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Anmerkung zu:LSG Essen 10. Senat, Urteil vom 11.06.2025 - L 10 KR 353/24 KH
Autor:Ulrich Knispel, Vors. RiLSG a.D.
Erscheinungsdatum:21.08.2025
Quelle:juris Logo
Norm:§ 39 SGB 5
Fundstelle:jurisPR-SozR 17/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Thomas Voelzke, Vizepräsident des BSG a.D.
Jutta Siefert, Ri'inBSG
Zitiervorschlag:Knispel, jurisPR-SozR 17/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine konkludente Aufnahme in ein Krankenhaus bei Versterben des Patienten nach kurzzeitiger Notfallbehandlung im Schockraum



Orientierungssatz zur Anmerkung

Der für die Annahme einer konkludenten stationären Aufnahme in das Krankenhaus erforderliche intensive Einsatz der besonderen Mittel des Krankenhauses liegt nicht vor, wenn vor dem Versterben des Patienten im Schockraum des Krankenhauses eine 23-minütige Fortsetzung der Reanimation erfolgt und neben der Gabe von Adrenalin nur zwei Blutgasanalysen und ein EKG durchgeführt werden.



A.
Problemstellung
Eine vollstationäre Behandlung i.S.d. § 39 Abs. 1 SGB V setzt voraus, dass der Patient in das Krankenhaus aufgenommen worden ist, was im Regelfall eine (zumindest geplante) Behandlung über mindestens einen Tag und eine Nacht voraussetzt. Das BSG hat bekanntlich zunächst angenommen, an dieser Aufnahme fehle es, wenn der Patient nach Untersuchung in der Notaufnahme des Krankenhauses in ein anderes Krankenhaus verlegt werde, auch wenn erste Behandlungsmaßnahmen erfolgt und diese in einer für Notfallbehandlungen besonders ausgestatteten Aufnahmeeinheit (Schockraum) durchgeführt worden sind (BSG, Urt. v. 18.05.2021 - B 1 KR 11/20 R). Diese Rechtsprechung hat es kurz danach wieder aufgegeben; es meint nun, eine konkludente Aufnahme liege auch dann vor, wenn schon bei Aufnahmeuntersuchung und Erstbehandlung die besonderen Mittel eines Krankenhauses eingesetzt würden und ein besonders hoher Ressourcenverbrauch erfolge, was „im Regelfall“ bei Maßnahmen in einem Schockraum oder einer Schlaganfalleinheit (Stroke Unit) der Fall sein soll (BSG, Urt. v. 29.08.2023 - B 1 KR 15/22 R).
Gilt das auch, wenn der Patient schon kurz nach Eintreffen im Krankenhaus und Durchführung einiger Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen stirbt?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Ein bei der beklagten Krankenkasse Versicherter wurde kurze Zeit, nachdem er beim Golfspielen thorakale Schmerzen beklagt und sich in sein Auto gesetzt hatte, leblos auf dem Parkplatz aufgefunden. Um 12.50 Uhr begann der hinzugerufene Notarzt mit Reanimationsmaßnahmen und alarmierte um 12.58 Uhr das von der Klägerin betriebene Krankenhaus. Dort wurde ab 13.22 Uhr in der Zentralen Notaufnahme (ZNA), zugleich Schockraum, die kardiopulmonale Reanimation (CRP) fortgesetzt. Neben der Gabe von Adrenalin wurden zwei Blutgasanalysen durchgeführt. Eine Elektrokardiographie (EKG) zeigte eine elektromechanische Entkopplung und einen Herzstillstand. Die behandelnden Ärzte beschlossen, die CRP abzubrechen. Der Versicherte verstarb um 13.45 Uhr; die Todesbescheinigung wurde von der ZNA ausgestellt.
