juris PraxisReporte

Anmerkung zu:AG Hamburg, Beschluss vom 07.03.2023 - 67h IN 44/23
Autor:Dr. Friedrich L. Cranshaw, RA
Erscheinungsdatum:15.11.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 269a InsO, § 269i InsO, § 3e InsO, § 72 InsO, § 56b InsO, § 13a InsO, § 21 InsO, § 22a InsO, § 67 InsO, § 71 InsO, § 3a InsO, § 269c InsO
Fundstelle:jurisPR-InsR 16/2023 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Cranshaw, jurisPR-InsR 16/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Einsetzung sowie Besetzung eines vorläufigen Gruppengläubigerausschusses in einem Konzerninsolvenzverfahren



Leitsätze

1. Bei einem Unternehmensgruppenkonzerninsolvenzverfahren mit einer Vielzahl gruppenangehöriger Unternehmen mit vorheriger Feststellung eines Gruppengerichtsstandes und der gesetzlichen Notwendigkeit, für mindestens zwei der gruppenangehörigen Unternehmen im Insolvenzeröffnungsverfahren vorläufige Gläubigerpflichtausschüsse (§ 22a Abs. 1 InsO) einzusetzen, kann es bei Mangel an verfügbaren Ausschussmitgliedern für den einen vorläufigen „Pflicht“ausschuss und bei ersichtlicher Koordinationsnotwendigkeit der Interessen der Gesamtgläubigerschaft der Unternehmensgruppe sinnvoll und geboten sein, auf den als zulässig zu wertenden Antrages des einen (vorläufigen) Pflichtausschusses einen (vorläufigen) Gruppengläubigerausschuss einzusetzen.
2. Dessen Mitglieder können sich aus den verfügbaren und bestellungsbereiten Mitgliedern des einen vorläufigen Pflichtausschusses zusammensetzen, ergänzt durch den Konzernbetriebsratsvorsitzenden als „weiterem“ Mitglied. Der Gruppengläubigerausschuss hat getrennt zu tagen und die Interessen der gesamten Gläubigerschaft zu wahren.



A.
Problemstellung
I. Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 17.04.2017 (BGBl I 2017, 866) ist am 21.04.2018 in Kraft getreten. In der Insolvenzordnung hat es seinen Niederschlag in den §§ 3a-3e, 13a , 56b InsO und in dem Siebten Teil der Insolvenzordnung, §§ 269a-269i InsO, gefunden. Der Gesetzgeber hat in § 269c InsO die Zusammenarbeit der Gläubigerausschüsse der beteiligten insolventen Konzernunternehmen geregelt, und zwar durch Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses durch das Gericht des Gruppen-Gerichtsstands (§ 3a InsO). Erforderlich ist dazu der Antrag eines Gläubigerausschusses eines der insolventen Konzernschuldner und die Anhörung der anderen Gläubigerausschüsse.
II. Das AG Hamburg hat sich in der Besprechungsentscheidung mit der Bestellung eines (vorläufigen) Gruppen-Gläubigerausschusses auseinandergesetzt, bei dem die in den obigen Leitsätzen thematisierten Problemfelder eine Rolle spielten.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. 1. Die betroffene Unternehmensgruppe nach § 3e InsO besteht aus 24 Gesellschaften (im In- und Ausland), die gesellschaftsrechtlich miteinander verflochten sind. Mit Beschluss vom 02.02.2023 wurde auf Antrag einer nicht untergeordneten Konzerngesellschaft (§§ 3a Abs. 1, 13a InsO) ein Gruppengerichtsstand für die in Deutschland ansässigen Gruppengesellschaften bestimmt. 14 Gruppengesellschaften mit fortgeführtem Geschäftsbetrieb hatten bis dahin Insolvenzantrag gestellt. Zwei der Gesellschaften hätten eines vorläufigen Pflichtausschusses nach § 22a Abs. 1 InsO bedurft.
