Voraussetzungen der Verwirkung eines materiellen nachbarlichen Abwehrrechts und Reichweite des formellen Bestandsschutzes aufgrund einer wirksam erteilten BaugenehmigungLeitsätze 1. Für die Verwirkung eines materiellen nachbarlichen Abwehrrechts genügt der bloße Zeitablauf allein nicht; auch bei Verstreichen eines längeren Zeitraums bedarf es des Hinzutretens besonderer Umstände (wie BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 - 4 C 4/89 Rn. 28; BVerwG, Beschl. v. 16.04.2002 - 4 B 8/02 Rn. 10 f.; entgegen VGH München, Beschl. v. 28.03.1990 - 20 B 89.3055 Rn. 25). 2. Aus der Legalisierungswirkung einer wirksam erteilten Baugenehmigung, die sich zugleich unmittelbar auch auf zivilrechtliche Abwehransprüche auswirkt (BGH, Urt. v. 21.01.2022 - V ZR 76/20 Rn. 14), ergibt sich ein formeller Bestandsschutz. Dieser formelle Bestandsschutz reicht dabei nur so weit wie die Baugenehmigung selbst. - A.
Problemstellung Die Voraussetzungen einer Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts sind in ständiger Rechtsprechung klar herausgearbeitet worden. Gleichwohl ergeben sich in der Praxis immer wieder Einzelfälle, die Anlass zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Rechtsfigur der Verwirkung und ihren Voraussetzungen geben. Gleiches gilt für die Anforderungen und die Reichweite der formellen Bestandskraft einer wirksam erteilten Baugenehmigung. Mit beiden Aspekten befasst sich der 1. Senat des OVG im Zusammenhang mit einem 1995 genehmigten Antennenmast mit störenden Auswirkungen auf die Nachbarschaft und dort befindliche Kulturdenkmale.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Auf einem Grundstück befindet sich ein 1988 errichteter Antennenmast, der ursprünglich zum Fernsehempfang diente und auf dem seit 1999 eine von der Beigeladenen installierte Mobilfunkstation in Betrieb ist. Der Mast ist 27,39 m hoch. Mit Baugenehmigung aus dem Jahre 1988 war seine Errichtung zunächst genehmigt worden, nach eigenmächtiger Verlagerung des Standorts aufgrund vermeintlich besserer Empfangsbedingungen wurde die Baugenehmigung für ungültig erklärt; 1989 wurde eine auf drei Jahre befristete Bauzustimmung erteilt. 1995 wurde diese befristete Genehmigung entfristet und unter Widerrufsvorbehalt u.a. für den Fall gestellt, dass der Mast den beabsichtigten Zweck der Betreibung als Gemeinschaftsantennenanlage bzw. Telekommunikationsanlage des Fernmeldewesens nicht mehr erfüllt bzw. nicht mehr erfüllen kann. 2014 wurde eine denkmalrechtliche Genehmigung für den Umbau der Antennenanlage (Umrüstung der Systemtechnik) und den Rückbau des Aufsatzrohrs erteilt, allerdings unter Hinweis darauf, dass der Mast das Erscheinungsbild des Denkmalschutzgebiets und benachbarter Einzeldenkmale beeinträchtige und angestrebt werde, den Antennenmast so bald wie möglich an einen anderen Standort zu verlagern. Der Eigentümer des Nachbargrundstücks (E), auf dem sich ein denkmalgeschütztes, als Wohngebäude genutztes historisches Gasthaus befindet, beantragte 2015 ein bauaufsichtliches Einschreiten und forderte, vom Widerrufsvorbehalt zur Baugenehmigung von 1995 Gebrauch zu machen, weil u.a. über den Antennenmast kein Fernsehsignal mehr in das Kabelnetz eingespeist werde und der Funkempfang anderweitig abgedeckt werden könne. Die zuständige Behörde lehnte den Antrag auf ordnungsbehördliches Einschreiten ab; der Mast verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts. Er rufe keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervor und verletze nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Der Widerspruch des E wurde zurückgewiesen, seine Klage zum VG abgewiesen. Die Berufung wurde vom OVG zugelassen. Sie blieb aber ohne Erfolg; der Senat verneint einen Anspruch des E auf bauaufsichtliches Einschreiten, namentlich auf den Erlass einer Beseitigungsverfügung bzw. einer Nutzungsuntersagung. Nach § 80 Satz 1 SächsBO könne die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert würden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten. Die Nutzung einer Anlage könne nach § 80 Satz 2 SächsBO untersagt werden, wenn diese Nutzung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolge. Ein Anspruch auf Einschreiten bestehe daher dann, wenn die bauliche Anlage nicht durch eine wirksame Baugenehmigung gedeckt werde, die Anlage materiell rechtswidrig sei