juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 31.07.2025 - I ZR 157/21
Autor:Prof. Dr. Franz Hofmann, LL.M.
Erscheinungsdatum:23.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2 PatG, § 15 UrhG, § 69c UrhG, § 69a UrhG, § 2 UrhG, § 4 UWG 2004
Fundstelle:jurisPR-WettbR 10/2025 Anm. 1
Herausgeber:Jörn Feddersen, RiBGH
Zitiervorschlag:Hofmann, jurisPR-WettbR 10/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

„Betrug“! Über die „Neutralität“ des Softwareurheberrechts („Action Replay II“)



Leitsatz

Eine als Ergänzungsprodukt für eine Spielkonsole angebotene Software, die vom Nutzer parallel zu den Computerspielen auf der Spielkonsole installiert wird und gleichzeitig mit der Spielesoftware abläuft, greift nicht in den Schutzbereich des Rechts an der Spielesoftware als Computerprogramm i.S.v. § 69a Abs. 1 und 2 Satz 1 UrhG ein, wenn sie nicht den Objekt- oder Quellcode der Spielesoftware verändert, sondern lediglich den durch das Zutun des Nutzers während des Ablaufs des Spiels entstehenden Inhalt von Variablen verändert, die die Computerspiele im Arbeitsspeicher der Spielkonsole angelegt haben und die sie in ihrem Ablauf verwenden, wodurch bewirkt wird, dass die Computerspiele auf Basis dieses veränderten Inhalts der Variablen ablaufen.



