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Anmerkung zu:OLG Oldenburg (Oldenburg) 1. Strafsenat, Beschluss vom 25.03.2025 - 1 ORs 51/25
Autor:Prof. Dr. Marc Sieper
Erscheinungsdatum:30.05.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 1 SGB 2, Art 1 GG, Art 20 GG, § 60 SGB 1, § 12 SGB 2, § 263 StGB, § 13 StGB, § 9 SGB 2, § 817 BGB, § 134 BGB, § 11a SGB 2, § 45 SGB 10, § 7 SGB 4, § 8 SGB 4, § 7 SGB 2, § 29 BtMG 1981, § 73 StGB, § 11b SGB 2, § 11 SGB 2
Fundstelle:jurisPR-SozR 11/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Thomas Voelzke, Vizepräsident des BSG a.D.
Jutta Siefert, Ri'inBSG
Zitiervorschlag:Sieper, jurisPR-SozR 11/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Abzug von Aufwendungen für illegale Erwerbstätigkeit (hier: Drogenhandel) bei Ermittlung des anrechenbaren Einkommens im SGB II



Orientierungssatz

Bei der Berechnung des Einkommens aus einem Drogenhandel sind die gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Aufwendungen, die für den Erwerb, zur Sicherung und Erhaltung der Einnahmen bei nichtselbständiger Arbeit (Werbungskosten) bzw. bei selbständiger Arbeit (Betriebsausgaben) notwendig sind, in Abzug zu bringen.



A.
Problemstellung
Der 1. Strafsenat des OLG Oldenburg hat sich mit der Frage befasst, ob bei der Berechnung des Schadens eines Sozialleistungsbetruges wegen des Verschweigens von Einkünften aus Straftaten (hier: Drogenverkäufe) zugunsten der im Grundsicherungsrecht nach dem SGB II stehenden angeklagten Person Abzüge nach § 11b SGB II vorzunehmen sind und hat diese Frage jedenfalls für den nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II geregelten Abzug für die mit der Erzielung des Einkommens notwendigen Aufwendungen bejaht.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der zum Tatzeitpunkt im Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II stehende Angeklagte wurde vom AG Emden mit Urteil vom 15.04.2024 wegen (Sozialleistungs-)Betrug in zwei Fällen, davon einer als gewerbsmäßig handelnd und durch Unterlassen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten, die mit einer Einziehungsentscheidung verbunden wurde, verurteilt. Auf die im übrigen als unbegründet verworfene Berufung des Angeklagten änderte die kleine Strafkammer des LG Aurich mit Entscheidung vom 06.11.2024 (16 NBs 39/24) das angefochtene Urteil dahingehend, dass die Einziehungsentscheidung um einen weiteren Betrag ergänzt und der Schuldspruch lediglich auf Betrug in zwei Fällen lautete. Hiergegen erhob der Angeklagte mit Sach- und Verfahrensrüge Revision zum OLG Oldenburg.
Das OLG Oldenburg hat der Revision des Angeklagten aufgrund der Sachrüge jedenfalls vorläufigen Erfolg beschieden und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des LG Aurich zurückverwiesen.
Hintergrund der im Streit stehenden Verurteilungen war die Tatsache, dass der Angeklagte als im Grundsicherungsbezug nach dem SGB II stehend über die Bedürftigkeit als zwingende Leistungsvoraussetzung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II getäuscht hatte, weil er im für die Leistungsbewilligung maßgeblichen Zeitraum entgegen seinen Angaben doch über leistungsmindernde Einkünfte verfügte, und zwar aus illegalen Drogenverkäufen. Auf diese konnte der Angeklagte zur täglichen Bedarfsdeckung zurückgreifen, so dass diese Einnahmen grundsätzlich als Einkommen i.S.d. §§ 11 ff. SGB II zu berücksichtigten gewesen sind. Insoweit folgte das OLG Oldenburg der vorangehenden Entscheidung.
