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Anmerkung zu:FG Kiel 4. Senat, Urteil vom 17.09.2024 - 4 K 34/24
Autor:Franz Linnartz, RA, FA für Erbrecht und FA für Steuerrecht
Erscheinungsdatum:18.02.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 173 AO 1977, § 2 EStG, § 11 EStG, § 100 FGO, § 7 ErbStG 1974, § 12 BewG, § 20 EStG
Fundstelle:jurisPR-FamR 4/2025 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Linnartz, jurisPR-FamR 4/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anwendungsvorrang der Schenkungsteuer bei freigiebig zugewendeten Zinsvorteil



Orientierungssätze

1. Die Stundung der Kaufpreisforderung aus der Veräußerung eines zum Privatvermögen gehörenden Grundstücks im Wege einer Ratenzahlungsabrede ist als Einräumung eines Darlehens zu qualifizieren, welches zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führen kann. Dies gilt auch dann, wenn die Vertragsparteien eine Verzinsung ausdrücklich ausgeschlossen haben (Anschluss an die ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. BFH, Urt. v. 14.07.2020 - VIII R 3/17 - BStBl II 2020, 813).
2. Zur Berechnung des Kapitalertrags sind die Kaufpreisraten gemäß § 12 Abs. 3 BewG in einen Zins- und einen Tilgungsanteil aufzuteilen, wobei im Streitfall offenbleiben kann, ob der gesetzliche Zinssatz gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG i.H.v. 5,5% in den Jahren 2021 und 2022 noch als verfassungsgemäß qualifiziert werden kann.
3. Wird der Zins- bzw. Kaufpreisvorteil aus der Ratenzahlungsabrede z.B. im Rahmen eines Angehörigenvertrages ausdrücklich verschenkt und ist die Schenkung als freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 ErbStG zu qualifizieren, dann tritt die Ertragsbesteuerung des Zinsanteils rechtssystematisch zurück (Abweichung von FG Köln, Urt. v. 27.10.2022 - 7 K 2233/20 - EFG 2023, 682).
4. Revision eingelegt (Az. des BFH: VIII R 30/24).
(Orientierungssätze 1 bis 3 sind solche des FG.)



