juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 11.04.2024 - VI R 1/22
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:29.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 39b EStG, § 3b EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 30/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 30/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Steuerfreie Zuschläge bei Bereitschaftsdiensten



Leitsätze

1. Die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Bereitschaftsdienste, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht und gesondert vergütet werden, bemisst sich nach dem Arbeitslohn für die regelmäßige Arbeitszeit und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt (entgegen Senatsurteil vom 27.08.2002 - VI R 64/96, BFHE 200, 240 - BStBl II 2002, 883).
2. Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer für die zuschlagsbewehrte Tätigkeit neben den Erschwerniszuschlägen einen Anspruch auf Grundlohn hat.



A.
Problemstellung
Strittig ist, in welcher Höhe Nachtarbeitszuschläge nach § 3b EStG steuerfrei sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin betreibt eine Förderschule mit Internat. Die in Wohngruppen lebenden Kinder und Jugendlichen werden von den Mitarbeitern auch in der Nacht betreut. Die regelmäßigen monatlichen Dienstbezüge des Betreuungspersonals setzten sich aus der monatlichen Regelvergütung, dem sogenannten Tabellenentgelt, der Kinderzulage und den sonstigen Zulagen zusammen. Die Zeit der nächtlichen Beaufsichtigung wurde gemäß den arbeitsvertraglichen Regelungen als zusätzlich geschuldeter Bereitschaftsdienst behandelt und für die Entgeltberechnung faktorisiert, d.h. nur zu 25% als Arbeitszeit entgolten. Daneben erhielten die Mitarbeiter für den Bereitschaftsdienst in den Nachtstunden je tatsächlich geleistete Stunde einen Zeitzuschlag i.H.v. 15% des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts. Das Bereitschaftsdienstentgelt lohnversteuerte die Klägerin regulär. Den Zeitzuschlag zahlte sie hingegen steuerfrei aus.
Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung erließ das FA einen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid. Die Nachtarbeitszuschläge hätten über den in § 3b Abs. 1 EStG genannten Höchstgrenzen gelegen und seien insoweit zu Unrecht steuerfrei ausgezahlt worden. Als Bemessungsgrundlage für die Steuerfreiheit der Zuschläge und damit als Grundlohn i.S.v. § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG sei nicht der reguläre Arbeitslohn, sondern lediglich das Entgelt für den Bereitschaftsdienst anzusetzen. Dies folge aus dem Urteil des BFH vom 27.08.2002 (VI R 64/96 - BStBl II 2002, 883). Danach seien Zuschläge zur Rufbereitschaftsentschädigung wegen der geringeren Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers bei der Ableistung von Rufbereitschaften gegenüber den Erschwernissen bei einer vollen Arbeitserbringung in den begünstigten Zeiten nur insoweit steuerfrei, als sie die in § 3b Abs. 1 EStG vorgesehenen und an der Rufbereitschaftsentschädigung gemessenen Prozentsätze nicht überstiegen. Die Entscheidung sei auf Bereitschaftsdienste entsprechend anzuwenden. Der dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das FG statt. Die Höhe der Steuerfreiheit von Nachtarbeitszuschlägen richte sich gemäß § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG nach dem Grundlohn. Dies sei auch im vorliegenden Fall der vertraglich vereinbarte (Regel-)Arbeitslohn und nicht das vom FA angesetzte Bereitschaftsdienstentgelt (FG Hannover, Urt. v. 15.12.2021 - 14 K 268/18 - EFG 2022, 742). Die Revision des FA hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Das FG habe die Steuerfreiheit der streitigen Nachtarbeitszuschläge zu Recht nach den regelmäßigen monatlichen Dienstbezügen der Beschäftigten (Grundlohn) und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt bemessen.