Allerdings monierte das Revisionsgericht, dass das LG Aurich bei der Berechnung des Schadens des (Sozialleistungs-)Betruges außer Acht gelassen habe, dass nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Aufwendungen, die für den Erwerb, zur Sicherung und Erhaltung der Einnahmen bei nichtselbstständiger Arbeit (Werbungskosten) bzw. bei selbstständiger Arbeit (Betriebsausgaben) in Abzug gebracht werden müssten. Hier sei unter Heranziehung steuerlicher Grundsätze (vgl. Schmidt/Lange in: Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 11b Rn. 22 f.) allein eine „wirtschaftliche und wertungsindifferente Betrachtungsweise“ anzustellen, so dass moralische Gesichtspunkte kein geeignetes Wertungskriterium darstellen, mit der Folge, dass auch strafbare Handlungen, die im Zusammenhang mit der Erzielung der Einnahmen stehen, Erwerbsaufwendungen begründen können. Das OLG Oldenburg hat in diesem Zusammenhang auf ein steuerrechtliches Urteil des FG Stuttgart vom 07.03.2007 (13 K 9/07) zu Depotgebühren im Zusammenhang mit der Hinterziehung von Kapitaleinkünften verwiesen.
Aus diesem Grund ist es nach Ansicht des OLG Oldenburg angezeigt gewesen, notfalls im Wege der Schätzung vorab festzustellen, wie hoch die Anwendungen gewesen seien, die der Angeklagte zuvor für den Einkauf der Drogen getätigt habe, zumal er ausdrücklich darauf hingewiesen habe, die Betäubungsmittel von zwei Dealern auf Kommission erworben zu haben. Es sei nicht zulässig gewesen, bei der Einkommensberechnung die tabellarisch aufgeführten Erlöse aus der (Weiter-)Veräußerung der Drogen ungekürzt als anrechenbare Einnahmen anzusetzen.
Wegen der Lückenhaftigkeit der Feststellungen könne nicht sicher ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte infolge der Berechnungen bezüglich des Schuldumfangs beschwert sei, so dass eine Neuberechnung geboten sei, wodurch sich nach Ansicht des Oberlandesgerichts möglicherweise die Höhe der zu Unrecht gezahlten Beträge ändere und der Betrag der Einziehungsentscheidung anzupassen sei. Vor diesem Hintergrund wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des LG Aurich zurückverwiesen.


C.
Kontext der Entscheidung
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes im System der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II (Bürgergeld) werden nach § 1 Abs. 1 SGB II geleistet, damit die leistungsberechtigte Person ein Leben führen kann, dass der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) entspricht, was wiederum auch Ausdruck der Sozialstaatlichkeit i.S.d. Art. 20 Abs. 1 GG ist. Eine Voraussetzung für die Gewährung derartiger Leistungen ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II die Bedürftigkeit, so dass nach § 9 Abs. 1 SGB II die leistungsbegehrende Person ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, namentlich aus zu berücksichtigendem Einkommen (§§ 11 ff. SGB II) und/oder Vermögen (§ 12 SGB II) sicherstellen kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von dritten Personen, insbesondere Angehörigen oder anderen Sozialleistungsträgern, erhält.
Um die Frage zu beantworten, ob diese Leistungsvoraussetzung vorliegt, muss sich die die Leistungen begehrende Person im Antragsverfahren nach § 60 SGB I insbesondere zu ihren Einkommensverhältnissen i.S.d. §§ 11 ff. SGB II erklären. Hier besteht eine umfassende Auskunftspflicht, die der Leistungsberechnung zugrunde gelegt wird. Werden folglich Einkünfte (ebenso wie nach Maßgabe des § 12 SGB II anzurechnendes Vermögen) verschwiegen, werden diese bei der Berechnung des Auszahlungsbetrags nicht berücksichtigt mit der Folge, dass zu Unrecht Leistungen ausgezahlt werden, auf die die betreffende Person keinen Anspruch bzw. nicht in der vollen Höhe des tatsächlichen Auszahlungsbetrages hat. Aus Sicht des Staates ist es folglich – und auch im Interesse der Allgemeinheit – legitim, das bewusste Verschweigen von Einkommen und Vermögen nach § 263 StGB als Sozialleistungsbetrug zu ahnden, wobei die Höhe des unrechtmäßig erlangten Betrages bei der Bestimmung des Strafmaßes Relevanz aufweist.