A.
Problemstellung
Die Entscheidung setzt sich mit dem Problem auseinander, ob im Rahmen eines Kaufvertrages zwischen Angehörigen ausdrücklich verschenkte Zins- bzw. Kaufpreisvorteile aus einer Ratenzahlungsabrede eine freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 ErbStG darstellen und damit die Ertragsbesteuerung des Zinsvorteils rechtssystematisch zurücktritt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger, Eheleute, veräußerten mehr als zehn Jahre nach ihrem Erwerb eine Immobilie an ihre Tochter. In dem notariellen Kaufvertrag war vereinbart: Der an die Veräußerer zu zahlende Betrag wird zunächst gestundet. Die Tochter zahlt eine monatliche Rate von 900 Euro. Eine Verzinsung wurde nicht vereinbart. Die in diesem Verzicht liegende Kaufpreisreduzierung wird der Tochter geschenkt.
Die Kläger wurden 2021 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Aufgrund einer späteren Kontrollmitteilung im Jahre 2023 erließ das beklagte Finanzamt über einen in der Ratenzahlungsvereinbarung liegenden Zinsanteil einen nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2021. Das Finanzamt erläuterte, dass in den Kaufpreisraten enthaltene Zinsanteile gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG jeweils hälftig bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu erfassen sind. Daher wurde die Einkommensteuer für 2021 erhöht festgesetzt.
Hiergegen erhoben die Kläger Einspruch. Da sich die Immobilie mehr als zehn Jahre in ihrem Eigentum befand, sei der Kaufpreis steuerfrei. Eine Verzinsung der Ratenzahlung des Kaufpreises sei ausdrücklich ausgeschlossen bzw. ein Zinssatz von Null vereinbart worden. Eine fiktive Verzinsung überschreite auch nicht den Schenkungssteuerfreibetrag von insgesamt 800.000 Euro. Schenkungssteuer falle nicht an.
In dem Einkommensteuerbescheid für 2022 wurden ebenfalls Zinseinkünfte aus der Ratenzahlungsvereinbarung, hälftig verteilt auf die Kläger, berücksichtigt. Gegen den Einkommensteuerbescheid 2022 wurde Einspruch eingelegt: Den Vertragsparteien sei bekannt gewesen, dass die Ratenzahlungsvereinbarung einen Zinsanteil für den Käufer beinhalte. Eigentlich wäre ein höherer Kaufpreis zu berücksichtigen gewesen. Dieser Zinsvorteil sei aber nicht ausgewiesen. Insoweit handle es sich um eine Schenkung an die Tochter. So sei auch in der notariellen Urkunde ausdrücklich klargestellt worden, dass der Verzicht auf die Verzinsung der Raten der Übernehmerin geschenkt werde. Die Umqualifizierung der Kaufpreisreduzierung in einen steuerpflichtigen Zinsertrag könne nicht aus der notariellen Urkunde abgeleitet werden. Auch gelte für Kapitalerträge das Zuflussprinzip (§§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 11 EStG). In den Streitjahren gab es aber gerade keinen Zinszufluss.
Das Finanzamt wies dennoch den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 10.03.2024 zurück. Die Kläger erhoben Klage.
Das FG Kiel hat der Klage stattgegeben.
Die Klage sei begründet, die angefochtenen Steuerbescheide verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der in der Ratenzahlungsabrede rechnerisch nach § 12 Abs. 3 BewG enthaltene Zinsanteil sei in der vorliegenden Fallgestaltung kein Ertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Die vereinbarte Differenz zwischen Nominalkaufpreis und abgezinsten Barkaufpreis könne verschenkt werden. Das Kapitalnutzungsrecht stelle im Falle seiner freigebigen Zuwendung eine Schenkung unter Lebenden da (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Sie sei daher rechtssystematisch für die Einkommensteuer relevant.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung berücksichtigt, dass § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art erfasst: Kapitalforderungen sind alle auf einen Geldbetrag gerichtete Forderungen des Privatvermögens (BFH, Urt. v. 31.10.1989 - VIII R 210/83 - BStBl II 1990, 532). Auch die Gestattung langfristiger Ratenzahlungen zur Tilgung einer Schuld stellt eine Kreditgewährung durch den Gläubiger da (BFH, Urt. v. 29.10.1974 - VIII R 131/70 - BStBl II 1975, 173; BFH, Urt. v. 21.10.1980 - VIII R 190/78 - BStBl II 1981, 160; BFH, Urt. v. 26.06.1996 - VIII R 67/95 - BFH/NV 1997, 175; BFH, Beschl. v. 08.01.1998 - VIII B 76/96 - BFH/NV 1998, 963).
Sind Zahlungsansprüche längerfristig gestundet, ist davon auszugehen, dass der Schuldner bei sofortiger Zahlung einen geringeren Betrag gezahlt hätte. Die späteren Zahlungen enthalten somit Zinsanteile (BFH, Urt. v. 26.11.1992 - X R 187/87 - BStBl II 1993, 298; BFH, Urt. v. 26.11.1992 - X R 187/87 - BStBl II 1983, 753).
Die Entscheidung bestätigt zunächst die Rechtsprechung, dass Kaufpreisraten in einen Tilgungs- und einen Zinsanteil mit einem Zinssatz von 5,5% aufzuteilen sind. Dies gilt auch, wenn die Vertragsparteien keinen Zins vereinbart oder diesen ausgeschlossen haben (BFH, Beschl. v. 15.07.1975 - VIII R 193/71 - BFHE 116, 447 = BStBl II 1975, 858). Grundlage der Entscheidung ist § 12 Abs. 3 BewG. Danach sind unverzinsliche Forderung, deren Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt und zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig sind, abzuzinsen (FG Hamburg, Urt. v. 18.09.2002 - II 329/01). Das heißt, sie sind in Eigenkapital- und Zinsanteil aufzuteilen. § 12 Abs. 3 BewG ist auch für Bewertungsfragen im Einkommensteuerrecht maßgebend (BFH, Urt. v. 26.06.1996 - VIII R 67/95 - BFH/NV 1997, 175). In diesen Fällen muss die Laufzeit des Darlehens mehr als ein Jahr betragen und der Fälligkeitszeitpunkt bestimmbar festgelegt worden sein (FG Hamburg, Urt. v. 18.09.2002 - II 329/01).
Obwohl § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG weit gefasst ist, um Umgehungskonstruktionen zu vermeiden, ist er nicht einschlägig, wenn nach dem Sachverhalt weder ein Ertrag erzielt worden ist, noch von einer Kapitaleinlage die Rede sein kann. Davon ist auszugehen, wenn die Vertragsparteien ausdrücklich festgelegt haben, dass die in dem Verzicht auf eine Verzinsung des Kaufpreises liegende „Kaufpreisreduzierung“ dem Übernehmer „geschenkt“ wird. Mit Christian Stahl (Die Abzinsung bei zinslosen Kapitalforderungen im Privatvermögen in Einkommen- und Schenkungsteuer, DStR 2018, 2605) besteht im Falle freigebiger Zuwendungen von Zinsvorteilen ein rechtssystematischer Anwendungsvorrang der Schenkungsteuer. Dadurch wird eine parallele Erwerbsbesteuerung des zugewandten Vorteils gesperrt. In der unentgeltlichen Übertragung einer Kapitalsumme auf Zeit kann eine Schenkung liegen (BFH, Urt. v. 31.03.2010 - II R 22/09 - BStBl II 2010, 806) und so den Schenkungsteuertatbestand erfüllen. Gegenstand der Schenkung ist nicht der Ertrag, sondern die mit dem Verzicht auf die eigene Nutzungsmöglichkeit seitens des Zuwendenden korrespondierende Gewährung der Nutzungsmöglichkeit durch den Zuwendungsempfänger (BFH, Urt. v. 31.03.2010 - II R 22/09).
Die Entscheidung steht im Widerspruch zu einer Entscheidung des FG Köln (FG Köln, Urt. v. 27.10.2022 - 7 K 2233/20 - DStRE 2024, 80): Eine ertragsteuerliche Berücksichtigung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG findet statt, auch wenn die Vertragsparteien Zinsen nicht vereinbart oder sogar ausdrücklich ausgeschlossen haben. Gegen diese Entscheidung ist Revision eingelegt worden unter dem Az. VIII R 1/23.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis ist zu sehen, dass ein Konkurrenzverhältnis zwischen ertragsteuerlichen Einkünften und einer Schenkung dahin gehend aufzulösen ist, dass die ertragsteuerliche Erfassung rechtssystematisch hinter einer schenkungsteuerlichen Berücksichtigung zurücktritt.
Die Entscheidung des FG Kiel ist noch nicht rechtskräftig. Es ist Revision eingelegt worden unter dem Az. VIII R 30/24.



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