Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH hatte in diesem Verfahren über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des OLG Nürnberg zu entscheiden. Der zugrunde liegende Sachverhalt hat sich wie folgt zugetragen:
Der Kunde einer Bank (nachfolgend „Kläger“) schloss mit dieser einen Immobiliar-Darlehensvertrag über einen Betrag i.H.v. 350.000 Euro. Nach einvernehmlicher Verlängerung der Zinsvereinbarung entschied sich der Darlehensnehmer zu einer vorzeitigen Rückzahlung der Restsumme des Darlehens. Daraufhin stellte das Kreditinstitut (nachfolgend „Beklagte“) ihrem Kunden eine Vorfälligkeitsentschädigung i.H.v. 33.317,74 Euro nebst Kosten i.H.v. 150,00 Euro in Rechnung. Die vom Beklagten bereits bezahlte Vorfälligkeitsentschädigung inkludierte einen Anteil für „negative Zinsen“ i.H.v. 2.600,93 Euro.
Der Kläger machte mit seiner Klage im Wege des bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruchs die Rückzahlung der von der Beklagten im Rahmen der Vorfälligkeitsentschädigung angesetzten „negativen Zinsen“ i.H.v. 2.600,93 Euro geltend. Das LG Nürnberg-Fürth hatte der Klage stattgegeben. Im Rahmen der Berufung der Beklagten hatte das OLG Nürnberg das Urteil des Landgerichts abgeändert, der Klage stattgegeben und die weiter gehende Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Darüber hinaus hatte das Berufungsgericht die Revision zum BGH zugelassen.
Der BGH hat der Entscheidung der Vorinstanz widersprochen. Er hat das Urteil aufgehoben und die Klage vollumfänglich abgewiesen, da die Ausführungen der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten würden:
I. Schaden durch negative Wiederanlagerenditen
Die Rendite einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen sei die korrekte Berechnungsgrundlage des Zinsverschlechterungsschadens. Hiernach entstehe dem Darlehensgeber, bei Abbildung negativer Zinsen auf dem Markt, durch die vorzeitige Rückzahlung des Darlehensbetrages ein zusätzlicher Schaden. Daraus ziehe das Berufungsgericht jedoch fälschlicherweise den Schluss, dass der entstandene Schaden im Rahmen der Bemessung der Vorfälligkeitsentschädigung nicht zu berücksichtigen sei. Dies widerspreche dem Sinn und Zweck der Vorfälligkeitsentschädigung, wonach der Darlehensgeber im wirtschaftlichen Ergebnis so gestellt werden soll, wie er stünde, wenn das Darlehen für den ursprünglich vereinbarten Festschreibungszeitraum fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Infolgedessen umfasse der berechnete Zinsverschlechterungsschaden ebenfalls die bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen anfallenden negativen Renditen.
II. Wahlrecht zwischen den Berechnungsmethoden der Vorfälligkeitsentschädigung
Nach ständiger Rechtsprechung stehe der Bank ein Wahlrecht zwischen der Berechnung nach der Aktiv-Aktiv-Methode bzw. der Aktiv-Passiv-Methode zu. Letztere sei aus Sicht der Kreditinstitute jedoch vorzugswürdig, da sie der Bank gestatte, ihre Vorfälligkeitsentschädigung auf Grundlage einer laufzeitkongruenten Wiederanlage des vorzeitig zurückgezahlten Darlehensbetrages zu berechnen. Dies gelte unabhängig von dem jeweiligen Zinsumfeld.
III. Kein Verstoß gegen das Bereicherungsverbot
Die Grundsätze zur Berechnung des Schadens, der dem Darlehensgeber durch die vorzeitige Darlehensablösung entstanden ist, seien auf ein negatives Zinsumfeld anwendbar. Dabei verstoße die von der tatsächlichen Wiederanlage losgelöste abstrakte Schadensberechnung nicht gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot, sondern verhindere, dass die Geltendmachung einer Vorfälligkeitsentschädigung durch praktisch nicht erfüllbare Beweisanforderungen vereitelt würde.
Kontext der Entscheidung
Mit dem vorliegenden Urteil entscheidet der BGH eine lange währende Diskussion darüber, wie mit negativen Wiederanlagezinsen einschlägiger Kapitalmarkttitel umzugehen ist. Darüber hinaus bleibt der BGH seiner bisherigen Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Aktiv-Passiv-Methode im Rahmen der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung treu und behält die abstrakte Schadensberechnung auch in einem negativen Zinsumfeld bei.