Die Klägerin rechnete gegenüber der Beklagten eine stationäre Behandlung mit einer Fallpauschale ab. Die Klägerin wandte ein, eine Eingliederung in den Stationsablauf könne nicht erfolgt sein, da der Versicherte mit Herzstillstand vor stationärer Aufnahme lediglich 24 Minuten im Krankenhaus gewesen sei. Es werde um Abrechnung als vorstationäre Behandlung gebeten.
Zur Begründung der Klage trug die Klägerin vor, entscheidend sei nicht die tatsächliche Dauer der Behandlung, sondern ob eine Behandlung zeitlich über mindestens einen Tag und eine Nacht vorgesehen bzw. geplant gewesen sei. Aus der Aufnahmeanzeige gehe hervor, dass die Weiterbehandlung des Versicherten in der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Diabetologie mit einer voraussichtlichen Behandlungsdauer von fünf Tagen vorgesehen gewesen sei. Die Aufnahmeentscheidung sei in dem Ambulanzbrief bereits nach außen durch Einweisung auf eine bestimmte Station, nämlich die Kardiologie, dokumentiert. Dass der Versicherte vor der Verlegung gestorben sei, könne nicht die Annahme einer ambulanten Behandlung begründen. Es sei eine Notfallbehandlung im Schockraum erfolgt. Dieser sei apparativ und personell speziell für eine intensivmedizinische Erstversorgung ausgestattet, weshalb die Infrastruktur des Krankenhauses in Anspruch genommen worden und der Versicherte in physischer und organisatorischer Hinsicht in den Krankenhausbetrieb eingegliedert gewesen sei. Eine Abrechnung als vorstationäre Behandlung sei ausgeschlossen, da diese der Abklärung der Notwendigkeit einer stationären Behandlung diene, während hier die Erforderlichkeit stationärer Behandlung bereits bei Eintreffen festgestanden habe. Nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse könne ein Herzkreislaufstillstand nach erfolgreicher Reanimation ausschließlich vollstationär versorgt werden, da eine intensivmedizinische Versorgung notwendig werde. Die Aufnahmeentscheidung werde in einer solchen Konstellation ex ante und konkludent im Zeitpunkt der Aufnahme des Patienten getroffen. Ein umfangreicher Behandlungsplan habe aufgrund des Zeitdrucks bei konkret lebensbedrohlicher Situation nicht erstellt werden können. In akuten Notfallsituation werde der Behandlungsplan durch ein standardisiertes Verfahren (Standard Operation Procedures = SOP) ersetzt.
Das Sozialgericht wies die Klage ab. Bei der Behandlung des Versicherten habe es sich nicht um eine stationäre Krankenhausbehandlung, sondern eine ambulante Notfallbehandlung gehandelt, die der vertragsärztlichen Versorgung zuzurechnen sei und für die nur ein Vergütungsanspruch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung bestehe. Nach der Rechtsprechung des BSG führe auch eine Behandlung im Schockraum für sich betrachtet nicht zu einer stationären Aufnahme, vielmehr komme es entscheidend auf die Intensität der Inanspruchnahme krankenhausspezifischer personeller und sächlicher Ressourcen an. Je kürzer der tatsächliche Aufenthalt im Krankenhaus sei, umso mehr müsse sich der Einsatz der krankenhausspezifischen Mittel verdichten. Ein erforderlicher hoher Mitteleinsatz sei aber nicht dokumentiert; ebenso wenig eine Aufnahmeentscheidung. Der Schockraum sei auch nicht exklusiv für den Versicherten freigehalten worden.
Die Klägerin wiederholte und vertiefte ihr Vorbringen im Berufungsverfahren. Ausreichend für die Qualifikation als stationäre Krankenhausbehandlung sei die exklusive Vorhaltung personeller und sächlicher Mittel für einen Patienten, so dass diese zumindest für eine gewisse Zeit anderen Patienten nicht zur Verfügung stehen. Dies sei auch bei Vorhaltung eines Schockraums nach Eingang des Notfalles der Fall. Nach Meldung der Einlieferung des Patienten habe sie nach Maßgabe des SOP einen Schockraum vorbereitet und ab diesem Zeitpunkt ein spezialisiertes Team aus mindestens vier Personen (Anästhesist, Pflegerin Anästhesie, ZNA-Arzt und ZNA-Pflege) exklusiv für die Reanimation des Patienten bereitgestellt.
