Abgrenzung zwischen zulässiger und missbräuchlicher grenzüberschreitender Nutzung von SteuersystemenOrientierungssätze 1. Zur Beschränkung der in Art. 49 AEUV vorgesehenen Niederlassungsfreiheit: Dass der Steuerpflichtige bestrebt ist, das Steuersystem zu finden, das für ihn am vorteilhaftesten ist, kann nicht bereits generell die Vermutung eines Betrugs oder Missbrauchs begründen. Sofern die betreffende Transaktion wirtschaftlich betrachtet aber eine rein künstliche Gestaltung darstellt und darauf ausgerichtet ist, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen, hat der Steuerpflichtige keinen Anspruch auf das Recht oder den Vorteil aus dem Unionsrecht. 2. Das Ergebnis im EuGH-Urteil vom 22.02.2018 (C-398/16 und C-399/16, EU:C:2018:110), welches zu einer niederländischen Körperschaftsteuerregelung ergangen ist, die der hier fraglichen entspricht, wonach diese Regelung die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -vermeidung zum Ziel hat und verhindern soll, dass das Eigenkapital eines Konzerns künstlich als von einem niederländischen Konzernmitglied aufgenommene Kreditmittel erscheint und die Darlehenszinsen vom steuerbaren Ergebnis in den Niederlanden abgezogen werden, bezieht sich auch auf Situationen wie die hier vorliegende, in denen ein Unternehmen erst nach diesem Erwerb oder Zukauf zu einem mit dem Steuerpflichtigen verbundenen Unternehmen wird. Die fragliche Regelung soll nämlich in allen diesen Fällen den künstlichen Charakter der betreffenden Transaktionen, der auf der Umleitung von Eigenmitteln und der Umwandlung dieser Mittel in Kreditmittel beruht, verhindern. 3. Eine generelle Steuervorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen vom Steuervorteil ausgenommen werden, ohne dass die Steuerbehörde auch nur einen Anfangsbeweis oder ein Indiz für die Steuerhinterziehung oder den Missbrauch beizubringen hätte, ginge über das zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen Erforderliche hinaus. Bei der im Streitfall fraglichen Regelung hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit, die Vermutung einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs durch den Nachweis zu widerlegen, dass die Bedingungen der Norm erfüllt sind. Die Versagung des Zinsabzugs kann so auf Fälle beschränkt werden, in denen das Darlehen innerhalb einer Gruppe verbundener Gesellschaften in einem solchen Grad von steuerlichen Motiven geprägt ist, dass dieses Darlehen für die Verwirklichung von wirtschaftlich begründeten Zwecken nicht notwendig ist und von Unternehmen, zwischen denen keine besonderen Beziehungen bestehen, überhaupt nicht eingegangen worden wäre. 4. Das Fehlen einer wirtschaftlichen Realität stellt eines der entscheidenden Kriterien für die Einstufung einer Transaktion als rein künstliche Gestaltung dar. Um die wirtschaftliche Realität einer bestimmten Transaktion zu beurteilen, reicht es nicht aus, nur die formellen Voraussetzungen von geschäftlichen Vorgängen zu prüfen. 5. Aus Rn. 56 des Urteils vom 20.01.2021 „Lexel“ (C-484/19, EU:C:2021:34), kann nicht abgeleitet werden, dass für den Fall, dass ein Darlehen und die damit verbundenen geschäftlichen Vorgänge nicht durch wirtschaftliche Erwägungen gerechtfertigt sind, der bloße Umstand, dass die Bedingungen dieses Darlehens denen entsprechen, die zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wären, impliziert, dass das Darlehen und die geschäftlichen Vorgänge per definitionem keine rein künstlichen Gestaltungen darstellen. 6. Wenn ein Darlehen an sich keine wirtschaftliche Rechtfertigung hat und ohne besondere Beziehungen zwischen den betreffenden Unternehmen sowie den angestrebten Steuervorteil niemals aufgenommen worden wäre, ist es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, den Abzug der gesamten Zinsen zu verweigern. 7. Der Umstand, dass ein Beteiligter i.S.v. Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt. - A.
