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Anmerkung zu:LG Berlin II 65. Zivilkammer, Urteil vom 30.09.2025 - 65 S 116/25
Autor:Prof. Dr. Ulf P. Börstinghaus, Weiterer aufsichtsführender RiAG a.D.
Erscheinungsdatum:23.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 559b BGB, § 13 BGB, § 133 BGB, § 157 BGB, § 558a BGB, § 292 ZPO, § 19 MsV, § 558 BGB, § 144 ZPO, § 402 ZPO, § 558d BGB, § 286 ZPO, § 287 ZPO
Fundstelle:jurisPR-MietR 21/2025 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Börstinghaus, jurisPR-MietR 21/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Kein Zuschlag für ÖPNV-Anbindung oder Versorgungsinfrastruktur im Berliner Mietspiegel 2024



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Der Berliner Mietspiegel 2024 ist qualifiziert.
2. Wird von einer Partei die Nichtberücksichtigung vermeintlicher Zuschläge zu den Spannenwerten gerügt, wird damit die Qualifikation des Mietspiegels angegriffen, da dies die Frage der Ermittlung der Lageeinordnung bei der Mietspiegelerstellung betrifft.
3. Die ÖPNV-Anbindung und die Versorgungsinfrastruktur sind im Rahmen der Wohnlagenausweisung des qualifizierten Berliner Mietspiegels abschließend berücksichtigt worden.
4. Deshalb sind Zuschläge hierfür gemäß § 19 Abs. 4 MsV nicht möglich.
5. Die ortsübliche Vergleichsmiete kann deshalb gemäß § 287 ZPO mittels Verwendung der Orientierungshilfe vom Gericht ermittelt werden. Es handelt sich insoweit um ein in sich abgestimmtes Beurteilungskonzept.



A.
Problemstellung
Im Zustimmungsverfahren gemäß § 559b BGB muss das erkennende Gericht die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete, die der Vermieter maximal verlangen kann, mit den Beweismitteln der ZPO ermitteln. Neben dem Sachverständigengutachten kommen hierbei zusätzlich jedoch noch die Vermutungswirkung qualifizierter Mietspiegel gemäß § 558d Abs. 1 und Abs. 3 BGB sowie eventuell die Indizwirkung einfacher Mietspiegel in Betracht. In Berlin sind dabei die Einordnung des jeweiligen Mietspiegels und außerdem die Bedeutung der Orientierungshilfe immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Zurzeit versucht ein börsennotierter Großvermieter sowohl in Berlin als auch in Dortmund Mieterhöhungen unter Berücksichtigung von Zuschlägen für ÖPNV-Anbindung und Nahversorgung bzw. den Energiebedarfskennwert oder eine Teildämmung durchzusetzen (hierzu im Einzelnen: Dreiskämper, „Vonovia SE im Fokus: Fragwürdige Zuschläge bei Mieterhöhungen auf dem Prüfstand“, WuM 2025, 521). In Berlin waren diese Verfahren danach in erster Instanz wohl alle erfolglos. Nunmehr gibt es die erste Berufungsentscheidung zu diesen Fragen des LG Berlin II.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Verwalterin der Vermieterin hatte den Mietern ein als „Mietanpassung zum 01.01.2024“ überschriebenes Schreiben zukommen lassen, in dem diese erklärte, dass der von der Vermieterin bisher verlangte Mietpreis unter dem für vergleichbare Wohnungen in der Stadt liege. Die Miete werde deshalb zum 01.10.2024 angepasst. Es schließt sich eine Berechnung der neuen verlangten Gesamtmiete an. Erst im dritten Absatz des Schreibens erklärt die Verwalterin: „Wir bitten Sie namens Ihrer Vermieterin, Ihre erforderliche Zustimmung (wie in § 558 BGB geregelt) zu dieser Mietanpassung zu erteilen.“ Bei der Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete hat die Vermieterin bei der Lagebeurteilung positiv berücksichtigt, dass für die Wohnung eine gute ÖPNV-Anbindung und eine gute Nahversorgung vorliegen. Das Amtsgericht hat die Merkmalgruppe als neutral bewertet und die auf die Höherbewertung beruhende höhere ortsübliche Vergleichsmiete der Klägerin nicht zugesprochen.
