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Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 29.04.2025 - VI R 12/23
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:15.09.2025
Quelle:juris Logo
Norm:§ 9 EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 37/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 37/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Doppelte Haushaltsführung: Kosten der Lebensführung bei einem Ein-Personen-Haushalt



Leitsatz

Führt der Steuerpflichtige im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung am Ort des Lebensmittelpunkts einen Ein-Personen-Haushalt, stellt sich die Frage nach der finanziellen Beteiligung an den Kosten der Lebensführung i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes nicht.



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob Aufwendungen eines Studenten in Zweitausbildung im Rahmen einer steuererheblichen doppelten Haushaltsführung entstanden und als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der im Jahr 1986 geborene, ledige Kläger absolvierte nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung (und anschließender Berufstätigkeit) zunächst einen Bachelorstudiengang in A. Anschließend belegte er an der Universität M einen Masterstudiengang. Nach dem Masterabschluss war er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt und fertigte seine Doktorarbeit. Er wohnte an den jeweiligen Studienorten (A und M) in angemieteten Wohnungen/Zimmern und erzielte in den Streitjahren (2014 bis 2018) aus der Tätigkeit als Werkstudent und als studentische Hilfskraft sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Zudem erhielt er in den Jahren 2014 bis 2017 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Sein Lebensmittelpunkt lag in den Streitjahren unstreitig in B. Dort bewohnte er sämtliche Räumlichkeiten im Obergeschoss des Wohnhauses seiner Eltern, die das Erdgeschoss nutzten. Beide Stockwerke sind – im Wesentlichen grundrissgleich – jeweils mit Küche, Bad und WC ausgestattet und haben einen Eingang zum mittigen, offenen Treppenhaus. Ursprünglich waren im Obergeschoss die Kinderzimmer des Klägers und seines Bruders belegen. Im Jahr 2010 zog der Bruder des Klägers aus. In der Folgezeit renovierte der Kläger das Obergeschoss und bewohnte es fortan alleine. In seinen Einkommensteuererklärungen machte der Kläger notwendige Mehraufwendungen wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung (insbesondere Unterkunftskosten und Aufwendungen für wöchentliche Fahrten nach den Studienorten) gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sowie Verpflegungsmehraufwendungen nach § 9 Abs. 4a Satz 12 EStG als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit geltend.
Das FA berücksichtigte lediglich die Aufwendungen für die Familienheimfahrten als „Lebensmittelpunktfahrten“ gemäß R 9.10 Abs. 1 Satz 8 LStR als Werbungskosten. Die geltend gemachten Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen ließ es nicht zum Werbungskostenabzug zu. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab. Die noch streitigen Kosten seien dem – weitgehend wirtschaftlich nicht selbstständigen – Kläger in den Streitjahren nicht wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstanden. Der Kläger habe zwar an seinem Lebensmittelpunkt in B im Obergeschoss des elterlichen Hauses gewohnt, dort aber keinen eigenen Hausstand geführt. Vielmehr sei er (auch in den Streitjahren noch als studierendes Kind) in den dortigen Hausstand seiner Eltern, der auch die vom Kläger seit Kindheitstagen bewohnten Räumlichkeiten im Obergeschoss umfasse, eingegliedert gewesen (FG München, Urt. v. 01.03.2023 - 1 K 2311/20). Auf die Revision des Klägers hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben. Das FG habe rechtsfehlerhaft entschieden, dass der Kläger am Ort seines Lebensmittelpunkts keinen eigenen Hausstand unterhalten habe. Die Sache sei jedoch nicht spruchreif und deshalb an das FG zurückzuverweisen. Das habe bisher nicht geprüft, in welcher Höhe dem Kläger in den Streitjahren Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen entstanden und nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG bzw. § 9 Abs. 4a Satz 12 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen seien. Die dahin gehenden Feststellungen habe es im zweiten Rechtsgang nachzuholen.


