Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einem Besteuerungsverfahren einer zypriotischen Ltd. war strittig, ob diese ihren faktischen Verwaltungssitz in Deutschland hatte. Mittelbare Gesellschafterin der zypriotischen Limited war eine deutsche OHG. Der Außenprüfer richtete ein Amtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft, die ein Ermittlungsverfahren gegen die Gesellschafter der OHG wegen Verstoßes nach dem WpHG führte. Er erhielt ein elektronisches Doppel der Verfahrensakten sowie diverse Beweismittel, u.a. eine Festplatte, die bei der Durchsuchung der OHG gesichert wurde. Nach Auswertung u.a. der Festplatte kam der Außenprüfer zu dem Ergebnis, dass die Tagesgeschäfte der Ltd. durch die Gesellschafter der OHG aus Deutschland geleitet wurden und der nominelle Geschäftsführer in Zypern keine maßgeblichen Kontroll- und Leitungsfunktionen wahrgenommen hat. Das Finanzamt setzte daraufhin Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrag fest. Die dagegen eingereichte Klage wurde von dem FG Stuttgart (Urt. v. 04.08.2022 - 3 K 3127/18) abgewiesen.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin hat der BFH das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und begründete dies folgendermaßen:
Die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus Strafverfahren beurteile sich nach § 393 Abs. 3 Satz 1 AO. Hierunter fiele auch die auf einer Festplatte gespeicherte E-Mail-Kommunikation. Diese Beweismittel seien in dem Strafverfahren auch rechtmäßig gewonnen worden.
Einer Verwertung stehe jedoch entgegen, dass die Staatsanwaltschaft nicht nur die nach Durchsicht gemäß § 110 StPO relevanten Daten, sondern die vollständige Festplatte übermittelt habe und damit auch solche Daten, die wegen fehlender Verfahrensrelevanz hätten gelöscht oder dem Betroffenen zurückgegeben werden müssen.
Die Überlassung der noch nicht nach § 110 StPO „gefilterten“ Festplatte stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Zum einen habe der strafrechtliche Tatvorwurf des Verstoßes gegen das WpHG keinen inhaltlichen Bezug zur Ertragsbesteuerung der zypriotischen Limited, so dass damit in Bezug stehende Daten als für das Strafverfahren irrelevant auszusondern gewesen wären. Daher hätte auch keine Beschlagnahmeanordnung in Bezug auf diese Daten erlangt werden können. Zum anderen sei nicht der Betriebsprüfer, sondern allenfalls die Steuerfahndung zur Durchsuchung von Unterlagen oder Speichermedien berechtigt, so dass die Überlassung der Festplatte dem Prüfer eine gesetzlich nicht vorgesehene Zugriffsmöglichkeit in die grundrechtlich geschützte Sphäre des Steuerpflichtigen verschaffte.
Zwar bestünde kein allgemeines Verwertungsverbot für verfahrensfehlerhaft erlangte Beweismittel. Jedoch sei ein qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot anzunehmen, wenn – wie hier – eine Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Bereichs vorliegt. Dieses habe darüber hinaus Fernwirkung, so dass keine solchen Beweismittel herangezogen werden dürfen, die gerade durch die Auswertung der Festplatte bekannt wurden.
Kontext der Entscheidung
§ 393 Abs. 3 Satz 1 AO enthält den Grundsatz, dass die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse auch im Besteuerungsverfahren verwendet werden dürfen. Da nach dem Übermittlungsvorgang gespeicherte E-Mails nicht mehr dem Telekommunikationsgeheimnis unterfallen, findet auf diese auch nicht § 393 Abs. 3 Satz 2 AO, sondern Satz 1 Anwendung. Für die Frage, ob ein Beweismittel rechtmäßig oder rechtswidrig erlangt wurde, stellt der BFH zunächst darauf ab, ob ein wirksamer Durchsuchungs- und/oder Beschlagnahmebeschluss vorlag. Gerichtlichen Beschlüssen kommt dabei Tatbestandswirkung zu (BFH, Urt. v. 15.04.2015 - VIII R 1/13), d.h. der BFH prüft nicht eigenständig, ob die Voraussetzungen für den Erlass eines derartigen Beschlusses vorgelegen haben, sondern lediglich, ob ein solcher Beschluss existiert oder später aufgehoben wurde. Da ein zunächst im Strafverfahren erklärter Widerspruch gegen die Sicherstellung zurückgenommen wurde, war die Inverwahrungnahme der Festplatte durch die Ermittlungsbehörden rechtmäßig.