Problemstellung I. Ein schon lange gerügter und von OECD und EU aufgegriffener Vorwurf gegenüber grenzüberschreitend bzw. international agierenden („multinationalen“) Unternehmen, insbesondere auch der weltweiten IT-Branche oder anderen Branchen mit z.B. hohem Lizenzzahlungen, geht dahin, Jahresergebnisse durch geeignete konzerninterne Strukturen in Länder mit geringen Unternehmensteuern zu verlagern. Dies geschieht etwa dadurch, Kosten konzernweit in „Hochsteuerländern“ (u.a. Deutschland) anfallen zu lassen, Erträge in Niedrigsteuerländern oder überhaupt in „Steueroasen“. Auf Konzernebene rechnet sich dieses Verfahren durch dort entstehende höhere Nettoergebnisse nach Steuern, dies auch unter Nutzung der Optionen von Doppelbesteuerungsabkommen. In der BEPS-Initiative („Base Erosion and Profit Shifting“) hat die OECD und haben die G20 Lösungen solcher auch international wettbewerbsverzerrender Phänomene gesucht. Der Steuerwettbewerb unter den Staaten soll gleichermaßen eingedämmt werden. Mittlerweile ist man in der Umsetzung von BEPS 2.0. „Pillar 1“ hiervon betrifft die Strukturierung der Besteuerungsrechte der Staaten, u.a. die Zuordnung von Steuern solcher Unternehmen zu den betroffenen Marktstaaten, in denen Umsätze der digitalen Konzerne erzielt werden (Voraussetzung ist u.a. das Umsatzvolumen von Unternehmen von mehr 20 Mrd. Euro). „Pillar 2“ betrifft die Thematik weltweiter Mindestbesteuerung von Konzernen (Umsatzvolumen > 750 Mio. Euro), vgl. insgesamt etwa BMF, „Auf dem Weg zu einer fairen internationalen Besteuerung“, vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de > Themen > Steuern > Internationales Steuerrecht > Globale Mindestbesteuerung, 06.04.2023; Abruf: 12.02.2025). Zu dem BEPS- Projekt gehören 15 Aktionspunkte, ein Aktionspunkt 4 sieht die Erarbeitung von Standards zur Frage der Verhinderung von Steuerverkürzungen durch Regelung zur Versagung des Zinsabzugs vor. II. Zur Umsetzung der Lösung von Problemfeldern, die im Rahmen von BEPS verhandelt werden, wurde auf EU-Ebene die ATAD-Richtlinie, die RL 2016/1164/EU vom 12.07.2016 (ABl Nr. L 193 v. 19.07.2016, S. 1 ff. „Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie“) geschaffen (i.d.F. der RL 2017/952/EU v. 29.05.2017, ABl L 144 v. 07.06.2017, S. 1 ff.) und im ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.06.2021 (BGBl I 2021, 2035), einem Artikelgesetz, umgesetzt. Am selben Tag wurde das „Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb (Steueroasen-Abwehrgesetz - StAbwG)“ verabschiedet (BGBl I 2021, 2056, i.d.F. von Art. 40 d. Gesetzes v. 02.12.2024, BGBl. 2024 I Nr. 387). Ferner hat Deutschland die „Richtlinie 2022/2523/EU zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung und weiterer Begleitmaßnahmen“ (ABl Nr. L 328 v. 22.12.2022) durch Umsetzungsgesetz vom 21.12.2023 (BGBl 2023 I Nr. 397) umgesetzt, § 1 davon ist das Mindeststeuergesetz (MinStG). IV. Deutschland ist für Kapitalgesellschaften ein Staat höherer Besteuerung im Vergleich mit anderen vergleichbaren Staaten (vgl. www.statista.com > Verlinkungen > Körperschaftsteuersätze in ausgewählten Ländern weltweit im Jahr 2024, abgerufen am 15.07.2025), die Steuerlast