Die hiergegen gerichtete Berufung hatte beim LG Berlin II auch keinen Erfolg.
1. Formalien
Sowohl nach Ansicht des Amtsgerichts als auch der Berufungskammer lag – noch – ein formell ordnungsgemäßes Mieterhöhungsverlangen vor. Dabei konnte nach Ansicht der Kammer offenbleiben, ob ein Mieter als Verbraucher (§ 13 BGB) nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) ein solches in wesentlichen Teilen vorformuliertes Schreiben dahin missverstehen kann, dass die Klägerin eine einseitige Mietanpassung vornimmt und es sich bei dem Schreiben schlicht um die Mitteilung oder eine einseitige Gestaltungserklärung handelt. Da in dem Mietanpassungsschreiben zumindest auch die Zustimmung zu der Erhöhung der Miete erbeten wird, sind nach Ansicht die formalen Voraussetzungen des § 558a BGB noch eingehalten.
2. Umfang des Berufungsangriffs
Das LG Berlin II legt erst einmal dar, was die Vermieterin im Berufungsverfahren alles mit welchen Argumenten angreift. Das war nach Ansicht der Kammer wohl etwas missverständlich und so auch gar nicht möglich. Einerseits sollte der Berliner Mietspiegel 2024 gar nicht angegriffen werden und andererseits sollte nur die Bedeutung der Orientierungshilfe und ihre Anwendung thematisiert werden. Letztendlich war das Ziel des Verfahrens die Einholung eines Gutachtens über die Einzelvergleichsmiete.
Die Kammer hat ausführlich dargelegt, dass dies so gar nicht geht. Die Angriffe der Vermieterin gingen über die behauptete falsche Anwendung der Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung zum Berliner Mietspiegel durch das Amtsgericht hinaus. Sie betrafen den Inhalt des qualifizierten Teils des Berliner Mietspiegels. Die Gerichte müssen sich gemäß § 286 ZPO eine Überzeugung über die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete auf der Grundlage des örtlichen Mietspiegels unter Berücksichtigung einer zur Verfügung gestellten Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung bilden. Dabei muss dann entschieden werden, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens zusätzlich zwingend geboten ist. Deshalb muss das Gericht zunächst beurteilen, ob der Berliner Mietspiegel 2024 als qualifizierter oder, wie die Vermieterin meint, als einfacher Mietspiegel zu bewerten ist. Davon hängt gerade ab, ob die Richtigkeit der im Mietspiegel bezeichneten Entgelte vermutet oder lediglich indiziert wird. Dies hat dann wiederum Auswirkungen auf die Anforderungen an das Vorbringen der Partei, die Einwendungen gegen seine Anwendung erhebt.
Dadurch, dass die Klägerin gerügt hat, dass das Amtsgericht „irrig“ davon ausgehe, dass „die ÖPNV-Anbindung und Nahversorgung“ bereits bei der Lageeinordnung hinreichend berücksichtigt worden seien, hat sie die Einhaltung der wissenschaftlichen Grundsätze der Mietspiegelerstellung infrage gestellt.
3. Die Qualifikation des Mietspiegels 2024
Ein qualifizierter Mietspiegel ist gemäß § 558d BGB ein Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der nach Landesrecht zuständigen Behörde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist. Diese Voraussetzungen sind beim Berliner Mietspiegel 2024 gegeben. Er wurde als qualifizierter Mietspiegel von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen sowie zusätzlich von den Interessenverbänden der Mieter und Vermieter erstellt und anerkannt.
Dies hat dann zwingend zur Folge, dass die gesetzlichen Vermutungsfolgen des § 558d Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 BGB eintreten. Die Klägerin kann diese nur im Wege des Vollbeweises widerlegen, § 292 ZPO, was nicht der Fall war.