Bei der Frage, ob ein Sozialleistungsbetrug durch Unterlassen (§ 13 StGB) vorliegt, muss das Strafgericht folglich prüfen, dass auf die zu Unrecht erbrachten Sozialleistungen kein Anspruch bestand und wenn dies bejaht wird, in welchem Umfang (BGH, Beschl. v. 22.03.2016 - 3 StR 517/15; OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2021 - 5 RVs 25/21). Dies erfordert eine eingehende Prüfung der Einkommens- und Vermögenssituation der die Leistungen begehrenden Person. Als Einkommen gilt in diesem Zusammenhang nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II vor allem jede Einnahme in Geld, unabhängig von der Frage, von welcher Person diese Zuwendung vorgenommen wird, sofern diese nicht nach § 11a SGB II oder § 1 BürgergeldV als nicht anrechenbares Einkommen gewertet wird. Die in § 11b SGB II genannten Beträge sind sodann, ggf. nach § 6 Abs. 1 BürgergeldV pauschalisiert, in einem zweiten Schritt in Abzug zu bringen. Der sich insoweit ergebende Betrag wird dann mindernd auf den Bedarf angerechnet. Übersteigt das sog. bereinigte Einkommen den Bedarf, ist keine Bedürftigkeit i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II gegeben, so dass ein Leistungsanspruch zu versagen ist.
Das OLG Oldenburg hat im Rahmen des Strafverfahrens, dass gegen die im Leistungsbezug stehende Person im Strafverfahren wegen des Verdachts des Sozialleistungsbetruges eingeleitet worden ist eine Prüfung des Leistungsanspruchs vorgenommen und bei dieser Prüfung ebenso wie die Vorinstanzen zu Recht darauf abgestellt, dass bei der Bestimmung des Einkommens i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II vom Grundsatz her alle Vermögenszuflüsse, die der Angeklagte im strittigen Zeitraum erlangt hat, zu berücksichtigen sind. Dies umfasste auch diejenigen Einkünfte, die vom Angeklagten aufgrund einer strafbaren Handlung (hier: Drogenhandel, strafbar jedenfalls nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) erlangt wurden (so auch Klerks in: Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 4. Aufl. 2025, Kap. 20 Rn. 78; Schmidt/Lange in: Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 11 Rn. 18; Geiger in: LPK-SGB II, 8. Aufl. 2023, § 11 Rn. 15; LSG Hamburg, Urt. v. 27.05.2020 - L 4 AS 317/19; LSG Hamburg, Urt. v. 04.06.2019 - L 4 AS 203/16; LSG Halle, Urt. v. 27.11.2019 - L 4 AS 621/15; LSG Chemnitz, Urt. v. 08.11.2018 - L 7 AS 1086/14; m. Anm. Lange, jurisPR-SozR 2/2019 Anm. 1; SG Duisburg, Urt. v. 29.05.2020 - S 49 AS 3304/16). Der Einkommenszufluss muss auch endgültig zur Verfügung stehen, um eingesetzt werden zu können. Soweit es durch Straftaten erlangte Geldbeträge angeht, wird im Allgemeinen eine Berücksichtigung abgelehnt, wenn diese für die Täterin bzw. den Täter faktisch nicht verwertbar und somit wertlos sind, was dann der Fall sein kann, wenn dem Geldzufluss als Schadensersatz eine konkrete und gleichwertige Gegenforderung der durch die Straftat geschädigten Person gegenübersteht, die eine Rückzahlungspflicht begründet (so noch zum Arbeitslosenhilferecht: BSG, Urt. v. 06.04.2000 - B 11 AL 31/99 R; vgl. ferner Klerks in: Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 4. Aufl. 2025, Kap. 20 Rn. 78; Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 11 Rn. 61; Hegelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Erg.-Lfg. 8/19 (XII/19), § 11 Rn. 568, 230).
