Totalunternehmervergabe auf der Grundlage einer funktionalen LeistungsbeschreibungLeitsätze 1. Allein die Erklärung eines Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren, er werde im Falle eines Unterliegens sein Beschaffungsvorhaben aufgeben, lässt die Antragsbefugnis nicht entfallen, solange nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen feststeht, dass eine Beschaffung ausgeschlossen ist. 2. Zu den Anforderungen an die Begründung einer Gesamtvergabe von Planung und Bauleistung (Festhaltung OLG Rostock, Beschl. v. 18.07.2024 - 17 Verg 1/24). 3. Zur Abgrenzung zwischen Leistungsbestimmungsrecht und Entscheidung über die Losvergabe. - A.
Problemstellung In seiner Entscheidung vom 10.01.2025 hatte sich das OLG Rostock mit den Anforderungen an die Begründung einer Gesamtvergabe von Planung und Ausführung von Bauleistungen im Wege einer sogenannten Totalunternehmervergabe auf der Grundlage einer funktionalen Leistungsbeschreibung auseinanderzusetzen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Mit Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 29.05.2024 schrieb das Land (nachstehend: „Antragsgegner“) Totalunternehmerleistung für die Planung und Ausführung von Bauleistungen für den Bau von Feuerwehrhäusern für Freiwillige Feuerwehren als Rahmenvertrag im wettbewerblichen Dialog aus, nachdem eine Arbeitsgruppe einen Musterraumplan definiert hatte. Nach Angaben des Landes verfolge es dabei keinen konkreten Plan zur Lösung der Beschaffungsaufgabe, sondern nur ein festgelegtes Ergebnis. Daher solle im Rahmen eines wettbewerblichen Dialogs eine wirtschaftliche Lösung gefunden werden, was eine Gesamtvergabe erfordere. Eine getrennte Vergabe von Planung und Bauausführung ermögliche keine sinnvolle und wirtschaftliche Lösung. Wenn Fertighauslösungen zugelassen werden sollen, könne ein Architekt, der nicht in die Arbeitsprozesse des Fertighausteilanbieters eingebunden ist, keine verlässlichen Aussagen zu Herstellungsprozessen und -kosten machen. Bei getrennter Ausschreibung von Planung und Bau könne der Planer keine realistischen Aussagen zur Realisierbarkeit und zu den Kosten machen, was die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots unmöglich macht. Da der Markt für Nichtwohngebäude in Fertigbauweise noch in der Entwicklung sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlicher Architekt oder Ingenieur bereits ausreichend Erfahrung habe, um im Vergabeverfahren belastbare Aussagen zu treffen. Alternativ könnte man zwar Fertigbauweise ausschließen und auf konventionelle Bauweise bestehen, was jedoch der angestrebten Technologieoffenheit widerspreche. Eine schnelle Umsetzung der Feuerwehrgebäude ist gewünscht, was mit konventioneller Bauweise zwar möglich, aber mit Fertigbauteilen schneller realisierbar sei. Die Umsetzung in Fertigteilbauweise sei nur sinnvoll, wenn das ausführende Unternehmen in die Planungsleistung eingebunden wird. Eine getrennte Vergabe würde zu einer Vorfestlegung des Beschaffungsbedarfs und zu einer unwirtschaftlicheren Vergabe führen. Neben anderen Aspekten rügte die Antragstellerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Losaufteilung aus § 97 Abs. 4 GWB. Der Rüge half der Antragsgegner nicht ab, so dass die Antragstellerin im Juli 2024 ein Nachprüfungsverfahren anstrengte, in dem sie obsiegte. Die Vergabekammer hatte dem Antragsgegner auferlegt, das Vergabeverfahren in den Zustand vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und es unter Berücksichtigung ihrer Rechtsauffassung neu bekannt zu machen. Die Begründung umfasste mehrere Punkte: Der Antragsgegner habe es versäumt zu dokumentieren, dass er die im Gutachten des Beraters vom 23.11.2023 vorgeschlagene Entscheidung zur Gesamtvergabe selbst getroffen habe. Eine nachträgliche Dokumentation im Nachprüfungsverfahren sei nicht möglich. Darüber hinaus sei bei der Entscheidung für die Gesamtvergabe der Beurteilungsspielraum überschritten worden. Der Auftraggeber hätte neben der Innovation, wie dem seriellen Musterfeuerwehrhaus, auch die Ziele der Verhältnismäßigkeit, wie das Auftragsvolumen, Umweltaspekte, wie die Flächenschonung durch Anstatt