E-Mails als aufbewahrungspflichtige Handels- und Geschäftsbriefe - Grenzen des Datenzugriffs bei AußenprüfungenLeitsätze 1. Handels- und Geschäftsbriefe i.S.v. § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO können auch E-Mails sein. 2. (Digitale) Unterlagen über Konzernverrechnungspreise unterfallen dem Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. 3. Die Finanzverwaltung ist im Rahmen der Außenprüfung grundsätzlich berechtigt, vom Steuerpflichtigen sämtliche E-Mails mit steuerlichem Bezug anzufordern. 4. Mangels Rechtsgrundlage ist es der Finanzverwaltung aber verwehrt, ein sogenanntes Gesamtjournal zu verlangen, das einerseits erst noch erstellt werden müsste und andererseits auch Informationen zu solchen E-Mails enthält, die keinen steuerlichen Bezug haben. - A.
Problemstellung Die Besprechungsentscheidung befasst sich mit grundlegenden Fragen zur Reichweite der Mitwirkungspflichten von Steuerpflichtigen im Rahmen steuerlicher Außenprüfungen im digitalen Zeitalter. Im Kern ist die Abgrenzung zwischen zulässigen und unzulässigen Datenanforderungen der Finanzverwaltung betroffen. Konkret geht es um die Frage, ob und in welchem Umfang die Finanzverwaltung die Vorlage von E-Mails verlangen kann und ob darüber hinaus ein sog. Gesamtjournal (Verzeichnis sämtlicher E-Mail-Korrespondenz mit bestimmten Metadaten) verlangt werden darf.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Bei der Klägerin, einer Konzerngesellschaft, wurde eine Außenprüfung für die Jahre 2012 bis 2014 durchgeführt. Sie hatte mit einer anderen Konzerngesellschaft ein sog. „Agreement“ abgeschlossen, dessen Verrechnungspreise im Fokus der Außenprüfung standen. Das FA forderte im Rahmen der Außenprüfung die Vorlage sämtlicher E-Mails, die die Vorbereitung, den Abschluss und die Durchführung des Agreements einschließlich der Verrechnungspreisdokumentation betrafen. Zusätzlich verlangte das FA die Bereitstellung eines sog. Gesamtjournals in digitaler Form, das umfassende Informationen zu jedweder E-Mail-Korrespondenz der Klägerin enthalten sollte (darunter Datensatznummer, Absender, Empfänger, Datum, Uhrzeit, Betreff und Anlagen sowie ein Zusatzfeld zum bereits ausgeübten Erstqualifikationsrecht). Tatsächlich hatte die Klägerin ein solches Gesamtjournal nicht geführt. Das FG Hamburg gab der gegen das auf § 147 Abs. 6 AO gestützte Vorlageverlangen des FA nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage teilweise statt. Die Vorlage sämtlicher E-Mails mit steuerlichem Bezug zum Agreement sei zwar grundsätzlich zulässig, allerdings sei das Verlangen nach dem Gesamtjournal mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. Sowohl die Klägerin als auch das FA legten Revision ein. Der BFH hat entschieden: I. Die Revision der Klägerin sei unbegründet. 1. Der BFH bestätigte zunächst die Bestimmtheit des Vorlageverlangens. Ein Vorlageverlangen „en bloc“ sei zulässig und verstoße nicht gegen § 119 Abs. 1 AO. Das FA müsse nicht jeden einzelnen Beleg konkret benennen, sondern könne Unterlagen pauschal anfordern, etwa „Eingangs- und Ausgangsrechnungen“ oder – wie hier – E-Mails betreffend ein bestimmtes Agreement. Die durch die Bezugnahme auf das Agreement erfolgte Konkretisierung sei ausreichend. Der Klägerin sei klar gewesen, was von ihr verlangt worden sei. Eine weitere Beschränkung auf bestimmte Suchbegriffe, Mitarbeiter oder kürzere Zeiträume sei nicht erforderlich gewesen. 