juris PraxisReporte

Anmerkung zu:LSG Essen 5. Senat, Urteil vom 10.07.2025 - L 5 KR 5/23 KH
Autor:Prof. Dr. Marc Sieper
Erscheinungsdatum:11.12.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 275d SGB 5, § 275c SGB 5, § 301 SGB 5, Art 87 GG, Art 20 GG, § 275a SGB 5, § 86b SGG, § 284 BGB, § 285 BGB, § 288 BGB, § 330 SGB 5, § 415 SGB 5, § 112 SGB 5, § 417 SGB 5
Fundstelle:jurisPR-SozR 25/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Thomas Voelzke, Vizepräsident des BSG a.D.
Jutta Siefert, Ri'inBSG
Zitiervorschlag:Sieper, jurisPR-SozR 25/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Auslegung des Strukturmerkmals „Tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende) von Leistungen der Physiotherapie“ im OPS 8-98f.11



Orientierungssatz zur Anmerkung

Kein Rückgriff auf die Erklärung Nr. 8038 des DIMDI bei der Auslegung des Strukturmerkmals „Tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende) von Leistungen der Physiotherapie“ im OPS 8-98f.11



A.
Problemstellung
Das LSG Essen hat sich im Rahmen einer Einzelfallprüfung einer vollstationären Krankenhausbehandlung mit der Abgrenzung von Strukturmerkmalen zu den Mindestmerkmalen einer Komplexbehandlung (hier: Operationen- und Prozedurenschlüssel OPS 8-98f.11 - Aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur], 369 bis 552 Aufwandspunkte) befasst. Das Gericht griff hinsichtlich des strittigen Strukturmerkmals „Tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende) von Leistungen der Physiotherapie“ auf den Wortlaut des OPS zurück und ließ eine weitere Auslegung durch die Erklärung OPS Nr. 8038 des DIMDI mangels Auslegungsspielraum nicht zu.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Streitig in dem in der Berufungsinstanz vor dem LSG Essen geführten Rechtsstreit war ein Behandlungsfall zugunsten eines bei der späteren beklagten Krankenkasse versicherten Patienten, der sich im Zeitraum vom 18.12.2019 bis zum 07.01.2020 in vollstationärer Behandlung wegen einer Bronchopneumonie (ein Subtyp der Lungenentzündung) bei dem von der späteren Klägerin getragenem Krankenhaus befand. Für die Behandlung wurde der Beklagten unter dem 16.01.2020 eine Rechnung i.H.v. 24.991,86 Euro übersandt, welche die DRG E77A (Bestimmte andere Infektionen und Entzündungen der Atmungsorgane mit intensivmedizinischer Komplexbehandlung > 392 / 368 / - Aufwandspunkte) auswies. Bei der Abrechnung wurde der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8-98f.11 (Aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur], 369 bis 552 Aufwandspunkte) zugrunde gelegt. Dieser sieht unter anderem als Strukturmerkmal eine tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende) von Leistungen der Physiotherapie vor. Der bei der späteren Beklagten krankenversicherte Patient erhielt ab Heiligabend – während und zwischen den Feiertagen – keine Leistungen der Physiotherapie. Die später beklagte Krankenkasse glich die Rechnung aus und leitete nach Eingang der Rechnung am 17.01.2020 mit Prüfanzeige vom 05.02.2020 unter anderem hinsichtlich des OPS 8-98f.11 eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst ein, welcher mit Gutachten vom 20.01.2021 den vorbezeichneten OPS in den OPS 8-980.11 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur], 369 bis 552 Aufwandspunkte) änderte, weil nicht durchgängig an allen Tagen eine Krankengymnastik nachweisbar gewesen und eine medizinisch plausible Begründung der Aussetzung der Leistungen der Physiotherapie nicht angegeben worden sei. Die später beklagte Krankenkasse errechnete einen Erstattungsanspruch i.H.v. 16.363,16 Euro, den sie am 02.02.2021 im Wege der Aufrechnung gegen zwei unstreitige Vergütungsansprüche der Klägerin, deren Rechnungen am 21.01.2021 bzw. am 22.01.2021 zugegangen waren, verrechnete. An der Einschätzung, dass der OPS 8-98f.11 nicht zu kodieren gewesen sei, hielt der Medizinische Dienst mit einem zweiten Gutachten vom 11.10.2021 fest, auch nachdem das später klagende Krankenhaus darauf hingewiesen hatte, dass die Vorhaltung der Physiotherapie während des gesamten Aufenthaltes gewährleistet gewesen sei.