2. Dabei ergab sich, dass für die erste Gruppen-Gesellschaft, die Insolvenzantrag stellte und auf die § 22a InsO zutraf, ein vorläufiger Gläubigerausschuss mangels Beteiligungswille der relevanten Gläubigerinnen nicht gebildet werden konnte. Bei der zweiten Gesellschaft, einer GmbH, die ebenfalls § 22a InsO unterliegt, bestellte das Insolvenzgericht auf Vorschlag des vorläufigen Insolvenzverwalters einen „repräsentativen vorläufigen Ausschuss“ aus drei Personen. Dieser durch die betroffenen Personen gebildete Ausschuss hat in der Folgezeit wiederum „einstimmig“ beschlossen (vgl. § 72 InsO), einen Gruppen-Gläubigerausschuss zu beantragen (vgl. § 269c Abs. 1 Satz 1 InsO). Dies geschah. Bei der betroffenen GmbH handelt es sich um eine in Köln ansässige Gesellschaft, mit folgendem Geschäftszweck: „[…] das Halten und Verwalten von Beteiligungen an Unternehmen, die das Direktmarketing und den Vertrieb von Konsumgütern, Telekommunikations-, Versorgungs- sowie Dienstleistungen u.a. [zum Gegenstand haben]“ (AG Hamburg, 67h IN 44/23 nach der Besprechungsentscheidung).
3. Das Insolvenzgericht hat für alle Gesellschaften sukzessive ein- und denselben vorläufigen Insolvenzverwalter eingesetzt, und zwar nach § 56b Abs. 1 InsO, ohne Anhörung nach § 56b Abs. 2 InsO mangels Bestehens weiterer vorläufiger Gläubigerausschüsse. Im Verfahren der den Antrag nach § 269c InsO stellenden Konzerngesellschaft hat das Insolvenzgericht zur Prüfung „aller Intercompany-Ansprüche“ (zutreffend) einen „kanzleimäßig“ unabhängigen „Sondersachverständigen“ bestellt.
II. Dem Antrag auf Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses hat das AG Hamburg als Gruppen-Gerichtsstand stattgegeben und seinen Beschluss wie folgt begründet.
1. Der Antrag sei zulässig; ein Gruppeninsolvenzgerichtsstand i.S.d. §§ 3a, 13a InsO sei begründet worden, der Antrag nach § 269c InsO sei beim zuständigen Abteilungsrichter gestellt worden, die Norm sei auch im Eröffnungsverfahren anzuwenden, wie aus § 269c Abs. 3 InsO hervorgehe.
2. Der Antrag sei auch begründet. Der Abteilungsrichter weist zunächst aus der Gesetzgebungshistorie auf die dort zunächst vorgesehene Pflichteinsetzung eines Gruppen-Gläubigerausschusses hin, die aber zugunsten der jetzigen Lösung eines „Kann“-Ausschusses mit einer Ermessensentscheidung des Richters des Gerichts des Gruppengerichtsstands (§ 3a Abs. 1 InsO) aufgegeben worden sei. Damit fänden die §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO keine Anwendung. Der Antrag könne zudem auch im Laufe des Verfahrens gestellt werden, wenn ein entsprechendes „Bedürfnis“ dafür entstehe. Die durch die Einsetzung eines solchen Ausschusses entstehenden „Koordinations- und Unterstützungseffekte“ seien gegen den dafür entstehenden Aufwand abzugleichen. Die Stellungnahmen anderer Ausschüsse der insolventen Gruppengesellschaften entfielen vorliegend mangels Bestehens solcher weiterer Ausschüsse neben dem antragstellenden Ausschuss im Verfahren zu 67h IN 44/23. Die Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses sei aufgrund potenziell divergierender Interessen geboten, vorliegend auch angesichts etwaig kontradiktorischer Interessen, wie die „Einsetzung eines Sondersachverständigen im Hinblick auf Intercompany-Ansprüche“ zeige. Hinzu komme, dass der Gruppen-Gläubigerausschuss hier auch die Interessen derjenigen Gesellschaft zu berücksichtigen haben werde, bei der ein Pflichtausschuss nach § 22a Abs. 1 InsO mangels Gläubigerbereitschaft zu einem solchen Ausschuss nicht gebildet werden konnte. Die Aufgabenstellung entspreche vorliegend „exakt“ den Vorgaben des § 269c Abs. 2 Satz 1 InsO (Berücksichtigung der verschiedenen Interessen).