Im Ergebnis zu Recht hat der BFH ein Verwertungsverbot angenommen. Die Begründung vermag allerdings nicht vollständig zu überzeugen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH führt, entsprechend der durch das BVerfG entwickelten Grundsätze, nicht jeder Verstoß gegen eine Vorschrift bei der Beweiserhebung auch zu einem Beweisverwertungsverbot. Der BFH differenziert hierbei nach der Art der Mängel. Einfache verfahrensrechtliche Mängel, insbesondere die Verletzung von Form- und Ordnungsvorschriften oder reinen Verfahrensvorschriften sollen regelmäßig nicht zu einem endgültigen Verwertungsverbot führen (BFH, Urt. v. 04.10.2006 - VIII R 53/04 - DStR 2006, 2302, 2308; Drüen in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 88 AO Rn. 298). Bei der Verletzung sonstiger einfachgesetzlicher Vorschriften findet eine Abwägung nach Schwere und Intensität des Verstoßes, Schutzzweck der Vorschrift und Interesse an einer ordnungsgemäßen und gleichmäßigen Besteuerung statt. Ein materiell-rechtliches Verwertungsverbot greift dann ein, wenn Rechtsverstöße schwerwiegend waren oder bewusst oder willkürlich begangen wurden (BFH, Urt. v. 15.04.2015 - VIII R 1/13).
Bei Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Bereichs soll hingegen wegen der besonderen Schwere der Rechtsverletzung stets ein sog. qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot gelten, denn bei derartigen besonders schwerwiegenden und grundrechtsrelevanten Verfahrensverstößen übersteigt das Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung nicht mehr die Grundrechte des Steuerpflichtigen (BFH, Urt. v. 04.10.2006 - VIII R 53/04 - DStR 2006, 2302, 2310; Drüen in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 88 AO Rn. 308 ff.). In einem solchen Fall ist auch eine Fernwirkung eines Verwertungsverbots anzunehmen.
Grundsätzlich führt jede Rechtsverletzung auch stets zu einer Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen. Sofern keine speziellen Grundrechte betroffen sind, liegt in einer Rechtsverletzung immer ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Die Annahme eines Verwertungsverbots setzt daher stets eine gewisse Schwere der Grundrechtsverletzung voraus.
Zunächst waren die Ermittlungsbehörden nach § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. § 105 Abs. 1 AO, § 111 Abs. 1 Satz 1 AO grundsätzlich berechtigt, den Finanzbehörden im Rahmen der Amtshilfe Akteneinsicht zu gewähren. Dabei trägt grundsätzlich die ersuchende Behörde die Verantwortung für die inhaltliche Zulässigkeit der Übermittlung, während die übermittelnde Stelle – von Ausnahmen abgesehen – nach § 479 Abs. 4 Satz 3 StPO lediglich zu prüfen hat, ob das Ersuchen abstrakt im Aufgabenbereich der ersuchenden Stelle liegt (BayObLG, Beschl. v. 20.12.2021 - 203 VAs 389/21 Rn. 25). Aus dem veröffentlichten Beschluss lässt sich nicht entnehmen, welchen Inhalt das Rechtshilfeersuchen hatte, insbesondere ob die Übersendung der Festplatte auf ausdrückliches Ersuchen oder unaufgefordert erfolgt war. Allerdings spricht viel dafür, dass die Übersendung der Festplatte an den Außenprüfer schon nicht von der Befugnisnorm des § 474 Abs. 2 StPO gedeckt war. Denn diese Vorschrift ermächtigt zwar grundsätzlich zur Gewährung von Amtshilfe, aber nur soweit Auskünfte aus Akten gegeben werden. Dabei kann der Begriff der Akten auch Beweismittel umfassen, soweit diese Aktenbestandteil i.S.v. § 147 Abs. 1 StPO sind. Hierzu zählen auch amtlich verwahrte Beweisstücke. Bei der Sicherstellung von Datenbeständen kann der gesamte Datenbestand Beweisstück sein, soweit dieser in Gänze Beweisbedeutung hat. Wird ein Datenbestand aber lediglich vorläufig sichergestellt, um noch auf Beweisrelevanz nach § 110 StPO durchgesehen zu werden, sind Beweismittel und damit Aktenbestandteil lediglich diejenigen Daten, die nach erfolgter Durchsicht von den Ermittlungsbehörden als verfahrensrelevant eingestuft wurden. Insoweit haben die Ermittlungsbehörden entweder eine Teilkopie des für relevant erachteten Datenbestands zu erstellen oder die als irrelevant erachteten Teile zu löschen bzw. dem Gewahrsamsinhaber wieder zurückzugeben (BVerfG, Beschl. v. 16.06.2009 - 2 BvR 902/06 Rn. 85 - NJW 2009, 2431). Die noch nicht der Durchsicht unterzogene Festplatte war daher noch kein Beweisgegenstand und hätte somit auch noch nicht im Wege der Amtshilfe herausgegeben werden dürfen.