In dem vom OLG Oldenburg entschiedenen Fall mag letztlich aber dahingestellt bleiben, ob man die Erlöse aus den Drogenverkäufen als rechtswidrig und strafbar erlangte Mittel als von Anfang an mit dem Makel der Rückzahlungsverpflichtung als nicht zum verwertbaren Einkommen zählen möchte. Denn ein durchsetzbarer zivilrechtlicher Anspruch der (wahrscheinlich sogar namentlich nicht bekannten) Personen, die vom Angeklagten Betäubungsmittel erworben haben, besteht nicht (vgl. Hegelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Erg-Lfg. 8/19 (XII/19), § 11 Rn. 568, 231). Denn der Erwerb von Betäubungsmitteln ist ebenso wie der Handel mit ihnen nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG strafbar, so dass zivilrechtliche Kaufverträge wegen des Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz nach § 134 BGB nichtig sind (vgl. Weber in: Weber/Kleinprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl. 2021, § 29 Rn. 20), wobei dann auch die Nichtigkeit des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäftes auf das dingliche Geschäft „durchschlägt“, weil sich aus dem Schutzzweck des Verbotsgesetzes ergibt, dass gerade auch der Erfolg des Verfügungsgeschäftes verhindert werden soll (vgl. Windsberger, JuS 2020, 445, 447; BGH, Urt. v. 07.08.2003 - 3 StR 137/03; BGH, Beschl. v. 29.02.2000 - 1 StR 46/00; BGH, Urt. v. 04.11.1982 - 4 StR 451/82). Es scheiden dann folgerichtig nach § 817 Satz 2 BGB Bereicherungsansprüche der Erwerbenden bezogen auf die Kaufpreisforderung aus (Windsberger, JuS 2020, 445, 447; Weber in: Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl. 2021, § 29 Rn. 20; zur andererseits bestehenden Rückzahlungspflicht bei Scheinkäufen unter Beteiligung der Polizei: KG, Urt. v. 12.02.2015 - 27 U 112/14).
Zivilrechtliche Rückforderungsansprüche der Personen, welche die Drogen vom Angeklagten erworben hatten, bestanden somit weder unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes noch aus Bereicherungsrecht, so dass dem Angeklagten die aus den Drogengeschäften erzielten Einkünfte in voller Höhe und nicht rückforderungsbehaftet als bereite Mittel zur freien Verfügung standen. Ob eine auf § 73 StGB gestützte Einziehungsentscheidung bezogen auf die Erlöse aus den Drogenverkäufen in dem gegen den Angeklagten geführten Vorprozess wegen der Verstöße gegen das BtMG zu einem Wegfall der ansonsten bereiten Mittel führen kann, braucht an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden, da aus dem hier vorliegenden Urteil des Oberlandesgerichts nicht eindeutig ersichtlich ist, dass es im Vorverfahren eine entsprechende Einziehungsentscheidung gegeben hat. Allerdings unterliegt grundsätzlich der gesamte Verkaufserlös aus Drogengeschäften der Einziehung nach § 73 StGB (vgl. Eser/Schuster in: Tübinger Kommentar zum StGB, 31. Aufl. 2025, § 73 Rn. 10; Patzak/Bohnen, Betäubungsmittelrecht und Umgang mit Cannabis, 6. Aufl. 2025, Kap. 5 Rn. 81; BGH, Urt. v. 26.11.2008 - 5 StR 425/08; BGH, Urt. v. 10.06.1999 - 4 StR 135/99). Die Nichtigkeit der Übereignung des als Kaufpreis für die Drogen gezahlten Geldes nach § 134 BGB steht dem nicht entgegen (vgl. Patzak/Bohnen, Betäubungsmittelrecht und Umgang mit Cannabis, 6. Aufl. 2025, Kap. 5 Rn. 81). Ggf. wären diese Frage und ihre Auswirkungen auf den sozialrechtlichen Leistungsanspruch des Angeklagten nach dem SGB II aber noch zu klären.