Am 07.04.2022 erhob die Klägerin hinsichtlich des verrechneten Betrages Zahlungsklage beim SG Düsseldorf. Die beklagte Krankenkasse trat der Klage mit Verweis auf die Erklärung OPS Nr. 8038 des DIMDI entgegen, wo es hinsichtlich des Strukturmerkmals „tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende)“ heiße, dass dies dahin gehend zu verstehen sei, dass bei bestehender Behandlungsnotwendigkeit Intensivpatienten auch am Wochenende von Physiotherapeuten behandelt werden (müssen).
Das SG Düsseldorf gab der Zahlungsklage des Krankenhausträgers mit Urteil vom 30.11.2022 (S 15 KR 353/22 KH) statt. Bei dem strittigen Mindestmerkmal „Tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende) von Leistungen der Physiotherapie“ handele es sich um ein Strukturmerkmal, bei welchem schon bei der Verwendung des Substantivs „Verfügbarkeit“ hinsichtlich der Physiotherapieleistungen nicht von der die Notwendigkeit einer täglichen „Leistungserbringung“ gesprochen werden könne. Gegen die Entscheidung des SG Düsseldorf legte die beklagte Krankenkasse unter Aufrechterhaltung ihres bisherigen Rechtsstandpunktes Berufung zum LSG Essen ein.
Das LSG Essen hat die Berufung zurückgewiesen und folgte den Ausführungen der ersten Instanz.
Soweit es das im OPS 8-98f aufgeführte Strukturmerkmal „Tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende) von Leistungen der Physiotherapie“ angehe, hat das LSG Essen darauf hingewiesen, dass dessen streitig gestellte Auslegung im Sinne der Vorgaben des DIMDI in der Erklärung OPS Nr. 8038 nicht zugänglich sei. Nach den vom BSG konturierten Auslegungsvorgaben könne das vorbezeichnete Strukturmerkmal nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass bei bestehender Behandlungsnotwendigkeit Intensivpatienten und -patientinnen auch am Wochenende durch Physiotherapeut*innen behandelt werden, erst recht nicht dahin gehend, dass diese tatsächlich, d.h. auch an den Feiertagen, durchgängig Leistungen der Physiotherapie erhalten. Um die mit den Abrechnungsbestimmungen des OPS bezweckte routinemäßige Abwicklung zahlreicher Behandlungsfälle zu ermöglichen, seien die normvertraglichen Regelungen stets nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen und auf diese Auslegungsmöglichkeiten beschränkt, ferner blieben Bewertungen und Bewertungsrelationen ebenso wie entstehungsgeschichtliche Erwägungen außer Betracht. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 08.10.2019 (B 1 KR 35/18 R Rn. 19) hat das LSG Essen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim DIMDI eingeholte Auskünfte zur Auslegung des OPS rechtlich unverbindlich und bei einer gerichtlichen Auslegung von im OPS enthaltenen Begriffen nicht einzubeziehen seien, was sich auch mit den Hinweisen zu den Kodierfragen zum ICD-10_GM, zum Alpha-ID-SE und zum OPS decke. Dort sei ausdrücklich aufgeführt, dass insoweit gegebene Auskünfte nach § 301 Abs. 2 Satz 4 SGB V (a.F.) (seit dem 01.01.2020: § 301 Abs. 2 Satz 6 SGB V) nicht verbindlich seien. Das LSG Essen hat sich hier zudem der Entscheidung des LSG Erfurt vom 17.08.2023 (L 2 KR 8/22 Rn. 57) angeschlossen, dass derartige Klarstellungen des DIMDI in Auslegungsfragen zu den Operations- und Prozedurenschlüsseln nicht zu erweiterten Anforderungen an die Verschlüsselung erbrachter Leistungen führen dürfen.