A.
Problemstellung
Das Urheberrecht ist im Ausgangspunkt neutral: Es fragt weder nach dem künstlerischen Wert z.B. einer Fotografie noch nach der Rechtskonformität eines geschaffenen Werkes. Anders als im Patent- oder Markenrecht (vgl. § 2 Abs. 1 PatG; § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG) kann z.B. auch eine volksverhetzende Schrift Urheberrechtsschutz genießen (Götting/Hofmann/Zech, Gewerblicher Rechtsschutz, 12. Aufl. 2024, § 37 Rn. 73). Auch ob die beabsichtigte Verwendung einer Software – z.B. zur Manipulation von Videospielen – moralisch bedenklich erscheint, interessiert das Urheberrecht für sich genommen nicht.
Es kommt ausschließlich darauf an, ob erstens ein urheberrechtlich geschütztes Werk im Sinne einer persönlichen bzw. eigenen geistigen Schöpfung vorliegt (vgl. § 2 Abs. 2 UrhG; § 69a Abs. 3 Satz 1 UrhG) und ob zweitens eine dem Rechtsinhaber vorbehaltene Verwertung des Werkes ohne Zustimmung desselben vorgenommen wird. Praktisch bedeutsam sind hierbei vor allem das Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Bearbeitungsrecht sowie das Recht der öffentlichen Wiedergabe (vgl. die §§ 15 ff. UrhG; § 69c UrhG). Ob eine einschlägige Verwertungshandlung vorgenommen wird, bedarf regelmäßig zunächst einer „technischen Analyse“. Gerade ob und wann z.B. im Kontext des KI-Trainings ein Werk tatsächlich vervielfältigt wird, ist selbst für Informatiker mitunter kniffelig (vgl. F. Hofmann, WRP 2024, 11, 12). Auch im Softwareurheberrecht muss genau geschaut werden, ob der urheberrechtlich geschützte Source- bzw. Maschinencode tatsächlich etwa vervielfältigt oder umgearbeitet wird. Auch hier gibt die (interdisziplinär vorzunehmende) technische Analyse den Weg entscheidend vor. Dessen ungeachtet bleibt natürlich Raum für normative Erwägungen. So lag es auch im nun beendeten Rechtsstreit „Action Replay“.
Konkret ging es um die Frage, ob der Einsatz einer „Cheat-Software“, mit der ein Spieler ein Videocomputerspiel zu seinen Gunsten beeinflussen konnte, das Softwareurheberrecht betreffend das zu beeinflussende Spiel verletzt. Eine technische Analyse ergab dabei, dass der urheberrechtlich geschützte Code infolge des Einsatzes der Ergänzungssoftware nicht vervielfältigt oder verändert wurde (zum technischen Hintergrund auch Czychowski/Nordemann, GRUR 2022, 457 ff.). Zwar wirkte diese Software im Arbeitsspeicher auf den Ablauf des Computerspiels ein; Einfluss genommen wurde dabei aber lediglich auf bestimmte „Variablen“. Anders formuliert: Der vom Computerspiel vorgesehene Spielablauf wurde nicht dadurch manipuliert, dass bestimmte Abläufe des Programms gleichsam „umprogrammiert“ wurden, sondern indem Spielinformationen zugunsten des „Betrugsspielers“ verändert wurden. Obwohl bestimmte Spielerleichterungen wie ein „Turbo“ für einen Spieler eigentlich (noch) nicht verfügbar waren, konnte dieser jene bereits nutzen, weil die „Cheat-Software“ dem Programm vorgaukelte, dass die Voraussetzungen für die Verfügbarkeit der Spielerleichterung bereits vorlägen. Das Computerprogramm wurde gleichsam mit falschen Informationen versorgt oder technisch: Die einschlägigen Werte in den „Variablen“ wurden verändert. Dessen ungeachtet lief das Programm aber planmäßig ab.
Aus normativer Sicht stellte sich die Frage, ob ebendiese Veränderung in den Schutzbereich des Softwareurheberrechts eingreift. Der EuGH, den der BGH zuvor angerufen hatte (BGH, EuGH-Vorl. v. 23.02.2023 - I ZR 157/21 - GRUR 2023, 577 „Action Replay I“), hat dies verneint (EuGH, Urt. v. 17.10.2024 - C-159/23 - GRUR 2024, 1704 „Sony Computer Entertainment Europe“; dazu Antoine, GRUR 2024, 1786). Der Inhalt variabler Daten ist vom Schutzbereich des Softwareurheberrechts nicht umfasst. Diese dienen anders als der Source- oder Maschinencode nicht der Steuerung eines Computers. Eine Veränderung dieser Daten ist keine Umarbeitung der „Programmsubstanz“ (Antoine, GRUR 2024, 1786, 1788; EuGH, Urt. v. 17.10.2024 - C-159/23 Rn. 50 ff. - GRUR 2024 „Sony Computer Entertainment Europe“; vgl. auch Grützmacher, ZUM 2023, 464). In vorliegender Entscheidung „Action Replay II“ (BGH, Urt. v. 31.07.2025 - I ZR 157/21 - GRUR 2025, 1388) hat der BGH nun die Vorgaben des EuGH umgesetzt (vgl. auch Brtka, GRUR-Prax 2025, 669).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In der Entscheidung hat der BGH zunächst noch einmal die Grundsätze des Softwareurheberrechts einschließlich der unionsrechtlichen Grundlagen herausgearbeitet: Unterstellt, ein Computerprogramm ist als eigene geistige Schöpfung nach § 69a Abs. 3 Satz 1 UrhG zu qualifizieren, stehen dem Rechtsinhaber die in § 69c UrhG genannten Verwertungsrechte zu. Nach § 69c Nr. 2 Satz 1 UrhG hat der Rechtsinhaber namentlich das ausschließliche Recht, die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement und andere Umarbeitungen eines Computerprogramms sowie die Vervielfältigung der erzielten Ergebnisse vorzunehmen oder zu gestatten. Das Verwertungsrecht bezieht sich dabei allein auf das Computerprogramm (Rn. 19). Nach § 69a Abs. 1 UrhG sind Computerprogramme Programme in jeder Gestalt, einschließlich des Entwurfsmaterials. Der Schutz bezieht sich ausweislich § 69a Abs. 2 Satz 1 UrhG auf alle Ausdrucksformen des Computerprogramms. Ideen und Grundsätze, die einem Element eines Computerprogramms zugrunde liegen, einschließlich der den Schnittstellen zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze, sind nicht geschützt (§ 69a Abs. 2 Satz 2 UrhG). Anders formuliert: Die Funktionalität des Programms nimmt am Schutz nicht teil (Rn. 20).
Auf Basis dieser Grundsätze kommt der BGH unter Berücksichtigung der Beurteilung durch den EuGH sodann zum Schluss, dass die streitgegenständliche Software nicht in den Schutzbereich des Softwareurheberrechts des Klägers eingreift (Rn. 21 ff.). Der BGH geht davon aus, dass auf technischer Ebene der allein geschützte Source- oder Maschinencode nicht vervielfältigt wird. Die Programmbefehle der geschützten Spielsoftware werden nicht geändert. Einfluss genommen wird allein auf bestimmte spielimmanente Informationen. Wenn diese zugunsten des Spielers über die streitgegenständliche Software verändert werden, wird das Spiel zwar beeinflusst, nicht aber durch eine „Umprogrammierung“ (= Umarbeitung) der Software, sondern lediglich durch die Manipulation von Spieldaten (Rn. 22). Eine Umarbeitung i.S.v. § 69c Nr. 2 Satz 1 UrhG liegt nicht vor (zum Verhältnis von „Umarbeitung“ zum „Schutzbereich“ Grützmacher, ZUM 2023, 464).


