Gesetzlicher Vergütungsanspruch von Krankenhäusern für ambulante EntbindungenOrientierungssätze zur Anmerkung 1. Das Zusammenspiel der Grundsätze des Leistungserbringungsrechts mit den sich aus § 24f SGB V ergebenden Besonderheiten des Anspruchs auf Entbindung im Krankenhaus begründet kraft Gesetzes einen Vergütungsanspruch gegen die GKV. 2. Der Höhe nach ist der Vergütungsanspruch für die ambulante Entbindung im Krankenhaus auf die Mindest-Fallpauschale für eine eintägige stationäre Entbindung im Krankenhaus gerichtet. - A.
Problemstellung Die vorliegende Entscheidung des 1. Senats des BSG betrifft ein bislang ungeklärtes Abgrenzungsproblem im Leistungs- und Vergütungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung. Zentral ist die Frage, ob eine Geburt, die in einem Krankenhaus stattfindet, jedoch ohne stationäre Aufnahme, überhaupt abrechenbar ist, denn eine ausdrückliche Vergütungsregelung für ambulante Entbindungen im KHEntgG und DRG-System fehlt. Nach welchen Kriterien ist insoweit zwischen einer ambulanten und einer stationären Entbindung im Krankenhaus zu differenzieren und welche Folgen hat das Ergebnis dieser Einordnung für die Abrechenbarkeit der Leistung gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung? Der Streit berührt damit das Leistungsrecht der Versicherten nach § 24f SGB V sowie die systematischen und abrechnungstechnischen Grenzen des DRG-Systems und des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG). § 24f SGB V räumt Versicherten ein originäres Wahlrecht hinsichtlich des Entbindungsorts und der Art der Versorgung (ambulant oder stationär) ein, ohne allerdings die Abgrenzungskriterien selbst näher zu bestimmen. Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine stationäre Aufnahme die physische und organisatorische Eingliederung in das Versorgungssystem des Krankenhauses voraus, regelmäßig dokumentiert durch die Zuweisung eines Bettes, eine Aufnahmeentscheidung oder eine stationäre Nachsorge (BSG, Urt. v. 20.03.2024 - B 1 KR 37/22 R Rn. 15 m.w.N. - SozR 4-2500 § 39 Nr 38). Fehlt es hieran, ist von einer ambulanten Entbindung auszugehen – auch wenn diese im Krankenhaus und unter Nutzung krankenhausspezifischer Mittel erfolgt. Vor diesem Hintergrund besteht jedoch das Problem, dass für ambulante Entbindungen im Krankenhaus – anders als für stationäre Leistungen – weder im DRG-System noch im KHEntgG eine ausdrückliche Vergütungsregelung existiert. Das BSG hatte daher zu klären, ob ein gesetzlicher Vergütungsanspruch für ambulante Krankenhausgeburten besteht, wie er sich systematisch begründen lässt und auf welcher Grundlage die Vergütung zu bemessen ist.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung In dem entschiedenen Fall begehrte ein Krankenhaus die Vergütung einer Geburt i.H.v. 1.283 Euro nach (stationärer) Fallpauschale O60D, obwohl die Versicherte am selben Tag entbunden und das Krankenhaus nach einer mehrstündigen Nachbeobachtung ohne stationäre Aufnahme wieder verlassen hatte. Die Vorinstanzen (SG Dresden, Urt. v. 23.07.2020 - S 47 KR 1234/17; LSG Chemnitz, Urt. v. 13.12.2023 - L 1 KR 449/20) hatten die Klage abgewiesen mit der Begründung, es habe sich um eine ambulante Entbindung gehandelt, für die mangels ausdrücklicher Vergütungsregelung kein Anspruch bestehe. Das BSG hat diese Auffassung nicht geteilt und der Revision des Krankenhausträgers stattgegeben. Es stellt klar, dass die Versicherte ihr Recht auf eine ambulante Entbindung nach § 24f SGB V ausgeübt und das Krankenhaus diese Leistung tatsächlich auch erbracht habe. § 24f SGB V gewähre Versicherten ein eigenständiges Wahlrecht, ob sie die Entbindung ambulant oder stationär durchführen lassen. Anders als bei anderen Krankenhausleistungen komme es dabei nicht auf eine medizinische Erforderlichkeit oder Wirtschaftlichkeit an (vgl. dazu Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 24f Rn. 4; BT-Drs. 17/10170, S. 23 f.). Die Vorschrift schaffe damit eine besondere Anspruchslage, die auch für das Vergütungsrecht strukturbildend sei: Auch wenn die Entbindung nach den maßgeblichen Kriterien nicht stationär