Anspruch eines Betriebsratsmitglieds zur Anpassung der Vergütung nach den Grundsätzen einer betriebsüblichen EntwicklungOrientierungssatz zur Anmerkung Kompetenzen und Fähigkeiten, die ein Betriebsratsmitglied während seiner Amtsführung erlangt hat, sind für die Frage, welchen beruflichen Aufstieg das Betriebsratsmitglied ohne die Amtstätigkeit genommen hätte, unbeachtlich; eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit als solcher für Vergütungszwecke scheidet wegen des Ehrenamtsprinzips aus § 37 Abs. 1 BetrVG aus. - A.
Problemstellung Nicht erst seit der Entscheidung des BGH zur Strafbarkeit wegen einer Untreue (§ 266a StGB) bei der Gewährung eines überhöhten Entgelts an Betriebsratsmitgliedern (BGH, Urt. v. 10.01.2023 - 6 StR 133/22) beschäftigen die Arbeitsgerichte Klagen selbiger auf Vergütungsanpassungen nach den Grundsätzen einer betriebsüblichen Entwicklung (§ 37 Abs. 4 BetrVG) und unter Beachtung des Verbots der unzulässigen Benachteiligung wegen der Betriebsratstätigkeit (§ 78 Satz 2 BetrVG) – so auch jüngst das LArbG Mainz, das über die Frage zu entscheiden hatte, ob dem klagenden stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden ein Anspruch auf eine Vergütung nach einer höheren Entgeltgruppe sowie auf Zahlung des Differenzbetrags für die Vergangenheit zusteht.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er nach der EG 11 (hilfsweise der EG 10) und nicht – wie bisher – nach der EG 9 zu vergüten ist. Zudem macht er für die Vergangenheit die Zahlung der Vergütungsdifferenz zwischen der EG 9 und der EG 11 (hilfsweise der EG 10) geltend. Zur Begründung seiner Ansprüche stützt er sich auf insgesamt vier Bewerbungen über einen Zeitraum von ca. sechs Jahren, die allesamt erfolglos geblieben sind. Bei zwei der vier Positionen, auf die er sich beworben hatte, entschied sich der Arbeitgeber für andere Bewerber. Eine – zunächst ausgeschriebene – Stelle besetzte dieser letztlich doch nicht. Die vierte Bewerbung erfolgte auf die Position als Arbeitsvorbereiter, die der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht nur bereits innehatte, sondern die zudem nach der EG 9 vergütet wurde. Der Kläger sah den Grund für die Erfolglosigkeit der Bewerbungen in seiner Betriebsratstätigkeit. Seit der Übernahme des Betriebsratsamtes sei der beklagte Arbeitgeber nicht mehr gewillt, ihm höhere Positionen zu übertragen. Dies sah er durch eine Aussage des Geschäftsführers bestätigt, der ihm mitgeteilt haben soll, er könne die Aufgaben ohnehin nicht ausführen, weil er als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender zu beschäftigt sei. Er sei – so der Kläger weiter – nicht nur nicht befördert worden, man habe ihm vielmehr sukzessive Aufgaben entzogen. Aus diesem Grund habe er sich auch auf die Position als Arbeitsvorbereiter beworben, obwohl er diese bereits innehatte. Für die beiden Beförderungsstellen, die mit anderen Bewerbern besetzt wurden, sei er aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit besser geeignet gewesen. Er habe als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender sowohl besondere Führungsqualitäten als auch überdurchschnittliche Kommunikationsfähigkeiten entwickelt. Dies hätte der Arbeitgeber berücksichtigen müssen, wenngleich er sie im Rahmen seiner Betriebsratstätigkeit erworben habe. Würden derartige Fähigkeiten nicht beachtet, läge darin eine unzulässige strukturelle Benachteiligung. Die Entscheidung, die vierte streitgegenständliche Position nicht zu besetzen, sei lediglich getroffen worden, um ihn auf dieser Position nicht beschäftigen zu müssen. Ungeachtet der Bewerbungen auf konkrete Positionen ergäben sich die geltend gemachten Ansprüche aber jedenfalls unter Berücksichtigung einer betriebsüblichen Entwicklung nach § 37 Abs. 4 BetrVG. Er sei zwar zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme im Bereich der Arbeitsvorbereitung beschäftigt gewesen, allerdings sei diese Tätigkeit mit der eines Maschinenbautechnikers bzw. Konstrukteurs vergleichbar. Da die Mehrzahl der mit ihm nach seiner Auffassung zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme vergleichbaren Arbeitnehmer heute eine Vergütung nach der EG 11, jedenfalls aber nach der EG 10, erhielten, sei er ebenfalls entsprechend zu vergüten. Das LArbG Mainz hat die Klage abgewiesen und damit die Entscheidung der ersten Instanz (ArbG Kaiserslautern, Urt. v. 31.03.2022 - 6 Ca 390/21) bestätigt. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger seine Ansprüche nicht erfolgreich auf § 37 Abs. 4 BetrVG stützen könne. Die von ihm als vergleichbar im Sinne der o.g. Vorschrift genannten Arbeitnehmer seien – bis auf einen – nicht mit dem Kläger vergleichbar. Dass der verbliebene vergleichbare Arbeitnehmer später befördert worden sei, rechtfertige die geltend gemachten Ansprüche ebenfalls nicht. Auch bei einer bestehenden Vergleichbarkeit des Amtsträgers mit nur einem Arbeitnehmer könne nicht auf die Feststellung der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung verzichtet werden. Stehe nur eine Beförderungsstelle zur Verfügung, ergebe sich ein Anspruch gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG aber nur dann, wenn gerade das Betriebsratsmitglied nach den betriebsüblichen Auswahlkriterien auf die höher dotierte Stelle hätte befördert werden müssen. Derartige betriebsübliche Auswahlkriterien, nach denen gerade der Kläger auf die höher dotierte Stelle hätte befördert werden müssen, habe dieser allerdings nicht aufgezeigt. Die geltend gemachten Ansprüche ergäben sich zudem nicht aus § 78 Satz 2 BetrVG. Soweit tatsächlich eine Besetzung der streitgegenständlichen Beförderungsstellen erfolgt sei, sei die Entscheidung für die anderen Bewerber erfolgt, weil diese besser als der Kläger qualifiziert gewesen seien. Einen Bezug zwischen der Entscheidung, die Positionen nicht mit dem Kläger zu besetzen, und dessen Betriebsratstätigkeit konnte das LArbG Mainz nicht erkennen. Dabei stellt das Gericht ausdrücklich fest, dass etwaige Führungs- und Kommunikationskompetenzen, die der Kläger während seiner Amtsführung erworben haben wolle, bei der Beurteilung, welchen beruflichen Aufstieg das Betriebsratsmitglied ohne Amtsträgerschaft genommen hätte, keine Berücksichtigung finden dürften. Das Betriebsratsamt sei als Ehrenamt unentgeltlich auszuüben (§ 37 Abs. 1 BetrVG), weshalb eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit für Vergütungszwecke ausscheide. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) führt das Gericht weiter aus, dass aus der Betriebsratstätigkeit selbst nicht geschlussfolgert werden könne, das betreffende Betriebsratsmitglied habe Führungsqualitäten und könne mit Führungskräften verglichen werden. Dies würde in unzulässiger Weise an die Bewertung der Betriebsratstätigkeit als solcher anknüpfen und finde keine Stütze im BetrVG. Die Position „Arbeitsvorbereiter“ könne die geltend gemachten Ansprüche des Klägers schon deshalb nicht stützen, weil diese nach der EG 9 vergütet werde. Schließlich sei die Entscheidung des Arbeitgebers, die vierte streitgegenständliche Position nicht zu besetzen, aus Gründen erfolgt, die in keinem Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit des Klägers stünden. Eine unzulässige Benachteiligung des Klägers wegen seiner Betriebsratstätigkeit sei daher nicht erkennbar.
- C.
Kontext der Entscheidung Das Urteil reiht sich in eine Vielzahl von arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zu den Voraussetzungen einer Vergütungsanpassung eines Betriebsratsmitglieds nach den Vorgaben des § 37 Abs. 4 BetrVG und des § 78 Satz 2 BetrVG ein. Dabei stehen beide Anspruchsgrundlagen selbstständig nebeneinander (BAG, Urt. v. 22.01.2020 - 7 AZR 222/19). Die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen prüft und subsumiert das LArbG Mainz unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG in seiner Entscheidung nahezu schulbuchmäßig. Nach § 37 Abs. 4 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrates einschließlich eines Zeitraumes von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Zweck dieser Vorschrift ist es, die Durchsetzung des Benachteiligungsverbotes aus § 78 Satz 2 BetrVG durch einfach nachzuweisende Anspruchsvoraussetzungen zu erleichtern (BAG, Urt. v. 17.08.2005 - 7 AZR 528/04). Hieraus folgt, dass die Grundlage einer etwaigen Vergütungsanpassung nicht die Arbeit innerhalb des Betriebsrates ist, sondern vielmehr die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer. Hiervon ausgehend muss die „betriebsübliche Entwicklung“ in Bezug auf diesen Personenkreis evaluiert werden. Bei der Beurteilung der betriebsüblichen Entwicklung darf daher nicht bei der hypothetischen Gehaltsentwicklung des jeweiligen Betriebsratsmitglieds verharrt werden (BAG, Urt. v. 19.01.2005 - 7 AZR 208/04). Entscheidend ist vielmehr die Vergütungsentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer. Es ist sicherzustellen, dass die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der Betriebsratstätigkeit in Relation zu vergleichbaren Arbeitnehmern nicht zurückbleibt (BAG, Urt. v. 17.05.1977 - 1 AZR 458/74). Denkbar ist darüber hinaus, die Vergütungshöhe – unabhängig von der betriebsüblichen Entwicklung – über § 78 Satz 2 BetrVG zu rechtfertigen. Diese Vorschrift verbietet sowohl die Begünstigung als auch die Benachteiligung eines Betriebsratsmitglieds und steht als eigenständige Anspruchsgrundlage neben § 37 Abs. 4 BetrVG (so zuletzt: BAG, Urt. v. 22.01.2020 - 7 AZR 222/19). Zu den Voraussetzungen führt das BAG wie folgt aus: Möchte der Amtsträger geltend machen, dass er ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderung einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, hat er hierzu mehrere Möglichkeiten. Er kann vortragen, dass seine Bewerbung auf eine bestimmte Stelle gerade wegen seiner Freistellung und/oder seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist. Hat sich ein freigestellter Amtsträger auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und solche ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Aber selbst wenn eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung danach keinen Erfolg gehabt hätte oder hätte haben müssen, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung des freigestellten Amtsträgers an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der Arbeitgeber sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikation infolge der Freistellung außerstande gesehen hat, ist zwar die Entscheidung für den als qualifizierter erachteten Bewerber nicht zu beanstanden. Gleichwohl kann in einem solchen Fall ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsträgers bestehen, wenn das Fehlen eines feststellbaren aktuellen Fachwissens gerade aufgrund der Freistellung eingetreten ist.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Höchst umstritten und bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist die Frage, ob und in welchem Umfang während der Betriebsratstätigkeit erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Beurteilung der beruflichen Entwicklung eines Betriebsratsmitglieds zu berücksichtigen sind. Die aktuelle Rechtsprechung der Instanzen hierzu ist uneinheitlich. Das LArbG Mainz lehnt die Berücksichtigung solcher Fähigkeiten unter Verweis auf das Ehrenamtsprinzip im Rahmen des § 78 Satz 2 BetrVG und des § 37 Abs. 4 BetrVG ab und schließt sich damit den Ausführungen des BGH (Urt. v. 10.01.2023 - 6 StR 133/22) an. Dabei verweist das Gericht in Zusammenhang mit § 37 Abs. 4 BetrVG darauf, dass zum relevanten Zeitpunkt der Vergleichsgruppenbildung, nämlich der Amtsübernahme, bereits denklogisch keine solchen Kenntnisse und Fähigkeiten vorliegen können. Dies ist unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum für die Vergleichsgruppenbildung relevanten Zeitpunkt nachvollziehbar (BAG, Urt. v. 22.01.2020 - 7 AZR 222/19); insoweit ist allerdings zu beachten, dass die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ggf. eine Neubildung der Vergleichsgruppe erforderlich werden kann, bislang ebenfalls (noch) ungeklärt ist. Wird eine solche Neubildung ermöglicht, z.B. nach einer erfolgten Beförderung des Betriebsratsmitglieds, dürfte sich die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit der während der Amtszeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auch im Rahmen des § 37 Abs. 4 BetrVG stellen. Anders urteilte jüngst das ArbG Emden (Urt. v. 05.07.2023 - 2 Ca 280/22). Nach dessen Auffassung sei eine Berücksichtigung der im Betriebsratsamt erworbenen Qualifikationen des Bewerbers – jedenfalls im Anwendungsbereich des § 78 Satz 2 BetrVG – zulässig und – bei Einschlägigkeit der Qualifikationen für die fragliche zu besetzende Stelle – sogar geboten, um eine unzulässige Benachteiligung des Amtsträgers zu vermeiden. Aufgrund der sich widersprechenden Entscheidungen sollte im Einzelfall nicht nur sorgfältig abgewogen werden, ob während der Betriebsratstätigkeit erworbene Fähigkeiten zur Begründung einer Entscheidung – zumindest bei § 78 Satz 2 BetrVG – herangezogen werden sollen, sondern auch die weitere Entwicklung der Rechtsprechung im Blick behalten werden.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Das LArbG Mainz stellt in Bezug auf die Äußerung des Geschäftsführers, der Kläger habe eine der streitgegenständlichen Beförderungsstellen wegen seiner starken Eingebundenheit als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender ohnehin nicht ausüben können, klar, dass diese ein Indiz für eine unzulässige Benachteiligung wegen des Betriebsratsamtes darstellen kann. Da es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, nach dem die Nichtberücksichtigung eines Betriebsratsmitglieds bei einer Beförderung auf dessen Betriebsratstätigkeit beruht, trägt das klagende Betriebsratsmitglied die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Benachteiligung i.S.d. § 78 Satz 2 BetrVG (BAG, Urt. v. 20.01.2021 - 7 AZR 52/20). Äußerungen – wie die hier behauptete – können daher für das Betriebsratsmitglied und den Erfolg seiner Klage von erheblicher Bedeutung sein. Allerdings stellt das LArbG Mainz klar, dass die Indizwirkung einer solchen Äußerung entkräftet werden kann, wenn die Entscheidung zulasten des Betriebsratsmitglieds objektiv und ohne Bezug zu dessen Amtsträgerschaft begründet wird.
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