I. Voraussetzungen der Vorfälligkeitsentschädigung
Nach § 490 Abs. 2 Satz 1 BGB können Darlehensnehmer einen Darlehensvertrag mit vereinbartem Festzins und Sicherung durch ein Grundpfandrecht (z.B. Hypothek) vorzeitig kündigen, wenn sie ein berechtigtes Interesse für die vorzeitige Kündigung haben und seit dem vollständigen Empfang des Darlehens sechs Monate abgelaufen sind. Das berechtigte Interesse zur vorzeitigen Kündigung gemäß § 490 Abs. 2 Satz 1 BGB ist in aller Regel bei der Veräußerung einer finanzierten Immobilie oder aus privaten Gründen zu bejahen (vgl. K.P. Berger in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2023, § 490 Rn. 25 ff. sowie BGH, Urt. v. 01.07.1997 - XI ZR 267/96 - BGHZ 136, 161, so auch OLG München, Urt. v. 30.03.1998 - 31 U 6090/96 - WM 1998, 1484; OLG Hamburg, Beschl. v. 15.04.2002 - 4 W 17/02 - WM 2002, 2050). An die Stelle des von der Rechtsprechung entwickelten Anspruchs auf Vertragsauflösung tritt nunmehr nach § 490 Abs. 2 BGB ein außerordentliches Kündigungsrecht (vgl. K.P. Berger in: MünchKomm BGB, § 490 Rn. 28).
Ausgangspunkt der Entscheidung ist § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB, wonach der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber denjenigen Schaden zu ersetzen hat, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung des Darlehensvertrages entstanden ist. Zur Berechnung des entstandenen Schadens stehen dem Kreditinstitut zwei Methoden zur Wahl: die Aktiv-Aktiv-Berechnungsmethode sowie die Aktiv-Passiv-Vergleichsmethode (vgl. Rohe in: BeckOK BGB, 71. Edition, Stand: 01.08.2024, § 490 Rn. 31, Samhat in: Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2022, Rn. 171). Die Schadensberechnung nach der Aktiv-Aktiv-Methode erfolgt durch eine hypothetische Neuvergabe des zurückerhaltenen Darlehens, wobei die Differenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten und dem aktuellen Zinssatz den Zinsverschlechterungsschaden darstellt (vgl. Samhat in: Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, Rn. 184), während sich der ersatzfähige Schaden bei der Aktiv-Passiv-Methode aus der Differenz zwischen den ursprünglich geschuldeten Zinsen und den Renditen aus der langzeitkongruenten Wideranlage in Hypothekenpfandbriefen ergibt (vgl. Samhat in: Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, Rn. 178). Beide Methoden zur Schadensermittlung führen in einem positiven Zinsumfeld zu einem finanziell ausgeglichenen Ergebnis für die Parteien und vermeiden daher eine Überkompensation des Darlehensgebers (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2016 - XI ZR 388/14 - BGHZ 208, 290 Rn. 29). In der Regel wird nach der Aktiv-Aktiv-Methode jedoch eine geringere Vorfälligkeitsentschädigung errechnet, weshalb die Aktiv-Passiv-Methode in der Praxis bevorzugt wird.
II. Berücksichtigung „negativer Zinsen“ im Rahmen der Berechnung
In einem negativen Zinsumfeld liegt die Herausforderung darin, dass die Kreditinstitute mit dem vorzeitig zurückgeführten Darlehensbetrag bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen ihren Schaden gemäß § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB regelmäßig um die zusätzlich entstehenden Kosten durch Negativzinsen potenzieren. Vor dem Urteil des BGH war umstritten, ob diese im Rahmen der Vorfälligkeitsentschädigung an den Darlehensnehmer weitergegeben werden können.
Im Kern stellt sich die Frage, ob die Aktiv-Passiv-Methode auch dann gewählt werden kann, wenn der für die abstrakte Schadensermittlung relevante hypothetische Wiederanlagezins negativ ist. Denn die Anwendung der Aktiv-Passiv-Methode führt in einem negativen Zinsumfeld dazu, dass die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung die Summe der ausstehenden Zinszahlungen übersteigt, da zusätzlich die Kosten aufgrund der Negativzinsen in Rechnung gestellt werden (vgl. Löhmer, NJW 2020, 367, 369).
Vor diesem Hintergrund fordern einige Stimmen (vgl. Reifner, ZIP 2021, 1417; Löhmer, NJW 2020, 367), dass in einem negativen Zinsumfeld ausschließlich die Aktiv-Aktiv-Methode zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung herangezogen werden dürfe, da hiernach keine negativen Zinsen geschuldet werden können (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 25.07.2023 - 14 U 2764/22 - ZIP 2024, 507 Rn. 26). Es sei vor dem Hinblick der Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 BGB geboten, die für den Darlehensnehmer günstigste Berechnungsmethode zu wählen. Würde der kreditgebenden Bank in einem negativen Zinsumfeld weiterhin ein Wahlrecht zwischen den Berechnungsmethoden gewährt, hätten sie ein mit dem Schadensrecht nicht vereinbares Schadensmaximierungsrecht (vgl. AG Laufen, Urt. v. 27.09.2011 - 2 C 25/11). Stelle man zudem die Aktiv-Passiv-Methode der Aktiv-Aktiv-Methode gegenüber, sei erkennbar, dass beide Berechnungsmethoden auf § 490 BGB beruhen. Dies habe zur Folge, dass der Darlehensnehmer auch bei Anwendung der Aktiv-Passiv-Methode keine negativen Zinsen schulde, da diese nach der Aktiv-Aktiv-Methode nicht berücksichtigt werden (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 25.07.2023 - 14 U 2764/22 - ZIP 2024, 507).