So hat das LSG Essen bei der Formulierung „tägliche Verfügbarkeit“ keinen Auslegungsspielraum i.S.d. Erklärung OPS Nr. 8038 des DIMDI erkennen können und hat den Begriff „Verfügbarkeit“ im Widerspruch stehend zu einer Auslegung erachtet, die eine tatsächlich stattfindende physiotherapeutische Maßnahme bei bestehender Behandlungsnotwendigkeit der Intensivpatientin bzw. des Intensivpatienten fordere. Auch widerspreche die Aufführung des strittigen Merkmals unter den Strukturmerkmalen der von der beklagten Krankenkasse vorgenommenen Auslegung. Die Strukturmerkmale dienen zur Beschreibung der Mindestanforderungen an die Ausstattung des Krankenhauses und an die dort durchgeführten Therapien, die zur Abrechnung nach einem bestimmten Operations- und Prozedurenschlüssel erforderlich seien. Strukturmerkmale im Kontext eines OPS seien die jeweiligen (Mindest-)Voraussetzungen in personeller, technischer oder organisatorischer Hinsicht, die Kliniken zu erfüllen haben, damit bestimmte Leistungen, die mit einem Operations- und Prozedurenschlüssel kodiert würden, zulasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden könnten. In Abgrenzung hierzu sei darauf hinzuweisen, dass Mindestmerkmale regelmäßig die tatsächlich von der Klinik zu leistenden Maßnahmen darstellen, damit nach der jeweilig einschlägigen OPS-Kodierung abgerechnet werden könne. Bezogen auf den von der klagenden Klinik kodierten OPS 8-98f erfordere eine Abrechnung eine kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und eine mindestens einmal täglich durchzuführende Visite durch eine Fachärztin oder einen Facharzt mit der Zusatzbezeichnung Intensivmedizin. Diese tatsächlich von der Klinik zu erbringenden Leistungen müssten dann anhand der Behandlungsdokumentation nachgewiesen werden. Sie dürften aber als notwendige Anforderung an die Abrechnungsfähigkeit nach dem jeweils maßgeblichen OPS-Code nicht im Wege einer erweiternden Auslegung systemwidrig in ein Strukturelement hineininterpretiert werden, welches alleinig auf das Vorhalten einer bestimmten personellen, technischen oder organisatorischen Ressource des Krankenhaus abziele. In diesem Zusammenhang lehne es das LSG Essen erneut unter Bezugnahme auf die Entscheidung des LSG Erfurt vom 17.08.2023 (L 2 KR 8/22 Rn. 57) ab, dass Klarstellungen des DIMDI zu einer Erweiterung der Anforderungen führen dürften.
Da es zur Erfüllung des Strukturmerkmales „Tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende) von Leistungen der Physiotherapie“ nicht erforderlich sei, dass die versicherte Person an jedem Tag des stationären Aufenthaltes auch physiotherapeutische Maßnahmen erhalte, komme es nach Ansicht des LSG Essen auch nicht darauf an, dass sie an einzelnen Tagen keine Leistungen der Physiotherapie erhalten habe.
Damit hat das LSG Essen der Zahlungsklage des Krankenhausträgers vollumfänglich stattgegeben. Gründe für die Zulassung einer Revision vermochte das Gericht nicht zu erkennen. Die Entscheidung ist rechtskräftig geworden.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Kodierung einer sog. „Komplexziffer“ im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung zulasten einer gesetzlichen Krankenkasse wirkt sich im Groupingverfahren zur Ermittlung der später abzurechnenden DRG regelmäßig massiv aus. Die hierdurch erzielte hohe Vergütung rechtfertigt sich vor allem durch die durchgehende Vorhaltung von verschiedenen kostenaufwändigen Ressourcen in der Klinik. Umgekehrt bedeutet dies aber, dass nur wenn diese Vorhaltung in der Klinik sichergestellt ist, die sog. „Komplexziffer“ abgerechnet werden kann. Aus Sicht der Kostenträger versprach schon bei Einführung der sog. „Komplexziffern“ das Anzweifeln des Vorliegens auch nur eines der Strukturmerkmale in einer nachträglichen Überprüfung des Behandlungsfalls durch Einschaltung des Medizinischen Dienstes (früher: Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung - MDK) für den Fall der Bewahrheitung der Annahme eine erhebliche Minderung der Vergütungsforderung durch „Herunter-Kodierung“ in eine niedriger bewertete DRG. Dass die Beweislast für das Vorliegen der Strukturmerkmale durchweg bei dem Krankenhaus lag und somit auch Beweislastentscheidungen zugunsten der gesetzlichen Krankenkassen gingen, steigerte die Attraktivität von Rechtsstreitigkeiten, die sich mit den hoch bewerteten Strukturmerkmalen in den Operations- und Prozedurenschlüsseln (OPS) befassten.
