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Anmerkung zu:BVerfG 1. Senat 1. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 24.06.2025 - 1 BvR 773/25
Autor:Dr. Mark Lerach, RiOLG
Erscheinungsdatum:21.08.2025
Quelle:juris Logo
Normen:Art 103 GG, Art 19 GG, Art 3 GG, Art 20 GG, § 23 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 2 GG, Art 1 GG, § 567 ZPO, § 119 GVG, § 574 ZPO, § 542 ZPO, § 924 ZPO, § 936 ZPO, § 925 ZPO, § 511 ZPO, § 926 ZPO, § 544 ZPO, § 90 BVerfGG, § 945 ZPO, § 32 BVerfGG
Fundstelle:jurisPR-WettbR 8/2025 Anm. 1
Herausgeber:Jörn Feddersen, RiBGH
Zitiervorschlag:Lerach, jurisPR-WettbR 8/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei Versagung von Eilrechtsschutz gegen eine Buchveröffentlichung



Orientierungssätze

1a. Wird mit der Verfassungsbeschwerde die Versagung von fachgerichtlichem Eilrechtsschutz gerügt, so gebietet der Grundsatz der Subsidiarität im materiellen Sinne auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn - wie hier - Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.10.2001 - 1 BvR 622/01 - BVerfGE 104, 65).
1b. Die Notwendigkeit, vorab das Hauptsacheverfahren zu betreiben, fehlt allerdings, wenn dies für den Beschwerdeführenden unzumutbar ist - etwa wenn die Durchführung des Verfahrens im Hinblick auf entgegenstehende Rechtsprechung der Fachgerichte von vornherein aussichtslos erscheinen muss oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.04.2024 - 1 BvR 2290/23 Rn. 24).
1c. Die Voraussetzungen des § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG sind eng auszulegen (vgl. bereits BVerfG, Beschl. v. 13.06.1958 - 1 BvR 346/57 - BVerfGE 8, 38 40). Die allgemeine Belastung durch die Verfolgung eines Anspruchs vor den Fachgerichten rechtfertigt eine vorzeitige Entscheidung durch das BVerfG nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.06.2015 - 1 BvR 37/15 Rn. 5). 1d. Ob ein Nachteil die verfassungsprozessrechtlich gebotene Schwere erreicht, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (vgl. bereits BVerfG, Beschl. v. 21.01.1959 - 1 BvR 800/58 - BVerfGE 9, 120, 121). Erforderlich ist eine nachhaltige Beeinträchtigung durch einen besonders intensiven Eingriff in die grundrechtlich geschützte Sphäre (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.12.2021 - 2 BvR 2164/21 Rn. 17).
2. Hier: Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung von fachgerichtlichem Eilrechtsschutz bzgl. einer von den Beschwerdeführern als persönlichkeitsverletzend angesehenen Buchveröffentlichung.
Die vorherige Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes in der Hauptsache ist den Beschwerdeführern nicht unzumutbar. Die Verfassungsbeschwerde zeigt insbesondere nicht hinreichend auf, dass den Beschwerdeführern bei Verweisung auf das Klageverfahren in der Hauptsache ein schwerer und unabwendbarer Nachteil i.S.d. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG droht. Wirtschaftliche Nachteile zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht mit Substanz auf. Auch mit Blick auf die gerügte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts legt die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend dar, ob und ggf. welchen konkreten negativen (sozialen und beruflichen) Auswirkungen die Beschwerdeführer aufgrund der Veröffentlichung des beanstandeten Werks ausgesetzt waren und sind. Dass die Beschwerdeführer - wie die Verfassungsbeschwerde geltend macht - vereinzelt auf das Werk angesprochen wurden, erreicht die Schwelle eines schweren Nachteils nicht.



A.