Der BGH bleibt mit der vorliegenden Entscheidung seinen entwickelten Grundsätzen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.1997 - XI ZR 267/96 - NJW 1997, 2875; BGH, Urt. v. 07.11.2000 - XI ZR 27/00 - NJW 2001, 509) treu und betont, dass die Bank auch in einem negativen Zinsumfeld die Aktiv-Passiv-Methode zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung heranziehen kann. Damit folgt er der Argumentation des OLG Stuttgart, welches davon ausgeht, dass in der Vorfälligkeitsentschädigung sowohl der Zinsmargen- als auch der Zinsverschlechterungsschaden ausgeglichen wird. Unter den Zinsverschlechterungsschaden fallen auch Negativzinsen, welche die darlehensgebende Bank bei Wideranlage der Darlehensvaluta zahlen müsste (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 23.02.2022 - 9 U 168/21). Entsprechend dem Kurswertprinzip sind negative Zinsen sogar zwingend bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen, da andernfalls die Schadensneutralität nicht gewahrt würde (vgl. Wimmer/Rösler, WM 2016, 1821, 1826). Außerdem sind die negativen Renditen Ausdruck der im Rückzahlungszeitpunkt bestehenden (negativen) Zinslandschaft, worauf der Darlehensgeber häufig keinen schadensminimierenden Einfluss hat. Denn häufig ist es dem Darlehensgeber nicht möglich, die durch die vorzeitige Darlehensauflösung freigewordenen Mittel in gleichartige Darlehen anzulegen. Daher ist es richtig, dem Darlehensgeber auch in einem negativen Zinsumfeld die Möglichkeit zu bieten, ihre Vorfälligkeitsentschädigung aufgrund einer Wideranlage in sicheren Kapitalmarkttiteln zu berechnen, um die Schadensberechnung nicht von den aktuellen Marktbedingungen abhängig zu machen. Zudem wird der Darlehensgeber durch den Ausgleich des finanziellen Nachteils durch negative Wideranlagezinsen weder besser- noch schlechtergestellt.
III. Vereinbarkeit der abstrakten Schadensermittlung mit Europarecht
Zwar musste sich der BGH mit den europarechtlichen Vorgaben der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (RL 2014/17/EU) in seinem Urteil nicht auseinandersetzen, da der streitgegenständliche Darlehensvertrag bereits im Jahr 2009 und somit vor Inkrafttreten der Richtlinie geschlossen wurde. Allerdings ist die Richtlinie nach Umsetzung in das deutsche Recht für Fälle nach dem 21.03.2016 anzuwenden. Für die Aktualität der Entscheidung ist daher die Frage erheblich, ob die Vorfälligkeitsentschädigung im negativen Zinsumfeld mit den europarechtlichen Bestimmungen vereinbar ist.
Das OLG Nürnberg kommt in der Vorinstanz zu dem Schluss, dass durch die abstrakte Berücksichtigung negativer Hypothekpfandbriefrenditen in einem negativen Zinsumfeld der finanzielle Verlust des Kreditgebers maximiert würde (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 25.07.2023 - 14 U 2764/22 - ZIP 2024, 507). Im Hinblick auf die Wohnimmobilienkreditrichtline hätte dies einen Verstoß gegen Art. 25 Abs. 3 der Richtlinie zur Folge. Demgegenüber steht die Auffassung des BGH, wonach die Bank auch dadurch einen finanziellen Schaden erleidet, dass sie sich aufgrund der vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens einer negativen Zinslandschaft ausgesetzt sieht. Demzufolge wäre die Entscheidung des BGH auch bei einem Vertragsschluss nach der Umsetzung der Richtlinie am 21.03.2016 mit den europarechtlichen Bestimmungen vereinbar.
Jüngst hat zudem der EuGH (vgl. EuGH, Urt. v. 14.03.2024 - C-536/22 - BKR 2024, 433) entschieden, dass die nach der Aktiv-Passiv-Methode vorgesehene abstrakte Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung den europarechtlichen Vorgaben nicht widerspricht, solange die Vorgaben des Art. 25 Abs. 3 der Wohnimmobilienkreditrichtlinie gewahrt bleiben. Folglich hält der EuGH die Auffassung des BGH ebenfalls für mit dem Unionsrecht vereinbar.