Gegenstand der Besprechungsentscheidung war eine einzelne Vergütungsforderung, die eine im Kalenderjahr 2019 begonnene Krankenhausbehandlung zum Gegenstand hatte. Die später beklagte Krankenkasse beauftragte darauf hin im Hinblick auf die Strukturmerkmale des OPS 8-98f.11 den Medizinischen Dienst mit einer Einzelfallprüfung. Derartige Einzelfallprüfungen von Strukturmerkmalen sind heute nicht mehr statthaft. Durch das Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) vom 14.12.2019 (BGBl I 2019, Nr. 51) wurde mit dem seinerzeitigen § 275d SGB V eine Regelung aufgenommen, nach welcher die Krankenhäuser verpflichtet wurden, die Einhaltung von Strukturmerkmalen in den Komplexziffern der Operations- und Prozedurenschlüssel nach § 301 Abs. 2 SGB V durch den Medizinischen Dienst begutachten zu lassen, und zwar bevor sie entsprechende Leistungen abrechnen. Mit diesen „präventiven Prüfungen“ (vgl. Knispel, jurisPR-SozR 9/2022 Anm. 3) sollte im Vorhinein Rechtsklarheit geschaffen werden, weil die bisherigen Einzelfallprüfungen zu unnötigem Mehraufwand und auch zu einer fehlenden Planbarkeit für die Krankenhäuser bezüglich der Abrechenbarkeit geführt haben (vgl. BT-Drs. 19/11387, S. 67). Zugleich wurde in § 275c Abs. 6 Nr. 2 SGB V klargestellt, dass sobald eine vorherige Prüfung der Strukturmerkmale stattgefunden hat, eine hierauf bezogene Einzelfallprüfung nicht (mehr) statthaft ist. Gelten sollte diese Verpflichtung zur vorherigen Prüfung nach der ursprünglichen Fassung des § 275d Abs. 4 SGB V zunächst erst für Behandlungsfälle aus dem Kalenderjahr 2021. Die Anwendung der neuen Regelungen wurde aber in Anbetracht der Covid-19-Pandemie mit dem Gesetz zum Ausgleich Covid-19-bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz) vom 27.03.2020 (BGBl I 2020, 580) um ein Jahr verschoben, so dass die Krankenhäuser bis zum 31.12.2021 Zeit hatten, eine Bescheinigung über die Einhaltung der Strukturmerkmale vorzulegen. War es ihnen aus Gründen, die sie nicht zu vertreten hatten, nicht möglich, diese Erklärung bis zum vorbezeichneten Zeitpunkt beibringen, waren sie bis zum Abschluss einer Strukturprüfung berechtigt, bislang erbrachte Leistungen auch weiter zu erbringen und abzurechnen. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz – KHVVG) vom 05.12.2024 (BGBl 2024 I Nr. 400) erfolgte mit Wirkung zum 12.12.2024 eine Neufassung des § 275a SGB V zu den Prüfungen des Medizinischen Dienstes zu stationären Strukturen und weiteren Anforderungen, in deren Zuge die vormals in der Regelung des § 275d SGB V enthaltene Strukturprüfung zum Zwecke der Bündelung und Vereinheitlichung (BT-Drs. 20/11854, S. 168, 175) in die Bestimmung des § 275a Abs. 1 Nr. 2 SGB V überführt wurde.