Das LSG Essen hat die Berufung zurückgewiesen.
Das Krankenhaus habe mit dem Reanimationsversuch an dem Versicherten in der ZNA keine vollstationäre Behandlung erbracht, sondern eine ambulante Notfallbehandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt. Eine vollstationäre Behandlung setze die Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus voraus. Die Aufnahmeentscheidung des Krankenhausarztes auf der Basis eines entsprechenden Behandlungsplans werde nach außen regelmäßig durch die Einweisung auf eine bestimmte Station, die Zuweisung eines Bettes oder das Erstellen entsprechender Aufnahmeunterlagen und Ähnliches dokumentiert, wobei die Aufnahmeentscheidung weder ausdrücklich erklärt noch förmlich festgehalten werden müsse. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG könne auch bei einer nur kurzzeitigen Notfallbehandlung im erstangegangenen Krankenhaus und nachfolgender zeitnaher Verlegung in ein anderes Krankenhaus eine konkludente Aufnahme angenommen werden, wenn der Einsatz der krankenhausspezifischen personellen und sächlichen Ressourcen im erstangegangenen Krankenhaus eine hohe Intensität aufweise. Zudem könne auch die Bereitstellung einer Hintergrundabsicherung durch die besonderen Mittel eines Krankenhauses eine konkludente stationäre Aufnahme darstellen, auch wenn die freigehaltenen Ressourcen tatsächlich nicht zum Einsatz gekommen seien, jedoch prognostisch der personelle und sächliche Mitteleinsatz erforderlich gewesen wäre.
Nach diesen Grundsätzen habe keine stationäre Behandlung stattgefunden. Eine Aufnahmeentscheidung könne hier nicht festgestellt werden. Alle Behandlungsmaßnahmen seien durch die ZNA veranlasst worden. Ein Behandlungsplan, die Einweisung auf eine bestimmte Station und die Zuweisung eines Bettes seien nicht dokumentiert. Die vorbereiteten Aufnahmeunterlagen seien nicht von medizinischem Personal unterschrieben; ohnehin seien sie nicht geeignet, eine Aufnahmeentscheidung zu belegen, da der Zeitpunkt der Erstellung offen sei. In einem Ambulanzbrief vom 16.07.2020 sei auch nur von einer ambulanten Behandlung die Rede.
Es fehle auch an dem tatsächlichen Einsatz der krankenhausspezifischen personellen und sächlichen Ressourcen von hoher Intensität. Die Reanimationsmaßnahmen seien bereits auf dem Parkplatz des Golfplatzes begonnen worden, nach Übergabe des Versicherten um 13:22 Uhr sei lediglich eine noch 23-minütige Fortführung der Reanimation des bereits mit peripherem Gefäßzugang und korrekt liegendem Endotrachealtubus versorgten Versicherten bei bereits laufender mechanischer Kardiokompression und mechanischer Ventilation durch die Ärzte des Krankenhauses der Kl. in Form von Adrenalingabe und Durchführung zweier Blutgasanalysen sowie des EKG erfolgt. Die Versorgung sei durch das alarmierte „Notfallteam“ unter Leitung eines Facharztes für Chirurgie mit der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin vorgenommen worden. Ein Einsatz der personellen und sächlichen Ressourcen von hoher Intensität liege damit nicht vor, schon gar nicht seien die Mittel eines Schockraums in erheblichem Umfang genutzt worden.
Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass entsprechend der Behauptung der Klägerin räumliche und personelle Ressourcen für eine intensivmedizinische Behandlung ausschließlich für den Versicherten freigehalten worden seien. Es stehe nur fest, dass das um 12.58 Uhr alarmierte Team für die Notfallbehandlung zur Verfügung gestanden habe. Es fehlten aber Hinweise auf die konkrete Zuweisung einer Station oder einer Behandlungsplanung in Form von Dienst- oder Raumbelegungsplänen im Hinblick auf die konkrete Versorgung des Versicherten. Zudem sei die vom BSG geforderte Prognose, dass der für eine Intensivbehandlung notwendige, verdichtete personelle und sächliche Mitteleinsatz sicher zum Einsatz kommen werde, bei Eintreffen gar nicht möglich gewesen, denn im Vordergrund habe die Notfallbehandlung in Form der Reanimation gestanden, deren Ergebnis nicht absehbar gewesen sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Zum besseren Verständnis sei kurz die Rechtsprechung des BSG skizziert: Eine vollstationäre Behandlung setzt die Aufnahme in das Krankenhaus, also die „physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses“ (so BT-Drs. 12/3608, S. 82), voraus. Da dessen Versorgungssystem auf die Versorgung von Patienten im Rahmen einer längeren Behandlung ausgerichtet ist, wird es dann in Anspruch genommen, wenn die Behandlung sich mindestens über einen Tag und eine Nacht erstreckt. Der Aufnahmeentscheidung des Krankenhausarztes muss also ein Behandlungsplan für eine solche Behandlungsdauer zugrunde liegen. Wenn der tatsächliche Aufenthalt kürzer als die „Mindestdauer“ ist und die geplante Aufenthaltsdauer unterschreitet, kommt es darauf an, ob objektiv nach den zum Aufnahmezeitpunkt bekannten Umständen von einem längeren Aufenthalt ausgegangen werden durfte. Die Aufnahmeentscheidung muss sich nach außen hin dokumentieren wie etwa durch Einweisung in eine Station mit Zuweisung eines Bettes, die Erstellung einer entsprechenden Aufnahmedokumentation, in Notfällen ggf. auch durch die sofortige Verbringung in einen OP zur Durchführung eines Eingriffs oder in die Intensivstation (vgl. nur BSG, Urt. v. 04.03.2004 - B 3 KR 4/03 R; BSG, Urt. v. 19.09.2013 - B 3 KR 34/12 R).
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das BSG zunächst im „Schockraum-Urteil“ (BSG, Urt. v. 18.05.2021- B 1 KR 11/20 R), in dem eine Patientin, bei der nach Einlieferung durch den Rettungsdienst eine Einblutung in das Gehirn festgestellt worden war und die bis zu ihrer Verbringung in eine andere Klinik zur OP im Schockraum des angegangenen Krankenhauses zur Überwachung und künstlichen Beatmung verblieb, eine Aufnahme verneint, da auch ein Schockraum Teil der Notfallaufnahme sei und daher eine Behandlung dort Teil der der Aufnahme vorgeschalteten Notfallbehandlung. Es hatte ausdrücklich betont, auch das Vorliegen einer u.U. lebensbedrohlichen Indikation und der Einsatz einzelner Geräte aus dem Bereich der Intensivmedizin gäben einer Behandlung im Schockraum nicht bereits das Gepräge einer intensivmedizinischen Behandlung mit der Folge einer vollstationären Eingliederung.
