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Anmerkung zu:OLG Hamm 7. Zivilsenat, Urteil vom 25.03.2025 - I-7 U 72/23
Autor:Thomas Neumair, RA, FA für Arbeitsrecht und FA für Verkehrsrecht, Dipl.-Verwaltungswirt (FH)
Erscheinungsdatum:22.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 138 BGB, Art 103 GG, § 296 ZPO, § 242 BGB, § 28 VVG, § 287 ZPO, § 249 BGB, § 538 ZPO, § 21 GKG 2004
Fundstelle:jurisPR-VerkR 21/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Neumair, jurisPR-VerkR 21/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Auswirkungen einer Diskrepanz zwischen Sachverständigengutachten und Reparaturrechnung auf die Darlegung des Fahrzeugschadens im Haftpflichtprozess



Leitsatz

Eine vollständige Leistungsfreiheit (Verwirkung), ggf. aus § 242 BGB, kommt im Fall des kollusiven Zusammenwirkens eines Verkehrsunfallgeschädigten und einer Reparaturwerkstatt zur überhöhten Geltendmachung von Reparaturkosten gegenüber dem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer (Haftpflichtverhältnis) - anders als etwa im Rahmen eines Versicherungsvertragsverhältnisses im Hinblick auf § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG - nicht in Betracht (im Fortschreibung zu OLG Hamm, Urt. v. 25.01.2022 - I-9 U 46/21 - NJOZ 2022, 787 Ls. 4 = juris Rn. 21).



Orientierungssatz zur Anmerkung

Weicht die Reparaturrechnung vom Sachverständigengutachten ab und behauptet der Kläger, die Arbeiten seien sach- und fachgerecht durchgeführt worden, muss das Gericht dem im Rahmen der Beweisaufnahme nachgehen.