Nach § 275a Abs. 6 Satz 1 SGB V kann der Medizinischen Dienst von den Krankenhäusern mit einer Prüfung der Strukturmerkmale beauftragt werden. Dieser stellt nach § 275a Abs. 6 Satz 2 SGB V das Prüfergebnis durch Bescheid fest und übermittelt zudem nach § 275a Abs. 6 Satz 3 SGB V dem Krankenhaus in elektronischer Form über die Prüfung ein Gutachten und bei Erfüllung der geprüften Strukturmerkmale eine Bescheinigung über das Ergebnis der Prüfung, die auch Angaben darüber enthält, für welchen Zeitraum die jeweiligen Strukturmerkmale als erfüllt angesehen werden. Diese Bescheinigung ist nach § 275a Abs. 6 Satz 4 SGB V den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen jeweils anlässlich der Vergütungsvereinbarungen nach KHEntgG oder BPflV auf elektronischem Wege zu übermitteln. Liegt die Bescheinigung nach § 275a Abs. 6 Satz 3 SGB V nicht vor, folgt dem ein Vereinbarungs- und Abrechnungsverbot (vgl. BT-Drs. 20/11854, S. 173; ferner: SG Duisburg, Beschl. v. 14.05.2025 - S 27 KR 1496/24 ER KH Rn. 29), allerdings kein Erbringungsverbot (so: Opolony in: BeckOGK SGB V, Stand 15.08.2025, § 275a Rn. 53, 59).
Bereits im Rahmen der Einzelfallprüfungen nach § 275c SGB V hatte sich das BSG in der Vergangenheit häufiger im Rahmen von Abrechnungsstreitigkeiten mit der Frage der Auslegung der Operations- und Prozedurenschlüssel zu befassen. In der Rechtsprechung des insoweit zuständigen 1. Senats des BSG ist geklärt, dass es bei der Auslegung der Operations- und Prozedurenschlüsseln (OPS) als Vergütungsregelungen nur auf den Wortlaut und ggf. ergänzend auf den systematischen Zusammenhang ankommt, während Bewertungen und Bewertungsrelationen außer Betracht bleiben (vgl. u.a. BSG, Urt. v. 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R Rn. 7; BSG, Beschl. v. 19.07.2012 - B 1 KR 65/11 B Rn. 18 ff.; BSG, Beschl. v. 19.06.2018 - B 1 KR 16/17 B Rn. 7; BSG, Beschl. v. 09.04.2019 - B 1 KR 46/18 B Rn. 7); BSG, Urt. 08.10.2019 - B 1 KR 35/18 R Rn. 13; BSG, Urt. v. 16.07.2020 - B 1 KR 16/19 R Rn. 17; BSG, Urt. v. 27.10.2020 - B 1 KR 25/19 R Rn. 18; BSG, Urt. 16.08.2021 - B 1 KR 11/21 R Rn. 16, hierzu: Plagemann jurisPR-SozR 2/2022 Anm. 3). Die beklagte Krankenkasse hatte sich in ihrer Argumentation zur Auslegung des OPS 8-98f.11 auf die Erklärung Nr. 8038 des DIMDI berufen. Das LSG Essen ist dieser insoweit unzulässigen Einbeziehung der vorbezeichneten Erklärung in die Auslegung des OPS unter Hinweis auf die Rechtsprechung und die sich dem anschließende Rechtsliteratur (vgl. Lungstras/Bockholdt, NZS 2021, 1, 7) folgerichtig und zutreffend entgegengetreten. Hiergegen ist nichts zu erinnern. Wegen der eindeutigen Formulierung „Tägliche Verfügbarkeit“, die keine Auslegung zulässt, bedurfte es keines Rückgriffs auf andere Auslegungskriterien. Zugleich hat das LSG Essen festgestellt, dass Klarstellungen des DIMDI allgemein nicht zu erweiterten Anforderungen an die Verschlüsselung erbrachter Leistungen führen dürften. Dies wäre ja der Fall gewesen, wenn man aus dem Merkmal eine tatsächliche – durchgehende – Erbringung von Leistungen der Physiotherapie verlangt hätte.