Problemstellung
Dem Verfassungsbeschwerdeverfahren liegt die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Veröffentlichung des Romans „Innerstädtischer Tod“ zugrunde. In dessen Figuren glauben die Beschwerdeführer – ein bekannter Berliner Galerist und seine Ehefrau – sich wiederzuerkennen. Die Entscheidung thematisiert im Kern die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde hier auch die Erschöpfung des Rechtswegs im Hauptsacheverfahren erfordert.
I. Im Herbst 2022 veröffentlichte eine Wochenzeitung einen Artikel, in dem mehrere Frauen dem Galeristen vorwarfen, sie sexuell belästigt zu haben. Dieser erwirkte zunächst eine einstweilige Verfügung des LG Hamburg (Beschl. v. 21.10.2022 - 324 O 397/22) gegen die Verleger der Wochenzeitung, mit der Teile der Berichterstattung verboten wurden. Auf sofortige Beschwerde des Galeristen untersagte das OLG Hamburg weitere Passagen in dem Beitrag als unzulässige Verdachtsberichterstattung (OLG Hamburg, Beschl. v. 15.12.2022 - 7 W 101/22 - AfP 2023, 175).
II. Im September 2024 erschien der Roman „Innerstädtischer Tod“, der unter anderem von sexuellen Übergriffen handelt, die einem fiktiven Berliner Galeristen vorgeworfen werden, sowie von intimen Begegnungen von dessen Ehefrau mit einem Künstler. Das reale Galeristen-Paar geht davon aus, dass es durch diese Figuren dargestellt werden soll und beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Buchverlag, mit welcher diesem die Verbreitung und Veröffentlichung des Buches – hilfsweise einzelner Passagen – untersagt werden sollte. Der Antrag blieb erstinstanzlich beim Landgericht erfolglos. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsteller wies das Oberlandesgericht zurück; ebenso deren Anhörungsrüge.
III. In der Folge erhoben die Eheleute Verfassungsbeschwerde gegen die instanzgerichtlichen Entscheidungen mit der Rüge einer Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, ihres grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, ihrer Rechte auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG sowie des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das BVerfG nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.
I. Bezüglich der zurückweisenden Entscheidung des Landgerichts fehle der Verfassungsbeschwerde das Rechtsschutzbedürfnis, da die erstinstanzliche Entscheidung aus verfassungsrechtlicher Perspektive dadurch überholt sei, dass das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht eine volle Sachprüfung vorgenommen und eine eigene Sachentscheidung getroffen habe. Ein ausnahmsweise fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis gegen die erstinstanzliche Entscheidung durch eine isoliert verbleibende Grundrechtsverletzung sei nicht dargelegt. Der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts begründe als verfahrensinterne Entscheidung ebenso wenig eine eigenständige, verfassungsrechtlich erhebliche Beschwer wie die Zurückweisung der Anhörungsrüge durch das Oberlandesgericht.
II. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss des Oberlandesgerichts richtet, genüge sie nicht den Substanziierungsanforderungen gemäß den §§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, 92 BVerfGG.
1. Mit Blick auf die Rüge der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG genüge die Verfassungsbeschwerde nicht dem Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Nach Zurückweisung der Anhörungsrüge durch das Oberlandesgericht sei zwar der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eröffnete Rechtsweg erschöpft. Die Beschwerdeführer seien indes auf den Rechtsweg fachgerichtlichen Rechtsschutzes in der Hauptsache zu verweisen. Diesen vorab zu beschreiten sei ihnen nicht unzumutbar. Weder sei eine Klage in der Hauptsache von vornherein aussichtslos noch lägen die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vor.
a) Eine Vorfestlegung der Fachgerichte auf die im Eilverfahren vertretene Auffassung sei nicht ersichtlich. Diese hätten sich auf die Auseinandersetzung mit der konkreten Argumentation der Beschwerdeführer im Eilverfahren beschränkt. Daher sei für die Beschwerdeführer zumutbar, ihre ggf. vertiefenden Argumente zunächst im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren erneut vorzutragen. Selbst dann, wenn die Beschwerdeführer in erster und zweiter Instanz unterliegen und das Oberlandesgericht die Revision nicht zulassen sollte, stünde ihnen – angesichts einer Wertfestsetzung i.H.v. 100.000 Euro bereits im Verfahren der einstweiligen Verfügung – jedenfalls der Weg über die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 ZPO offen. Von vornherein aussichtlos sei das Hauptsacheverfahren daher nicht.