Neubauten, und den Mittelstandsschutz berücksichtigen und in die Abwägung einfließen lassen müssen. Es habe an einer gründlichen Sachverhaltsermittlung, insbesondere hinsichtlich der Mehrkosten, gefehlt. Gegen diesen Beschluss der Vergabekammer wandte sich der Antragsgegner mit sofortiger Beschwerde an das OLG Rostock. Ohne Erfolg! Nach § 97 Abs. 4 Satz 1 bis 3 GWB seien – so das OLG Rostock – Leistungen grundsätzlich in Losen zu vergeben, um den Mittelstand zu schützen. Von dieser Regel könne nur abgewichen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erforderten. Die Regelung solle verhindern, dass große Aufträge die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überforderten. Mit der 2009 eingeführten Regelung des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB solle der zunehmenden Praxis der Bündelung von Auftragsvergaben entgegengewirkt werden. Daher dürfe von der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. Die Vergabe müsse im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts, wie Wirtschaftlichkeit, Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit, sowie strategischen Zielen wie Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte, betrachtet werden. Es reiche nicht aus, wenn der Auftraggeber lediglich anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringe. Die Entlastung des Auftraggebers von Koordinierungsaufgaben oder organisatorischem Mehraufwand rechtfertige allein kein Absehen von der Losvergabe. Der Auftraggeber müsse eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange treffen, wobei die Gründe für eine zusammenfassende Vergabe überwiegen müssten. Die Rechtsprechung habe strenge Maßstäbe angelegt und sei von einem Regel-/Ausnahmeverhältnis ausgegangen. Dies bedeute nicht, dass eine Gesamtvergabe nur bei objektiv zwingenden Gründen erfolgen dürfe. Der Auftraggeber müsse die Argumentation nachvollziehbar darlegen, auch wenn die Nachprüfungsinstanzen diese nicht teilten. Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe stehe dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung über die Gesamtvergabe sei nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung beruhe. Die Nachprüfungsinstanzen dürften die Entscheidung des Auftraggebers nicht durch eine eigene Beurteilung ersetzen. Technische und wirtschaftliche Gründe i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB seien solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machten. Dies könne bei komplexen Dienstleistungen oder bei unverhältnismäßigen Kostennachteilen und Verzögerungen der Fall sein. Wirtschaftliche Gründe könnten auch bei eilbedürftigen Vorhaben vorliegen, wie die Fertigstellung eines Bauabschnitts einer vielbefahrenen Autobahn. Diesen Anforderungen werde der Antragsgegner vorliegend nicht gerecht. Er habe es versäumt, die Entscheidung zur Gesamtvergabe ausreichend zu dokumentieren und nachvollziehbare Annahmen zu treffen, so dass die Entscheidung für den Senat nicht prüfbar sei. Im Hinblick auf den Koordinierungsaufwand und die Mehrkosten habe der Antragsgegner zwar argumentiert, dass bei einer Totalunternehmervergabe wegen des erhöhten Koordinierungsaufwands mit Mehrkosten zu rechnen sei. Der Senat könne aber nicht nachvollziehen, warum dies gerade bei einer Trennung zwischen Planung- und Bauvergabe zutreffen sollte. Es besteht das Risiko, dass bei Kombination von Planung und Bau im Rahmen von Bietergemeinschaften nicht für jeden Teilbereich der günstigste Anbieter zum Zuge komme, und zudem könnte das Planungsergebnis auf einen Anbieter zugeschnitten sein, was bei Folgeaufträgen zu Problemen führen könnte. Auch könne vorliegend nicht unterstellt werden, dass auf dem Markt keine Architekten verfügbar seien, die über die nötige Erfahrung im Bereich der Fertigbauweise für Nichtwohngebäude verfügten, um die Vor- und Nachteile verschiedener Bauweisen und die damit einhergehenden Einsparpotenziale abzuschätzen. Auch die Öffnung des Wettbewerbs für große Systemhaushersteller sei kein legitimes Anliegen, da diese im Wettbewerb auf die eigene Bauweise zugeschnittene Planung vorlegen könnten, ohne Geschäftsgeheimnisse offenzulegen.