C.
Kontext der Entscheidung
Grundlohn ist der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht; er ist in einen Stundenlohn umzurechnen und mit höchstens 50 Euro anzusetzen (§ 3b Abs. 2 Satz 1 EStG). Grundlohn (laufender Arbeitslohn) steht dem Arbeitnehmer zu, wenn er diesem bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung geschuldet wird. Ob und in welchem Umfang der Grundlohn dem Arbeitnehmer tatsächlich zufließt, ist für die Bemessung der Steuerfreiheit der Zuschläge ohne Belang. Der Grundlohn ist – wie auch in § 39b EStG vorgesehen – von den sonstigen Bezügen abzugrenzen. Laufender Arbeitslohn ist danach das dem Arbeitnehmer regelmäßig zustehende Arbeitsentgelt und damit das Monatsgehalt, der Wochen- oder Tageslohn, Überstundenvergütungen, laufende Zulagen oder Zuschläge und geldwerte Vorteile aus regelmäßigen Sachbezügen (z.B. BFH, Urt. v. 09.06.2021 - VI R 16/19 - BStBl II 2021, 936; Geserich, jurisPR-SteuerR 49/2021 Anm. 3). Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist u.a. weiter, dass die Zuschläge neben dem Grundlohn geleistet werden; sie dürfen nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, auch an Sonn- und Feiertagen oder nachts geleistete Tätigkeit sein. Hierfür ist regelmäßig erforderlich, dass in dem Arbeitsvertrag zwischen der Grundvergütung und den Erschwerniszuschlägen unterschieden und ein Bezug zwischen der zu leistenden Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit und der Lohnhöhe hergestellt ist. Es muss sich bei den Zuschlägen objektiv um ein zusätzlich (zum Grundlohn) geschuldetes Arbeitsentgelt für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit handeln (vgl. BFH, Urt. v. 16.12.2021 - VI R 28/19 - BStBl II 2022, 209 m.w.N.; Geserich, jurisPR-SteuerR 10/2022 Anm. 1).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Nach dem Inhalt der im Streitfall geltenden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen setzte sich das (Regel-)Arbeitsentgelt der Mitarbeiter der Klägerin unter anderem aus der Grundvergütung (Tabellenentgelt), dem faktorisierten Bereitschaftsdienstentgelt und den Zuschlägen für die Zeit des Bereitschaftsdienstes in den Nachtstunden zusammen. Die streitigen Zuschläge wurden zusätzlich zu dem Bereitschaftsdienstentgelt je (Nacht-)Stunde i.H.v. 15% des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts gezahlt. Die vorliegenden arbeitsvertraglichen Regelungen unterscheiden damit hinreichend zwischen dem Grundlohn (Tabellenentgelt), dem Bereitschaftsdienstentgelt und den streitbefangenen steuerfreien Zuschlägen. Letztere stellen sich daher nicht als Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, zu den begünstigten Zeiten geleistete Tätigkeit bei der Klägerin dar.
Der Steuerfreiheit der Zuschläge steht nicht entgegen, dass die Mitarbeiter der Klägerin während ihrer Bereitschaftsdienste keinen Anspruch auf Grundlohn i.S.v. § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG hatten, sondern diese Tätigkeit mit dem Bereitschaftsdienstentgelt „gesondert“ vergütet wurde. Denn die während der Nachtbereitschaft erdienten Zuschläge sind nicht nur neben dem Bereitschaftsdienstentgelt, sondern jedenfalls auch neben dem – weil zusätzlich hierzu gewährten – Grundlohn geleistet worden.
Zudem ist die Höhe der Steuerfreiheit der Nachtarbeitszuschläge, wovon auch das FG zutreffend ausgegangen ist, nicht nach dem (anteilig) für den Bereitschaftsdienst gezahlten Bereitschaftsdienstentgelt, sondern nach dem vollen auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelt zu bemessen. Denn mit dem Tabellenentgelt wird die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit abgegolten. Es ist folglich der Grundlohn i.S.v. § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG und damit die maßgebliche Größe, nach der die Steuerfreiheit der Zuschläge der Höhe nach zu berechnen ist. Eine andere „Bemessungsgrenze“ kennt das Gesetz nicht. Dass der Bereitschaftsdienst nach den arbeitsvertraglichen Regelungen nur angeordnet werden durfte, wenn zu erwarten war, „dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt“, steht dem nicht entgegen. Denn eine konkret (individuell) belastende Tätigkeit verlangt das Gesetz – anders als vom FA noch im Vorverfahren vertreten – für die Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen in § 3b EStG nicht. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Vorschrift lassen Dahin gehendes erkennen. Vielmehr schöpft das Gesetz den steuerlichen Entlastungsgrund – den Ausgleich für die besonderen Erschwernisse und Belastungen (Störung des biologischen und kulturellen Lebensrhythmus) der mit Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit verbundenen Arbeitszeiten – abstrakt-generell und typisierend aus dem Umstand, dass der Dienst zu den dort genannten Zeiten geleistet und dies als in besonderer Weise belastend erachtet wird. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist daher, dass eine zuschlagsbewehrte Tätigkeit – hier die Bereitschaftsdienste – zu den begünstigten Zeiten tatsächlich ausgeübt wird. Ob die zu diesen Zeiten verrichtete Tätigkeit den einzelnen Arbeitnehmer in besonderer Weise fordert oder ihm „leicht von der Hand“ geht, ist nicht entscheidend (BFH, Urt. v. 16.12.2021 - VI R 28/19 - BStBl II 2022, 209; Geserich, jurisPR-SteuerR 10/2022 Anm. 1). Soweit sich aus der Entscheidung des Senats vom 27.08.2002 - VI R 64/96 (BStBl II 2002, 883, unter 2.c) anderes entnehmen lässt, hält der Senat hieran nicht länger fest.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!