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Anmerkung zu:BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 09.01.2024 - II ZR 220/22
Autor:Dr. Felix Bergmeister, LL.M. (Univ. of Chicago), Vors. RiLG
Erscheinungsdatum:19.04.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 15 HGB, § 179a AktG, § 37 GmbHG
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Bergmeister, jurisPR-BGHZivilR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Negative Handelsregisterpublizität und Missbrauch der Vertretungsmacht bei Veräußerung des einzigen wesentlichen Vermögensgegenstands durch GmbH-Geschäftsführer



Leitsätze

1. Die Berufung auf die fehlende Eintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache ist dem Dritten gemäß § 15 Abs. 1 HGB nur dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache hat; ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen demgegenüber nicht.
2. Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung lotet die Reichweite des Verkehrsschutzes aus, wenn ein GmbH-Geschäftsführer namens der Gesellschaft ein Grundstück verkauft, obwohl er (noch ohne Registereintragung) wirksam abberufen war und obwohl er dies im Innenverhältnis so oder so nicht durfte.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die Klägerin, eine GmbH, war Eigentümerin eines Grundstücks, bei dem es sich um ihren einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand handelte. Eine von der Mehrheitsgesellschafterin einberufene Gesellschafterversammlung beschloss am 14.06.2018 mehrheitlich die Abberufung des Geschäftsführers D. Am 16.06.2018 verkaufte die GmbH, vertreten durch D., das Grundstück an einen Dritten. Die Abberufung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Handelsregister eingetragen. Der Dritte wusste, dass es sich um die Veräußerung des gesamten Immobilienbestands handelte und es keinen dies legitimierenden Gesellschafterbeschluss gab. Der Notar erklärte einen Gesellschafterbeschluss im Beurkundungstermin für entbehrlich. Die Klägerin nimmt jetzt den Käufer auf Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung in Anspruch.
II. Der BGH hat die Entscheidung des Berufungsgerichts (KG, Urt. v. 08.09.2022 - 2 U 115/21), mit der die erstinstanzliche Klageabweisung aufrechterhalten worden war, aufgehoben.
Zwar müsse sich die Klägerin so behandeln lassen, als habe die Vertretungsmacht beim Vertragsschluss noch fortbestanden. Die Berufung auf die fehlende Eintragung der Abberufung als eintragungspflichtiger Tatsache sei dem Dritten gemäß § 15 Abs. 1 HGB nur dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache, hier also der wirksamen Abberufung, habe. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügten demgegenüber nicht.
Einer rechtlichen Prüfung nicht stand halte allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, ein Missbrauch der Vertretungsmacht lasse sich nicht feststellen.
Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gälten auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB. Aus Rechtsscheingrundsätzen könnten keine weiter gehenden Rechte hergeleitet werden, als sie bestünden, wenn der Rechtsschein zuträfe.
Bei besonders bedeutenden Geschäften sei ein Dritter als Vertragspartner grundsätzlich nicht schutzwürdig, wenn es sich ihm den Umständen nach aufdrängen muss, dass der Geschäftsführer ohne Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung seine Vertretungsmacht überschreitet und er zugleich weiß oder es sich ihm ebenfalls aufdrängen muss, dass ein zustimmender Beschluss nicht vorliegt. Ersteres werde man häufig annehmen können, wenn das gesamte Unternehmen in einem Gesamtvermögensgeschäft als solches übertragen werden soll. Aber auch wenn, wie vorliegend, mit einer Immobilie nur ein einzelner Vermögensgegenstand übertragen werde, könne es sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen, dass der Geschäftsführer das Geschäft nicht ohne Rückversicherung bei den Gesellschaftern vornehmen kann.
Befinde sich der Dritte in einem Rechtsirrtum über das Beschlusserfordernis im Sinne der Notwendigkeit einer Rückversicherung bei den Gesellschaftern, so könne er trotz positiver Kenntnis vom Fehlen des Beschlusses dennoch schutzbedürftig sein. Grundsätzlich könne sich der Dritte auf den ausdrücklichen, die Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses attestierenden Rat des beurkundenden Notars verlassen.
