Ablauf einer Angebotsbindungsfrist contra Verwirkung der Berufung auf die Unwirksamkeit des VertragesLeitsatz Die Rechtsverwirkung (§ 242 BGB) betrifft nicht nur Rechte, deren Tatbestand einen auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff beinhaltet. Stattdessen sind sämtliche subjektiven Rechte Gegenstand der Verwirkung, auch die rechtshindernde Einwendung der verspäteten Annahme. - A.
Problemstellung Häufig werden bei der Abwicklung von Rechtsgeschäften Fristen, ob sie nun im Vertrag vorgesehen oder gar einseitig gesetzt worden sind, nicht eingehalten, sei es, weil sie der Verpflichtete übersehen, für unwirksam erachtet oder gar bewusst nicht eingehalten hat. Geht dann einige Zeit ins Land, möchte der Verpflichtete ggf. aus diesem zeitlichen Gesichtspunkt gern Kapital für seine Pflichtverweigerung gewinnen. Daher gehört es in solchen Fällen schon zum anwaltlichen Pflichtprogramm, gegenüber dem Anspruch die Einrede der Verjährung und die Einwendung der Verwirkung zu erheben. Gemäß § 194 BGB unterliegen nur Ansprüche der Verjährung, wobei der Anspruch als das Recht definiert wird, vom anderen Teil ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 Abs. 1 BGB). Rechte und Rechtsstellungen, die keine Ansprüche sind, können hingegen nicht verjähren. Für solche Fälle bleibt aber immer noch die Frage der Verwirkung zu prüfen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Beklagte war Vermieterin, die Klägerin die Untermieterin von Gewerberäumen in Berlin. Am 23.03.2023 unterzeichnete die Beklagte ein Schriftstück, welches eine Vereinbarung betreffend die Beendigung des Mietverhältnisses unter Abwesenden beinhaltete. Unter anderem verpflichtete sich die Beklagte darin im Falle einer vorzeitigen Beendigung des bestehenden Mietverhältnisses zur Zahlung eines Betrages i.H.v. 200.000 Euro an die Klägerin, fällig 30 Tage nach Schlüsselübergabe an die Beklagte. Die Vereinbarung sah für die Unterzeichnung und Rückübermittlung an die Beklagte durch die Klägerin und die Hauptmieterin eine Frist von zehn Tagen ab Zugang der von der Beklagten unterzeichneten Vereinbarung vor. Die von der Beklagten unterzeichnete Vereinbarung ging der Klägerin am 24.03.2003 zu. Für die Klägerin wurde die Vereinbarung am 02.04.2023, für die Hauptmieterin am 12.04.2023 unterzeichnet. Am gleichen Tag fragte der Geschäftsführer der Beklagten bei der Klägerin via WhatsApp nach dem Verbleib der Vereinbarung nach. In der Folgezeit vereinbarten die Parteien einen Termin zur Übergabe der unterschriebenen Vereinbarung am 04.05.2023. Diese nahm der Geschäftsführer der Beklagten unterschrieben von der Klägerin und der Hauptmieterin in diesem Termin entgegen. Am 30.06.2023 gab die Klägerin die Mietflächen an die Hauptmieterin, diese gab sie an die Beklagte unter Übergabe der Schlüssel zurück. Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung von 200.000 Euro zzgl. Nebenforderungen. Die Klägerin vertrat die Ansicht, der Vertrag sei zustande gekommen. Die Annahmefrist sei für die Beklagte nicht so entscheidend gewesen, dass der Vertrag daran scheitern sollte. Es sei allen Beteiligten weiter auf die Durchführung der Vereinbarung angekommen, so dass die Annahmefrist stillschweigend wirksam abbedungen worden sei. Hilfsweise sei aufgrund der verspäteten Annahme ein neuer Vertrag mit demselben Inhalt geschlossen worden. Die Beklagte trug vor, der Abschluss einer Beendigungsvereinbarung nach dem 05.04.2023 sei für sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht von Interesse gewesen. Das LG Berlin II hat der Klage in der Hautsache entsprochen. Der