und den klagenden Nachbarn nicht in seinen Rechten verletzte, dieser seine Abwehrrechte nicht verwirkt habe und das Ermessen der Behörde auf null reduziert sei. E habe sein nachbarliches Abwehrrecht allerdings nicht verwirkt. Verwirkung „als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung“ bedeute, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden könne, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen sei und besondere Umstände hinzuträten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen. Die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit, der zu einer solchen Verwirkung führt, hänge entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die zudem zu fordernden (und vom VG nicht maßgeblich berücksichtigten) besonderen Umstände lägen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde, der Berechtigte tatsächlich darauf vertraut habe und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet habe, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Diese Grundsätze gälten auch im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zwischen Bauherrn und Grundstücksnachbarn. Vom Nachbarn sei zu verlangen, durch zumutbares aktives Handeln dazu beizutragen, dass wirtschaftlicher Schaden vom Bauherrn abgewendet oder möglichst geringgehalten werde. Dazu gehöre eine ungesäumte Erhebung seiner nachbarlichen Einwendungen gegen beeinträchtigende Baumaßnahmen. Sei der Bauherr aber nicht durch die längere Untätigkeit des Nachbarn und das darauf beruhende Vertrauen zu seinen Baumaßnahmen veranlasst worden, sondern habe er unabhängig davon eine ihm erteilte Baugenehmigung von sich aus sofort in vollem Umfang ausgenutzt, könne auch eine längere Untätigkeit des Nachbarn nicht (mehr) zur Verwirkung der nachbarlichen Abwehrrechte führen. Besondere Umstände lägen hier nicht vor. Dass E sein Grundstück in Kenntnis des benachbarten Antennenmastes erworben habe, stelle für sich genommen keinen besonderen Umstand dar; Änderungen der Eigentumsverhältnisse hätten keinen Einfluss auf die Verwirkung eines nachbarlichen Abwehrrechts, und eine bereits eingetretene Verwirkung binde nach Eigentumswechsel auch den nachbarlichen Rechtsnachfolger. Der Eigentumserwerb könne vor diesem Hintergrund umgekehrt keine Verwirkung begründen. Darüber hinaus stehe einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten entgegen, dass die Mobilfunkanlage von einer wirksamen Baugenehmigung gedeckt sei. Aus der Legalisierungswirkung einer solchen Genehmigung ergebe sich ein formeller Bestandsschutz. Ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde gegen die genehmigte Nutzung dürfte erst nach einer unanfechtbaren oder zumindest für sofort vollziehbar erklärten Aufhebung der Genehmigung erfolgen. Unberücksichtigt bleiben müsse die befristete Bauzustimmung, aus der sich u.a. deshalb kein Bestandsschutz ergeben könne, weil die Baufreiheit des Einzelnen in der DDR nicht verfassungsrechtlich gewährleistet gewesen sei. Der Antennenmast sei aber durch die Baugenehmigung von 1995 aufgrund des damals vorgesehenen normativen Prüfprogramms bauplanungs-, bauordnungs- und denkmalschutzrechtlich legalisiert worden. Sie enthalte die verbindliche Feststellung, dass dem Antennenmast öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstünden, und gestatte die dauerhafte Nutzung des Mastes. Die genehmigte Nutzung habe sich auch auf diejenige als „Telekommunikationsanlage des Fernmeldewesens“ erstreckt, so dass sie die erweiterte Nutzung für den Mobilfunk einschließe. Anhaltspunkte dafür, dass die 1995 erteilte Baugenehmigung unwirksam (geworden) sei, ergäben sich nicht. Die Frage der Nichtigkeit aufgrund mangelnder Bestimmtheit diskutiert der Senat angesichts der sachlich-inhaltlich nicht eingeschränkten Gestattung der Mobilfunknutzung, sieht aber im Ergebnis jedenfalls kein gravierendes Bestimmtheitsdefizit, das die Baugenehmigung nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig sein ließe. Schließlich sei der formelle Bestandsschutz auch nicht 2015 durch die baulichen Veränderungen (Umrüstung der Systemtechnik, Rückbau des Aufsatzrohrs) entfallen. Nach alledem sei aufgrund des formellen Bestandsschutzes ein Anspruch des E auf bauaufsichtliches Einschreiten ausgeschlossen, ohne dass es auf eine Verletzung einzelner nachbarschützender Vorschriften ankäme.
- C.