4. Die ÖPNV-Anbindung und die Versorgungsinfrastruktur als wohnwerterhöhendes Lagemerkmal
Und schließlich beschäftigt sich das LG Berlin II sehr ausführlich mit der Frage, ob die ÖPNV-Anbindung und die Versorgungsinfrastruktur im Rahmen der Wohnlagenausweisung des qualifizierten Berliner Mietspiegels abschließend berücksichtigt wurden oder einen Zuschlag rechtfertigen würden. Die Kammer verortet diese Frage bei § 19 Abs. 4 MsV. Dort heißt es, dass wohnwertrelevante Lagemerkmale durch Zu- oder Abschläge zur Spanne hinzugerechnet werden dürfen, „soweit wohnwertrelevante Lagemerkmale nicht bereits in eine Wohnlageneinteilung einbezogen wurden oder die Lage vom Durchschnitt vergleichbarer Wohnungen in derselben Wohnlage wesentlich abweicht“.
a) Die Ermittlung des Wohnwertmerkmals „Lage“ in Berlin
Die „Lage“ der Wohnung ist nach der Legaldefinition in § 558 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Wohnwertmerkmal, das die ortsübliche Vergleichsmiete (mit-)bestimmt. Es handelt sich um eine der schwierigsten Fragen der Mietspiegelerstellung, da die Vorstellungen darüber, was eine gute oder eine normale Lage ist, stark von den subjektiven Bedürfnissen abhängt. Wohnlagen könnten regelmäßig nur durch eine kombinierte Bewertung von Einzelmerkmalen ermittelt und darüber hinaus zumeist auch von nicht objektivierbaren Kriterien beeinflusst werden. Die Zuordnung von Lageeffekten und die Gesamtbewertung bedürften einer sachverständigen Beurteilung, die häufig nur bei guter Ortskenntnis unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte möglich sei; gewisse Ungenauigkeiten seien hierbei hinzunehmen. Deshalb fordert § 19 MsV ein schlüssiges Beurteilungskonzept. Dies ist in Berlin durch sachkundige Personen nach wissenschaftlichen Kriterien geschehen. Der ohne Begründung erfolgte Angriff gegen die Sachkunde der Mitglieder ging deshalb ins Leere, zumal die Klägerin auch nicht dargelegt hat, welche überlegene Sach- und Ortskunde sie qualifiziert, dies überhaupt beurteilen zu können.
Das Landgericht legt dann im Einzelnen anhand der Dokumentation dar, wie die Arbeitsgruppe nachvollziehbar und wissenschaftlich fundiert die Lageklassen gebildet hat. Es wurde ein empirisches, datengestütztes Wohnlagenermittlungsmodell erstellt, in das Erkenntnisse der Fachwissenschaft und Praxis einbezogen wurden. Das datengestützte Modell und die Diskriminanzanalyse werden in der Dokumentation in allen Einzelheiten dargestellt. Inhaltlich hatte sich die Berufungsklägerin mit dem wissenschaftsbasierten methodischen Vorgehen der Arbeitsgruppe nicht auseinandergesetzt. Das Wohnlagenkonzept des Berliner Mietspiegels beruht auf anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen.
b) Der ÖPNV-Anschluss und die Infrastruktur als Teil der Lageeinteilung
Die Arbeitsgruppe Mietspiegel hat den Vorgaben des Verordnungsgebers entsprechend auf der Grundlage der in der Fachwissenschaft diskutierten Indikatoren für den in § 19 Abs. 2 MsV genannten Faktor „Infrastruktur“ die Einflussgröße „technische und soziale Infrastruktur (Immissionen, Beeinträchtigungen, Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten)“ konkret geprüft und davon ausgehend 13 Indikatoren mit Erklärungswert in die Betrachtung aufgenommen. Die Verkehrsanbindung und Versorgungslage sind dabei Teil des schlüssigen, so in der Dokumentation auch dargestellten und begründeten Beurteilungskonzeptes der Wohnlagenausweisung im Mietspiegel 2024 geworden.