beträgt nach der zitierten Tabelle 29,93%, davon 15% Körperschaftsteuer zuzüglich Gewerbesteuer, die von dem Hebesatz der jeweiligen Kommune determiniert wird und zu einem Ergebnis von weniger als 30% Gesamtbelastung führen kann, aber auch zu mehr als 30%. Eine Reihe von Staaten in Europa und außerhalb von Europa liegen darunter (vgl. die vorstehende Quelle), so liegt die Steuerlast der Körperschaftsteuer (bzw. der damit vergleichbaren Steuern) in Japan knapp unter der inländischen Steuerquote mit 29,74%, Italien mit 27,81%, Frankreich mit 25,83%, den Niederlanden mit 25,8%, der USA mit 25,77%, Spanien mit 25%, Luxemburg mit 24,94%, Österreich mit 24%, Norwegen mit 22% und dem Vereinigten Königreich mit 19%, Irland sogar nur mit 12%. Historische Körperschaftsteuersätze (vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de > Verlinkungen > Körperschaftsteuer mit Kurzangaben zu historischen Steuersätzen, abgerufen am 15.07.2025) wie 1920 in der Weimarer Republik mit 10% (§ 11 Körperschaftsteuergesetz, Gesetz Nr. 7388 v. 30.03.1920, RGBl. 1920 Nr. 60, S. 393 ff.), in der Anfangszeit der Bundesrepublik bis zu 65% und in der DDR mit einem Spitzensteuersatz von 95% (zur Verdrängung privater Kapitalgesellschaften) sind aufgrund der wirtschaftlichen Veränderungen seitdem und angesichts der gewandelten Bemessungsgrundlagen sowie weiterer generell gewandelter Vorstellungen des inländischen und europäischen Gesetzgebers eben nur noch von historischem Interesse. Nach der zitierten Veröffentlichung des BMF hat das Körperschaftsteueraufkommen (ohne die den Gemeinden zustehende Gewerbesteuer (vgl. § 1 GewStG) im Jahr 2023 44,9 Mrd. Euro betragen und damit 4,9% des gesamten Steueraufkommens in Deutschland erreicht. Das Gewerbesteueraufkommen hat im Jahr 2023 insgesamt 75,1 Mrd. Euro betragen (vgl. Pressemitteilung des Stat. Bundesamts Nr. 256 v. 19.09.2024, https://www.destatis.de > Verlinkungen, abgerufen am 15.07.2025; allerdings sind damit die Gewerbesteuerzahlungen aller Unternehmensformen, die zur Gewerbesteuer veranlagt werden, erfasst, nicht nur der Kapitalgesellschaften). V. In diesen großen europäischen bzw. internationalen Rahmen ist die Entscheidung des EuGH in einem belgisch-niederländischen Fall eingebettet, deren Gegenstand die Zulässigkeit von Zinsabzügen im Konzern mit steuerlicher Wirkung ist sowie weitere in den Orientierungssätzen angesprochene Aspekte des (internationalen) Steuerrechts.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Betroffen ist eine Unternehmensgruppe, die in Belgien und den Niederlanden ansässig und aktiv ist. Kläger ist eine niederländische B.V., Beklagter die niederländische Steuerbehörde. Die Unternehmensgruppe und die steuerliche Thematik lassen sich wie folgt umreißen: 1. Die Fa. X., mit Sitz in den Niederlanden, ein Unternehmen einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe, hat im Jahr 2000 insgesamt 72% an einer Firma F. mit niederländischem Sitz von Dritten erworben. 28% an der F. erwarb die belgische Muttergesellschaft A. der Fa. X. Den Kaufpreis finanzierte X. mit einem verzinslichen Darlehen aus dem Eigenkapital einer konzernangehörigen C. mit belgischem Sitz, das wiederum A. der C. als Eigenkapitaleinlage zur Verfügung gestellt hatte. Die Darlehenszinsen will X. steuerlich „absetzen“. 2. Gesellschaftsrechtlich liegt ferner folgende Situation vor: Gesellschafterin der X. ist Firma A. Deren Anteile hielt B. zu 39% von 2000 bis 22.12.2002, danach zu 44,47%; die Mehrheit wurde an der Börse in Brüssel gehandelt und befand sich in Streubesitz. Die Anteile an der zur Unternehmensgruppe gehörenden C. gehörten im Jahr 2000 i.H.v. 53,05% der Fa. A., zu 46,95% der Fa. B., ab 22.12.2002 wurden Gesellschafter A. mit 64,3%, B. mit nur noch 27,8% und Dritte mit 7,9%. 