Diese „enge Auslegung des § 39 SGB V“ hat das BSG kurz danach im „Stroke Unit-Urteil“ (BSG, Urt. v. 29.08.2023 - B 1 KR 15/22 R) wieder aufgegeben und will nun eine konkludente Aufnahme auch bei nur kurzzeitiger Notfallbehandlung im erstangegangenen Krankhaus und zeitnaher Verlegung in ein anderes Krankenhaus annehmen. Erforderlich ist aber, dass der Einsatz der krankenhausspezifischen personellen und sächlichen Ressourcen im erstangegangenen Krankenhaus eine hohe Intensität aufweist. Diese hohe Intensität kann sich auch aus dem Einsatz personeller und sächlicher Ressourcen zur Durchführung in ihrem engen zeitlichen und örtlichen Verbund nur stationär verfügbarer diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen ergeben. Das soll bei einer Notfallbehandlung im Schockraum oder einer zertifizierten Schlaganfallstation im Regelfall gegeben sein, wobei allerdings das BSG gleichzeitig betont, der Ort der Behandlung beinhalte nicht zwingend die konkludente Aufnahmeentscheidung. Zudem müssen die vorhandenen personellen und sächlichen Mittel nicht auch tatsächlich zum Einsatz kommen; es soll sogar ausreichen, dass ihr Einsatz geplant war, wenn dieser Behandlungsplan realisierbar war.
Weiterentwickelt hat das BSG diese Rechtsprechung in einem Urteil vom 20.03.2024 (B 1 KR 37/22 R). Danach liegt die Inanspruchnahme der besonderen Mittel eines Krankenhauses auch dann vor, wenn diese während einer (ambulanten) Behandlung wegen des Risikos schwerwiegender Komplikationen exklusiv für den Versicherten freigehalten werden; unerheblich ist, ob sie tatsächlich zum Einsatz kommen. Dies betraf die Behandlung einer schwangeren Versicherten (äußere Wendung bei Beckenendlage des ungeborenen Kindes), bei der eine Sectiobereitschaft dergestalt vorgehalten worden war, dass sowohl in räumlicher als auch in personeller Hinsicht (Operationssaal, Gynäkologe, Anästhesist, nichtärztliches Personal) die entsprechenden Kapazitäten für die Versicherte geblockt gewesen waren. Diese Hintergrundabsicherung soll aber nur die konkludente stationäre Aufnahme begründen, nicht jedoch bereits eine vollstationäre Aufnahme. In Abgrenzung zu einer teilstationären Behandlung ist hierfür entscheidend die zeitliche Behandlungsprognose zum Zeitpunkt der Aufnahmeentscheidung, wobei diese von dem komplikationslosen Verlauf auszugehen hat.
Es war nach der Änderung der Rechtsprechung des BSG absehbar, dass nun die Krankenhäuser in allen möglichen Konstellationen bei Versorgung von Notfallpatienten, die nicht auf einer Station des Krankenhauses weiterbehandelt worden sind, eine „konkludente Aufnahme“ geltend machen und die Instanzrechtsprechung vor die Aufgabe gestellt ist, zu bestimmen, ob tatsächlich der für eine solche konkludente Aufnahmeentscheidung geforderte intensive Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln vorgelegen hat. Besonders problematisch dürften die Fälle sein, in denen die Patienten bereits kurze Zeit nach Eintreffen im Krankenhaus verstorben sind.