C.
Kontext der Entscheidung
Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die im Rahmen einer Zweitausbildung (Berufsausbildung oder Studium nach abgeschlossener Erstausbildung, z.B. Aufwendungen für ein Bachelorstudium nach vorangegangener Berufsausbildung oder für ein Masterstudium nach einem vorherigen Bachelorstudium) anfallen, sind regelmäßig beruflich veranlasst und als (vorab entstandene) Werbungskosten abziehbar. Hierzu gehören insbesondere Studiengebühren, Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung (bei mehreren Wohnungen, auch für die Wege von und zu der weiter entfernt liegenden Wohnung, wenn sich dort der Lebensmittelpunkt befindet, R 9.10 Abs. 1 Satz 8 LStR) und Universität, Kosten für Lernmaterial (einschließlich der anteiligen Aufwendungen für Laptop/Computer/Drucker) sowie Studienfahrten und -exkursionen; nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG aber auch notwendige Mehraufwendungen (Unterkunftskosten, Einrichtung, wöchentliche Familienheimfahrten), die einem Steuerpflichtigen in Zweitausbildung wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen sowie Verpflegungsmehraufwendungen (jeweils) für die ersten drei Monate einer doppelten Haushaltsführung (§ 9 Abs. 4a Satz 12 EStG). Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn Arbeitnehmer/Studierende außerhalb des Ortes ihrer ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhalten und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG). Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG setzt das Vorliegen eines eigenen Hausstands das Innehaben einer Wohnung sowie (aufgrund der Neuregelung der Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013, BGBl I 2013, 285) seit dem Veranlagungszeitraum 2014 eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung voraus.
Unter einer Wohnung sind alle den Lebensbedürfnissen des Steuerpflichtigen entsprechenden Räumlichkeiten zu verstehen. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist ein räumlicher Bereich, in dem der Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen verortet werden kann. Den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung müssen diese Räumlichkeiten jedoch nicht genügen (BFH, Urt. v. 12.01.2023 - VI R 39/19 - BStBl II 2023, 747). Der Steuerpflichtige hat die Wohnung inne, wenn er sie aus eigenem Recht (zum Beispiel als Eigentümer oder Mieter) nutzt. Allerdings kann auch ein abgeleitetes Recht im Sinne einer geschützten Rechtsposition ausreichen. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn der Ehepartner, Lebensgefährte oder – wie vorliegend – ein sonstiger Familienangehöriger (hier: die Eltern des Klägers) Eigentümer oder Mieter der Wohnung ist und diese dem Steuerpflichtigen zur Nutzung überlässt.
In der Wohnung, die der Steuerpflichtige außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte innehat, muss sich auch nach der gesetzlichen Neuregelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG der Lebensmittelpunkt, also sein Erst- oder Haupthaushalt befinden. Es ist daher nach wie vor entscheidend, dass sich der Steuerpflichtige in dem betreffenden Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche (bei den Eltern) oder für Ferienaufenthalte ist insoweit nicht ausreichend. Der Steuerpflichtige muss zudem als die Haushaltsführung wesentlich bestimmender beziehungsweise mitbestimmender Teil anzusehen sein. Er darf nicht lediglich in einen anderen Hausstand eingegliedert sein, wie es regelmäßig bei jungen Arbeitnehmern/Studierenden der Fall ist, die nach Beendigung der Ausbildung/während des Studiums weiterhin im elterlichen Haushalt ihre Zimmer bewohnen. Die elterliche Wohnung kann in einem dieser häufigen Fälle zwar, selbst wenn das Kind am Beschäftigungsort eine Unterkunft bezogen hat, wie bisher der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sein, sie ist aber kein von dem Kind unterhaltener eigener Hausstand.