Im Hinblick auf die Gesamterlöse aus den Verkäufen von Betäubungsmitteln stellte das OLG Oldenburg im Weiteren dann fest, dass ausgehend vom Einkommensbegriff des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II – und offenbar der Tatsache, dass ein grundsätzliche Ausschluss der Anrechenbarkeit nach § 11a SGB II bzw. § 1 BürgergeldV nicht vorliegt – hinsichtlich der Frage, über welchen Leistungsanspruch der Angeklagte tatsächlich verfügt hätte, nicht auf den Gesamtbetrag als anzurechnendes Einkommen abzustellen sei. So seien nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II diejenigen Beträge abzusetzen, die als notwendigen Ausgaben mit der Erzielung des Einkommens verbunden seien. Dies müsse notfalls geschätzt werden. Der Angeklagte habe die später veräußerten Drogen von anderen Personen erworben und hierfür offenkundig Beträge aufgewendet. In diesem Zusammenhang hat das OLG Oldenburg insbesondere darauf hingewiesen, dass seiner Ansicht nach moralische Gesichtspunkte kein geeignetes Wertungskriterium darstellen und hat Bezug auf die steuerrechtliche Rechtsprechung genommen (FG Stuttgart, Urt. v. 07.03.2007 - 13 K 9/07; ebenso BFH, Beschl. v. 20.07.1994 - I B 11/94; FG Hamburg, Beschl. v. 12.10.2011 - 3 V 117/11). Diese Einschätzung ist zugegebenermaßen befremdlich, zumal auch das „Beschaffungsgeschäft“ illegal gewesen ist, andererseits wiederum vor dem Hintergrund der Tatsache, dass aus strafbaren Handlungen erlangte Einkünfte in sozialrechtlicher Hinsicht grundsätzlich als bedarfsminderndes Einkommen eingesetzt werden müssen, auch folgerichtig, was dann auch konsequent im Rahmen eines Sozialverwaltungsverfahrens zu beachten wäre. Und hier würde es dann keinen Unterschied machen, ob es sich um ein Verfahren handelt, welches auf Aufhebung der leistungsrechtlichen Bewilligungsentscheidung nach § 45 SGB X gerichtet ist oder um ein Antragsverfahren auf Bewilligung von Grundsicherungsleistungen, bei dem die Einkünfte aus den strafbaren Handlungen und die entsprechenden Aufwendungen offenbart werden. Vor diesem Hintergrund scheint die Entscheidung des OLG Oldenburg noch nicht ganz bis zum Ende gedacht.
Denn würde man der Auffassung des Oberlandesgerichts weiter folgen, würde dies dazu führen, dass im Rahmen der nach § 11b SGB II gebotenen Einkommensbereinigung nicht nur die umgangssprachlich als „Werbungskosten“ bezeichneten Aufwendungen i.S.d § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II in Abzug gebracht werden müssten, sondern dass darüber hinaus in § 11b SGB II weitere mögliche Abzugspositionen im Raum stehen, die zum Teil nach § 6 BürgergeldV pauschalisiert werden.
Da es sich im vorliegenden Fall eindeutig um illegale Einkünfte handelt, welche die Leistungen begehrende Person regelmäßig nicht gegenüber den Finanzbehörden offenlegen dürfte, würden Steuern als Abzugspositionen nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II regelmäßig ausscheiden. Ähnliches gilt für Sozialversicherungsabgaben i.S.d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, zumal die Erwerbstätigkeit offenkundig nicht im Rahmen eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV erfolgt ist. Demgegenüber möglich wären Abzüge für gesetzlich vorgeschriebene oder jedenfalls angemessene öffentliche oder private Versicherungen nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, die bei volljährigen Personen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BürgergeldV mit einem monatlichen Betrag i.H.v. 30 Euro pauschalisiert werden können, ebenso wie Absetzbeträge nach § 11b Abs. 1 Nr. 4 SGB II für Beiträge zu einer geförderten Altersvorsorge. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch die Regelungen in § 11b Abs. 2 SGB II über den ggf. anstelle der Abzüge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II zu gewährenden Grundfreibetrag, der bei einem Erwerbseinkommen von bis zu 400 Euro monatlich pauschal einen Betrag in Höhe 100 Euro beträgt. In den Fällen des seit dem 01.07.2023 geltenden § 11b Abs. 2b SGB II würde sich dieser sogar bis auf den in § 8 Abs. 1a SGB IV genannten Betrag (seit dem 01.01.2025: 556 Euro) erhöhen. Auch mögliche Abzüge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 und 8 SGB II wären dann zu prüfen und ggf. entsprechend vom anzurechnenden Einkommen abzusetzen.
Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB II ist bei erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen, die auch erwerbstätig sind, zusätzlich der in § 11b Abs. 3 SGB II geregelte sog. Erwerbstätigenfreibetrag vom anzurechnenden Einkommen in Abzug zu bringen. Ebenso wie bei der Erwerbstätigen zustehenden Pauschalisierungsmöglichkeit der in § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II genannten Abzüge gemäß § 11b Abs. 2 und Abs. 2b SGB II soll nach der Gesetzesbegründung der Erwerbstätigenfreibetrag in § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II der Grundsicherungsleistungen beziehenden Person einen Anreiz bieten, auch eine nicht bedarfsdeckende Beschäftigung aufzunehmen oder beizubehalten, und dem Umstand Rechnung tragen, dass Erwerbstätige mehr Geld zur Verfügung haben sollen als Leistungsberechtigte, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 59; BT-Drs. 20/3873, S. 77; Hegelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Erg.-Lfg. 9/24 (XII/24), § 11b Rn. 88, 350, 431b; Schmidt/Lange in: Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 11b Rn. 33, 42; Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 11b Rn. 29, 77, 85; Geiger in: LPK-SGB II, 8. Aufl. 2023, § 11b Rn. 66). Der Erwerbstätigenfreibetrag ist nicht zur Abgeltung von Aufwendungen oder Bedarfen gedacht, sondern soll der leistungsberechtigten Person vollständig als Reinerlös erhalten bleiben (vgl. Schmidt/Lange in: Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 11b Rn. 42). Im Zuge der Einführung des Bürgergeldes wird dieser Erwerbstätigenfreibetrag seit dem 01.07.2023 in drei Stufen berechnet, so dass zudem der Anreiz einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit im Vergleich zu einer geringfügigen Tätigkeit i.S.d. § 8 SGB IV („Minijob-Grenze“ 2023: 520 Euro) verstärkt wurde (vgl. BT-Drs. 20/3873, S. 77; Hegelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Erg.-Lfg. 9/24 (XII/24), § 11b Rn. 91; Herbe/Palsherm, Das neue Bürgergeld, 1. Aufl. 2023, Rn. 104; kritisch hierzu: Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 11b Rn. 86; Groth/Güssow, NJW 2023, 184, 185). So ist von dem Einkommen, das 100 Euro übersteigt, bis zum Betrag von 520 Euro ein Betrag von 20%, von dem weiteren Betrag, der 520 Euro übersteigt, bis zum Betrag von 1.000 Euro ein weiterer Betrag von 30% und von dem Betrag, der 1.000 Euro übersteigt, bis zur Höhe von 1.200 Euro ein Betrag von 10% in Abzug zu bringen. Die sog. „Minijob“-Grenze hat sich infolge der seit dem 01.10.2022 nach § 8 Abs. 1a SGB IV geltenden Bindung an den Mindestlohn zwar zwischenzeitlich erhöht; die Gesetzgebung hat aber bislang davon Abstand genommen, die Regelung des § 11b Abs. 3 SGB II ebenfalls anzupassen. Für Leistungsberechtigte, die ein minderjähriges Kind haben oder mit einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) leben, erhöht sich der Betrag in der dritten Stufe nach § 11b Abs. 3 Satz 3 SGB II von bis zu 1.200 Euro auf bis zu 1.500 Euro. Somit ist als Erwerbstätigenfreibetrag maximal ein Betrag in 248 Euro bzw. 278 Euro in Abzug zu bringen, welcher der leistungsberechtigten erwerbsfähigen Person zur freien Verfügung verbleibt.