Das Berufungsgericht habe sich aber nicht damit auseinandergesetzt, dass der damalige Geschäftsführer der Beklagten in seiner erstinstanzlichen Zeugenvernehmung bekundet hat, über ein Beschlusserfordernis sei im Beurkundungstermin überhaupt nicht gesprochen worden bzw. er könne sich daran nicht erinnern. Denke man die Wahrnehmung des notariellen Rats zur Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses aufseiten der Beklagten hinweg, habe hier nach Lage des Falles die Beschlussnotwendigkeit angesichts der evidenten Veräußerung des wesentlichen Vermögensgegenstands auch für einen juristischen Laien auf der Hand gelegen. Unter diesen Umständen habe es daher eines „gegenläufigen“ (rechtsirrigen) Rechtsrats durch eine juristische Vertrauensperson bedurft, um dennoch ein Sich-Aufdrängen der auf der Hand liegenden Zustimmungsnotwendigkeit abzulehnen.


C.
Kontext der Entscheidung
Ob das Grundstücksgeschäft Bestand hat, hing in diesem komplexen Fall – neben etlichen weiteren Hürden – davon ab, unter welchen Voraussetzungen der Verkehrsschutz eingeschränkt wird, der durch § 15 Abs. 1 HGB (negative Publizität des Handelsregisters) und § 37 Abs. 2 GmbHG (Unbeschränktheit der Vertretungsbefugnis des GmbH-Geschäftsführers) gewährleistet ist.
I. Das Schutzkonzept von § 15 Abs. 1 HGB ist robust: Ist eine registerpflichtige Tatsache (wie hier die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers) nicht eingetragen, kann diese dem Dritten nur entgegengehalten werden, wenn bewiesen ist, dass er von ihr Kenntnis hatte.
Der BGH hat jetzt unterstrichen, dass er die gesetzliche Regelung ernst nimmt. Der erste Leitsatz spricht dabei zwar letztlich nur aus, was sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt und allgemeiner Meinung entspricht. Er wird in den Gründen aber instruktiv mit Leben gefüllt. Hier war der Geschäftsführer der GmbH kurz zuvor auf einer Gesellschafterversammlung durch Mehrheitsbeschluss abberufen worden. Die Abberufung war – vorbehaltlich der Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses – sofort wirksam. Ein klassisches Anwendungsfeld für § 15 Abs. 1 HGB, wäre es nicht so gewesen, dass der Geschäftspartner (für Zwecke des Revisionsverfahrens unterstellt) von dem Abberufungsbeschluss wusste. Warum genügte dies nicht? Weil nicht zugleich angenommen werden konnte, dass er deshalb auch Kenntnis von der Wirksamkeit der beschlossenen Abberufung hatte, so die vom BGH gebilligte tatrichterliche Würdigung. Der Dritte durfte hier nämlich kenntnisausschließende „Zweifel an der Wirksamkeit der kundgemachten Abberufung“ haben, weil es zwischen den Gesellschaftern wegen eines vermeintlichen Einberufungsmangels Streit über die Wirksamkeit der Abberufung gab.
Auf den ersten Blick mag diese Begründung ein Störgefühl verursachen: Der Dritte weiß von einem Sachverhalt, der an sich die Abberufung des Geschäftsführers bewirkt und ist sich lediglich nicht sicher, ob die Abberufung nicht vielleicht unwirksam ist. Die Entscheidung des BGH ist in diesem Punkt aber konsequent und richtig. Wenn es diese Zweifel ernsthaft gab (was Tatfrage ist), befinden wir uns nicht mehr im Bereich positiver Kenntnis.
II. Die Beklagte konnte sich damit im Ergebnis darauf berufen, dass der im Handelsregister eingetragene Geschäftsführer weiterhin im Amt sei. Damit kam zugleich § 37 Abs. 2 GmbHG zur Anwendung, der die Vertretungsmacht des Geschäftsführers für unbeschränkt und unbeschränkbar erklärt.