A.
Problemstellung
Der Umfang von durchgeführten Reparaturmaßnahmen und deren Güte ist sowohl außergerichtlich als auch in der Prozesssituation ein ständiger Streitpunkt zwischen dem Geschädigten und dem gegnerischen Haftpflichtversicherer. Insbesondere dann, wenn die Reparaturrechnung erheblich von den kalkulierten Reparaturkosten oder dem im Gutachten vorgesehenen Reparaturweg abweicht, kann dies Auswirkungen auf den gesamten Anspruch des Geschädigten haben. Das OLG Hamm hatte einen Sachverhalt zu beurteilen, in welchem die Reparaturmaßnahmen des Klägers deutlich hinter dem Gutachten zurückblieben und dieser dennoch eine sach- und fachgerechte Reparatur behauptete.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das OLG Hamm hat das landgerichtliche Urteil auf die Berufung der Beklagten gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Das Urteil beruhte nach Ansicht des Oberlandesgerichts auf einem wesentlichen Verfahrensfehler. Das Landgericht habe den maßgeblichen Sachverhalt verfahrensfehlerhaft nicht hinreichend aufgeklärt, es habe die Klage nicht ohne Beweiserhebung zum von Beklagtenseite behaupteten kollusiven Zusammenwirken zwischen Kläger und Reparaturwerkstatt entscheiden dürfen. Die Beklagte habe Beweis durch Vernehmung des Zeugen W. und durch Parteivernehmung/Parteianhörung des Klägers angeboten; auf ebendiese habe sich auch der Kläger gegenbeweislich bezogen. Da das Landgericht festgestellt habe, dass bestimmte Arbeiten seitens der Reparaturwerkstatt nicht durchgeführt worden seien, hätte das Landgericht im Rahmen einer weiteren Beweisaufnahme klären müssen, ob der Vorwurf der Beklagten eines kollusiven Zusammenwirkens des Klägers mit der Reparaturwerkstatt zum Zweck des Abrechnungsbetruges zutreffe und damit Nichtigkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB vorliege. Durch das Unterlassen der gebotenen Beweisaufnahme sei das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zulasten der Beklagten verletzt. An der Nichtigkeit für den Fall kollusiven Zusammenwirkens ändere auch der Umstand der von Klägerseite behaupteten Nachbesserung der Schlechtreparatur nichts. Zwar habe der diesbezügliche Vortrag vom Landgericht nicht als verspätet nach § 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden dürfen, weil der Kläger ausdrücklich vorgetragen habe, die Nachbesserung sei erst später (nach Fristablauf) erfolgt. Damit sei der späte Vortrag unverschuldet gewesen, jedoch werde die durch eine ursprüngliche Vereinbarung begründete Nichtigkeit nicht durch eine nachträgliche Vereinbarung einer Nachbesserung behoben. Abgesehen davon erscheine die vorgetragene Nachbesserung nicht gleichbedeutend mit dem laut Rechnung erfolgten und im Privatgutachten vorgesehenen Austausch des linken Seitenteils durch ein Neuteil. Die Rechnung sei damit weiterhin falsch und wegen „Billigreparatur“ überhöht und keine geeignete Grundlage der Abrechnung.
Der Gehörsverstoß des Landgerichts sei auch erheblich. Wäre das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass ein kollusives Zusammenwirken vorliege, hätte es der Klage, die auf konkrete Abrechnung gestützt sei, auch nicht vor dem Hintergrund der neueren BGH-Rechtsprechung zum Werkstattrisiko, von dem bei kollusivem Zusammenwirken nicht gesprochen werden könne, stattgeben dürfen, sondern hätte den Kläger darauf hinweisen müssen, dass (noch) eine fiktive Abrechnung der Reparaturkosten oder eine Abrechnung nach Wiederbeschaffungsaufwand möglich sei (vgl. zur fiktiven Abrechnung etwa BGH, Urt. v. 28.01.2025 - VI ZR 300/24). Zu dieser hätte der Kläger ergänzend (z.B. zum konkreten Wiederbeschaffungswert und Restwert jeweils unter Berücksichtigung der reparierten und nicht reparierten Vorschäden, die sich aus dem Privatgutachten nicht ergäben) vortragen und dann ggf. auf entsprechendes Bestreiten der Beklagten noch Beweis anbieten können. Eine vollständige Leistungsfreiheit (Verwirkung), ggf. aus § 242 BGB, komme in diesem Fall anders als etwa im Rahmen eines Versicherungsvertragsverhältnisses im Hinblick auf § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht in Betracht (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 25.01.2022 - I-9 U 46/21 Rn. 21). Insoweit sei auch eine umfangreiche Beweisaufnahme durch das Landgericht erforderlich. Infolgedessen sei entsprechend dem ausdrücklich gestellten Antrag gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO das landgerichtliche Urteil einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, soweit der Senat sie nicht niedergeschlagen habe, an das Landgericht zurückzuverweisen.
Das Landgericht werde nunmehr im weiteren Verfahren – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats – den maßgebenden Sachverhalt weiter aufzuklären und sodann insgesamt erneut zu entscheiden haben. Dabei werde es zu beachten haben, dass der Kläger, soweit die Klage abgewiesen worden sei, kein Rechtsmittel eingelegt habe. Weise ein Urteil die Klage – wie hier – teilweise ab und gebe es ihr im Übrigen statt, könne zwar auf die Berufung des Beklagten das gesamte Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden. Dann bestehe jedoch Bindung wegen der rechtskräftig gewordenen Teilabweisung und dürfe das Urteil für die Beklagte insoweit nicht mehr verschlechtert werden (das OLG Hamm verweist hier auf Heßler in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 538 Rn. 61; BGH; Beschl. v. 24.05.1989 - IVb ZB 28/88 Rn. 24; Ball in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 528 Rn. 23). Eine Kostenentscheidung sei noch nicht veranlasst (vgl. Vollkommer in: Zöller, ZPO, § 304 Rn. 26; Heßler in: Zöller, ZPO, § 548 Rn. 58); die Niederschlagung beruhe auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG.