Das LSG Essen hat sich in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des LSG Erfurt vom 17.08.2023 (L 2 KR 8/22 Rn. 57) und die Regelung des § 301 Abs. 2 Satz 6 SGB V (bis zum 31.12.2019: § 301 Abs. 2 Satz 4 SGB V) bezogen. Nach dieser Bestimmung kann das BfArM bei Auslegungsfragen in diesem Zusammenhang zwar Klarstellungen und Änderungen mit Wirkung auch für die Vergangenheit vornehmen, allerdings nur soweit diese nicht zu erweiterten Anforderungen an die Verschlüsselung erbrachter Leistungen führen. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Möglichkeit ist freilich nicht unumstritten. Während das SG München in seiner Entscheidung vom 27.04.2020 (S 15 KR 2343/18 Rn. 63) die Bestimmung für verfassungskonform erachtete, legte das gleiche Gericht dem BVerfG eine sog. Richtervorlage vor, ob die Regelung gegen den Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 2 und 3 GG, Art. 87 Abs. 3 GG und wegen der Rückwirkung gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen (vgl. SG München, Beschl. v. 25.06.2020 - S 12 KR 1865/18 Rn. 77 ff., 98 ff.). Das BVerfG hat die Richtervorlage mangels Entscheidungserheblichkeit für unzulässig erklärt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.01.2023 - 1 BvL 11/20 Rn. 21 ff.).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Streitigkeiten über die Auslegung von Strukturmerkmalen in Operations- und Prozedurenschlüsseln (OPS) werden Krankenkassen, Krankenhäuser, Medizinischen Dienst und die Gerichte auch weiter beschäftigen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Abrechnung von Komplexziffern bleibt hoch und somit für Rechtsstreitigkeiten attraktiv. Allerdings wird es durch Einführung der Möglichkeit der vorherigen Strukturprüfung (heute: § 275a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V) nach der heutigen Bestimmung des § 275c Abs. 6 Nr. 2 SGB V diesbezüglich keine Einzelfallprüfungen mehr geben, was grundsätzlich zu begrüßen ist. So besteht für das Krankenhaus nicht das Risiko, dass die Prüfung des Vorliegens der Strukturmerkmale permanent eröffnet und bezogen auf verschiedene Behandlungsfälle unterschiedlich beurteilt wird. Andererseits birgt auch die Strukturprüfung für die Krankenhäuser Risiken, da mit der Beurteilung des Medizinischen Dienstes und der Frage der Erteilung der Bescheinigung nach § 275a Abs. 6 Satz 3 SGB V weitreichende Konsequenzen im Rahmen der Vergütungsvereinbarungen mit den Krankenkassen verbunden sind. Krankenhäuser sind gut beraten, sich gewissenhaft und sorgfältig vorzubereiten, wenn sie den Medizinischen Dienst nach § 275a Abs. 6 Satz 1 SGB V mit der Prüfung der Strukturmerkmale beauftragen. Wird die Bescheinigung versagt, ist das Krankenhaus auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG zu verweisen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die klagende Klinik hatte mit der schließlich in der Berufungsinstanz beim LSG Essen geführten Zahlungsklage auch einen Zinsanspruch, der seine Rechtsgrundlage in dem nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Nordrhein-Westfalen abgeschlossenen Landesvertrag hat. Dort heißt es in § 15 Abs. 1 Satz 1, dass Rechnungen innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang zu begleichen sind. Bei Überschreiten des Zahlungsziels kann das Krankenhaus nach § 15 Abs. 1 Satz 4 Verzugszinsen nach den §§ 284, 285, 288 Abs. 1 BGB i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Diskontsatz (seit 01.01.2002: dem jeweiligen von der Bundesbank bekannt gegebenen Basiszinssatz) ab dem auf den Fälligkeitstag folgenden Tag verlangen. Eine Mahnung ist hierfür regelmäßig nicht erforderlich (vgl. LSG Essen, Urt. v. 22.11.2007 - L 16 KR 37/07 Rn. 25; LSG Essen, Urt. v. 04.11.2004 - L 5 KR 161/03 Rn. 17).
