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Anmerkung zu:OLG Düsseldorf 1. Zivilsenat, Urteil vom 05.11.2024 - I-1 U 98/21
Autor:Dr. Michael Nugel, RA, FA für Verkehrsrecht und FA für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum:12.02.2025
Quelle:juris Logo
Norm:§ 286 ZPO
Fundstelle:jurisPR-VerkR 3/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Nugel, jurisPR-VerkR 3/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Klagabweisung bei einem „So-nicht-Unfall“



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Der Geschädigte hat nach dem Maßstab des § 286 ZPO darzulegen und zu beweisen, dass der Unfall tatsächlich wie behauptet, stattgefunden hat und die von ihm verfolgten Schäden darauf beruhen.
2. Dieser Nachweis ist insbesondere dann nicht erbracht, wenn Zweifel verbleiben, ob sich der Unfall in der nach Ort und Zeit beschriebenen Weise ereignet hat.
3. Dies ist nicht der Fall, wenn sowohl die behauptete Erstkollision als auch eine Zweitkollision aus technischer Sicht erheblichen Bedenken ausgesetzt sind und zudem Anhaltspunkte vorliegen, dass ein beteiligter Fahrzeugführer darüber hinaus jegliches Ausweich- und Vermeidungsverhalten vermieden hat.



A.
Problemstellung
Das OLG Düsseldorf hatte bei dem Verdacht auf ein abgesprochenes Unfallereignis, in welches die Klägerseite eingewilligt hat, darüber zu entscheiden, ob dem Kläger überhaupt der Nachweis gelungen ist, dass sich der behauptete Verkehrsunfall in der geschilderten Art und Weise ereignet hat oder ob ein sog. „So-nicht-Unfall“ vorliegt und alleine deshalb die Klage abzuweisen ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger behauptete einen Verkehrsunfall erlitten zu haben, bei dem der Fahrzeugführer des klägerischen Luxus-SUVs durch einen unachtsamen Fahrstreifenwechsel eines daneben befindlichen alten Ford Fiesta des Beklagten zu 1) im erheblichen Umfang beschädigt und dadurch von der Fahrbahn abgedrängt worden sei. Der Kläger machte Nettoreparaturkosten i.H.v. gut 30.000 Euro und einen Minderwert zusätzlich von weiteren 3.000 Euro geltend. Die Parteien stritten neben der Abgrenzung zu einem nur drei Tage vorher erfolgten Vorschaden und Bedenken zu der von der Klägerseite behaupteten Aktivlegitimation insbesondere darüber, ob sich der Verkehrsunfall in der geschilderten Art und Weise abgespielt hat und in diesem Fall von einem abgesprochenen Unfallereignis auszugehen sei, bei welchem die Klägerseite in die Beschädigung ihres Fahrzeuges eingewilligt habe.
Während das Landgericht die Klage schon wegen einer fehlenden Abgrenzung zwischen Alt- und Neuschäden scheitern ließ, ging das OLG Düsseldorf bei der Beweisaufnahme einen Schritt weiter und hat ein Sachverständigengutachten im Hinblick auf den behaupteten Unfallhergang und hieraus abgeleiteten Schäden eingeholt. Der Gutachter kam allerdings zu dem Ergebnis, dass sich der Verkehrsunfall nicht, wie vom klägerischen Zeugen als Fahrzeugführer geschildert, ereignet haben kann. Zwar könne es durchaus zu einem Kontakt zwischen den Fahrzeugen gekommen sein. Die dafür geschilderte Art und Weise war allerdings erheblichen Zweifeln ausgesetzt. Dies beginne bereits damit, dass entgegen den Angaben des klägerischen Fahrzeugführers der Pkw der Beklagtenseite eine deutlich höhere Geschwindigkeit hätte aufweisen müssen, um die Schäden am klägerischen Fahrzeug zu erzeugen. Dies aber lasse sich nicht mit einem unachtsamen Fahrstreifenwechsel in Verbindung bringen, bei dem das klägerische Fahrzeug gut erkennbar links neben dem Ford Fiesta gewesen wäre, der mit höherer Geschwindigkeit herannahte.