erfolge, bestehe für die erbrachte Leistung ein gesetzlicher Vergütungsanspruch. Zur Begründung führt der Senat aus, dass eine stationäre Aufnahme die Eingliederung in das Versorgungssystem des Krankenhauses voraussetze. Dazu gehören z.B. die Zuweisung eines Bettes, die Aufnahme auf eine Station oder eine ähnliche organisatorische Eingliederung (vgl. grundlegend BSG, Urt. v. 20.03.2024 - B 1 KR 37/22 R Rn. 15). Fehle es daran, wie vorliegend, liege eine ambulante Leistung vor. Das KHEntgG sehe allerdings eine Abrechnungsmöglichkeit nur für stationäre und teilstationäre Leistungen vor (§ 1 Abs. 1 KHEntgG i.V.m. § 2 Nr. 1 KHG). Ambulante Krankenhausleistungen seien demgegenüber nur abrechenbar, wenn eine ausdrückliche gesetzliche oder vertragliche Grundlage bestehe (z.B. §§ 115 ff. SGB V). Eine solche fehle für ambulante Entbindungen im Krankenhaus; während Hebammen ambulante Geburten außerhalb des Krankenhauses nach § 134a SGB V vergütet erhalten, bestehe für die Leistungserbringung durch ein Krankenhaus keine parallele Normstruktur (vgl. auch Schaks in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 2. Aufl. 2018, § 24f SGB V Rn. 5). Gleichwohl sei das Krankenhaus aufgrund der Auswahlentscheidung der Versicherten zur Leistungserbringung berechtigt und verpflichtet gewesen, so dass es kraft Gesetzes einen Vergütungsanspruch habe (vgl. BSG, Urt. v. 29.06.2023 - B 1 KR 20/22 R Rn. 16 - SozR 4-1500 § 65d Nr 1). Der Senat verweist in nunmehr ständiger Rechtsprechung darauf, dass § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V den Vergütungsanspruch als Selbstverständlichkeit voraussetze, ohne dass er dort als Anspruchsgrundlage geregelt sei (vgl. BSG, Urt. v. 29.06.2023 - B 1 KR 20/22 R Rn. 16 - SozR 4-1500 § 65d Nr 1; BSG, Urt. v. 19.03.2020 - B 1 KR 20/19 R Rn. 11 m.w.N. - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18). Für Entbindungen gelte nichts anderes als für den Anspruch auf Vergütung von Krankenhausbehandlungen im Falle einer Krankheit: Bestehe ein gesetzlicher Leistungsanspruch für Versicherte, setze dieser den Vergütungsanspruch des für die Erbringung dieser Leistung zugelassenen und zur Leistungserbringung verpflichteten Leistungserbringers dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus. Zur Höhe des Anspruchs verweist der Senat auf die Mindestfallpauschale für eine eintägige stationäre Entbindung. Das sei systemgerecht, da der Leistungsinhalt einer ambulanten Entbindung im Krankenhaus dem stationären Pendant weitgehend angenähert sei, insbesondere bei Nutzung von Kreißsaal, Personal und technischer Infrastruktur (vgl. BSG, Urt. v. 20.02.2025 - B 1 KR 6/24 R Rn. 76 ff.).
- C.
Kontext der Entscheidung Die Entscheidung des 1. Senats des BSG setzt ein ebenso klares wie dogmatisch beachtliches Ausrufezeichen im bislang unübersichtlichen Grenzbereich zwischen ambulanter und stationärer Geburtshilfe im Krankenhaus. Sie überzeugt durch eine systematisch stringente Herleitung der Differenzierungskriterien, dem Herausstellen der Bedeutung der gesetzlichen Wahlfreiheit der Versicherten gemäß § 24f SGB V und durch die pragmatische Lösung des bestehenden Normdefizits in der Vergütungsordnung. Zunächst hat der Senat deutlich hervorgehoben, dass die Entscheidung für eine stationäre Entbindung keine medizinische Indikation voraussetzt, sondern allein vom Willen der Versicherten abhängt. Dieser Befund ist keineswegs selbstverständlich. In der krankenversicherungsrechtlichen Systematik herrscht gemeinhin das Primat des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V, dazu Heinz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 5. Aufl., § 12 SGB V, Stand: 01.04.2025, Rn. 14 ff.) und der medizinischen Erforderlichkeit (§ 27 SGB V). Die Entscheidung des BSG durchbricht diesen Grundsatz folgerichtig dort, wo das Gesetz – wie in § 24f SGB V – eine eigenständige Anspruchsgrundlage mit normativem Vorrang konstituiert, die gerade auf die Autonomie der Schwangeren abstellt. Damit wird § 24f SGB V nicht nur als leistungsrechtliche Anspruchsnorm, sondern auch als strukturbildendes Element des sozialrechtlichen Versorgungssystems