3. Im Körperschaftsteuerbescheid der Fa. X. für das Jahr 2007 verweigerte die Steuerbehörde nach dem Sachverhalt der Entscheidung den steuermindernden Abzug der von X. an C. für das Darlehen bezahlten Zinsen. In dem sich anschließenden Finanzrechtsstreit vor den niederländischen Gerichten lehnte das zweitinstanzliche Gericht den Zinsabzug unter Berufung auf Art. 10a des niederländischen Körperschaftsteuergesetzes ab und bejahte gleichzeitig die Vereinbarkeit dieser Norm mit den Art. 49 („Niederlassungsfreiheit“), 56 („freier Dienstleistungsverkehr“) und 63 AEUV („Kapitalverkehrsfreiheit“). 4. Die zitierte niederländische Norm des Körperschaftsteuerrechts bestimmt (Text entnommen aus Rn. 3 d. Besprechungsurteils): „1. Bei der Gewinnermittlung … sind Zinsen – einschließlich Aufwendungen und Wechselkursergebnissen – nicht abzugsfähig, wenn sie sich auf Schulden beziehen, die rechtlich oder tatsächlich unmittelbar oder mittelbar an ein verbundenes Unternehmen oder eine verbundene natürliche Person zu zahlen sind, sofern die Schulden rechtlich oder tatsächlich unmittelbar oder mittelbar mit einem der folgenden Rechtsgeschäfte im Zusammenhang stehen: […] c. dem Erwerb oder Zukauf von Anteilen an einem Unternehmen, das nach dem Erwerb oder Zukauf der Anteile zu einem mit dem Steuerpflichtigen verbundenen Unternehmen wird, durch den Steuerpflichtigen, durch ein mit dem Steuerpflichtigen verbundenes und der Körperschaftsteuer unterliegendes Unternehmen oder durch eine mit dem Steuerpflichtigen verbundene und in den Niederlanden ansässige natürliche Person. […]“. Nach Absatz 3 der Norm ist die vorstehende Regelung nicht anzuwenden, wenn das Darlehen überwiegend auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhe (Buchst. a) oder eine „nach niederländischen Kriterien angemessene Gewinn- oder Einkommensteuer letztlich auf die Zinsen bei der Person erhoben [werde], an die die Zinsen letztlich zu zahlen“ seien und weitere Voraussetzungen vorliegen, auf die hier nicht weiter einzugehen ist. Nach Absatz 4 der Norm sind mit dem Steuerpflichtigen im Sinne der Norm verbunden solche Unternehmen, an denen der Steuerpflichtige mit mindestens einem Drittel beteiligt ist oder ein Unternehmen, das an dem Steuerpflichtigen mindestens eine Beteiligung von einem Drittel hält oder ein Unternehmen, an dem ein Dritter zu mindestens einem Drittel beteiligt ist, wenn dieser Dritte zu mindestens einem Drittel an dem Steuerpflichtigen beteiligt ist. 5. Auf Kassationsbeschwerde der X. beim Hoge Raad der Nederlanden hat dieser dem EuGH nach Art. 267 AEUV vorgelegt, da der Rechtsstreit „grenzüberschreitende Sachverhalte benachteiligen“ könnte. Ein niederländisches Unternehmen erfülle „grundsätzlich die Bedingung“ von Art. 10a Buchst. b Körperschaftsteuergesetz, ein gebietsfremdes Unternehmen erfülle faktisch die Voraussetzung weniger oft und es könnten Zinsaufwendungen nur abgesetzt werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 10a Abs. 3 Buchst. a erfüllt seien, wonach das Darlehen bzw. das damit verbundene Rechtsgeschäft überwiegend auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhen muss. II. Der Hooge Raad hat daher dem EuGH drei Fragen vorgelegt: „1. Sind die Art. 49, 56 und/oder 63 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach die Zinsen im Zusammenhang mit einer Darlehensschuld gegenüber einem mit dem Steuerpflichtigen verbundenen Unternehmen, die zum Erwerb oder Zukauf von Anteilen an einem Unternehmen, das nach diesem Erwerb oder Zukauf ein verbundenes Unternehmen darstellt, eingegangen wurde, bei der Ermittlung des Gewinns des Steuerpflichtigen nicht abgezogen werden, weil die betreffende Schuld als (Bestandteil einer) rein künstliche(n) Gestaltung einzustufen ist, und zwar unabhängig davon, ob diese Schuld als solche unter Bedingungen des freien Wettbewerbs eingegangen wurde?