Aus Sicht des Sachverständigen war es auch nicht zu erklären, dass das klägerische Fahrzeug bei dieser leichten Kollision nach rechts ausgebrochen und anschließend mit einem dort befindlichen Pfosten frontal neben der Fahrbahn kollidiert sei. Der klägerische Fahrzeugführer habe insoweit noch angegeben, dass es durch die Kollision zu einer Verhakung der Fahrzeuge gekommen sei und er daher nach rechts auf die gegenüberliegende Straßenseite und dort gegen den Bürgersteig und einen vorhandenen Poller „mitgezogen“ worden sei. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige schloss eine solche „Verhakung“ zwischen den Fahrzeugen aus technischer Sicht jedoch aus. Vielmehr konnte der Gutachter gar nicht erklären, warum der klägerische Fahrzeugführer überhaupt keine Abwehrreaktion gezeigt habe. Denn das Klägerfahrzeug sei weder vor noch nach der Kollision gebremst worden. Es sei auch kein Ausweichmanöver erfolgt, obwohl das Fahrzeug mit einer sicher beherrschbaren Verzögerung hätte zum Stillstand gebracht werden können. Ebenso hätte sich der Zusammenstoß durch eine rechtzeitige Lenkung nach links von der Gefahr weg vermeiden lassen. Aus technischer Sicht gebe es keinen vernünftigen Erklärungsansatz für ein solches Fahrverhalten des Zeugen, der naheliegende Abwehrmaßnahmen zurückgestellt habe. Dies könne auch nicht mit einem „Schock“ erklärt werden, da der beteiligte Fahrzeugführer ansonsten in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sodann geordnet auf dem Gehsteig wieder nach links zu lenken und abzustellen.
Vor diesem Hintergrund ist das OLG Düsseldorf davon ausgegangen, dass der Kläger im Rahmen seiner Beweisführung gar nicht nachgewiesen habe, dass sich der von ihm behauptete Verkehrsunfall in der geschilderten Art und Weise ereignet habe. Dies sei aber die Grundvoraussetzung für den von ihm verfolgten Schadensersatzanspruch und deshalb die Klage im vollen Umfang abzuweisen, so dass es auf eine Aufklärung der weiteren Bedenken zur Aktivlegitimation und einer Abgrenzung zwischen Vorschäden und einem neu eingetretenen Schaden gar nicht mehr ankomme.


C.
Kontext der Entscheidung
Erhebt der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des Unfallgegners den Einwand eines abgesprochenen Unfallereignisses, ist im Regelfall eine umfassende Aufklärung des behaupteten Unfallgeschehens und der daraus abgeleiteten Schäden vorzunehmen, die mit einer unterschiedlichen Beweislastverteilung verbunden ist. Zwar hat der beklagte Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer – wenn es darauf ankommt – den Nachweis eines abgesprochenen Unfallereignisses zu führen, bei dem der geschädigte Anspruchsteller in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat und daher eine Rechtswidrigkeit des eingetretenen Schadens entfällt. Hierauf kommt es allerdings dann nicht mehr an, wenn der Kläger schon bei einer vorangehenden Prüfung beweisfällig geblieben ist. Denn ihn trifft quasi auf der ersten Stufe die Nachweispflicht dafür, dass der behauptete Verkehrsunfall sich in der geschilderten Art und Weise abgespielt hat und darüber hinaus auch, dass die geltend gemachten Schäden darauf beruhen. Wenn weder der eine noch der andere Nachweis gelingt, ist eine weitere Aufklärung des Geschehens bzw. eine entsprechende Bewertung, ob im Rahmen einer Indizienrechtsprechung von einem abgesprochenen Unfallereignis mit einer Einwilligung auszugehen ist, gar nicht mehr geboten.
