeststellungsbehörde orientieren kann (…). Zu nennen sind insbesondere das Ad-hoc-Arbeitspapier der FGSV zur Berücksichtigung von großräumigen Klimawirkungen bei Straßenbauvorhaben (Stand Dezember 2023, im Folgenden: Ad-hoc-Arbeitspapier) und die Hinweise des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr zur Berücksichtigung der großräumigen Klimawirkungen in der Vorhabenzulassung, die sich auf die dem vorgenannten Arbeitspapier zugrundeliegenden Forschungsvorhaben beziehen (Stand 16.12.2022, VkBl 2023, 70 ff., im Folgenden: BMDV-Hinweise).“
- C.
Kontext der Entscheidung
Neben dem 9. Senat haben sich im Anschluss an die A-14-Entscheidung des 9. Senats auch die anderen Planungssenate des BVerwG mit § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG befasst und dessen Voraussetzungen für die verschiedenen Vorhabentypen näher bestimmt (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 10.11.2022 - 4 A 17/20 zu einer 380-kV-Höchstspannungsleitung oder BVerwG, Urt. v. 22.06.2023 - 7 A 9/22 zu einer LNG-Anbindungsleitung).
Auf immissionsschutzrechtliche Genehmigungen nach § 6 Abs. 1 BImSchG (etwa für Windenergieanlagen) ist § 13 KSG nicht anwendbar, weil es hier für die Behörde keinen Entscheidungsspielraum gibt (vgl. o. A.IV.); vielmehr handelt es sich um eine gebundene Entscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.06.2023 - 7 A 9/22 Rn. 36 und Urt. v. 14.11.2024 - 7 A 8/23 Rn. 28).
- D.
Auswirkungen für die Praxis
Es bleibt auch drei Jahre nach der ersten Leitentscheidung zu § 13 KSG weiterhin spannend, wohin die „Klimaschutz-Reise“ führen mag (vgl. Sieveking, jurisPR-BVerwG 19/2022 Anm. 1). Die konkrete Ermittlung und Bewertung der klimarelevanten Auswirkungen von Vorhaben ist immer noch schwierig, auch wenn es inzwischen – auch über die im Flöha-Urteil angegebenen ersten Leitfäden hinaus – weitere Hilfestellungen gibt, etwa den Leitfaden Klimaschutz (Angaben zum Klimaschutz im Rahmen der Baurechtsbeschaffung) von Hessen Mobil (Stand April 2024). Insbesondere in Bezug auf Wälder und Moore, die aufgrund der sektorübergreifenden Betrachtung mit in den Blick genommen werden müssen (vgl. o. A.III.), gibt es allerdings noch erheblichen Forschungsbedarf.
Ob die einleitend in der Problemstellung angesprochene Gesetzesänderung verfassungsgemäß war, wird das BVerfG entscheiden. Hierzu wurde im September 2024 von Greenpeace, Germanwatch und einigen Privatklägern Verfassungsbeschwerde erhoben – die sog. „Zukunftsklage“, der sich über 54.000 Bürger angeschlossen haben (vgl. Genaueres unter
https://zukunftsklage.greenpeace.de, zuletzt abgerufen am 05.09.2025). Für die hier vorgestellte abstrakte Maßstabsfrage (Welche Auswirkungen hat das Verfehlen der Klimaziele im Verkehrssektor auf die Prüfung des Berücksichtigungsgebots nach § 13 KSG?) dürfte die Neufassung des Gesetzes keine Rolle spielen, denn zum einen entfallen gerade die sektorbezogenen Jahresziele, mit denen die Kläger stark argumentieren, zum anderen enthält auch das KSG n.F. bei Überschreitung der Jahresemissionsgesamtmengen relativ „weiche Reaktionsinstrumente“ der Bundesregierung (vgl. § 13 KSG n.F.), so dass sich an der Argumentationslinie des 9. Senats nicht ändern dürfte.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
In einem zweiten Teil befassen sich die Klimaschutzausführungen im Flöha-Urteil mit der Kritik der Kläger an dem konkret für das Vorhaben erstellen „Fachbeitrag Klimaschutz“ (vgl. Rn. 229 ff.). Diese Ausführungen sollen hier – soweit sie von allgemeinem Interesse sind – ebenfalls kurz wiedergegeben werden:
Soweit die Kläger im Fachbeitrag Ausführungen zur Möglichkeit der CO2-mindernden Bauausführung vermissten (etwa konkrete Vorgaben zu den zu verwendenden Rohmaterialien wie Bitumen, Splitt und Brechsand oder Vorgaben zur Verwendung von Recycling-Asphalt oder Niedrigtemperaturasphalt), verweist der Senat unter Bezugnahme auf die o.g. Leitfäden und Handreichungen auf die spätere Bauausführungsplanung. Solche Fragen müssten nicht zwingend schon im Planfeststellungsbeschluss geklärt werden, auch wenn entsprechende Vorgaben durchaus zweckdienlich seien.
Die Kritik der Kläger, es fehle eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Frage der Klimazielverträglichkeit in Bezug auf die Landnutzung hält der Senat im Ansatz für berechtigt, denn es fehle ein Eingehen auf die in den BMDV-Hinweisen genannten Kompensationsfragen. Insoweit bestünden aber keine Anhaltspunkte für einen durchgreifenden Rechtsfehler, denn die Kompensation werde typischerweise schon mit der Eingriffsregelung abgedeckt, worauf der Fachbeitrag Klimaschutz zutreffend hinweise. Dass hier unter Klimaschutzaspekten Besonderheiten bestünden, weil etwa Moore oder Wälder mit besonderer Klimafunktion beeinträchtigt werden, hätten die Kläger nicht vorgetragen.