Das Vorliegen eines eigenen Hausstands erfordert des Weiteren eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG). Bedeutung kommt diesem Tatbestandsmerkmal jedoch nur zu, soweit der Steuerpflichtige am Lebensmittelpunkt einem Mehrpersonenhaushalt (zum Beispiel im Rahmen eines Mehrgenerationenhaushalts) angehört. Dies folgt schon aus dem Tatbestandsmerkmal „Beteiligung“. Nur wenn mehrere Personen einen gemeinsamen Haushalt führen, kann sich der Einzelne an den Kosten dieses Haushalts und damit den Kosten der Lebensführung „beteiligen“.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Mit der Besprechungsentscheidung hat der BFH die Anforderungen an den „eigenen Hausstand“ im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung verdeutlicht. Führt der Steuerpflichtige im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung am Ort des Lebensmittelpunkts einen Ein-Personen-Haushalt, stellt sich die Frage nach der finanziellen Beteiligung – anders beispielsweise bei einem Mehrgenerationenhaushalt oder einem „Geschwisterhaushalt“ (vgl. BFH, Urt. v. 26.07.2012 - VI R 10/12 - BStBl II 2013, 208, Bergkemper, jurisPR-SteuerR 3/2013 Anm. 3; BFH, Urt. v. 12.01.2023 - VI R 39/19 - BStBl II 2023, 747) – an den Kosten der Lebensführung i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG --entgegen der Auffassung der Finanzbehörden – nicht. In einem solchen Fall trägt der „Single“ die Kosten der Lebensführung denknotwendig allein, unabhängig davon, ob die Mittel aus eigener Erwerbstätigkeit, aus staatlichen Leistungen – wie im Streitfall nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz – oder aus familiären Zuwendungen stammen. Dies gilt selbst, wenn der Ein-Personen-Haushalt im Elternhaus geführt wird und dem Steuerpflichtigen die Räumlichkeiten unentgeltlich überlassen werden. Entscheidend für das Vorliegen eines eigenen Hausstands am Ort des Lebensmittelpunkts ist insoweit allein die tatsächliche Wohnsituation. Die Wohnbereiche von Eltern und studierendem Kind müssen räumlich und wirtschaftlich voneinander getrennt sein. Das war nach Auffassung des BFH vorliegend der Fall. Denn die Eltern hatten dem Kläger sämtliche Räumlichkeiten im Obergeschoss ihres Hauses zur alleinigen Nutzung überlassen. Bei diesen handelte es sich um eine Wohnung i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG, die dem Kläger nach Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und Wirtschaften gestattet. Aufgrund dieser hinreichend geschützten Rechtsposition hat der Kläger die Wohnung im Obergeschoss i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG inne. Der Umstand, dass es sich hierbei um eine (bloße) mündlich vereinbarte Nutzungsüberlassung und nicht um ein Mietverhältnis handelt, steht dem – anders als das FG meint – nicht entgegen. Überdies ist die erforderliche „räumliche und wirtschaftliche Trennung“ auch tatsächlich gelebt worden. Nach den Feststellungen des FG wurde die Wohnung im Obergeschoss nur vom Kläger genutzt, während die Eltern ausschließlich die Räume im Erdgeschoss bewohnten. Wird der Haushalt – wie im Streitfall – vom Steuerpflichtigen in Räumlichkeiten geführt, die nach Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und Wirtschaften gestatten, ist regelmäßig vom Unterhalten eines eigenen Hausstands auszugehen (BFH, Urt. v. 28.03.2012 - VI R 87/10 - BStBl II 2012, 800; Bergkemper, jurisPR-SteuerR 29/2012 Anm. 3). Zwar ist auch in einem solchen Fall zu berücksichtigen, dass ein junger Steuerpflichtiger, der nach Schulabschluss gerade eine Ausbildung begonnen hat oder studiert, regelmäßig noch eher in den Haushalt seiner Eltern eingegliedert ist, wenn er im Haus der Eltern wohnt, selbst wenn er dort eigene Räume zur Verfügung hat. Diese Vermutung greift im Streitfall jedoch nicht. Denn zum einen haben sich hier die ursprünglichen Wohnverhältnisse im Streitfall seit den Jahren 2010/2011 grundlegend geändert. Jedenfalls seither kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich der Haushalt der Eltern auch auf die vom Kläger und (vormals) seinem Bruder bewohnten „Kinderzimmer“ im Obergeschoss erstreckte. Vielmehr hat der Kläger nach dem Auszug des Bruders und der umfassenden Renovierung im Obergeschoss einen eigenen – von den Eltern (räumlich und wirtschaftlich) getrennten – Haushalt begründet. Zum anderen handelt es sich beim Kläger nicht (mehr) um einen jungen, wirtschaftlich unselbstständigen Steuerpflichtigen, der nach Schulabschluss gerade eine Ausbildung begonnen hat. Er war vielmehr zu Beginn der Streitjahre bereits 28 Jahre alt und befand sich nach erfolgreicher Berufsausbildung und anschließender Berufstätigkeit in einer zweiten (akademischen) Ausbildung. Er verfügte in den Streitjahren über eigenes, wenn auch in den Jahren 2014 bis 2017 geringes Einkommen, bezog daneben Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und nach Ende des Studiums ein auskömmliches Gehalt. Die Würdigung des FG, der Kläger sei ungeachtet dessen weiterhin als „Kind“ in den elterlichen Haushalt eingegliedert gewesen, trägt mithin nicht.



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