Erstattung der Kosten für eine Katarakt-Operation mit Implantation von Trifokal-IntraokularlinsenLeitsatz Zur Erstattungsfähigkeit eines refraktiven Linsentausches bei Vorliegen einer Katarakt in der privaten Krankenversicherung. - A.
Problemstellung Die grundlegende Leistungsvoraussetzung für einen Leistungsanspruch in der privaten Krankenversicherung ist, dass dem Versicherungsnehmer Aufwendungen entstanden sind für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen (§ 1 Abs. 2 MB/KK). Im vorliegenden Fall ging es um die Behandlungskosten für einen beidseitigen operativen Augenlinsentausch, wobei Trifokal-Intraokularlinsen implantiert wurden. Dabei war bereits streitig, ob bei der Versicherungsnehmerin überhaupt eine Krankheit in Gestalt einer beidseitigen Linsentrübung vorlag.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Mit dem erstinstanzlichen Urteil war die Klage abgewiesen worden, weil nach der Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung der eingeholten Sachverständigengutachten die medizinische Notwendigkeit der Eingriffe sich nicht habe feststellen lassen. Das OLG Frankfurt kam zu einer anderen Bewertung. Die durchgeführte Linsenoperation stellte nach dem Ergebnis der vor dem OLG durchgeführten weiteren Beweisaufnahme eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen einer Krankheit dar. Auch wurde die Verwendung von Trifokal-Intraokularlinsen anstelle von Standardlinsen im konkreten Fall als medizinisch notwendig angesehen. Bei der Klägerin habe im maßgeblichen Zeitpunkt der Durchführung des Eingriffs eine Trübung beider Augenlinsen (Katarakt) als gesicherte Diagnose vorgelegen, also eine „Krankheit“ im Sinne der Versicherungsbedingungen. Insoweit wird unter „Krankheit“ ein anomaler Zustand verstanden, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.2017 - IV ZR 533/15). Zwar genügt die bloße Möglichkeit eines krankheitswertigen Zustandes ebenso wenig wie eine Verdachtsdiagnose. Eine Krankheit i.S.v. § 1 Abs. 2 MB/KK liegt nur vor, wenn unabhängig von den subjektiven Vorstellungen der versicherten Person ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler Körper- oder Geisteszustand festzustellen ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1986 - IVa ZR 78/85). Hier war durch Zeugenaussagen und das gerichtliche Sachverständigengutachten bewiesen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des durchgeführten Eingriffs an einer beidseitigen Katarakt als gesicherter Diagnose litt. Das OLG Frankfurt hielt insoweit eine ergänzende Zeugenvernehmung für erforderlich, weil allein anhand der Behandlungsdokumentation zuverlässige Feststellungen dazu, ob eine gesicherte Indikation zur Operation gegeben war, nicht zu treffen waren. Die Behandlungsdokumentation sei nämlich erkennbar unzureichend und unvollständig gewesen. Insbesondere sei sie nicht eindeutig gewesen, da sie tatsächliche Anhaltspunkte sowohl für eine bloße Verdachtsdiagnose als auch für eine gesicherte Diagnose enthielt. Dies hätte schon dem Landgericht Anlass geben müssen, den ersichtlichen Widerspruch durch die Erhebung des angebotenen Zeugenbeweises aufzuklären. Der Zeugenbeweis sei im konkreten Einzelfall als Beweismittel nicht ungeeignet zur Klärung der Beweisfrage. Zwar sei verschiedentlich in gerichtlichen Entscheidungen die Vernehmung von Behandlern als Zeugen mit der Begründung abgelehnt worden, der Beweis sei nur durch Sachverständigengutachten allein anhand der Behandlungsdokumentation zu führen. Allerdings ging es in solchen Entscheidungen (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.04.1994 - 4 U 74/93; OLG Koblenz, Beschl. v. 09.07.2009 - 10 U 959/08) um die Frage, ob objektiv eine Krankheit vorlag