- C.
Kontext der Entscheidung Die Entscheidung des OLG Rostock fügt sich in den rechtlichen Kontext der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte ein, die hohe Anforderungen an den Verzicht auf eine Losvergabe stellen. Diese Entscheidung steht im Einklang mit der strengen Auslegung des § 97 Abs. 4 GWB, die auch von anderen Gerichten vertreten wird (vgl. zur Dokumentation: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.03.2020 - VII-Verg 10/20; vgl. zur inhaltlichen Begründung: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2024 - Verg 6/24). Das OLG Rostock betont, dass die Vergabe von Leistungen in Losen der Regelfall sei und nur in begründeten Ausnahmefällen davon abgewichen werden dürfe. Diese strenge Auslegung soll den Mittelstand schützen und sicherstellen, dass große Aufträge nicht die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung des OLG Rostock bestätigt, dass die Anforderungen an den Verzicht auf eine Losvergabe aus Sicht der Rechtsprechung weiterhin sehr hoch sind. Die Gerichte verlangen eine umfassende und nachvollziehbare Begründung, warum eine Gesamtvergabe notwendig ist. Weiterhin gilt, dass die Entscheidung über das Absehen von einer losweisen Vergabe detailliert zu dokumentieren und belastbar zu begründen ist. Auf der Grundlage eines umfassend ermittelten Sachverhaltes hat der Auftraggeber sodann in eine Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung der Grundsätze des Vergaberechts einzutreten. Die daraus resultierende Abwägungsentscheidung ist von den Gerichten nur im Rahmen der allgemeinen Fehlerlehre überprüfbar. Ebenso ist sicherzustellen, dass im Falle der Einbeziehung externen Sachverstandes die Letztverantwortung für die Entscheidung zur Gesamtvergabe beim Auftraggeber liegt. Dieser muss die Ausführung des Externen daher genau prüfen und abwägen sowie sich diese schließlich zu Eigen machen. Schablonenhafte Ansätze oder das alleinige Anführen von Nachteilen, die der Losaufteilung immanent sind (Schnittstellen, Koordinierungsaufwand, Erschwerung der Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen), reichen nicht aus. Die Entscheidung verdeutlicht, dass der deutsche Sonderweg eines strengen Gebots zur Losaufteilung einer innovationsoffenen Beschaffung von Leistung entgegensteht. Insbesondere im Zusammenhang mit der faktischen Notwendigkeit, serielles Bauen im Bereich der Infrastruktur, des Wohnbaus und der Errichtung von Funktionsgebäuden zu fördern, erweist sich das Vergaberecht als Hemmschuh. Eingedenk der großen Herausforderungen der heutigen Zeit ist – nach Ansicht des Autors – schnellstmöglich Abhilfe durch den Gesetzgeber zu schaffen. § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BwBBG zeigt, dass dies möglich ist. Solange die Gesetzeslage aber nicht verändert wird, bleibt insbesondere im Zusammenhang mit seriellem Bau zu hoffen, dass die Rechtsprechung zumindest in den Fällen, in denen die Begründung zum Verzicht auf die losweise Vergabe ausführlich und nachvollziehbar dokumentiert ist, das überwiegende Interesse an innovationsoffenen Ausschreibungen anerkennt.
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