Der Geschädigte muss jedenfalls den Nachweis führen, dass sich das behauptete haftungsbegründende Verkehrsgeschehen an dem geschilderten Unfallort zur angegebenen Zeit ereignet hat (BGH, Urt. v. 01.10.2019 - VI ZR 164/18 - RuS 2020, 47; BGH, Beschl. v. 25.03.2014 - VI ZR 438/13 - Schaden-Praxis 2014, 206). Ergeben sich dabei Zweifel, gehen diese zulasten des Anspruchstellers (OLG Hamm, Beschl. v. 23.05.2016 - I-6 U 201/15; OLG Köln, Beschl. v. 23.10.2014 - 19 U 79/14). Bei diesem Nachweis des Unfallgeschehens können sogar die Indizien zu berücksichtigen sein, welche darüber hinaus auch Zweifel an einem unfreiwilligen Schadensereignis wecken (OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.2015 - I-9 U 164/15; OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.10.2012 - 4 U 259/11; im Überblick Nugel, ZfSch 2023, 124). Dabei ist zu beachten, dass das vorgetragene Verkehrsunfallgeschehen den Streitgegenstand der Klage bildet und daher das Gericht davon überzeugt sein muss, dass der Unfall sich in der vom Kläger nach Ort und Zeit beschriebenen Weise tatsächlich ereignet hat (OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.2023 - I-1 U 143/22) – bei den ganz erheblichen Zweifeln des Senats in diesem Fall und den im Gutachten aufgedeckten Widersprüchen ist der Kläger nachvollziehbar beweisfällig geblieben.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der vorliegende Fall bietet darüber hinaus auch deutliche Anhaltspunkte dafür, dass von einer bewussten Schadensherbeiführung im Rahmen einer Absprache auszugehen ist. Denn aus technischer Sicht liegt eine vorsätzliche Schadensherbeiführung des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges nahe, da zu erwartende Abwehrmaßnahmen unterblieben sind. An sich wäre hier insbesondere zu erwarten gewesen, dass instinktiv durch den betroffenen Fahrer abgebremst wird, um die gut erkennbar drohende weitere Kollision mit einem Poller zu vermeiden oder aber instinktiv von dem Poller als Gefahr weg wieder nach links gelenkt wird. Auf beide Art und Weise hätte eine solche Kollision ohne Weiteres vermieden werden können. Und dass ein Fahrzeugführer zumindest eine der beiden naheliegenden Abwehrmaßnahmen gar nicht umsetzt, kann typischerweise nur damit erklärt werden, dass die Kollision bewusst gesucht wird. Dies ist ein entscheidendes, aber nur eines von vielen Indizien, die bei dem vorliegenden Fall auch für eine Einwilligung in die Beschädigung des eigenen Fahrzeuges sprechen, wobei es hier entscheidend auf eine Gesamtwürdigung ankommt. Dieser Beweis für eine Einwilligung des Geschädigten ist jedenfalls dann geführt, wenn sich eine Häufung von Umständen und Beweiszeichen findet, die in ihrer Gesamtschau hierauf hindeutet (OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.08.2023 - I-1 U 143/22; OLG Hamm, Beschl. v. 22.12.2020 - I-9 U 123/20; weitere Nachweise bei Franzke/Nugel, NJW 2015, 2071). Unerheblich ist dabei, ob diese Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig erklärt werden können (OLG Hamburg, Urt. v. 21.02.2023 - 14 U 57/22), und für die Annahme einer solchen Einwilligung genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit (OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2014 - I-20 U 66/14).
Über die technischen Bedenken hinaus lässt der Fall auch viele weitere typische Indizien in dieser Hinsicht erkennen, und bereits die beteiligten Fahrzeuge sind typisch für ein derart abgesprochenes Unfallereignis: Auf der Klägerseite findet sich ein Luxus-SUV, welcher sowohl an der einen als auch der anderen Seite einen lukrativ abzurechnenden Streifschaden erlitten hat, der eine „doppelte gewinnbringende fiktive Abrechnung“ ermöglicht. Der etwas höhere Wert dieses Fahrzeuges verhindert auch die Annahme eines wirtschaftlichen Totalschadens und bildet die Grundlage für eine gewinnbringende Abrechnung. Auf der Schädigerseite wird dagegen ein Kleinwagen eingesetzt, bei dem ein erheblicher Schaden nicht zu erwarten ist. Dies alles bei einem durchaus beherrschbaren Unfallgeschehen mit einer vermeintlich klaren Haftungslage, bei dem die Verantwortung gleich eingestanden wird. Passend dazu gibt es auch einen überlagernden Vorschaden, der nur wenige Tage zuvor stattgefunden hat und ebenfalls fiktiv abgerechnet wurde (zu diesen Kriterien vgl. auch Franzke/Nugel, NJW 2015, 2071).



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