3. Zwar könne bei der Auswahl der Mitglieder des Gruppen-Gläubigerausschusses im vorliegenden Fall nicht auf Mitglieder verschiedener Gläubigerausschüsse der Einzelverfahren der insolventen Gruppengesellschaften zurückgegriffen werden; in der Literatur würden daher mindestens zwei Einzelausschüsse gefordert. Der Gesetzgeber hingegen habe die „Repräsentanz“ der Einzelausschüsse im Fokus, nicht aber die „Verhinderung der Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses“, wenn dieser zwar geboten sei, aber nur ein einziger Ausschuss in einem der mehreren Verfahren über das Vermögen von konzernzugehörigen Schuldnergesellschaften habe bestellt werden können. Die Aufgaben des Gruppenausschusses gingen zudem über diejenigen des Einzelausschusses hinaus; es solle auch denjenigen Gesellschaften ohne Einzelausschuss im Verfahren Gehör verschafft werden. Das sei gerade hier sinnvoll, „weil es untunlich wäre, für eine Vielzahl kleinerer Gesellschaften amtswegig Einzelausschüsse einzusetzen“.
4. Nach der „zutreffenden Mitgliedschaftstheorie“, so das AG Hamburg, das sich hierzu auf Literaturstimmen beruft, seien daher die Mitglieder des bestehenden Einzelausschusses zu Mitgliedern das Gruppen-Gläubigerausschusses zu bestellen. Die Ausschussmitglieder müssten aber ihre jeweiligen Funktionsbereiche strikt trennen, als ob sie verschiedenen Ausschüssen angehören würden. Das sei auch nicht unüblich, da in Konzerninsolvenzen Gläubiger durchaus bei mehreren Gesellschaften der Unternehmensgruppe beteiligt sein könnten.
5. Zudem sei ein weiteres Mitglied aus der Gläubigergruppe der Arbeitnehmer zu bestellen (§ 269c Abs. 1 Satz 3 InsO), wofür sich nach der Literatur der Konzernbetriebsratsvorsitzende „anbiete“. Dieser habe auch seine Bereitschaft für die Amtsübernahme erklärt. Der Arbeitnehmervertreter gehöre wie auch hier keinem Einzelausschuss an (Folge aus § 269c Abs. 1 Satz 3 InsO).
Obiter äußert sich der Abteilungsrichter zu „nachträglichen Änderungen“ der Einzelausschüsse: Würden neue Einzelausschüsse bei einem nicht nur untergeordneten Unternehmen der Gruppe bestellt (§§ 3a Abs. 1 Sätze 1, 2, 269c Abs. 1 Satz 2 InsO), sei der Gruppen-Gläubigerausschuss nach Anhörung entsprechend zu ergänzen. Werde ein Einzelausschuss eingestellt, scheide dessen Mitglied aus dem Gruppen-Gläubigerausschuss aus.


C.
Kontext der Entscheidung
I. 1. Das AG Hamburg befand sich in einem offenkundigen Dilemma. Es hielt einen (vorläufigen) Gruppen-Gläubigerausschuss sicherlich zutreffend für geboten, um Interessen der beteiligten Gesellschaften auszutarieren, aber die Gläubiger waren nur mit Mühe und in einer einzigen Gesellschaft bereit, sich in einem Gläubigerausschuss zu organisieren.
2. Außerdem gab es nur zwei Gesellschaften mit Pflichtausschüssen i.S.d. § 22a Abs. 1 InsO (von 14 Gruppengesellschaften, die offenbar Insolvenzantrag gestellt hatten). Die Pflicht, einen Ausschuss zu bestellen, wie vom Gesetzgeber z.T. gefordert (§ 22a Abs. 1 InsO), obliegt dem Gericht, das an seine Grenzen stößt, wenn niemand zur Übernahme dieses Amtes als Ausschussmitglied bereit ist. Vorliegend hat das Amtsgericht eben nur bei einer dieser Gesellschaften einen Ausschuss aus drei Mitgliedern bestellen können (wobei angenommen wird, dass der Wortlaut „repräsentativer Gläubigerausschuss“, wie das die Besprechungsentscheidung formuliert, sich auf die Auswahl nach § 67 Abs. 2 InsO bezieht und nicht auf einen sog. „präsumtiven vorläufigen Gläubigerausschuss“, den es gesetzlich nicht gibt und dessen Bestellung ein Nullum gewesen wäre). Dieser Ausschuss hat sodann einstimmig die Bestellung des Gruppen-Gläubigerausschusses beantragt.