Und hier liegt das Problem, welches bei der nach Zurückverweisung an eine andere kleine Strafkammer neu zu ergehenden Entscheidung zu beachten ist. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Handeltreiben mit Betäubungsmittel mit guten Gründen als von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG strafbar ist, stellt sich hier die berechtigte Frage, ob im vorliegenden Fall dem Angeklagten die in § 11b Abs. 2 SGB II vorgesehene Pauschalisierungsmöglichkeit eröffnet sowie der nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II geregelte Erwerbstätigenfreibetrag im Rahmen einer Einkommensbereinigung nach § 11b SGB II zugesprochen werden kann, da der Erwerbstätigenfreibetrag schließlich ausweislich der Gesetzesbegründung als Anreiz und letztlich auch als Honorierung einer Erwerbstätigkeit gedacht ist, diese hier aber verboten und sogar strafbar gewesen ist. Dies wird man verneinen müssen, da es hier offenkundig die Einheit der Rechtsordnung gefährdet. Nach dem aus dem Verfassungsrecht erwachsenden Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung wird verlangt, dass die Summe der Rechtsnormen insgesamt ein System bildet, welches sich in sich nicht widerspricht (so: Wolff in: Stern/Sodan/Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Staatenverbund, 2. Aufl. 2022, § 15 Rn. 251 m.w.N.). Wenn man dann bei Beurteilung dieses Grundsatzes im materiellen Sinne an der Schnittstelle von Sozialrecht zu Strafrecht davon ausgehen muss, dass das, was arbeits- oder sozialrechtlich erlaubt ist, nicht strafrechtlich verboten sein kann (so: Helm in: Parigger/Helm/Stevens-Bartol, Arbeits- und Sozialstrafrecht, 1. Aufl. 2021, Einl. Rn. 3), muss dies auch im umgekehrten Sinne gelten. Es wäre seitens der Rechtsordnung inkonsequent, einerseits derartige Erwerbstätigkeiten mit den scharfen Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen, wenn man andererseits in Bezug auf Sozialleistungen gleichwohl entsprechende Anreize hierzu setzt. Der Staat darf keine solchen Anreize setzen bzw. derartige illegalen Tätigkeiten anderweitig honorieren, insbesondere durch Zubilligung eines pauschalen Grundfreibetrages nach § 11b Abs. 2 und Abs. 2b SGB II und eines zur freien Verfügung verbleibenden Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II.
Die Entscheidung des OLG Oldenburg befasst sich nur mit dem Abzug nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II und verhält sich nicht zu der Problematik der beiden Freibeträge nach § 11b Abs. 2 bzw. 2b SGB II sowie nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II. Es bleibt offen, ob dies bewusst so geschehen ist, was dann aber im Beschluss hätte Erwähnung finden sollen.
Bei der neuerlichen Entscheidung durch die kleine Strafkammer müssen alle denkbaren Abzüge nach § 11b SGB II kritisch hinterfragt werden, ob hier nicht ein Verstoß gegen den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung vorliegen würde. Die Erwerbstätigkeit des Angeklagten bleibt illegal und strafbar, er darf hierdurch keine Vorteile ziehen. Denn werden Abzüge vorgenommen, mindert sich im Strafverfahren über den Sozialleistungsbetrug nicht nur der Schuldumfang und möglicherweise das Strafmaß, sondern in jedem Fall die Höhe der der Einziehung nach § 73 StGB unterliegenden Beträge.
Sofern man überhaupt eine Einkommensbereinigung nach § 11b SGB II vornehmen möchte, wäre es wohl eher angezeigt, die aus den Drogenverkäufen erzielten Einkünfte nicht als (legale) Erwerbstätigkeit einzustufen, wodurch dem Angeklagten jedenfalls die beiden Freibeträge nach § 11b Abs. 2 bzw. 2b SGB II (pauschaler Grundfreibetrag) sowie nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II (Erwerbstätigenfreibetrag) zu versagen wären. Dies wäre vielleicht gerade noch vertretbar. Dem stünde die Tatsache, dass illegal erzielte Einkünfte im Grundsicherungsrecht andererseits bedarfsmindernd als Einkommen i.S.d. § 11 SGB II zu berücksichtigen sind, nicht entgegen, weil die hier strittigen Einkünfte ausschließlich Wunsch und Willen der straffälligen Person und keinem staatlichen Anreiz folgt. Hier kommt es ausschließlich auf die die Hilfebedürftigkeit beseitigende Bedarfsdeckung an, die dem Grundsatz der Nachrangigkeit staatlicher Grundsicherungsleistungen entspricht.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Derselbe Sachverhalt kann rechtlich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, dies muss bei einer gerichtlichen Entscheidung bedacht werden. Die Rechtsanwendenden müssen sich dann aller Rechtsgebiete, wie hier des Strafrechts und des Sozialrechts bedienen. Hierbei gilt es die Einheit der Rechtsordnung nicht aus den Augen zu verlieren, so dass rechtlich widersprüchliche und nicht hinnehmbare Entscheidungen vermieden werden. Die anzuwendenden Regelungen sind dann auch im Hinblick auf Ihren Normzweck anzuwenden, was wie im vorliegenden Fall dazu führen muss, dass auch aus sozialrechtlicher Sicht kein Vorteil aus Straftaten gezogen werden darf.



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