2. In der Sache folge die Pflicht zur Vorlage der E-Mails aus § 147 Abs. 6 AO, da diese aufzubewahren seien. Der BFH stellte klar, dass auch E-Mails grundsätzlich aufbewahrungspflichtig seien, sofern sie rechnungslegungsrelevante Informationen enthielten. Nach § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO seien empfangene und abgesandte Handels- oder Geschäftsbriefe aufzubewahren. Der Begriff des Handelsbriefs erfasse die gesamte, den betrieblichen Bereich betreffende Korrespondenz, soweit sie sich auf die Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts i.S.d. §§ 343, 344 HGB beziehe. Auf die Form komme es dabei nicht an. Auch Fernschreiben, Telegramme und insbesondere E-Mails seien daher grundsätzlich aufbewahrungspflichtig, jedenfalls insoweit, als die E-Mail selbst rechnungslegungsrelevante Informationen enthalte; ansonsten sei jedenfalls der Anhang mit steuererheblichen Daten aufzubewahren. Der BFH wies die Argumentation der Klägerin zurück, E-Mails zur Durchführung des Agreements seien lediglich Erfüllungshandlungen ohne rechtsgeschäftlichen Charakter und daher keine aufbewahrungspflichtigen Handelsbriefe. Die – hier verfahrensgegenständliche – steuerrechtliche Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO erstrecke sich nicht nur auf den Abschluss, sondern auch auf die Vorbereitung und die Durchführung eines Handelsgeschäfts. Ob Realakte handelsrechtlich als Handelsgeschäfte i.S. von § 343 HGB einzuordnen seien, sei im vorliegenden Kontext ohne entscheidende Bedeutung. 3. Zu Recht verlange das FA auch die Vorlage derjenigen E-Mails, die sich auf die Verrechnungspreisdokumentation der Klägerin bezögen, unter Berufung auf § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Dokumentationen über Konzernverrechnungspreise unterfielen dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Das Aufstellen spezieller Aufzeichnungspflichten im Rahmen von § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der GAufzV (a.F.) mache die allgemeinen Aufbewahrungspflichten nicht gleichzeitig unzulässig. Das Fehlen und Einführen von Rechtsgrundlagen für spezielle, eingriffsintensive hoheitliche Maßnahmen schaffe nicht gleichzeitig eine Notwendigkeit, auch weniger eingriffsintensive Maßnahmen auf eine neue Grundlage zu stellen. 4. Das Vorlageverlangen erweise sich als verhältnismäßig und frei von Ermessensfehlern. Der Eingriff überlasse es der Klägerin, welche E-Mails sie im Einzelfall vorlege. Damit sei es ihr unbenommen, Daten ohne steuerliche Relevanz zu selektieren (Erstqualifikationsrecht). Der Steuerpflichtige sei primärer Wissensträger mit der größten Beweisnähe. Das FA müsse nicht auf Stichproben, bestimmte Datenparameter oder Zeiträume beschränkt werden. Es sei Sache der Klägerin, ihre Datenbestände so zu organisieren, dass eine berechtigte Einsichtnahme durch die Finanzverwaltung erfolgen könne, ohne dass dabei geschützte Bereiche berührt würden. II. Die Revision des FA sei unbegründet, soweit es um das Gesamtjournal gehe. Die Aufforderung, ein Gesamtjournal zu überlassen, sei bereits mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. 