Soweit der BFH argumentiert, dass zur Durchsicht von E-Mails allenfalls die Steuerfahndung, nicht aber ein Außenprüfer berechtigt gewesen wäre und durch die Amtshilfegewährung dem Außenprüfer eine vom Gesetz nicht vorgesehene Zugriffsmöglichkeit verschafft worden sei, ist die Begründung nicht vollends überzeugend. Richtig ist, dass der Außenprüfer keine originäre Berechtigung zur Durchsicht von E-Mails besitzt. Jedoch ist der Betriebsprüfer nach § 92 Nr. 3 und Nr. 4 AO i.V.m. § 105 Abs. 1 AO, § 111 Abs. 1 AO berechtigt, im Amtshilfewege beigezogene Urkunden, Akten und Augenscheinsobjekte auszuwerten bzw. zu besichtigen. Daher ist zweifelhaft, ob tatsächlich ein Kompetenzverstoß vorliegt.
Die Durchsicht sichergestellter elektronischer Daten hat zwar zügig zu erfolgen, allerdings gibt es hierfür keine Höchstfristen. Vielmehr steht den Ermittlungsbehörden ein Ermessensspielraum zu (BGH, Beschl. v. 20.05.2021 - StB 21/21 - NStZ 2021, 623, 624 f.). Bei einer nicht gerechtfertigten Verzögerung bei der Durchsicht ist die Sicherstellung aufzuheben. Ist – wie vorliegend – in einem Zeitraum von knapp drei Jahren nach Sicherstellung noch keine Auswertung erfolgt, spricht viel dafür, dass die weitere Sicherstellung unverhältnismäßig sein wird.
Ob all diese Verfahrensverstöße schon eine besonders schwere Grundrechtsverletzung darstellen, kann man mit guten Gründen diskutieren und bejahen oder ablehnen.
Es stellt zweifelsohne einen wesentlichen Grundrechtsverstoß dar, wenn die Festplatte gezielt nach solchen Umständen ausgewertet wird, die in keinerlei erkennbarem Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Vorwurf stehen, der Grundlage der Sicherstellung war. Nicht für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren relevante E-Mails und Dokumente dürfen nicht Gegenstand der Akten und nicht im Ermittlungsverfahren verwendet werden. Auf solche Unterlagen hätten die Finanzbehörden – jedenfalls im Wege der Amtshilfe – nie Zugriff erlangen können und dürfen. Die gezielte Suche nach zwar für das Besteuerungs-, nicht aber für das Ermittlungsverfahren relevanten Zufallsfunden stellt eine schwere Rechtsverletzung dar. Insoweit hat der BFH zu Recht ein Verwertungsverbot angenommen.
Überzeugend ist auch die Annahme einer Fernwirkung des Verwertungsverbots im konkreten Fall. Die für das Ermittlungsverfahren irrelevanten Teile der Festplatte hätten gelöscht oder dem Steuerpflichtigen zurückgegeben werden müssen, hätten also der Finanzbehörde nie als Beweismittel zur Verfügung gestanden. Die gezielte Suche nach Irrelevantem stellt auch einen besonders schweren Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen dar.