Tatsächlich war der Geschäftsführer, seine Abberufung hinweggedacht, zu dem Grundstücksgeschäft im Innenverhältnis aber nicht befugt. Vielmehr wäre er verpflichtet gewesen, hierüber einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss herbeizuführen. Dazu ist der Geschäftsführer nämlich bei besonders bedeutsamen Geschäften angehalten. Ein besonders bedeutsames Geschäft in diesem Sinne ist die Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens, und zwar – so der BGH – auch dann, wenn – wie hier – das übertragene Gesellschaftsvermögen im Wesentlichen aus einem Grundstück besteht und der Gegenstand des Unternehmens den Verkauf von Grundstücken umfasst.
Inwieweit diese Beschränkung auf das Außenverhältnis durchschlägt, bestimmt sich nach dem Institut des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Dies gilt auch hier, wo die organschaftliche Vertretungsmacht gemäß § 15 Abs. 1 HGB als fortbestehend fingiert wird, wie der BGH mit seinem zweiten Leitsatz völlig zu Recht untermauert. Dies folgt aus der universellen Wertung, dass aus Rechtsscheingrundsätzen keine weiter gehenden Rechte hergeleitet werden können, als sie bestünden, wenn der Rechtsschein zuträfe.
III. Was der BGH dann aber in Anwendung der Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht ausführt, hat es in sich.
Seiner bisherigen Rechtsprechungslinie entsprechend (vgl. zuletzt grundlegend BGH, Urt. v. 08.01.2019 - II ZR 364/18) rekapituliert er zunächst folgenden Obersatz: Dass der Missbrauch der Vertretungsmacht dem Geschäftsgegner wegen objektiver Evidenz hätte bekannt sein müssen und sich ihm die Notwendigkeit einer Rückfrage geradezu aufdränge, werde man „häufig“ annehmen können, wenn das gesamte Unternehmen als solches übertragen werden soll. Einem verständigen Vertragspartner müsse nämlich grundsätzlich klar sein, dass der Geschäftsführer die GmbH nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter unternehmenslos stellen kann. Aber auch wenn mit einer Immobilie nur ein einzelner Vermögensgegenstand übertragen werden soll, könne es sich „nach den Umständen des Einzelfalls“ aufdrängen, dass der Geschäftsführer das Geschäft wegen seiner Bedeutung für die Gesellschaft nicht ohne Rückversicherung bei den Gesellschaftern vornehmen kann.
Dass ein solcher Fall hier gegeben sei, stellt der BGH dann aber letztlich nur kurz und knapp fest. Da der Beklagten bekannt gewesen sei, dass die Klägerin ihren gesamten Immobilienbestand ohne einen dies legitimierenden Gesellschafterbeschluss veräußere, habe die Notwendigkeit eines Zustimmungsbeschlusses der Gesellschafter „auch für einen juristischen Laien auf der Hand gelegen“. Von „Umständen des Einzelfalls“ ist nicht weiter die Rede.
Die Entscheidungsbegründung ist in diesem Punkt höchst unbefriedigend.
Das Berufungsgericht hatte das Vorliegen von Evidenz verneint. Es hat dies im Wesentlichen auf zweierlei gestützt: zum einen die Annahme, dass die Rechtslage zur Frage der Zustimmungsbedürftigkeit im Beurkundungszeitpunkt umstritten gewesen sei; zum anderen die getroffene Feststellung, dass der beurkundende Notar selbst das Fehlen eines Zustimmungsbeschlusses mit den Beteiligten im Beurkundungstermin erörtert und für unschädlich erklärt hatte, weil die GmbH ausweislich der Satzung eine Immobilienhandelsgesellschaft sei.