b) Inwiefern die Anwendung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung – insbesondere der Entscheidungen „Mephisto“ (BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971 - 1 BvR 435/68 - BVerfGE 30, 173) und „Esra“ (BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007 - BVerfGE 119, 1) – zu den Voraussetzungen und der Reichweite der kunstspezifischen Betrachtung eines literarischen Werks und zu den für die Abwägung zwischen Kunstfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht maßgeblichen Kriterien auf den Streitfall bislang ungeklärte verfassungsrechtliche Fragen aufwerfe, sei nicht dargelegt.
c) Einen schweren und unabwendbaren Nachteil i.S.d. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, der ihnen bei Verweisung auf das Klageverfahren in der Hauptsache drohe, hätten die Beschwerdeführer ebenso wenig aufgezeigt. Die zu erwartende Dauer und die voraussichtliche Kostenbelastung bei Durchführung des Hauptsacheverfahrens seien hier schon grundsätzlich unbeachtlich. Bei den angeführten wirtschaftlichen Nachteilen der Kunstgalerie der Beschwerdeführer handle es sich nach deren eigener Darstellung um Folgen der Berichterstattung aus Herbst 2022, nicht aber um solche der beanstandeten Buchveröffentlichung im September 2024.
d) Mit Blick auf Form und Reichweite der beanstandeten Verletzungshandlung müsse der Inhalt des Romans zunächst vom Leser zur Kenntnis genommen und in einem zweiten Schritt auf die Beschwerdeführer übertragen werden. Der vergleichsweise lange Zeitraum zwischen der Veröffentlichung des Werks und der Kenntnisnahme durch die Beschwerdeführer Ende Dezember 2024 deute auf eine beschränkte Breitenwirkung der beanstandeten Textpassagen hin. Damit habe eine etwaige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine deutlich mildere Qualität als dies etwa bei Verbreitung von intimen Bildnissen oder bei identifizierenden, über das Internet verbreiteten (Presse-)Äußerungen der Fall sein könne. Der Umstand, dass die Beschwerdeführer vereinzelt auf den Roman angesprochen würden, erreiche nicht die Schwelle konkreter negativer sozialer und beruflicher Auswirkungen durch dessen Veröffentlichung.
2. Die Begründung der weiteren Rügen einer Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör, des Rechte auf effektiven Rechtsschutz sowie der prozessualen Waffengleichheit lasse eine Rechtsverletzung i.S.d. § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich schon nicht nachvollziehbar erkennen.


C.
Kontext der Entscheidung
Während sich das BVerfG in den vergangenen sieben Jahren in einer ganzen Serie von Entscheidungen mit Verletzungen des grundrechtsgleichen Rechts auf prozessuale Waffengleichheit im Presse- und Äußerungs- sowie im Lauterkeitsrecht durch den Erlass einstweiliger Verfügungen ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners oder durch mangelnde Hinweiserteilung befasst hat (grundlegend BVerfG, Beschl. v. 30.09.2018 - 1 BvR 1783/17 und 1 BvR 2421/17), richtet sich die vorliegende Verfassungsbeschwerde – in umgekehrter Stoßrichtung – gerade gegen die Versagung von fachgerichtlichem Eilrechtsschutz.
I. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist gegenüber dem Hauptsacheverfahren ein selbstständiger Rechtsweg. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes enthält für den Beschwerdeführer eine eigenständige Beschwer und kann deshalb selbstständiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein. Einer Sachprüfung der insbesondere auf eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestützten Rüge im Rahmen der Verfassungsbeschwerde steht hier aber der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
II. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG regelt zunächst das Gebot der Rechtswegerschöpfung. Nach der Rechtsprechung des BVerfG findet in der Vorschrift – über ihren Wortlaut hinaus – aber auch ein (allgemeiner) Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde seinen Ausdruck.