1. § 147 Abs. 6 AO scheide als Rechtsgrundlage aus. Voraussetzung für die Datenanforderung nach dieser Vorschrift sei das Bestehen einer Aufbewahrungspflicht. Die Finanzbehörde könne mittels Datenzugriffs nur Einsicht in solche Unterlagen verlangen, die der Steuerpflichtige aufzubewahren habe. Die Aufforderung zur Überlassung eines Gesamtjournals müsse von der Klägerin dahin verstanden werden, dass Informationen hinsichtlich ihrer gesamten E-Mail-Korrespondenz unabhängig davon vorzulegen seien, ob für eine einzelne E-Mail eine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO bestehe. Dies zeige sich insbesondere an dem Zusatzfeld zum Erstqualifikationsrecht. Ein solches Vorlageverlangen, das sich auch auf E-Mails ohne steuerliche Relevanz erstrecke, überschreite den Umfang der Befugnis zur Anforderung elektronischer Unterlagen. Wenn schon grundsätzlich ausgeschlossen sei, dass die Finanzverwaltung Einsicht in Unterlagen verlangen könne, die nicht aufbewahrt werden müssten, sei es erst recht ausgeschlossen, Einsicht und Informationen hinsichtlich solcher Unterlagen zu verlangen, die mangels Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht nicht einmal vorhanden seien, sondern eigens erstellt werden müssten. 2. Auch § 200 Abs. 1 Satz 2 AO könne als Rechtsgrundlage nicht dienen. Vom Datenzugriffsrecht nach § 147 Abs. 6 AO zu unterscheiden sei das Vorlageverlangen nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO. Hiernach sei ein Steuerpflichtiger im Rahmen der Außenprüfung u.a. zur Vorlage von Aufzeichnungen, ggf. Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur Einsicht und Prüfung verpflichtet. Damit könnten auch Unterlagen vorzulegen sein, für die keine Aufbewahrungspflicht bestehe; diese Vorschrift beziehe sich allerdings lediglich auf tatsächlich vorhandene Unterlagen. Sei das gewünschte Gesamtjournal tatsächlich nicht vorhanden, könne seine Vorlage schon deshalb nicht nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO verlangt werden.
- C.
Kontext der Entscheidung Die Besprechungsentscheidung bestätigt und konkretisiert die bisherige Rechtsprechung des BFH zur Vorlagepflicht elektronischer Unterlagen. I. Der BFH knüpft an seine ständige Rechtsprechung zur Aufbewahrungspflicht von Daten an (BFH, Urt. v. 24.06.2009 - VIII R 80/06 Rn. 16 - BStBl II 2010, 452; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 47/2009 Anm. 2; BFH, Urt. v. 12.02.2020 - X R 8/18 Rn. 16 - BFH/NV 2020, 1045; Anm. Peters, jurisPR-SteuerR 49/2020 Anm. 3) und führt diese fort, indem er E-Mails als aufbewahrungspflichtige Handelsbriefe qualifiziert. Zugleich bestätigt er die Zulässigkeit solcher Vorlageverlangen nach dem Urteil vom 28.10.2009 (VIII R 78/05 Rn. 29 - 31 - BStBl II 2010, 455; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 16/2010 Anm. 2), wonach die Anforderung von Unterlagen „en bloc“ nicht gegen § 119 Abs. 1 AO verstößt, wenn – wie hier durch Bezugnahme auf das Agreement – eine hinreichende Konkretisierung erfolgt. II. Hinsichtlich der Grenzen des Datenzugriffsrechts stützt sich der BFH auf seine gefestigte Rechtsprechung, wonach § 147 Abs. 6 AO nur insoweit eine Rechtsgrundlage bietet, als eine Aufbewahrungspflicht besteht (BFH, Urt. v. 24.06.2009 - VIII R 80/06 Rn. 16 - BStBl II 2010, 452; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 47/2009 Anm. 2; BFH, Urt. v. 12.02.2020 - X R 8/18 Rn. 16 - BFH/NV 2020, 1045; Anm. Peters, jurisPR-SteuerR 49/2020 Anm. 3; BFH, Urt. v. 07.06.2021 - VIII R 24/18 Rn. 13 - BStBl II 2023, 63; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 47/2009 Anm. 2). Hieraus ist die Schlussfolgerung zu ziehen: Wenn schon keine Einsicht in vorhandene, aber nicht aufbewahrungspflichtige Unterlagen verlangt werden kann, ist es erst recht ausgeschlossen, eine noch zu erstellende Datensammlung (hier: Gesamtjournal) zu verlangen, das auch Informationen zu nicht aufbewahrungspflichtigen E-Mails enthält. Auch § 200 Abs. 1 Satz 2 AO scheide als Rechtsgrundlage aus, da diese Vorschrift sich nur auf tatsächlich vorhandene Unterlagen beziehe (BFH, Urt. v. 28.10.2009 - VIII R 78/05 - BStBl II 2010, 455; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 16/2010 Anm. 2; BFH, Urt. v. 12.02.2020 - X R 8/18 Rn. 21 - BFH/NV 2020, 1045 Rn, 17; Anm. Peters, jurisPR-SteuerR 49/2020 Anm. 3). III. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit konnte der XI. Senat des BFH auf das Erstqualifikationsrecht des Steuerpflichtigen verweisen, wonach es dem Steuerpflichtigen unbenommen bleibt, solche Daten, die nicht steuerlich relevant sind, zu selektieren (BFH, Urt. v. 16.12.2014 - X R 42/13 - BStBl II 2015, 519; Anm. Schuster, jurisPR-SteuerR 25/2015 Anm. 2). Der Steuerpflichtige muss als primärer Wissensträger mit der größten Beweisnähe seine Datenbestände entsprechend organisieren (vgl. allgemein BFH, Urt. v. 28.10.2009 - VIII R 78/05 Rn. 33 - BStBl II 2010, 455; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 16/2010 Anm. 2).
- D.
Auswirkungen für die Praxis I. Steuerpflichtige müssen sich – sofern noch nicht geschehen – darauf einstellen, dass die Finanzbehörden im Rahmen einer Außenprüfung umfassende E-Mail-Korrespondenz (auch) „en bloc“ anfordern dürfen, sofern diese steuerlichen Bezug hat. Vom Vorlageverlangen ausgenommen sind daher solche E-Mails, die lediglich privater Natur sind oder die firmeninterne Kommunikation betreffen. Dies erfordert eine sorgfältige Organisation der digitalen Datenbestände, um im Prüfungsfall in angemessener Zeit auf entsprechende Anforderungen reagieren zu können. Bei der Vorlage angeforderter E-Mails können Steuerpflichtige ihr Erstqualifikationsrecht ausüben und E-Mails ohne Steuerrelevanz von der Vorlage ausnehmen. Nach der Besprechungsentscheidung müssen Steuerpflichtige keine Daten vorlegen, die nicht bereits vorhanden sind. Das Verlangen nach Erstellung solcher Datenbestände ist mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. II. Besondere Bedeutung hat die Entscheidung für die Verrechnungspreisprüfung. Der BFH hat klargestellt, dass E-Mails zur Verrechnungspreisdokumentation dem Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO unterliegen und vorzulegen sind. Dies ergänzt die speziellen Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der GAufzV a.F., ersetzt diese aber nicht. Insoweit hat der BFH in systematischer Hinsicht klargestellt, dass § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der GAufzV (a.F.) Vorlagepflichten aus anderen Normen (hier: § 147 Abs. 6 AO) nicht ausschließt. Soweit auf Grundlage von § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der GAufzV (a.F.) besondere Dokumentations- und Vorlagepflichten statuiert sind, entbindet dies nicht von der aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO folgenden Verpflichtung, allgemeine Unterlagen, namentlich auch E-Mails, vorzuhalten, soweit darin Vorgänge enthalten sind, die für die Verrechnungspreisdokumentation und somit „für die Besteuerung von Bedeutung“ sind. Durch das Aufstellen mitunter sehr eingriffsintensiver Aufzeichnungspflichten im Rahmen von § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der GAufzV (a.F.) werden – viel weniger eingriffsintensive – Aufbewahrungspflichten nicht gleichzeitig unzulässig. Soweit die aktuelle GAufzV in § 4 Abs. 3 Satz 4 die sinngemäße Geltung von § 147 Abs. 6 AO anordnet, hat diese Erweiterung also nur deklaratorische Bedeutung.
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