II. Die Mitglieder dieses Einzelgläubigerausschusses wurden sodann die einzigen Mitglieder des Gruppen-Gläubigerausschusses, der zum Ausgleich der verschiedenen Interessen aller Gruppengesellschaften und Koordinierung der Verfahren handeln soll. Das Postulat, die Einzelinteressen der Gesellschaft, in der der Einzelausschuss agiert, sollten jeweils abgegrenzt werden gegen die Einzelinteressen der anderen Gesellschaften (bzw. der Gruppeninteressen), erscheint etwas problematisch. Dass der Gruppen-Gläubigerausschuss hier von besonderem Interesse sei, weil ein Sondergutachter im Hinblick auf Intercompany-Beziehungen bestellt worden sei, die Interessen der verschiedenen Gesellschaften sich gar kontradiktorisch zueinander verhielten, dürfte zutreffend sein. Den vier Ausschussmitgliedern (drei aus dem einzigen vorläufigen Ausschuss, eines der Konzernbetriebsratsvorsitzende) wird schier Unmögliches auferlegt, nämlich die Wahrung der Interessen der Gläubiger und der Absonderungsberechtigten (vgl. § 71 InsO) der Gesellschaft, für die sie bestellt wurden und aller anderen Gesellschaften; allein der Konzernbetriebsratsvorsitzende mag da als Mitglied, das Gesamtinteressen umfassend im Blick hat, anzusehen sein. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ein Gruppen-Gläubigerausschuss aus jeweils einem Ausschussmitglied der Einzelausschüsse von nicht untergeordneten Konzerngesellschaften besteht oder ob Personalidentität zwischen dem einzigen Einzelausschuss und dem Gruppen-Gläubigerausschuss besteht. Ferner ist hier keineswegs klar, ob die Gesellschaft, aus deren Ausschuss der Gruppenausschuss personenidentisch besteht, eine tragende Rolle im Konzern spielt bzw. Konzernobergesellschaft ist, ob der Konzern ein Unterordnungs- oder Gleichordnungskonzern ist mit entsprechenden Folgen für Organisation, Koordinierung und Interessenlagen.
Das Faktum, dass im Konzern „Intercompany“-Verflechtungen bestehen, ist eher ein Gemeinplatz (als beliebige übliche Beispiele seien Cashpool-Systeme, Intercompany-Loans, Konzernverrechnungspreise, steuerliche Organschaften genannt). Mit Größe und Komplexität der Unternehmensgruppe wachsen Binnenkonflikte. Völlig zu Recht hat das Insolvenzgericht daher einen Sondergutachter für die konzerninternen Verflechtungen bestellt, unabhängig von der Kanzlei des vorläufigen Verwalters, den es in allen Gesellschaften in Personalunion eingesetzt hat.
III. Der mit einem Einzelausschuss personenidentische Gruppenausschuss bleibt problematisch mit zudem erhöhtem Risiko für die Ausschussmitglieder. Die Möglichkeit, dass verschiedene Einzelausschüsse in Konzerninsolvenzen personenidentisch besetzt sein mögen, ist kein wirklich überzeugendes Argument, da die Gläubigerinteressen dort keineswegs gleichgerichtet sein müssen, sondern der Lage der einzelnen Gesellschaft und der dort bestehenden Gläubigerforderungen angepasst. Vorliegend liegt die Last der Koordinierung im übergreifenden Interesse aller Gesellschaften tendenziell beim Betriebsratsvorsitzenden.
IV. Das obiter dictum des Gerichts, vorliegend sei ein Gruppen-Gläubigerausschuss erst recht sinnvoll, weil es „untunlich“ sei, für eine Gruppe kleinerer Gesellschaften Einzelausschüsse von Amts wegen zu bestellen, erscheint ebenfalls nicht wirklich überzeugend, weil das Gericht gerade nicht „amtswegig“ einen Gläubigerausschuss einsetzen kann, wenn niemand dazu bereit ist, ein solches Amt zu übernehmen – wie offenbar hier. Der Ausschuss ist ein Instrument der Gläubigerautonomie, auf welches die Gläubiger „verzichten“ können, indem sie eben leider keine Bereitschaft zur Mitwirkung bekunden. Das Gericht kann nur auffordern oder darum bitten, sich zu beteiligen, erzwingen kann es die Bildung eines Ausschusses nicht.
V. § 269c Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt, dass jeder Einzelausschuss einer nicht untergeordneten Gesellschaft (§ 3a Abs. 1 Satz 3 InsO) nur ein einziges Mitglied des Gruppenausschusses stellen kann. Damit wird u.a. vermieden, dass Ausschüsse entstehen, die zu groß sind, um effektiv sowie effizient arbeiten zu können.


D.
Auswirkungen für die Praxis
I. Die Entscheidung des AG Hamburg hat (mindestens) eine teleologische Reduktion des § 269c Abs. 1 Satz 2 InsO zur Folge, die der Gesetzgeber so nicht beabsichtigt hat.