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung zeigt die Grenzen des Urheberrechts auf. Allen voran dient das Urheberrecht nicht der „Monopolisierung“ von Ideen, (Spiel-)Regeln, Informationen als solchen oder auch wissenschaftlichen Theorien. Auch im Softwareurheberrecht bezieht sich der Schutz allein auf die Verwertung des Source- oder Maschinencodes selbst. Die Funktionalität des Programms als solches ist nicht geschützt. Gleiches gilt für Informationen. Im Kontext von Cheat-Software bedeutet dies konkret, dass eine Manipulation des Computerspiels durch Vorspiegelung von ihm Spiel angelegten, aber zugunsten eines bestimmten Spielers eigentlich nicht verfügbaren günstigeren Spielsituationen, nicht in den Schutzbereich des Softwareurheberrechts eingreift. Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass zum Beispiel allein der Austausch der Information „Spieler hat keinen Joker mehr“ mit „Spieler hat noch zwei Joker“ keine Softwareurheberrechtsverletzung begründet.
Das Urheberrecht könnte indes unter einem anderen Aspekt betroffen sein. Obwohl die im Computerprogramm enthaltenen Videos, Musiksequenzen und die grafische Gestaltung der Benutzeroberfläche ebenfalls keine „Ausdrucksform des Computerprogramms“ gemäß § 69a Abs. 2 Satz 1 UrhG sind, kann hier Urheberrechtsschutz nach § 2 UrhG greifen (vgl. EuGH, Urt. v. 22.12.2010 - C-393/09 - GRUR 2011, 220 „BSA/Kulturministerium“). Auch wenn nun aber ein Spieler den eigentlich vorgesehen Spielablauf abändert, geht es dabei allenfalls um eine Veränderung des „Konzepts“ des Computerspiels, nicht aber um eine Veränderung der „Erzählung“ des Spiels (vgl. Antoine, GRUR 2024, 1786, 1789).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Was folgt aus dem Urteil für die Praxis? Die Lauterkeit des „Gaming“ lässt sich mit urheberrechtlichen Mitteln nicht ohne Weiteres herstellen. Solange es nicht zu einer Vervielfältigung des urheberrechtlich geschützten „Codes“ selbst kommt („Schummeln in Maßen“ – vgl. Brtka, GRUR-Prax 2025, 669), kann eine nicht gewünschte Spielbeeinflussung urheberrechtlich nicht unterbunden werden. Das Urheberrecht ist insoweit „neutral“. Ob es aber tatsächlich nicht zu Vervielfältigungen bzw. Änderungen des Source- oder Maschinencodes kommt, muss im Einzelfall auf Basis einer „technischen Analyse“ ermittelt werden. Was bleibt, sind insbesondere technische und vertragliche Lösungen (vgl. Pesch, ZUM 2025, 120, 121). Eine unlautere Mitbewerberbehinderung nach § 4 Nr. 4 UWG hat der BGH hingegen nicht angenommen (Rn. 24; vgl. aber auch BGH, Urt. v. 12.01.2017 - I ZR 253/14 - GRUR 2017, 397 „World of Warcraft II“).



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