Eine „förmliche“ Aufnahmeentscheidung durch Zuweisung eines Bettes in einer Station oder Erstellung einer Aufnahmedokumentation wird bei einer Notfallbehandlung, die tatsächlich nicht in die Weiterbehandlung im angegangenen Krankenhaus einmündet, kaum einmal vorliegen. Bei Einlieferung eines (weiter) zu reanimierenden Patienten steht zunächst der erfolgreiche Abschluss der Reanimation im Vordergrund, bevor ernsthaft die weitere Behandlung ingrage steht. Dass in einem Fall wie dem vorliegenden das SOP des Krankenhauses bei erfolgreicher Reanimation generell die Fortführung der Behandlung auf der Intensivstation vorsehen, bedeutet noch nicht die Zuweisung auf diese Station im individuellen Fall. Bemerkenswert ist, dass hier wohl die Klägerin schon Aufnahmeunterlagen vorgelegt hatte. Diesen hat das LSG Essen zu Recht keine Bedeutung zugemessen. Weder stand der Zeitpunkt der Erstellung fest noch waren sie von ärztlichem Personal unterschrieben, was die Vermutung nahelegt, dass sie erst nachträglich erstellt worden sind. Es ist jedenfalls sehr unwahrscheinlich, dass in den 23 Minuten, in denen sich der Versicherte bis zum Tod in der Notaufnahme befand, schon während der laufenden Reanimationsmaßnahmen eine Aufnahmedokumentation erstellt worden sein soll. Zudem war nach den Feststellungen des Landessozialgerichts in einem Ambulanzbrief auch von einer ambulanten Behandlung die Rede, d.h. die in der Notfallaufnahme tätigen Ärzte sind selbst nicht von einer Aufnahme im Krankenhaus ausgegangen. Offenbar sollte man gegenüber Krankenhausunterlagen, die trotz nur kurzzeitiger Behandlung im Krankenhaus eine geplante längere Behandlung belegen sollen, sehr kritisch sein (vgl. LSG Berlin-Potsdam, Urt. v. 20.03.2025 - L 9 KR 42/23 Rn. 47, wonach im Entlassungsbericht, der von einem anderen Arzt unterschrieben worden war, ein – wohl über die tatsächliche Behandlungsdauer hinausgehender – Behandlungsplan genannt wurde, der in wesentlichen Punkten nicht mit dem vom erstbehandelnden Arzt handschriftlich dokumentierten Behandlungsplan übereinstimmte).
Die Bestimmung, wann ein eine konkludente Aufnahme rechtfertigender intensiver Einsatz sächlicher und personeller Mittel des Krankenhauses vorliegt, wirft schon deshalb Probleme auf, weil das BSG in der „Stroke Unit-Entscheidung“ (BSG, Urt. v. 29.08.2023 - B 1 KR 15/22 R) einerseits betont, der Ort der durchgeführten Behandlung begründe nicht bereits die konkludente Aufnahmeentscheidung (Rn. 22), andererseits aber hervorhebt, die hohe Intensität könne sich auch aus dem Einsatz verschiedener und in ihrem engen zeitlichen und örtlichen Verbund nur stationär verfügbarer diagnostischer Maßnahmen ergeben und dass die hierfür erforderlichen personellen und sächlichen Ressourcen nur im stationären Bereich vorhanden seien (Rn. 21, 23). Diesen Verbund sieht es in einem Schockraum und einer Schlaganfalleinheit gewährleistet, so dass bei einer Notfallbehandlung dort „im Regelfall“ eine konkludente stationäre Aufnahme vorliegen soll. Maßgebend soll aber immer die Intensität des Einsatzes der krankenhausspezifischen Mittel sein. Dazu hat es im letztgenannten Urteil vom 20.03.2024 (B 1 KR 37/22 R) die „Faustformel“ formuliert, je intensiver die diagnostische und therapeutische Behandlung des Versicherten den Einsatz sächlicher und personeller Mittel des Krankenhauses erfordere, desto weniger hohe Anforderungen seien für eine vollstationäre Versorgung an die Dauer des Aufenthalts im Krankenhaus zu stellen. Freilich dürfte bei einem relativ kurzen Aufenthalt schon aus Zeitgründen kaum ein so intensiver Ressourceneinsatz möglich sei. Man kann aber aus der Aussage den Schluss ziehen, dass (wie im vorliegenden Fall) bei einem kurzen Aufenthalt und nur geringem Mitteleinsatz keine konkludente Aufnahme gegeben ist. Eine weitere Unsicherheit ergibt sich daraus, dass zwar das BSG davon spricht, die Mittel der spezialisierten Einheit müssten in erheblichen Umfang tatsächlich benötigt und auch genutzt werden (Rn. 21, 23), gleichzeitig aber auch ein nur geplanter Mitteleinsatz für die konkludente Aufnahme ausreichen soll, sofern dieser Behandlungsplan Verwirklichungschancen hatte (vgl. insb. Rn. 26).