Der BGH hätte angesichts dessen problematisieren müssen, wie weit die Prämisse hier überhaupt trägt, es müsse jedem einleuchten, dass der Geschäftsführer die GmbH nicht „unternehmenslos stellen“ darf. Schließlich umfasste der Gegenstand des Unternehmens der Klägerin Erwerb, Entwicklung und Verkauf von Grundstücken und war die Gesellschaft wohl gerade zur Abwicklung dieses Immobilienprojekts bereitgestellt worden (vgl. Rn. 86 des Berufungsurteils). Vor allem hätte der Auseinandersetzung bedurft, dass das Berufungsgericht die Rechtslage im Beurkundungszeitpunkt für „ungeklärt und hoch streitig“ gehalten hat, der beurkundende Notar die Beschlussnotwendigkeit verneinte und sogar noch das erstinstanzliche Gericht entschied, dass ein Gesellschafterbeschluss nicht erforderlich gewesen sei, weil kein Grundlagengeschäft vorgelegen habe. Natürlich ist es eine Frage der rechtlichen Wertung und nicht der Empirie, ob sich einer Person etwas aufdrängen muss. Die Frage darf aber doch nicht losgelöst davon beantwortet werden, welche Kenntnisse und Fähigkeiten bei durchschnittlich aufmerksamen und verständigen Teilnehmern am Rechtsverkehr vorhanden sind. Hier haben sich immerhin am laufenden Band Juristen über die Rechtslage (oder zumindest den Meinungsstand) geirrt. Weshalb lag sie dann für einen juristischen Laien auf der Hand?
Konsequent und stimmig ist dann aber wieder das finale Begründungselement, gewissermaßen der Clou des Revisionsverfahrens, dass die Beklagte sich auf den „gegenläufigen rechtsirrigen Rechtsrat“ zwar grundsätzlich verlassen könne, aber nur dann, wenn sie ihn auch wahrgenommen habe. Daran gab es aber aufgrund einer erstinstanzlichen Zeugenaussage Zweifel, denen die Instanzgerichte nun nachgehen müssen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der BGH führt mit dieser spannenden und mit Rechtsproblemen vollgestopften Entscheidung u.a. seine Rechtsprechung aus BGH, Urt. v. 08.01.2019 - II ZR 364/18 - BGHZ 220, 354 weiter: § 179a AktG ist auf die GmbH nicht analog anwendbar, zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens ist der Geschäftsführer ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung gleichwohl nicht befugt, und unter den Voraussetzungen des Missbrauchs der Vertretungsmacht schlägt dies auf das Außenverhältnis durch.
Die Praxis wird hierdurch wegen der Unbestimmtheit der maßgeblichen Rechtsbegriffe vor bedenklich große Schwierigkeiten gestellt, wie dieser Fall anschaulich macht.
So wird die Zustimmungsbedürftigkeit bei Übertragung eines einzelnen Vermögensgegenstands auch ausgelöst, wenn es nicht der alleinige, sondern wenn es der „wesentliche“ ist. Darüber hinaus gilt generell, dass zu „ungewöhnlichen“, „außergewöhnlichen“ bzw. „besonders bedeutsamen“ Verträgen die Zustimmung der Gesellschafter eingeholt werden muss, womit Maßnahmen gemeint sind, die wegen ihrer Bedeutung für die Gesellschaft oder aufgrund des mit ihnen verbundenen unternehmerischen Risikos Ausnahmecharakter haben (vgl. den Überblick bei Bayer/J. Schmidt in: BeckOGK, Stand: 15.10.2023, § 37 GmbHG Rn. 40 m.w.N.).
Wer in einem konkreten Fall im Nachhinein begründen muss, warum sich ihm dies nicht aufgedrängt hat, ist argumentativ regelmäßig in der Defensive.
Gepaart damit, dass der BGH ab einem bestimmten Verdachtsgrad Erkundigungsobliegenheiten für den Geschäftspartner statuiert (Rn. 42), fragt sich, ob von der Gewährleistung des Verkehrsschutzes durch § 37 Abs. 2 GmbHG noch genügend übrig bleibt.
In der Praxis wird man sich nun noch stärker darauf verlegen müssen, die Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung zu dokumentieren, wenn der Vertragsschluss mit einer GmbH auch nur entfernt ein Geschäft betrifft, das als besonders bedeutsam qualifiziert werden kann.



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