“ Die zweite Frage des niederländischen Obersten Gerichts bei Verneinung von Frage 1 durch den EuGH lautet im Ergebnis dahin, ob es von Bedeutung sei, wenn die fraglichen Zinsen nicht höher seien als sie im Verhältnis zu unabhängigen Dritten vereinbart worden wären. Mit der dritten Frage will der Hooge Raad wissen, ob es einen Unterschied für die Beantwortung der Fragen 1 und 2 mache, wenn sich der (finanzierte) Anteilserwerb auf ein Unternehmen beziehe, das bereits vor dem Erwerb mit dem Steuerpflichtigen im Sinne der Norm des Art. 10a Körperschaftsteuergesetz (NL) verbunden war oder erst danach zu einem verbundenen Unternehmen wurde. III. 1. Der EuGH hat in Auslegung des Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) darauf erkannt, die Versagung des Zinsabzugs nach nationalem Recht wie in den Fällen und nach Maßgabe der Norm des Art. 10a Körperschaftsteuergesetz (NL) in Verbindung mit verbundenen Unternehmen sei kein Verstoß gegen Art. 49 AEUV, „wenn diese Schuld als (Bestandteil einer) rein künstliche(n) Gestaltung eingestuft wird, und zwar selbst dann, wenn diese Schuld unter Bedingungen des freien Wettbewerbs eingegangen wurde und diese Zinsen den Betrag nicht übersteigen, der zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wäre.“ Von der „rein künstlichen“ Gestaltung sei aber zu unterscheiden, dass die Suche nach dem vorteilhaftesten Steuersystem durch einen Steuerpflichtigen nicht „generell“ bereits die Vermutung von Steuerbetrug und Steuermissbrauch begründe. 2. Der Kern der Begründung der Kammer ergibt sich sehr klar aus den vorstehend wiedergegebenen Orientierungssätzen 1 bis 7, auf die verwiesen werden kann. Auf die Ausführungen des EuGH zum Antrag der X. auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens (Rn. 14 ff. des Besprechungsurteils) ist nicht weiter einzugehen. Die drei Vorlagefragen hat der EuGH zusammen geprüft (Besprechungsentscheidung Rn. 21). Der EuGH weist darauf hin, dass zeitlich (Ausgangsjahr ist das Jahr 2007) der EG-Vertrag, noch nicht der AEUV, anzuwenden sei, wobei sich aber sachlich bei der Auslegung der herangezogenen Grundfreiheiten nichts geändert habe, so dass auf die Artikel des AEUV rekurriert werden könne. 3. Maßgeblich dafür, ob eine nationale Norm mit den Grundfreiheiten der Union vereinbar ist, sei der Regelungsgegenstand der Norm. Eine nationale Regelung, die ausschließlich Beteiligungen betreffe und die es ermögliche, bestimmenden Einfluss auf die Beteiligungsgesellschaft auszuüben, sei unter Art. 49 AEUV zu subsumieren. Hier gehe es nach Art. 10a Körperschaftsteuergesetz (NL) um eine Beteiligungsquote von 33,3%, die nach der Judikatur des EuGH hinreichend sein könne, einen solchen bestimmenden Einfluss auszuüben (zu Art. 49 AEUV grundsätzlich EuGH, Urt. v. 16.02.2023 - C-707/20 Rn. 56 m.w.N. „Gallaher“, zur Relevanz der Quote von 33,3% EuGH, Urt. v. 31.05.2018 - C-382/16 Rn. 29 „Hornbach-Baumarkt“, vgl. Rn. 23, 28 Besprechungsurteil). Unter weiterer Bezugnahme auf seine Judikatur subsumiert der EuGH den vorliegenden Gegenstand allein unter Art. 49 AEUV, weil die Behinderung der Niederlassungsfreiheit zwangsläufig zugleich Behinderung des Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs sei, so dass der Prüfung hierzu vorliegend keine eigenständige Bedeutung zukomme. 4. Vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit seien alle Unternehmen gleichzubehandeln, nachteilige mitgliedstaatliche Regelungen seien nur zulässig, wenn die jeweils miteinander zu vergleichenden Sachverhalte objektiv nicht vergleichbar seien oder wenn die Ungleichbehandlung durch einen „zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt“ sei und ihrerseits angemessen ist (Geeignetheit der jeweiligen Maßnahme zur Zielverfolgung, Verhältnismäßigkeit unter Wahrung also des Übermaßverbots). Auch hier kann der EuGH auf frühere Judikatur verweisen (u.a. EuGH, Urt. v. 22.09.2022 - C-538/20 Rn. 18 m.w.N. „W“, Abzugsfähigkeit dauernder Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte). Unter diesem Aspekt prüft die Kammer, ob die niederländische Regelung etwaig eine Ungleichbehandlung zum Gegenstand hat, die Art. 49 AEUV beeinträchtigen könnte. Sie betont dabei u.a., auch alle versteckten, nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund ausländischen Sitzes seien verboten (Hinweis auf das EuGH, Urt. v. 23.09.2020 - C-323/20 Rn. 62 „Tesco-Global Aruhazak“). Schließlich bejaht der EuGH die etwaige Möglichkeit einer Ungleichbehandlung (Rn. 46 f. Besprechungsurteil) und prüft im nächsten Schritt die Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Eine verbotene mittelbare Diskriminierung (entgegen Art. 49, 54 AEUV) liege vor, wenn eine scheinbar objektive Differenzierung in den meisten Fällen Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat benachteilige. Die Regelung des verfahrensgegenständlichen Art. 10a Abs. 1 Buchst. b Körperschaftsteuergesetz (NL) sei zwar nach seinem Wortlaut nicht zu beanstanden, es sei aber Sache des vorlegenden Gerichts, die tatsächlichen Voraussetzungen zum Fehlen einer Diskriminierung im vorstehenden Sinne festzustellen. 5. Die Kammer wendet sich dann der Frage der Vergleichbarkeit „eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen“ (Rn. 48) zu mit dem Ergebnis, dass es für einen Steuervorteil, hier für die Abzugsfähigkeit von Zinsen zwischen verbundenen Unternehmen, ohne Bedeutung sei, wo das den Zins erhaltende Unternehmen seinen Sitz habe. In allen Fallkonstellationen könne das zugrunde liegende Darlehen einen wirtschaftlichen Hintergrund haben, unabhängig davon, wie die steuerliche Behandlung in den dabei relevanten Mitgliedstaaten aussehe. 6. Im nächsten Schritt untersucht der EuGH für den Fall der Bejahung einer Ungleichbehandlung, ob diese durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden könne und verhältnismäßig hinsichtlich der Zielsetzung der Regelung sei. Die Bekämpfung von „Steuerhinterziehung bzw. -umgehung“ (spezifisch, um „rein künstlichen Gestaltungen“ entgegenzutreten, Rn. 56) sei ein solches Interesse. Allein das Ziel eines Steuerpflichtigen, die für ihn vorteilhafteste steuerliche Struktur zu finden, begründe nicht schon die Vermutung von „Betrug und Missbrauch“ (Rn. 59). Zusammengefasst meint der EuGH, Verhalten der Steuerpflichtigen, das ohne erkennbaren wirtschaftlichen Hintergrund nur dem Hauptzweck dient, einen Steuervorteil zu erzielen, unterliege dem „Missbrauchsverbot“ – und stelle keinen Verstoß gegen Unionsrecht dar. Hierfür kann sich die Kammer auf eine Reihe von Judikaten des EuGH berufen. Unbeachtlich sei auch, wenn die hier verfahrensgegenständliche Vorschrift nicht nur Fälle erfasse, bei denen der Charakter als verbundenes Unternehmen bei der Aufnahme eines Darlehens durch das steuerpflichtige Unternehmen bereits eingetreten sei oder ob dieser Umstand erst danach eintrete. Ziel der steuerlichen Regelung sei nämlich stets, künstliche Transaktionsstrukturen zu bekämpfen, die darauf abzielten, Eigenmittel in Kreditmittel (Fremdkapital) umzuwidmen (Rn. 61).