Das LSG Essen hat trotz der Behandlung im Schockraum den Regelfall einer konkludenten Aufnahme verneint. Tatsächlich waren die diagnostischen Maßnahmen nicht umfangreich (zwei Blutgasuntersuchungen, EKG) und es erfolgte auch nur die Gabe von Adrenalin. Es ist daher gut nachvollziehbar, dass das Landessozialgericht keinen ausreichenden Mitteleinsatz sieht. Das BSG hat dagegen in seiner Stroke Unit-Entscheidung nur etwas umfangreichere Maßnahmen (Blutuntersuchung, Ruhe-EKG, Erstellung von Schnittbildern des Kopfes mittels CT, Darstellung der Blutgefäße mittels CT-A, um einen Gefäßverschluss zu dokumentieren) sowie eine Lyse-Therapie ausreichen lassen. Das LSG Stuttgart (Urt. v. 18.03.2024 - L 4 KR 1217/22) hat sogar in einem dem LSG Essen vergleichbaren Fall bei einer nur sechsminütigen Notfallbehandlung mit Fortführung der Reanimation und Durchführung eines EKG, einer Blutgasanalyse und eines EKG eine vollstationäre Behandlung bejaht. In seinem Fall war zwar der Patient offenbar direkt nach der Übergabe an das Krankenhaus durch den Rettungsdienst auf die Intensivstation gebracht worden (im Urteil werden jedenfalls keine Maßnahmen in der Notfallaufnahme genannt), wenn aber der Ort der Behandlung nicht entscheidend sein soll, ob eine Aufnahme vorliegt, sondern der tatsächliche intensive Mitteleinsatz, kann der Umstand, dass die offensichtlich bereits bei Eintreffen wenig aussichtsreiche Reanimation statt in der Notaufnahme auf der Intensivstation stattgefunden hat, also schon auf einer „regulären“ Station des Krankenhauses, nicht entscheidend sein. Unabhängig davon erweckt der Sachverhalt den Eindruck, als habe das Krankenhaus den Patienten möglichst rasch auf die Intensivstation bringen lassen, um auch bei nur kurzzeitiger Behandlung möglichst die Inanspruchnahme der besonderen Mittel eines Krankenhauses dartun zu können, da bekanntlich das BSG den Aufenthalt auf einer Intensivstation als die nachhaltigste Form der Einbindung in einen Krankenhausbetrieb und damit als „ Prototyp“ einer stationären Behandlung bezeichnet hat (BSG, Urt. v. 28.02.2007 - B 3 KR 17/06 R). Wie das LSG Stuttgart hatte auch schon das LSG Mainz eine nur dreiminütige Fortsetzung der Reanimation im Schockraum (den es inhaltlich mit einer Intensivstation gleichstellen wollte), die zuvor bereits 90 Minuten lang durch den Notarzt erfolgt war, für eine Aufnahme ausreichen lassen wollen (LSG Mainz, Urt. v. 09.07.2020 - L 5 KR 154/19; das Urteil ist infolge der Rücknahme der Klage nach dem später ergangenen „Schockraum-Urteil“ des BSG wirkungslos). Die Ansicht der beiden Landessozialgerichte würde bedeuten, dass praktisch jede Notfallbehandlungsmaßnahme im Schockraum oder auf der Intensivstation schon zu einer konkludenten stationären Aufnahme führen würde.