Da die beiden Merkmale im Rahmen der Wohnlagenaktualisierung im Rahmen des in § 19 Abs. 2 MsV genannten Faktors „Infrastruktur“ berücksichtigt wurden, ist für einen grundsätzlich möglichen Zu- oder Abschlag nach § 19 Abs. 4 MsV kein Raum. Das Gericht weist die Klägerin dann darauf hin, dass eine wesentliche Abweichung vom Durchschnitt vergleichbarer Wohnungen Angaben zu der Vergleichsgruppe bzw. zum von ihr in Bezug genommenen Durchschnitt voraussetzt. Diesbezüglich lässt sich dem Vortrag der Klägerin nichts entnehmen. Es kommt gerade nicht darauf an, dass der ÖPNV-Anschluss oder die Nahversorgung gut ist, entscheidend ist, dass sie besser als in vergleichbaren Lagen ist. Die Überdurchschnittlichkeit der „Mikrolage“, wo die streitgegenständliche Wohnung liegt, ergibt sich angesichts der herausragenden Dichte des öffentlichen Nahverkehrsnetzes im gesamten Stadtgebiet Berlins und der außerordentlich hohen, in der Wertschätzung eher umstrittenen Zahl von Shopping-Centern im polyzentrisch strukturierten Berlin im Vergleich zu den in der Orientierungshilfe vorgeschlagenen wohnwerterhöhenden Merkmalen der „bevorzugten Citylage“ und der „besonders ruhigen Lage“ auch nicht etwa von selbst. Dass (nur) für letztere ein möglicher Zuschlag in der Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung vorgesehen ist, bestätigt vielmehr die Schlüssigkeit des Beurteilungskonzeptes und die Ortskunde der Mitglieder der Arbeitsgruppe Mietspiegel.
5. Die Bedeutung der Orientierungshilfe
Nach Ansicht des LG Berlin II bedurfte es zur Ermittlung der Einzelvergleichsmiete keines Gutachtens. Zulässig war hier die Schätzung gemäß § 287 ZPO. Dabei weist die Kammer richtigerweise darauf hin, dass nicht abstrakt-allgemein zu klären war, ob Orientierungshilfen von den Gerichten zur Bestimmung der Einzelvergleichsmiete herangezogen werden dürfen. Die Frage ist einer abstrakten Klärung bereits deshalb nicht zugänglich, weil ihre Beantwortung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt, etwa der Qualität und Aussagekraft des Mietspiegels und der Orientierungshilfe.
Im Übrigen sind die zugrunde liegenden Rechtsfragen höchstrichterlich seit Langem geklärt. Das gilt zunächst für die Frage, ob die Gerichte im Prozess trotz des damit verbundenen Kosten- und Zeitaufwandes berechtigt sind, die Höhe der Einzelvergleichsmiete durch Einholen eines Sachverständigengutachtens zu bestimmen, auch wenn sich die verlangte Miete innerhalb einer unstreitigen oder in dem einschlägigen Mietspiegelfeld eines Mietspiegels ausgewiesenen Spanne bewegt und für die Bestimmung der Einzelvergleichsmiete – mit einer Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung – eine geeignete Schätzgrundlage vorhanden ist (BGH, Beschl. v. 25.10.2022 - VIII ZR 223/21 Rn. 30 ff.). Die Gerichte dürfen das höhere Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO anstreben, sind dazu allerdings nicht verpflichtet. Es steht im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen des Gerichts, ob es die beantragte Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durchführt oder sich mit einer Schätzung begnügt.
Zum anderen liegen hier auch die Voraussetzungen des § 287 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 ZPO vor. Nach § 287 Abs. 2 ZPO sind die Vorschriften des Absatzes 1 Sätze 1, 2 bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen. Nach § 287 Abs. 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, wenn unter den Parteien streitig ist, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt nach Satz 2 der Vorschrift dem Ermessen des Gerichts überlassen.