Anspruch der Klägerin ergebe sich aus § 5 des zwischen den Parteien und der Hauptmieterin geschlossenen Beendigungsvertrages. Der Vertrag sei durch Rückgabe der vollständig unterschriebenen Vertragsurkunde an den Geschäftsführer der Beklagten am 04.05.2023 zustande gekommen. Zwar habe die Annahme des Vertrages nicht innerhalb der Annahmefrist stattgefunden. Es sei dem Beklagten aber nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Verfristung zu berufen. Jedenfalls sei aber ein Vertrag gleichen Inhalts später abgeschlossen worden. Die von der Beklagten in dem Vertrag vorgegebene Annahmefrist sei am 03.04.3034 abgelaufen, der unterschriebene Vertrag aber erst am 04.05.2023 zurückgegeben worden, so dass die Frist abgelaufen gewesen sei. Die Annahmefrist sei nicht abgeändert oder abbedungen worden. Das Verhalten der Parteien lasse nicht erkennen, dass beide Parteien übereinstimmend von der Annahmefrist abrücken wollten. Maßgeblich sei hierfür der objektive Empfängerhorizont, also wie ein objektiv verständiger Dritter nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte das Verhalten der Parteien beurteilt hätte. Eine Abänderung oder Abbedingung der Annahmefrist sei ohnehin nur vor deren Ablauf möglich gewesen. Die Folge der Verfristung der Annahme sei grundsätzlich das Erlöschen des Antrages gemäß den §§ 146, 148 BGB. Dies sei ausnahmsweise vorliegend nicht der Fall und der Vertrag sei trotz der Verspätung der Annahme zustande gekommen. Denn vorliegend sei es der Beklagten verwehrt, sich auf die Verfristung der Annahme zu berufen, weil sie dieses Recht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verwirkt habe. Die Rechtsverwirkung betreffe nicht nur Rechte, deren Tatbestand einen auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff beinhaltet. Stattdessen seien sämtliche subjektiven Rechte Gegenstand der Verwirkung, auch die rechtshindernde Einwendung der verspäteten Annahme. Eine solche Verwirkung liege vor, wenn der Rechtsinhaber über eine längere Zeit untätig bleibe und die andere Seite sich bei objektiver Betrachtung darauf einrichten dürfe und tatsächlich eingerichtet habe, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht, so dass es gegen Treu und Glauben verstoße, das Recht nun doch geltend zu machen. Die Dauer der Untätigkeit (Zeitmoment) sei allein anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Maßgeblich sei, ob eine frühere Geltendmachung möglich gewesen sei und habe erwartet werden können. Jedenfalls liege ein hinreichendes Zeitmoment vor, wenn mit der Geltendmachung nicht mehr gerechnet werden konnte. Ob die hinzutretenden Umstände die Erwartungshaltung der anderen Seite rechtfertigen und die Geltendmachung des Rechts als unzumutbaren Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment) sei durch Gesamtbetrachtung der Interessenlage zu beurteilen. Aus den objektiven sowie subjektiven Gesichtspunkten beider Seiten müsse sich für die nichtberechtigte Seite ein Vertrauenstatbestand ergeben oder die Rechtsausübung aus anderen Gründen mit der Untätigkeit unvereinbar sein. Das Unterlassen des Berechtigten müsse bei dieser Betrachtung der Gegenseite als bewusst und planmäßig, die spätere Geltendmachung als widersprüchlich erscheinen. Auch wenn zugunsten der Beklagten eine Treuwidrigkeit verneint würde, wäre die Klage begründet. Denn jedenfalls wäre ein Vertrag mit identischem Inhalt zwischen den Parteien neu abgeschlossen worden. Nach § 150 Abs. 1 BGB gilt die verspätet abgegebene Annahme als neuer Antrag. Diesen habe die Beklagte durch Schweigen, jedenfalls aber konkludent angenommen.
- C.