Kontext der Entscheidung Der Senat stellt die Voraussetzungen einer Verwirkung (als „Hauptanwendungsfall des venire contra factum proprium“, BVerwG, Urt. v. 07.02.1974 - III C 115.71 Rn. 18; so auch VGH München, Urt. v. 31.07.2020 - 15 B 19.832 Rn. 24) nachbarlicher Abwehrrechte nach ständiger Rechtsprechung dar. Unmissverständlich wird herausgestellt, dass es nach der Einschätzung der Senats und entgegen abweichender Bewertungen in der Judikatur nicht allein auf eine zeitliche Dimension ankommt – ein längerer Zeitraum der „Untätigkeit“, also des Absehens von einer Geltendmachung von Abwehrrechten durch den Nachbarn, genügt allein nicht, um die in der Verwirkung liegende dauerhafte, endgültige und unumkehrbare (zum denkbaren Wegfall der Verwirkung durch nachträgliche Änderung der Bebauung vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 29.09.2004 - 8 A 10664/04 Rn. 22) „Rechtsvernichtung“ herbeizuführen. Als erste Anforderungen muss gleichwohl ein gewisses Quantum an Zeit verstrichen sein („Zeitmoment“, VGH München, Urt. v. 31.07.2020 - 15 B 19.832 Rn. 24). Dass sich dieses nicht allgemeingültig typisierend bestimmen lässt (wie etwa bei gesetzlich normierten Genehmigungsfiktionen), leuchtet ein, wenn man die Vielfalt der möglichen Fallgestaltungen bedenkt (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 - 4 C 4/89 Rn. 22: Berechtigter muss „deutlich länger als einen Monat“ untätig geblieben sein). Die Festsetzung einer festen zeitlichen Grenze, bei deren Überschreitung ein materielles Recht verwirkt ist und die den Kenntnisstand des Berechtigten hinsichtlich der ihm zustehenden Rechte unberücksichtigt lässt, ist nicht möglich (so explizit BVerwG, Beschl. v. 15.01.2020 - 2 B 38/19 Rn. 12). Jedenfalls müsse sich der Mindestzeitraum für den Eintritt einer Verwirkung im Regelfall, wie der Senat betont, jedenfalls erkennbar abheben von denjenigen Fristen, die das geltende Recht dem Berechtigten im Regelfall für die Verfolgung seines materiellen Rechts in der dafür jeweils vorgesehenen verfahrensrechtlichen Form einräume (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 - 4 C 4/89 Rn. 22). Umgekehrt gibt es keine zeitliche Grenze, bis zu deren Überschreitung ein materielles Recht grundsätzlich nicht verwirkt sein kann (VGH München, Beschl. v. 08.05.2023 - 8 ZB 22.2287 Rn. 23). Neben das zeitliche Kriterium des „längeren Zeitraums“ müssen nach verbreiteter Rechtsprechung besondere Umstände treten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (zum Verhältnis der Verwirkung zu anderen Ausprägungen dieses Grundsatzes VGH Kassel, Urt. v. 15.12.2022 - 4 A 2158/20 Rn. 43). Diese Voraussetzung kann nach zutreffender Ansicht auch nicht durch einen besonders langen Zeitraum der Untätigkeit vollständig ersetzt werden. Dies wird von Teilen der Rechtsprechung anders gesehen (vgl. etwa VGH München, Beschl. v. 28.03.1990 - 20 B 89.3055 Rn. 25 und neuerdings wieder OVG Münster, Beschl. v. 15.08.2023 - 2 A 1303/22 Rn. 26; OVG Münster, Beschl. v. 08.03.2023 - 2 A 2659/20 Rn. 16; vgl. kritisch zu dieser Sichtweise VGH München, Beschl. v. 26.10.1998 - 14 B 94.4150 Rn. 26 f.; VGH München, Urt. v. 31.07.2020 - 15 B 19.832 Rn. 26). Hintergrund dieses Ansatzes ist es, dass dem „Umstandsmoment“ nach dem Verstreichenlassen eines Zeitraums, nach dem mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war, gegenüber dem „Zeitmoment“ kein „maßgebliches Gewicht mehr zukommt“ (OVG Münster, Beschl. v. 15.08.2023 - 2 A 1303/22 Rn. 26; ob darin ein gänzlicher Verzicht auf das „Umstandsmoment“ zu sehen ist, bleibt offen). Der generelle Verzicht auf ein „Umstandsmoment“ nach Erreichen einer „Mindestdauer“ überzeugt allerdings nicht, weil es jeweils um eine wertende Einzelfallbetrachtung geht (vgl. VGH München, Beschl. v. 