bzw. eine bestimmte Behandlung medizinisch notwendig war. Die Bewertung, ob bestimmte Schlussfolgerungen des Behandlers auch einer objektiven Prüfung standhalten, ist dem Sachverständigenbeweis vorbehalten, nicht aber, wie der Diagnoseprozess vom Arzt gestaltet wurde und welche Wahrnehmungen er gemacht hat. Eine Beschränkung auf die Behandlungsdokumentation kann nicht vorgenommen werden, wenn – wie hier – die Behandlungsdokumentation „dürftig und unvollständig“ ist oder es um die Feststellung der im Einzelnen durchgeführten Untersuchungen oder Äußerungen des Patienten geht (vgl. OLG München, Urt. v. 12.08.2016 - 10 U 1753/16). Es gibt keinen rechtlichen Grund, warum ein Behandler nicht ergänzend zu seiner Behandlungsdokumentation verwertbare Aussagen machen könnte, insbesondere welche Diagnoseschritte er unternommen, welche Beobachtungen er gemacht und welche Schlüsse er hieraus in therapeutischer Hinsicht gezogen hat. Dies gilt besonders, wenn erhebliche Abweichungen zwischen den dokumentierten Befunden und Berichten des Behandlers bestehen. Das Zeugnis des Behandlers ist gerade zur Bekundung von Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten statthaft (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 06.03.2014 - 11 U 6/13). Jedoch hat der Zeuge auch in diesen Fällen nicht zu bewerten, ob die Behandlung sachgemäß erfolgt ist. Der Tatrichter hat sodann zu bewerten, ob die Angaben des Zeugen unter Berücksichtigung der unzureichenden Dokumentation glaubhaft sind. Die Vernehmung der Zeugin war im konkreten Fall auch nicht deshalb entbehrlich, weil im erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten eine für das Auftreten einer Katarakt spezifische Funktionseinschränkung nicht festgestellt wurde. Dieses Sachverständigengutachten stützte sich nämlich ausdrücklich darauf, dass spezifische Seheinschränkungen in der Patientenakte nicht angeführt seien. Es beruhte somit gerade auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage. Beanstandet hat das OLG Frankfurt zudem, dass im erstinstanzlich eingeholten Ergänzungsgutachten die Sehschärfenminderung der Klägerin nach sozialrechtlichen Maßstäben beurteilt worden war. Dies ist ein für die private Krankenversicherung nicht maßgeblicher Begutachtungsmaßstab. Das Landgericht hätte den Sachverständigen instruieren müssen, dass nach dem privatversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff auch eine nicht ganz unerhebliche Störung genügt und es auf eine sozialrechtliche Beurteilung nicht ankommt. Nach dem Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme stand zur Überzeugung des OLG Frankfurt fest, dass bei der Klägerin eine beidseitige Katarakt als gesicherte Diagnose, mithin eine „Krankheit“ i.S.v. § 1 Abs. 2 MB/KK vorlag. Dies ergab sich zunächst aus den Angaben der Zeugin, die für die Beweisfrage ergiebig waren. Die Zeugin hatte umfassend und im Einzelnen die Krankengeschichte der Klägerin sowie ihre Diagnoseschritte und -methoden erläutert. Ferner hatte die Zeugin nachvollziehbar begründet, dass und warum sie aufgrund der durchgeführten Untersuchungen zu dem Schluss gekommen war, dass eine die Operation rechtfertigende gesicherte Diagnose einer beidseitigen Katarakt vorlag. Nachdem die Klägerin nach der Chemotherapie über eine Sehverschlechterung geklagt hatte, bestätigte der Sehtest insoweit Minderungen. Die beginnende Katarakt habe die Zeugin festgestellt und deshalb zunächst einen Verdacht dokumentiert. Einige Monate später sei die Katarakt bereits fortgeschritten gewesen. Der Kammerwinkel sei verengt gewesen. Die Untersuchung sei zusätzlich mittels Mydriatika erfolgt, um eine bessere Diagnose zu erhalten. Zusätzlich habe die Zeugin bei der Diagnose die Angaben