Offen bleibt, ob neben einer Behandlung im Schockraum oder einer Stroke Unit auch Behandlungen in anderen besonderen Einheiten eines Krankenhaus Indiz für eine konkludente Aufnahme sein können. In Betracht kommt das für Brustschmerzambulanzen (Chest Pain Unit), in denen Patienten bei einem Verdacht auf einen Herzinfarkt für mehrere Stunden zur Überwachung aufgenommen werden (vgl. Makoski, jurisPR-MedizinR 2/2024 Anm. 1). Für den Fall einer Behandlung in einer an die Rettungsstation angeschlossenen und durch die dortigen Ärzte mitbetreuten Kurzaufnahmestation, in die ein Patient zur weiteren Gefährdungsbeurteilung (Ausschluss eines Myokardinfarktes) und Ermittlung der Beschwerdeursache für etwa sechs Stunden aufgenommen worden war, hat das LSG Potsdam mit Urteil vom 20.03.2025 (L 9 KR 42/23) eine (konkludente) Aufnahme verneint, weil noch keine Eingliederung in das spezifische System des Krankenhauses stattgefunden habe und die durchgeführten Maßnahmen (zweimaliges EKG, zweimalige Troponinwertbestimmung, Monitoring, Röntgen-Thorax) keine hohe Intensität aufgewiesen hätten. Das könnte man vermutlich auch anders beurteilen, denn wenn sich auch die durchgeführten Maßnahmen in Grenzen hielten, wäre doch eine vergleichbare engmaschige Abklärung und Überwachung zum Ausschluss eines Herzinfarkts unter ambulanten Bedingungen kaum leistbar.
Eine konkludente Aufnahme wegen einer Hintergrundabsicherung kommt in Notfällen nicht in Betracht. Das BSG-Urteil vom 20.03.2024 kann nur geplante Behandlungen, nicht aber Notfallbehandlungen betreffen. Die Planung einer Hintergrundabsicherung mit exklusiver Freihaltung von Krankenhausressourcen ist für Notfälle überhaupt nicht möglich. Allein der Umstand, dass unter Umständen bei Anmeldung eines Notfalls über die Bereitstellung eines Behandlungsteams in der Notfallaufnahme hinaus auch die Intensivstation informiert wird, dass es zur Einlieferung eines Patienten kommen kann, ist nicht ausreichend, deswegen von der Inanspruchnahme der besonderen Mittel des Krankenhauses auszugehen, zumal auch kaum schon ein Bett für den Patienten reserviert werden würde. Dass, wie die Klägerin geltend gemacht hat, nach Meldung des Notfalls personelle Ressourcen im Schockraum „exklusiv“ zur Versorgung des Versicherten bereitgestellt worden seien, ist insoweit nicht ausreichend, denn das „Notfall-Team“ dürfte sich aus in der Notfallaufnahme ohnehin dienstbereitem Personal zusammengesetzt haben, während im Fall des BSG eine gezielte, auf den beabsichtigten Eingriff ausgerichtete Personal- (und Raum-)Planung stattgefunden hat.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung leistet einen Beitrag zur Konkretisierung, wann wegen der Inanspruchnahme krankenhausspezifischer Ressourcen von einer konkludenten Aufnahme auszugehen ist, wobei das LSG eher eine restriktive Haltung einnimmt. Beim BSG ist noch unter dem Az. B 1 KR 34/24 R das Revisionsverfahren gegen das Urteil des LSG Stuttgart vom 18.03.2024 (L 4 KR 1217/22) anhängig, in dem das BSG Gelegenheit haben wird, sich weiter zu den Voraussetzungen für die Annahme einer konkludenten Aufnahme in das Krankenhaus zu äußern. Es wäre wünschenswert, dass die Landessozialgerichte eher bereit sind, weitere Revisionen zuzulassen, damit an das BSG möglichst unterschiedliche Fallgestaltungen gelangen und ihm eine breitere Basis für die erforderliche Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung vermitteln. Die Fälle des LSG Essen und des LSG Potsdam wären insoweit gut geeignet gewesen. Auch wenn vordergründig der Mitteleinsatz im Einzelfall zu prüfen ist, kann doch angesichts der offenen Fragen (vgl. auch Knispel, NZS 2024, 543) von einem grundsätzlichen Klärungsbedarf ausgegangen werden.



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