C.
Kontext der Entscheidung
Da das Urteil des OLG Hamm den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt im Tatbestand nur rudimentär wiedergibt, muss auf die angefochtene Entscheidung zurückgegriffen werden. Dort wird ausgeführt, dass es sich bei dem Fahrzeug des Klägers um ein Importfahrzeug aus den USA handelte, welches am 26.04.2019 in Louisiana/USA einen kapitalen Schaden im Bereich der Vorderachse erlitten hatte und danach als „Schrott nach Unfall“ bezeichnet wurde. Der Kläger gab für den neuen Schaden ein Schadensgutachten in Auftrag, in diesem wird ein fachgerecht reparierter Vorschaden im Frontbereich genannt. Reparaturkosten wurden netto mit 6.052,89 Euro angegeben, eine verbleibende Wertminderung mit 350 Euro. Mit der Klage machte der Kläger Reparaturkosten gemäß Rechnung i.H.v. brutto 7.036,61 Euro geltend, ferner Mietwagenkosten der gleichen Firma i.H.v. brutto 522,00 Euro, wobei im Hinblick auf beide Positionen nur Freistellung verlangt wurde. Nach dem Klagevortrag wartete die Firma auf die Begleichung der Rechnung(en). Eingeklagt waren ferner 980,08 Euro Gutachterkosten, eine Wertminderung gemäß Gutachten i.H.v. 350,00 Euro sowie Zahlung einer Kostenpauschale von 25 Euro. Der Kläger hatte behauptet, sein Fahrzeug sei tatsächlich in der Weise repariert worden, wie dies in der Rechnung aufgeführt wurde. Soweit der Austausch der linken Seitenwand in Rechnung gestellt wurde, sei eine solche tatsächlich bestellt und teilweise verbaut worden. Ein vollständiger Austausch sei aufgrund eines ansonsten unnötig großen Eingriffs in das Fahrzeug unterblieben. Dennoch sei diese Reparaturmaßnahme sach- und fachgerecht. Dass bei der Lackierung unschöne Kanten verblieben, sei üblich, der zunächst fehlende Hohlraumschutz sei nachgebessert worden. Soweit in der Rechnung der Austausch des linken Hinterrades aufgeführt sei, so sei dieser Austausch auch erfolgt. Er habe lediglich die alten Räder behalten, was erkläre, dass diese auf später erstellten Fotos zu sehen seien (vgl. LG Bielefeld, Urt. v. 03.05.2023 - 2 O 449/20 Rn. 2 ff.).
Die Beklagte wiederum bestritt, dass unfallbedingte Reparaturmaßnahmen in dem Umfang erforderlich waren, wie dies im Gutachten aufgeführt war. Ferner bestritt sie, dass das Fahrzeug des Klägers durch die Firma in der Weise repariert wurde, wie dies im Gutachten vorgesehen war und in Rechnung gestellt wurde. Die Designkante sei ungleichmäßig verformt, die Spaltmaße ungleich, die Seitenwandoberfläche sei gewölbt, die Lackschichtdicken im Bereich der Designkante seien stark variierend. Entgegen den Angaben im Gutachten und in der Rechnung der Firma seien Reifen und Felgen hinten links nicht erneuert worden, die Seitenwand links sei nicht ausgetauscht worden; insgesamt sei die Reparatur nicht sach- und fachgerecht durchgeführt worden. Es handle sich um eine Luftrechnung, da viele in Rechnung gestellte Arbeiten gar nicht durchgeführt worden seien. Der Kläger habe auch gewusst, dass der Rechnungsinhalt falsch sei; die eingereichte Rechnung sei in kollusivem Zusammenwirken zwischen dem Kläger und der Firma erstellt worden. Das Rechtsgeschäft zwischen dem Kläger und der Firma, eine Teilreparatur durchzuführen und eine vollständige Reparatur in Rechnung zu stellen, um sie bei ihr, der Beklagten, geltend zu machen, sei nichtig. Die Firma habe deshalb keine Ansprüche gegen den Kläger, so dass dieser auch keinen Freistellungsanspruch ihr gegenüber habe (vgl. LG Bielefeld, Urt. v. 03.05.2023 - 2 O 449/20 Rn. 18 ff.). Das Landgericht hatte Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben, nach dem „überzeugenden Gutachten des dem Gericht seit vielen Jahren als zuverlässig und kompetent bekannten Sachverständigen“ stehe fest, dass eine Reparatur trotz nahezu vollständiger Übernahme der Schadenspositionen aus dem Gutachten des außergerichtlich tätigen Sachverständigen nicht in der Weise durchgeführt wurde, wie dieses das Gutachten vorgegeben habe. So sei das linke Seitenteil nicht vollständig erneuert, sondern nur teilweise und im Übrigen nicht sach- und fachgerecht. An den Schweißnähten bilde sich Rost. Die Hohlraumkonservierung und die Versiegelungen in den Schweißbereichen sei – jedenfalls zunächst – nicht erfolgt, das Seitenteil sei im Sickenbereich wellig. Das Landgericht hatte dem Kläger daher nur einen Teil der Reparaturkosten, die Wertminderung, die Mietwagenkosten und vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zugesprochen.