1. Danach soll der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157, 170). Der Beschwerdeführer ist gehalten, über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.07.1986 - 2 BvR 152/83 - BVerfGE 73, 322, 325). Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt insbesondere, dass der Beschwerdeführer den prozessualen Anforderungen bei der Einlegung von Rechtsbehelfen genügt, so dass das höhere Gericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintreten kann (vgl. BVerfG, Urt. v. 07.07.1992 - 1 BvL 51/86 u.a. -BVerfGE 87, 1, 32 f.).
2. Zur Wahrung des Subsidiaritätsgebots ist der Beschwerdeführer zudem gehalten, im fachgerichtlichen Verfahren eine Gehörsverletzung mit einer Anhörungsrüge selbst dann anzugreifen, wenn er im Rahmen der ihm insoweit zustehenden Dispositionsfreiheit mit der Verfassungsbeschwerde gar keinen Gehörsverstoß rügen will, durch den fachgerichtlichen Rechtsbehelf aber die Möglichkeit wahren kann, dass bei Erfolg der Gehörsverletzungsrüge auch andere Grundrechtsverletzungen beseitigt werden (BVerfG, Beschl. v. 13.01.2022 - 2 BvR 93/21 Rn. 22).
III. Vorliegend hatten die Beschwerdeführer mit ihrer vom Oberlandesgericht zurückgewiesenen Anhörungsrüge jedenfalls den im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eröffneten Rechtsweg erschöpft.
1. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes existiert kein Instanzenzug zum BGH. Als einziges Rechtsmittel gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlusswege kommt die sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 ZPO in Betracht. Diese ist nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO bei dem Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Zuständiges Beschwerdegericht für die Verhandlung und Entscheidung über Beschwerden gegen Entscheidungen des Landgerichts ist nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG das Oberlandesgericht.
2. Die Zurückweisung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann wegen des durch § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs nicht mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden. Nach § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO findet gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, die Revision nicht statt. Dies gilt unabhängig davon, ob eine einstweilige Verfügung oder ein Arrest im Berufungsurteil erlassen, abgeändert oder aufgehoben oder der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen worden ist. Im Verfahren der einstweiligen Verfügung ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der auf § 542 Abs. 2 ZPO verweist, auch ein Beschluss, mit dem die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Verfügungsantrags zurückgewiesen worden ist, nicht anfechtbar. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht oder den BGH ist gesetzlich nicht vorgesehen.
IV. Gleichwohl ist die Erschöpfung des Rechtswegs auch in der Hauptsache geboten, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (BVerfG, Beschl. v. 09.10.2001 - 1 BvR 622/01 Rn. 22 - BVerfGE 104, 65).
Auf den fachgerichtlichen Rechtsweg in der Hauptsache dürfen Beschwerdeführer – bei der Rüge von Grundrechtsverletzungen, die sich auf die Hauptsache beziehen – aber dann nicht verwiesen werden, wenn die Durchführung des Hauptsacheverfahrens unzumutbar ist. Unzumutbarkeit ist dann anzunehmen, wenn die Durchführung des Verfahrens mit Blick auf entgegenstehende Rechtsprechung der Fachgerichte von vornherein aussichtslos erscheinen muss, wenn die Verletzung von Grundrechten durch die Eilentscheidung selbst geltend gemacht wird oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und den Beschwerdeführern bei Verweisung auf das Klageverfahren in der Hauptsache ein schwerer und unabwendbarer Nachteil i.S.d. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG drohte.


D.