Kontext der Entscheidung Zutreffend ist das LG Berlin II davon ausgegangen, dass sich der Anspruch der Klägerin aus einer zwischen den Parteien geschlossenen Beendigungsvereinbarung ergibt, mit welcher sie die Rückgabe eines Mietobjektes vom Untermieter an den Vermieter unter Hinzuziehung des Hauptmieters regeln wollten. Ebenfalls hat das Landgericht zutreffend geprüft, ob die Parteien diese Vereinbarung durch einen Vertrag unter Abwesenden geschlossen haben. Dies setzt voraus, dass eine Vertragspartei einer anderen, welche nicht gleichzeitig anwesend ist, ein Angebot zum Vertragsschluss unterbreitet, welches die andere Partei innerhalb einer Frist annimmt, innerhalb derer die Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Die Antragende kann mit dem Angebot aber auch eine Frist bestimmen, binnen derer sie sich an ihr Angebot gehalten sieht. Die Beklagte hat hiervon Gebrauch gemacht und eine Annahmefrist bis zum 03.04.2023 bestimmt, binnen deren die Klägerin gegenüber der Beklagten die Annahme nicht erklärt hat. Gleichwohl hat es mit dem Vertragsschluss an dieser Stelle nicht sein Bewenden. Die Klägerin hat der Beklagten die ihrerseits unterzeichnete Beendigungsvereinbarung am 04.05.2023 übergeben. Zwar konnte die verspätet abgegebene Annahmeerklärung einen Vertragsschluss nicht unmittelbar herbeiführen. Allerdings hat die Klägerin mit Übergabe der Vereinbarung ihrerseits eine Vertragsofferte abgegeben. Die Abgabe des Antrages, der die Annahmefrist in Lauf zu setzen geeignet ist, erfordert nicht nur die Formulierung der gewünschten Vertragsbedingungen. § 145 BGB ist zu entnehmen, dass es für einen Antrag erforderlich ist, dem anderen die Schließung eines Vertrages eines bestimmten Inhalts auch anzutragen. Der Antrag ist somit ebenfalls eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Dem Angebotsempfänger muss also durch eine Erklärung oder ein Verhalten des Anbietenden erkennbar werden, dass dieser zum Abschluss eines Vertrages eines bestimmten Inhalts bereit ist und es dem Angebotsempfänger nunmehr obliegt, die Verbindlichkeit der Vereinbarung seinerseits durch empfangsbedürftige Willenserklärung herzustellen. Dabei kann der Antrag sowohl ausdrücklich als auch konkludent gestellt werden (OLG Rostock, Urt. v. 11.01.2018 - 3 U 16/16). Dass die Klägerin auch am 04.05.2023 den Abschluss eines Vertrages des Inhaltes der vorbereiteten Beendigungserklärung wünscht, war der Beklagten aus objektiver Sicht bereits erkennbar, weil ihr ein Text eben dieses Inhaltes übergeben wurde, welchen die Klägerin bereits ihrerseits gezeichnet und damit deutlich gemacht hatte, dass sie an diesem Text festhalten wolle. Die Beklagte hat die Urkunde ohne jedwede Änderungswünsche in einem eigens hierfür bestimmten Termin entgegengenommen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles durfte die Klägerin hieraus den Schluss ziehen, dass die Beklagte ihr Angebot stillschweigend angenommen hat. Hieran ändert der Umstand nichts, dass die Beklagte die Erklärung ihrerseits nicht in diesem Termin unterzeichnet hat. Im Zweifel hat sie hierzu gar keinen Anlass gesehen, da sie diesen Text bereits früher mit einer Unterschrift versehen hatte. Auch das weitere Vorgehen der Parteien bis hin zur vorzeitigen Rückgabe der Mietsache und der Schlüssel bestärkt die Annahme einer beiderseitigen Verpflichtung. Der umfangreichen Ausführung zu Fragen der Verwirkung hätte es also nicht bedurft. Dies gilt um so mehr, als die Verwirkung Ausfluss des § 242 BGB ist, der ein letztes Korrektiv nach Ausschöpfung der Rechtslage bildet. Zugegebenermaßen ist er für manche Gerichte stattdessen ein Allheilmittel der Rechtsprechung geworden. Unbeschadet dessen liegt der Fehler der Entscheidung bereits dahin, das Zeitmoment daran anzuknüpfen, dass die Beklagte erst im Prozess die Verwirkung eingewendet hat. Verwirkt werden können hätte allein der Anspruch der Klägerin auf Zahlung, nicht aber die Rechtsansicht der Beklagten, dass dieser Anspruch nicht besteht. Es ist Sache der Klägerin, zu entscheiden, ob sie einen Anspruch, welchen sie zu haben meint, durchsetzt, und nicht Sache der Beklagten, der Klägerin zu sagen, dass sie dies besser lässt. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Verwirkung des klägerischen Anspruches hätte einwenden müssen, denn der Anspruch ist der Zahlungsanspruch, nicht der Anspruch, dass sich die Beklagte hiergegen wehrt. Wer Streit sucht, kann sich eben nicht immer darauf verlassen, dass er ihn auch bekommt.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Nicht alles, was ein Richter einmal sagen möchte, muss er auch in ein Urteil schreiben, in welches es so gar nicht passt.
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