Eine Ermittlung der nach § 558 BGB ortsüblichen Vergleichsmiete innerhalb der im einschlägigen – hier qualifizierten – Mietspiegel vorgegebenen Spanne durch Sachverständigengutachten gemäß den §§ 286 Abs. 1, 144 Abs. 1, 402 ff. ZPO wäre – auch im vorliegenden Fall – mit Schwierigkeiten und einem Kostenaufwand verbunden, der zu der Höhe der geltend gemachten Mieterhöhung unter Berücksichtigung der als Schätzgrundlage vorhandenen Orientierungshilfe außer Verhältnis steht.
Die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete erfordert die Ermittlung der tatsächlich und üblicherweise gezahlten Miete für vergleichbare Wohnungen. Sie ist ein objektiver Maßstab, der einen repräsentativen Querschnitt der üblichen Entgelte darstellen soll. Ein Sachverständiger müsste im Rahmen der Gutachtenerstellung nach Besichtigung der zu begutachtenden Wohnung die ortsübliche Vergleichsmiete durch eine ausreichend große, repräsentative Stichprobe vergleichbarer Wohnungen ermitteln.
Ein Sachverständigengutachten würde einen erheblichen Aufwand verursachen, der nur dazu diente, die Wohnung in die – hier unstreitige – Mietspiegelspanne einzuordnen. Ein solcher Aufwand ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn – wie hier – zusätzlich zu dem qualifizierten Mietspiegel eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung zur Verfügung steht und von der Gemeinde oder Interessenvertretern der Vermieter und Mieter anerkannt worden ist. Es entspricht der Rechtsprechung des BGH, dass für den hier gegebenen Fall, dass ein qualifizierter Mietspiegel eine „Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung“ enthält, in der bestimmte werterhöhende oder wertmindernde Faktoren für die Einordnung der Wohnung vorgesehen sind, der Tatrichter diese und die von ihr vorgesehenen Bewertungskriterien als Schätzungsgrundlage nach § 287 Abs. 2 ZPO zugrunde legen darf. Zu den Bewertungskriterien zählen dabei nicht nur die dort angegebenen Wohnwertmerkmale, sondern auch die Vorgaben zu ihrer Bewertung. Es handelt sich insoweit um ein in sich abgestimmtes Beurteilungskonzept (BGH, Beschl. v. 14.06.2022 - VIII ZR 24/21 Rn. 18 f.).
6. Zusammenfassende Bewertung der Berufungsangriffe
Ebenso wie in den vom BGH entschiedenen Fällen beruht die Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung zum Berliner Mietspiegel 2024 auf Aussagen, die vom umfassenden Sachverstand der an der Mietspiegelerstellung beteiligten Experten getragen werden. Wenn – wie die Klägerin meint – auch bei Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels in der Regel ein Sachverständigengutachten zur Spanneneinordnung einzuholen wäre, würde die in § 558d Abs. 3 BGB enthaltene Vermutung ihre verfahrensvereinfachende Funktion weitgehend verlieren. Die Verwendung eines qualifizierten Mietspiegels nebst Schätzung der Spanneneinordnung durch das Gericht gemäß § 287 ZPO garantiert im Interesse beider Parteien eine rasche Entscheidung und vermeidet die Entstehung von Gutachterkosten, die im Falle eines Teilunterliegens den Erhöhungsbetrag leicht erheblich schmälern oder sogar aufzehren können (BGH, Urt. v. 20.04.2005 - VIII ZR 110/04 Rn. 14). Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Klägerin, dass die Orientierungshilfe nicht auf echtem Wissen und Erfahrungen von Experten des Berliner Wohnungsmarktes beruhe. Worauf die Klägerin ihre Meinung stützt, lasse sich nicht feststellen. Auch ergibt sich nicht, welche eigene Expertise sie zu einer solchen Einschätzung befähigen soll.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung ist wohl die erste Berufungsentscheidung zu einer Fülle von insofern alle klageabweisenden Entscheidungen Berliner Amtsgerichte. Sie arbeitet äußerst sorgfältig die Grundlage der Mietspiegelerstellung, insbesondere die Ermittlung der Lageeinordnung heraus. Die Klägerin hatte sich wohl wenig Mühe gegeben, sich mit der Dokumentation der Mietspiegelerstellung auseinanderzusetzen. Pauschale Angriffe und pauschales Bestreiten reichen hier bekanntlich nicht. Die Klägerin muss den Vollbeweis erbringen, dass die wissenschaftlichen Grundsätze nicht eingehalten wurden. Hier hat bekanntlich die Mietspiegelreform die Beweislast und damit auch die Darlegungslast geändert.