der Patientin berücksichtigt, die angegeben habe, sich geblendet gefühlt zu haben und nicht mehr so gut sehen zu können. Die Diagnose sei dann eindeutig und gesichert gewesen. Die Indikation zur Operation habe sich aufgrund dieser Befunde aus den Leitlinien ergeben. Die Angaben der Zeugin waren nach Ansicht des OLG Frankfurt glaubhaft, auch seien die Schilderung ruhig und sachlich, die Angaben im Kern- wie im Randbereich detailliert und dabei in der Ausdrucksweise eigenständig und lebendig gewesen. Anzeichen für ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits oder besondere Be- oder Entlastungstendenzen sah das OLG Frankfurt nicht. Die Zeugin, die ausschließlich über Wahrnehmungen im Rahmen ihrer professionellen Rolle zu berichten hatte und sehr sachkundig wirkte, machte auf das Gericht auch einen glaubwürdigen Eindruck. Ihre Aussage deckte sich auch mit den Angaben der Klägerin im Rahmen der informatorischen Anhörung. Die Angaben der Zeugin wurden zudem bestätigt durch das gerichtliche Sachverständigengutachten, das die Indikation als lege artis festgestellt bestätigte. Einwände gegen diese nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Feststellungen hatten die Parteien nicht erhoben. Das Gutachten hielt das OLG Frankfurt bereits deshalb gegenüber dem Vorgutachten und den Privatgutachten der Beklagten für vorzugswürdig, weil es als einziges die Aussage der Zeugin und damit eine wesentliche Beurteilungsgrundlage berücksichtigt, die so der Behandlungsdokumentation nicht zu entnehmen war. Aus dem Sachverständigengutachten ergab sich zugleich, dass der operative Linsentausch medizinisch notwendig war. Medizinisch notwendig i.S.v. § 1 MB/KK ist eine Heilbehandlung, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung, wenn sie sowohl in begründeter und nachvollziehbarer wie fundierter Vorgehensweise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet (vgl. Wiemer in: Bach/Moser, 6. Aufl. 2023, § 1 MB/KK Rn. 94 m.w.N.; st. Rspr.). Zur Überzeugung des OLG Frankfurt standen diese Voraussetzungen aufgrund des weiteren Sachverständigengutachtens nicht nur hinsichtlich der Operation, sondern auch in Bezug auf die Wahl der Trifokal-Intraokularlinsen gegenüber Standardlinsen fest. Der Sachverständige hatte insoweit festgestellt, dass die Diagnose und Therapie der behandelnden Ärztin lege artis erfolgt war. Die Entscheidung für eine Kataraktoperation basierte nicht allein auf dem objektiven Befund und Grad der Linsentrübung oder einem gemessenen Refraktionsfehler, sondern zutreffend auch auf den subjektiven Beschwerden der Patientin. Da die Wahrnehmung des Sehvermögens individuell unterschiedlich sei, könne bereits eine verstärkte Blendungsempfindlichkeit die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, auch wenn eine noch durchschnittlich gute Sehschärfe vorliegt. Bei gleichzeitig vorliegender Katarakt und unkorrigierten Refraktionsfehlern (Weitsichtigkeit und Hornhautverkrümmung) könne zudem die Implantation multifokaler Kunstlinsen sinnvoll sein, da diese die Refraktionsfehler korrigieren könnten. Auch insoweit haben die Parteien keine Einwände gegen die nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Feststellungen erhoben. Das weitere Gutachten war nach Ansicht des OLG Frankfurt auch insoweit vorzugswürdig gegenüber der Vorbegutachtung, weil dort der Einsatz der Multifokal-Linsen nur unter dem Aspekt einer möglichen Brillenunverträglichkeit erörtert worden war. Es besteht in rechtlicher Hinsicht aber keine generelle Subsidiarität der Heilbehandlung gegenüber einem Hilfsmittel, da die Hilfsmittelfreiheit gerade Ziel der Behandlung sein kann (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.2017 - IV ZR 533/15).