Es geht auch entgegen der Ansicht der Besprechungsentscheidung nicht darum, ob ein Gruppen-Gläubigerausschuss dadurch (faktisch) verhindert wird, dass es keine hinreichende Anzahl von „Einzelgläubigerausschüssen“ gibt. Die Bestellung und Zusammensetzung des Gruppen-Gläubigerausschusses ist vorliegend mit dem Wortlaut des § 269c Abs. 1 Satz 2 InsO unvereinbar (jeder Einzelausschuss stellt nur „ein Mitglied“ des Gruppenausschusses, gemeint ist ein einziges Mitglied, vgl. die BT-Drs. 18/407, S. 34, Begründung zu § 269c in Abs. 5). Das „Repräsentationsprinzip“ für alle insolventen Gesellschaften, welches das AG Hamburg thematisiert, bezieht sich darauf, dass der Gruppenausschuss natürlich auch die Interessen der „untergeordneten Gesellschaften“ der Unternehmensgruppe vertritt, die im Gruppenausschuss aufgrund § 269c Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 InsO gerade nicht vertreten sind.
II. Das AG Hamburg hat sich des Problems der fehlenden Einzelausschüsse dadurch „entledigt“, dass es darauf verweist, der Gruppenausschuss, zusammengesetzt aus den Mitgliedern des einzigen Einzelausschusses sowie aus dem Konzernbetriebsratsvorsitzenden, habe jeweils zu unterscheiden, welche einzelne Gesellschaft jeweils berücksichtigt werde. Interessenkonflikte sind hier weitaus komplexer und häufiger zu erwarten als bei gesetzmäßiger Besetzung des Gruppen-Gläubigerausschusses.
III. Im Hinblick auf die Arbeitnehmervertretung ist es sicher sehr positiv, wenn der Vorsitzende des Konzernbetriebsrates sich bereit erklärt hat, in den Ausschuss einzutreten. Die einschlägige Norm des § 269c Abs. 1 Satz 3 InsO ist von dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages eingefügt und so als Gesetz verabschiedet worden (BT-Drs. 18/11436 v. 08.03.2017, zu § 269c, S. 10 (Text), S. 22 (Begründung)). Ratio legis ist dabei, „aus dem Kreis der Arbeitnehmer ein weiteres Mitglied zu bestimmen“. Angesichts der vorliegenden offenbaren Komplexität eines Konzerns mit vielen Gesellschaften im In- und Ausland und der persönlichen Betroffenheit des Betriebsratsvorsitzenden könnte man in vergleichbaren Fällen aber auch daran denken, eine/n sanierungserfahrene/n Gewerkschaftssekretär/in zu bestellen. Unabhängig davon sei darauf hingewiesen, dass natürlich aus einem Einzelausschuss auch ein dortiger Arbeitnehmervertreter in den Gesamtausschuss entsandt werden kann (unabhängig von § 269c Abs. 1 Satz 3 InsO, so dass im Gruppen-Gläubigerausschuss auch zwei Arbeitnehmervertreter mitwirken mögen).
IV. So nachvollziehbar die Bestellung eines Gruppenausschusses vorliegend sein mag, so entspricht sie gleichwohl nicht wirklich der Regelung des § 269c Abs. 1 InsO. Das Gericht setzt sich – weil die notwendigen Tatbestandsmerkmale dazu nicht vorliegen – über zwei wesentliche Voraussetzungen des § 269c Abs. 1 InsO hinweg, die Anhörung aller Gläubigerausschüsse der insolventen Konzernunternehmen (unabhängig von ihrer Bedeutung) und die Vorgabe, aus jedem Ausschuss nur ein einziges Mitglied in den Gruppen-Gläubigerausschuss zu entsenden. Dass es hierfür ungeachtet des Gesetzeswortlauts ein Bedürfnis geben kann, mag unstreitig sein. Über die vom AG Hamburg gefundene Lösung eines bestehenden Dilemmas muss aber der Gesetzgeber entscheiden (ablehnend zur Besprechungsentscheidung auch Hofmann, EWiR 2023, 467; nicht zuzustimmen ist indes der dortigen Auffassung, auch das weitere Mitglied der Arbeitnehmer nach § 269c Abs. 1 Satz 3 InsO müsse Ausschussmitglied eines Gruppenausschusses sein; wie hier auch Brinkmann in: MünchKomm InsO, 4. Aufl. 2020, § 269c Rn. 21).



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