Ob hier tatsächlich ein relevanter Verfahrensverstoß vorliegt, erscheint zweifelhaft. Nach der Rechtsprechung des BGH zu den Darlegungsanforderungen an den Geschädigten im Verkehrsunfallprozess genügt es, wenn ein gerichtlich bestellter Sachverständiger in seinem Gutachten ausführt, welche Beschädigungen durch den Unfall entstanden sein können und welche er dem Verkehrsunfall nicht zuordnen kann. Der Geschädigte muss dann noch nicht einmal weiteren Vortrag zu den nicht unfallbedingten Schäden halten. Denn wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige auch ohne weiteren Vortrag des Geschädigten die nicht unfallbedingten Schäden erkennen kann, macht der Geschädigte sich diese ihm günstigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen konkludent zu eigen (vgl. BGH, Beschl. v. 19.08.2014 - VI ZR 308/13 Rn. 6 m.w.N.). Äußert sich der Sachverständige in seinem Gutachten nicht zu den bei einer Reparatur anfallenden Reparaturkosten, muss das (Berufungs-)Gericht den Sachverständigen auch hierzu ergänzend befragen bzw. ihn mit der Ergänzung seines Gutachtens beauftragen. Hierin liegt kein unzulässiger Ausforschungsbeweis, denn dem Kläger kann nicht verwehrt werden, durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen im Prozess aufklären zu lassen, in welcher geringeren als von ihm ursprünglich geltend gemachten Höhe Reparaturkosten anfallen. Er ist nicht gehalten, zunächst weiteren Vortrag – ggf. nach Einholung eines zusätzlichen außergerichtlichen Gutachtens – zur Schadenshöhe zu halten. § 287 ZPO erleichtert nämlich dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegung des Schadenumfangs (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 06.06.2023 - VI ZR 197/21 Rn. 12 f., BGH, Beschl. v. 15.10.2019 - VI ZR 377/18 Rn. 8; BGH, Urt. v. 28.09.1995 - IX ZR 158/94 Rn. 23; BGH, Urt. v. 12.10.1993 - X ZR 65/92 Rn. 23 jeweils m.w.N.). Auf Basis dieser Rechtsprechung erscheint die Annahme eines wesentlichen Verfahrensfehlers nicht zwingend. Auch ein Übergang des Klägers zur fiktiven Abrechnung wäre nicht unbedingt geboten, obschon die Ausführungen des OLG Hamm hierzu zutreffend sind.
Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2019 - VI ZR 45/19 Rn. 9 m.w.N.). Darüber hinaus gilt für die Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Der Geschädigte soll zwar volle Herstellung verlangen können (Totalreparation), aber an dem Schadensfall nicht „verdienen“. Diese Grundsätze gelten sowohl für die konkrete als auch für die fiktive Schadensabrechnung (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 26.05.2023 - VI ZR 274/22 Rn. 8; BGH, Urt. v. 29.10.2019 - VI ZR 45/19 Rn. 11 f., jeweils m.w.N.). Dabei hat der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer abstrahierten Grundlage zufriedengibt (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2021 - VI ZR 513/19 Rn. 19; BGH, Urt. v. 24.01.2017 - VI ZR 146/16 Rn. 6; BGH, Urt. v. 03.12.2013 - VI ZR 24/13 Rn. 10 jeweils m.w.N.). Dabei hat der Geschädigte regelmäßig Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon, ob er das Fahrzeug voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Bei der fiktiven Schadensabrechnung genügt der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat; dasselbe gilt für die Kosten der Ersatzteile (vgl. BGH, Urt. v. 28.01.2025 - VI ZR 300/24 Rn. 11 f.). Bei der fiktiven Abrechnung hat der Geschädigte weder darzulegen, dass er seinen Unfallwagen hat reparieren lassen, noch auf welche Weise und in welchem Umfang die Reparatur durchgeführt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2021 - VI ZR 513/19 Rn. 19; BGH, Urt. v. 17.09.2019 - VI ZR 396/18 Rn. 9). Dem Geschädigten kann auch nicht mangels Vorlage einer Reparaturkostenrechnung oder Vortrags zu den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten Schadensersatz versagt werden (vgl. BGH, Urt. v. 28.01.2025 - VI ZR 300/24 Rn. 17).
Insoweit hätte der Kläger natürlich zur fiktiven Abrechnung übergehen können, andererseits aber auch eine ergänzende Beweisaufnahme dahin gehend beantragen können, in welcher geringeren Höhe als ursprünglich geltend gemacht Reparaturkosten angefallen sind. Ein wesentlicher Verfahrensfehler i.S.v. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegt unter anderem dann vor, wenn der Erstrichter den Kern des Parteivorbringens verkannt und daher eine entscheidungserhebliche Frage verfehlt oder einen wesentlichen Teil des Klagevortrags übergangen hat oder wenn Beweisanträge übergangen werden. Ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist dabei vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Erstrichters aus zu beurteilen (vgl. etwa OLG Stuttgart, Urt. v. 10.06.2025 - 6 U 151/24 Rn. 35). Das ist, wie bereits dargestellt, äußerst fraglich.
Die Entscheidung zu den Kosten ist aber zutreffend, soweit das OLG Hamm einen wesentlichen Verfahrensmangel angenommen hat. In einem solchen Fall sind die Gerichtskosten gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG darstellt (vgl. OLG München, Urt. v. 08.09.2021 - 10 U 546/21 Rn. 14).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, im Verkehrsunfallprozess zur Beschädigung des Fahrzeuges so genau wie möglich vorzutragen und dann, wenn die Art oder der Umfang der Schadensbehebung (oder auch eine vorherige Beschädigung des Fahrzeuges) fraglich ist, darauf hinzuwirken, dass das Gericht dem Sachverständigen im Beweisbeschluss die Beantwortung dieser Fragen aufgibt. In diesem Fall kann auf der Grundlage der Besprechung des BGH dann auch eine Aufhebung und Zurückverweisung und eine teure „zweite Runde“ vermieden werden.



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