Die ortsübliche Vergleichsmiete darf im Prozess nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt werden, die die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in einer für die freie tatrichterliche Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO hinreichenden Weise ermittelt haben. Hat der Mieter die Höhe der vom Vermieter seinem Zustimmungsverlangen zugrunde gelegten ortsüblichen Vergleichsmiete bestritten, muss das Gericht sich seine richterliche Überzeugung durch Erhebung des vom beweisbelasteten Vermieter angebotenen tauglichen Beweismittels verschaffen, sofern nicht eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO möglich ist. Soweit es für den Mietspiegel Einordnungs- oder Orientierungshilfen gibt, sind diese für die Gerichte zwar nicht bindend, die Gerichte können diese Hilfen aber im Rahmen der Schätzung gemäß § 287 ZPO anwenden. Es handelt sich insoweit um ein in sich abgestimmtes Beurteilungskonzept. Die „Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung“ stellt nach Ansicht des BGH eine Schätzgrundlage nach § 287 Abs. 2 ZPO dar. § 287 Abs. 2 ZPO stellt an das Maß der Überzeugungsbildung des erkennenden Richters geringere Anforderungen als die Vorschrift des § 286 ZPO. Im Rahmen des § 286 ZPO muss der Richter zwar auch keine absolute Gewissheit, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, gewinnen (BGH, Urt. v. 16.04.2013 - VI ZR 44/12 - NJW 2014, 71; BGH, Urt. v. 28.01.2003 - VI ZR 139/02 - NJW 2003, 1116). Nach § 287 ZPO ist der Richter demgegenüber ermächtigt, sich mit einer mehr oder minder hohen – mindestens aber überwiegenden – Wahrscheinlichkeit zu begnügen (BGH, Urt. v. 17.09.2019 - VI ZR 396/18 - NJW 2020, 236; BGH, Urt. v. 12.02.2008 - VI ZR 221/06 - NJW 2008, 1381). Hinsichtlich der genauen Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete steht ihm ein Ermessen zu, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis u.U. mit der Wirklichkeit nicht vollständig übereinstimmt. Die Gerichte haben alles zu unternehmen, ein Kosten auslösendes Sachverständigengutachten zu vermeiden (BGH, Beschl. v. 14.06.2022 - VIII ZR 24/21 - NZM 2022, 960; BGH, Urt. v. 18.11.2020 - VIII ZR 123/20 - NZM 2021, 88; KG, Beschl. v. 16.03.2009 - 8 U 216/08 - WuM 2009, 407; KG, Beschl. v. 26.03.2009 - 8 U 10/09 - NZM 2009, 544). Und genau nach diesen höchstrichterlichen Vorgaben hat die Kammer und haben alle bisher befassten Amtsgerichte entschieden.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Vordergründig hat die Entscheidung einen ersten Pflock in die Entscheidungspraxis der Berliner Gerichte eingeschlagen. Die Kammer hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision verneint. Abweichende Entscheidungen gibt es nicht. Allein der Umstand, dass ein Gericht die Auffassung einer Prozesspartei nicht teilt, ist kein Zulassungsgrund. Auch der Umstand, dass die Klägerin eine Schätzung zu ihren Lasten annimmt, folgerichtig stattdessen eine Schätzung zulasten der Beklagten wünscht, verleiht der Sache weder eine grundsätzliche Bedeutung noch führt er dazu, dass eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre. Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf dem Gesetz und vom BGH geklärten Grundsätzen.
Ob die Entscheidung die aufkommende Diskussion über den Gesetzentwurf der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ beeinflusst, bleibt abzuwarten. Einer der Auslöser dieser Initiative war ein ähnliches Verhalten dieses Wohnungsunternehmens.



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