- C.
Kontext der Entscheidung Immer wieder wird von Versicherungsnehmern die Vernehmung der Behandler als Zeugen angeboten, um Leistungsvoraussetzungen in der privaten Krankenversicherung zu beweisen. Die Entscheidung des OLG Frankfurt zeigt zutreffend auf, dass ein solches Beweisangebot nicht „in Bausch und Bogen“ abgelehnt werden kann, es vielmehr einer differenzierten Betrachtung bedarf. Nicht geeignet ist das Beweisangebot, wenn der Zeuge nicht selbst wahrgenommene Tatsachen, sondern eine sachverständige Schlussfolgerung bestätigen soll. Ein solcher Fall ist z.B. gegeben, wenn der Zeuge in der Krankheitskostenversicherung die medinische Notwendigkeit einer Behandlung bestätigen soll oder in der Krankentagegeldversicherung das Vorliegen von bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit. Anders liegt die Sache aber, wenn der Zeuge aus eigener Wahrnehmung zu Tatsachen bekunden soll, die dann Anknüpfungstatsachen für die sachverständige Begutachtung sein sollen. Idealerweise sollten sich diese Tatsachen schon aus der ärztlichen Dokumentation ergeben. Ist dies nicht der Fall, oder sind die dokumentierten Daten sogar widersprüchlich, kann der wahre Sachverhalt durch ergänzende Zeugenaussagen aufgeklärt werden. Dabei ist – wie im Fall des OLG Frankfurt geschehen – die Aussage des Behandlers besonders kritisch zu würdigen. Die Entscheidung zeigt zudem auf, wie der Tatrichter vorgehen muss, wenn ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt wird. Er darf dann nicht das von ihm eingeholte weitere Gutachten als „sein Gutachten“ ohne weiteres als maßgeblich der Entscheidung zugrunde legen. Er darf – insbesondere im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger – den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (vgl. BGH, Beschl. v. 18.05.2009 - IV ZR 57/08). Entsprechend hat das OLG Frankfurt hier nachvollziehbar erläutert, warum das von ihm eingeholte ergänzende Sachverständigengutachten den Vorzug erhalten muss.
- D.
Auswirkungen für die Praxis In der Praxis kommt es recht häufig von, dass Beweisangeboten auf Vernehmung von Behandlern als Zeugen grundsätzlich nicht nachgegangen wird. Ebenso kommt es vor, dass Gerichte solchen Beweisangeboten nachgehen, obwohl es um Fragen geht, die durch sachverständige Begutachtung zu klären sind. Die Entscheidung des OLG Frankfurt kann dazu beitragen, dass das Erfordernis einer differenzierten Betrachtung, was genau nach dem Beweisangebot durch die Aussage des Behandlers bewiesen werden soll, berücksichtigt und dementsprechend entschieden wird, inwieweit ein taugliches Beweisangebot vorliegt oder nicht.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Gerade bei Fehlsichtigkeit wird oft eingewendet, dass die medizinische Notwendigkeit einer operativen Versorgung allein wegen der Üblichkeit des Tragens einer Brille oder von Kontaktlinsen verneint wird. Für diesen Einwand gibt es keine rechtliche Grundlage (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.2017 - IV ZR 533/15). Dies ändert aber nichts daran, dass ein Leistungsanspruch für die Kosten der Operation nur besteht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass diese medizinisch notwendig war. In den vereinbarten Tarifbedingungen war geregelt, dass die medizinisch notwendigen Behandlungskosten im Rahmen der Regelhöchstsätze der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bis zum 2,3-fachen Steigerungssatz ersetzt werden. Insoweit wurde die Klage nicht in vollem Umfang zugesprochen, weil ihr teilweise höhere Steigerungssätze zugrunde lagen. Auch wenn die Abrechnung in dieser Höhe nach der GOÄ zulässig ist, führt eine entsprechende Begrenzung im Versicherungsvertrag dazu, dass der Versicherungsnehmer einen Teil der Kosten selbst tragen muss.
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