- C.
Kontext der Entscheidung I. Die Entscheidung des EuGH entspricht dem Bemühen, steuerliche Gestaltungen zurückzudrängen, die allein deswegen erfunden wurden, um die Steuerlast zu vermindern. Dabei sieht sich der EuGH notwendig zu einem Spagat veranlasst. Zum einen ist das Einkommen- bzw. das Körperschaftsteuerrecht nicht harmonisiert, sieht man einmal von verabredeten Instrumenten wie Mindeststeuersätzen ab. Die Entscheidung des EuGH in dergleichen Fällen der Divergenz der steuerlichen Behandlung gleichgelagerter Sachverhalte würde bei vollharmonisierten Steuern wohl im Wesentlichen entfallen. Aktuell muss sich der EuGH auf die Kontrolle der Einhaltung der Grundfreiheiten, hier aus den Art. 49 und 54 AEUV, beschränken, allerdings eine äußerst wirkungsvolle Kontrolle. Eine Vollangleichung dieser Steuern ist jedoch nicht vorstellbar, da sie das Budgetrecht der nationalen Parlamente mittelbar stark beschneiden würde. Die EU ist derzeit schlicht kein Bundesstaat. II. Zum anderen führt die Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV dazu, dass sich jeder Steuerpflichtige die für ihn günstigste steuerliche Rechtsordnung aussuchen kann. Das gilt auch bei reinem Inlandsbezug. Fragile Bruchstelle, die dann zu Steuerumgehung und Steuermissbrauch führt, ist das Fehlen jedweden wirtschaftlichen Hintergrundes für die gewählte steuerliche Konstruktion. Der weitere Spagat besteht in der Frage der verbotenen Diskriminierung von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten. Die gefestigte Judikatur des EuGH kehrt auch in der Besprechungsentscheidung wieder. Eine Diskriminierung liegt schon dann vor, wenn ohne jede Zielrichtung dahin gehend ein allgemeines für alle geltendes Gesetz (offensichtlich) mehrheitlich ausländische Unternehmen betrifft. Verallgemeinernd liegt Diskriminierung vor, wenn ohne gesetzgeberische Zielsetzung eine einzige Gruppe in tatsächlicher Hinsicht überwiegend betroffen ist.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung liegt auf der Linie der Judikatur des EuGH sowie internationaler Tendenzen im Steuerrecht. Den Unternehmen steht es frei, sich steuerliche Standorte auszusuchen, die ihnen die aus ihrer Sicht günstigsten steuerlichen Rahmenbedingungen bieten, dies im Rahmen EU-rechtlicher Vorgaben und nach Maßgabe sonstiger und internationaler Vereinbarungen mit Mindeststeuern. Das gilt auch für die Wahl steuervermeidender Strukturen im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnung, sofern die zugelassene Struktur einen zulässigen wirtschaftlichen Hintergrund hat. Den Mitgliedstaaten droht immer dann der Vorwurf der Diskriminierung entgegen der Niederlassungs- wie der Kapitalverkehrsfreiheit, wenn eine Regelung formal für alle Unternehmen oder Steuerpflichtige gilt, tatsächlich aber im Wesentlichen Steuerpflichtige aus den Mitgliedstaaten trifft. Steuerwettbewerb ist innerhalb ausdrücklicher Grenzen zulässig, es gibt ihn auch im Inland, denkt man nur an die unterschiedlichen Hebesätze in der Grundsteuer und Gewerbesteuer.
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