gewürdigt. Besonders hervorzuheben ist die Begründung des gesetzlichen Vergütungsanspruchs aufgrund einer offensichtlichen strukturellen Lücke im Vergütungssystem: Das DRG-System, ursprünglich konzipiert für stationäre Krankenhausleistungen nach § 39 SGB V, kennt keine eigenständige Ziffer für ambulante Geburten. Auch das KHEntgG und die ergänzenden Entgeltvereinbarungen erfassen ambulante Entbindungen im Krankenhaus (bislang) nicht. Die Lösung des BSG – die analoge Anwendung der Mindestfallpauschale für eintägige stationäre Entbindungen – vermeidet den anderenfalls bestehenden Systembruch, schließt die Vergütungslücke interessengerecht und führt zu einer sachlich vertretbaren Angleichung der Vergütung bei vergleichbarem Ressourceneinsatz. Dass dabei ein gewisser Teil „nicht erbrachter“ stationärer Leistungen mitvergütet wird, nimmt das Gericht hin – zu Recht: Die Versorgung im Kreißsaal mit entsprechender Nachbeobachtung durch ärztliches und pflegerisches Personal unterscheidet sich im praktischen Aufwand nur marginal von einer komplikationslosen stationären Geburt. Dogmatisch bemerkenswert ist der Verzicht des Gerichts auf eine Konstruktion über § 115 SGB V (Ambulantes Operieren bzw. sektorenübergreifende Versorgung) oder eine extensive Anwendung der PrüfvV. Stattdessen hat der Senat auf eine systemimmanente Selbstverständlichkeit des Vergütungsanspruchs zurückgegriffen, wie sie in § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V und der ständigen Rechtsprechung zum Sachleistungsprinzip angelegt ist. Damit wird die Leistungserbringung im Krankenhaus nicht von einem untergesetzlichen Abrechnungsregime abhängig gemacht, das für diese Fallkonstellation schlicht nicht geschaffen wurde. Diese Klarstellung dürfte nicht nur für Geburtshilfefälle, sondern auch für andere ambulante Krankenhausleistungen ohne Normbezug richtungsweisend sein. Insgesamt handelt es sich um eine Entscheidung von erheblicher struktur- und praxisprägender Bedeutung. Sie bestärkt die subjektiven Auswahlrechte der Versicherten, bringt Abrechnungssicherheit für Leistungserbringer bei ambulanten Entbindungen und setzt zugleich Impulse für eine überfällige Reform der Abrechnungsmechanismen bei ambulanten Krankenhausleistungen. Ob der Gesetzgeber darauf reagieren wird – etwa durch Schaffung eines spezifischen Abrechnungsrahmens für ambulante Geburten im Krankenhaus – bleibt abzuwarten. Deutlich geworden ist jedenfalls: In der Geburtshilfe endet das Entweder-oder von „ambulant oder stationär“ nicht bei der medizinischen Indikation, sondern beginnt mit der rechtlichen Würdigung eines eigenständigen Versorgungsbereichs.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Krankenhäuser können sich nun darauf berufen, dass ihnen auch für ambulante Entbindungen ein gesetzlicher Vergütungsanspruch zusteht. Sie sind damit nicht auf Ländervereinbarungen oder freiwillige Regelungen angewiesen, sondern können eine Mindestvergütung geltend machen, solange keine anderweitige Vergütungsregelung existiert. Gleichzeitig wird die Wahlfreiheit der Versicherten effektiv abgesichert und Krankenhäuser für ambulante Entbindungen attraktiv(er). Wählen Schwangere bewusst eine ambulante Geburt im Krankenhaus und wird diese auch durchgeführt, entsteht ein angemessener Vergütungsanspruch auf der einen und eine maximale Risikoabsicherung im Falle von Komplikationen auf der anderen Seite. Das dürfte für die Versorgungsplanung von Geburtshilfeeinrichtungen von erheblicher Bedeutung sein. Vergütungstechnisch wird die Entscheidung auch für andere Leistungsbereiche Signalwirkung haben, in denen ebenfalls gesetzlich vorgesehene ambulante Krankenhausleistungen nicht ausdrücklich vergütet werden. Das Urteil macht deutlich, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Abrechnungsnorm nicht zu „Pro-bono-Behandlungen“ des Leistungserbringers Anlass gibt, da ein gesetzlicher Leistungsanspruch der Versicherten besteht und durch ein zugelassenes Krankenhaus erfüllt wird (vgl. Just/Schneider, Das Leistungsrecht der GKV, 2. Aufl. 2016, Rn. 862).
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