Auswirkungen für die Praxis
I. Das BVerfG hat in einer anderen Fallkonstellation, in der eine einstweilige Verfügung erstmals in der Beschwerdeinstanz durch ein Oberlandesgericht erlassen worden war, das Merkmal der Unzumutbarkeit bejaht. Die Einlegung des Widerspruchs gemäß den §§ 924, 936 ZPO sei hier entbehrlich. Denn selbst wenn dies für die mündliche Verhandlung über den Widerspruch nach § 936 ZPO i.V.m. § 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO zur erneuten Zuständigkeit des Landgerichts führe, sei für den Fall einer abändernden Entscheidung des Landgerichts nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer in der dann nach den §§ 925 Abs. 1, 511 Abs. 1 ZPO eröffneten Berufungsinstanz mit einem für ihn günstigeren Ausgang vor dem Beschwerdegericht habe rechnen können. Das dem Beschwerdeführer in der Hauptsache verbleibende Aufhebungsverfahren durch Antrag auf Fristsetzung zur Klageerhebung nach § 926 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 936 ZPO erscheine angesichts der bereits erfolgten nicht nur summarischen Prüfung durch das Beschwerdegericht aussichtslos (BVerfG, Beschl. v. 11.04.2024 - 1 BvR 2290/23 Rn. 24 f.; kritisch Ullmann, jurisPR-WettbR 5/2024 Anm. 1 unter C II).
II. In der vorliegenden Entscheidung verneint das BVerfG demgegenüber die Aussichtslosigkeit eines Vorgehens im Hauptsacheverfahren schon unter Hinweis darauf, dass die Wertgrenze zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO jedenfalls erreicht sei. Zu Recht wird betont, dass die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG für eine Vorabentscheidung des BVerfG mit Blick auf deren Ausnahmecharakter eng auszulegen sind. Die Darlegung eines schweren und unabwendbaren Nachteils im verfassungsprozessualen Sinne wird nur im Ausnahmefall gelingen. Hierfür reicht weder die allgemeine Belastung durch die Verfolgung eines Anspruchs bei den Fachgerichten noch die voraussichtliche Verfahrensdauer. Wirtschaftliche Nachteile müssten ein existentielles Gewicht erreichen Der Hinweis auf nicht näher spezifizierte mögliche dauerhafte Umsatzverluste reicht insoweit nicht aus. Negative soziale und berufliche Auswirkungen müssten konkret beschrieben werden. Ein schwerer, grundrechtlich relevanter Nachteil ist für den Fall, dass eine Beschlussverfügung ohne Anhörung des Antragsgegners erlassen wird, auch dann verneint worden, wenn der durch die angegriffene Unterlassungsverfügung verursachte Schaden durch die Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO jedenfalls insoweit kompensiert werden kann, dass ein Einschreiten des BVerfG noch während des laufenden fachgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich ist (BVerfG, Beschl. v. 16.03.2021 - 1 BvR 375/21 Rn. 20).
III. Ein Vorgehen gegen eine einstweilige Verfügung im Wege der Verfassungsbeschwerde dürfte die Zulässigkeitshürden regelmäßig nur dann überwinden, wenn Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich in spezifischer Weise auf das Eilverfahren beziehen. Fraglich erscheint auch, was bei einer Verfassungsbeschwerde, die sich gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes richtet, im Falle ihres Erfolges eigentlich zu tenorieren wäre. In Betracht käme wohl, dass das BVerfG – systemfremd – selbst eine Unterlassungsanordnung ausspricht. Dies würde wohl in der Sache einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gleichkommen. Eine Grundrechtsverletzung könnte aber auch nur festgestellt und die Beschwerdeentscheidung des OLG aufgehoben werden. Das OLG könnte dann – unter Beachtung der Rechtsauffassung des BVerfG – erneut entscheiden.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das BVerfG thematisiert die Frage, ob die Beschwerdeführer prozessual gehalten waren, auch vor dem BVerfG Eilrechtsschutz im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG nachzusuchen, nicht. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist auch für den vorgelagerten verfassungsrechtlichen Eilrechtsschutz zu beachten. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder in dessen Vorfeld kommt ebenfalls nur in Betracht, wenn der Antragsteller bestehende Möglichkeiten, fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, ausgeschöpft hat.



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