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patient befand sich im Zeitraum vom 18.12.2019 bis zum 07.01.2020 in stationärer Behandlung bei der von der Klägerin getragenen Klinik, d.h. während der Corona-Pandemie. Für diesen Zeitraum wurden sowohl Zahlungsfrist als auch Fälligkeit von Krankenhausforderungen gegen gesetzliche Krankenkassen vorübergehend gesetzlich geregelt. Hiermit sollte die Sicherung der Zahlungsfähigkeit der Krankenhäuser sichergestellt werden, da diese ab dem 30.03.2020 planbare Behandlungen aufschieben mussten und dadurch liquide Mittel verloren haben, die sie zur Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen benötigen (BT-Drs. 19/18112, S. 37). Mit § 330 SGB V in der Fassung des Gesetzes zum Ausgleich Covid-19-bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz) vom 27.03.2020 (BGBl I 2020, 580) wurde für bis zum 31.12.2020 übermittelte Rechnungen die Zahlungsfrist auf fünf Tage verkürzt. Die Regelung wurde für bis zum 30.06.2021 übermittelte Rechnungen erst durch das Gesetz zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur (Patientendaten-Schutz-Gesetz – PDSG) vom 14.10.2020 (BGBl I 2020, 2115) in die Regelung des § 417 SGB V und dann mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz – DVPMG) vom 03.06.2021 (BGBl I 2021, 1309) in die Regelung des § 415 SGB V verschoben. Die in § 415 BGB genannte Frist wurde im Verordnungswege mehrfach verlängert, erstmals durch § 4 Abs. 6 der Verordnung zur Regelung weiterer Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser vom 07.04.2021 (BAnz AT v. 08.04.2021 V 1) zunächst bis zum 31.12.2021 und letztmalig durch Art. 1 der Sechsten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung weiterer Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser vom 08.12.2023 (BGBl 2023 I Nr. 356) bis zum 31.12.2024. Die gesetzlichen Zahlungsregelungen gingen dann den landesvertraglichen Bestimmungen vor (vgl. Daum in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 5. Aufl. 2025, § 112 Rn. 60), was dem Grundsatz der Normenhierarchie geschuldet ist. § 415 SGB V wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz — KHVVG) vom 05.12.2024 (BGBl 2024 I Nr. 400) m.W.v. 12.12.2024 aufgehoben. Seitdem gelten wieder die Zahlungsregelungen in den Landesverträgen nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V.
Auf den der Entscheidung des LSG Essen zugrunde liegenden Behandlungsfall war somit § 417 SGB V in der Fassung des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18.11.2020 (BGBl I 2020, 2397) anzuwenden.
Da die beklagte Krankenkasse vorgerichtlich ihren sich wegen der vermeintlichen Falschkodierung ergebenden Erstattungsanspruch gegen andere, im Übrigen unstreitige Forderungen der Klinik auf Bezahlung von Krankenhausbehandlungskosten verrechnete, war für den Beginn der Berechnung des Zinsanspruchs auf das Zahlungsziel der verrechneten Forderungen abzustellen (vgl. LSG Essen, Urt. v. 15.11.2022 - L 5 KR 752/20 Rn. 39). Die beiden unstrittigen Rechnungen waren der Beklagten am 21.01.2021 sowie am 22.01.2021 zugegangen. Damit waren diese nach fünf Tagen am 26.01.2021 bzw. am 27.01.2021 zur Zahlung fällig und vom Folgetag an verzinsbar gewesen. Die klagende Klinik hat mit der dem Verfahren zugrunde liegenden Klageschrift aber offenkundig lediglich einen Zinsanspruch ab dem 02.02.2021 geltend gemacht, der dann auch erstinstanzlich vom SG Düsseldorf so ausgeurteilt wurde. Das LSG Essen stellte somit in seiner Entscheidung vom 10.07.2025 zu Recht fest, dass am 02.02.2021 das aus § 417 SGB V (a.F.) folgende fünftägige Zahlungsziel für beide Rechnungen bereits abgelaufen war. Die klagende Klinik hätte bei Beachtung der seinerzeit geltenden gesetzlichen Zahlungsregelungen einen (geringfügig) höheren Zinsanspruch geltend machen können, so wie es auch die seinerzeitigen Regelungen bezweckt hätten.



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