08.05.2023 - 8 ZB 22.2287 Rn. 22) und sich kein allgemeingültiger Zeitraum feststellen lässt, nach dessen Ablauf sozusagen ein „umgekehrtes Ersitzen“ erfolgen soll. Die in der Rechtsprechung mitunter genannten „mehr als zehn Jahre“ (VGH München, Beschl. v. 28.03.1990 - 20 B 89.3055 Rn. 25) erscheinen insoweit eher zufällig „gegriffen“. Wenn die Rechtsordnung die Geltendmachung von Ansprüchen allein nach Ablauf einer festgelegten Frist ausschließen möchte, kann dies durch entsprechende Verjährungsregelungen bewirkt werden. Der Rechtssicherheit ist es nicht förderlich, wenn ein nicht klar zu bestimmendes „Zeitmoment“ allein zum Rechtsverlust führt. Insgesamt ist vor einer Übergewichtung dieses „Zeitmoments“ zu warnen, weil andere wesentliche Gesichtspunkte ausgeblendet werden. Nach der überwiegenden Rechtsprechung sind diese besonderen Umstände als eine „zusammengesetzte“ Anforderung zu verstehen (vgl. schon BVerwG, Urt. v. 07.02.1974 - III C 115.71 Rn. 18; BVerwG, Urt. v. 20.01.1977 - V C 18.76 Rn. 18; BVerwG, Beschl. v. 11.09.2018 - 4 B 34/18 Rn. 15; in sozialrechtlichem Kontext VGH Mannheim, Beschl. v. 08.09.2023 - 12 S 790/23 Rn. 22), Das „Gegenüber“ des Inhabers des Abwehranspruchs muss aufgrund und infolge eines bestimmten Verhaltens dieses Inhabers darauf vertrauen dürfen, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (sog. „Vertrauensgrundlage“). Dies setzt ein konkretes Verhalten voraus, das wiederum ein entsprechendes Vertrauen rechtfertigen muss („Umstandsmoment“, vgl. VGH München, Urt. v. 31.07.2020 - 15 B 19.832 Rn. 24). Maßstab ist ein objektiver Durchschnitts-„Beobachter“. Das Verhalten kann in einem aktiven Tun liegen (z.B. Erklärungen, die als Einverständnis gewertet werden können), aber auch in einem Unterlassen – jedenfalls dann, wenn eine Verpflichtung zu einem aktiven Tun besteht. Im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis sieht die Rechtsprechung eine solche Verpflichtung dahin gehend, dass der Nachbar nach Erkennen einer Beeinträchtigung durch eine Baumaßnahme seine Einwendungen unverzüglich geltend machen müsse und nicht abwarten darf, bis der Bauherr kostenintensive Baumaßnahmen beendet habe (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 - 4 C 4/89 Rn. 28). Neben das „Vertrauendürfen“ muss ein faktisches „Vertrauthaben“ treten („Vertrauensmoment“, zur Unterscheidung und Abgrenzung der „Momente“ vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.01.2020 - 2 B 38/19 Rn. 12). Der Verpflichtete muss tatsächlich darauf vertraut haben, dass das Recht nicht (mehr) ausgeübt werde. Dieses „Vertrauthaben“ ist vom Verpflichteten nachzuweisen. Es kann sich daher nicht um einen rein inneren Vorgang handeln. Deshalb verlangt die Rechtsprechung, dass es sich im Anschluss an die Begründung der Vorstellung, das Abwehrrecht werde nicht mehr geltend gemacht, durch ein bestimmtes Verhalten nach außen manifestiert („Betätigung“ des Vertrauens, vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 08.10.2013 - 1 LB 162/13 Rn. 38; „Vertrauensverhalten“): Der Verpflichtete muss sich auf der Grundlage seines Vertrauens in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Dieses Merkmal kann durch die Vornahme von Bau- und Sanierungsarbeiten und anderen Investitionen, aber auch durch das Eingehen rechtlicher Bindungen, etwa eine Vermietung, erfüllt sein (VGH München, Urt. v. 31.07.2020 - 15 B 19.832 Rn. 24). In der Gesamtschau muss sich dann die Geltendmachung des Rechts entgegen „Vertrauendürfen“ und „Vertrauthaben“ als treuwidrig qualifizieren lassen. Ob für die Verwirkung darüber hinaus die Kenntnis des Berechtigten von seinem Abwehrrecht erforderlich ist, wurde kontrovers diskutiert (offengelassen von BVerwG, Urt. v. 07.02.1974 - III C 115.71 Rn. 18); in der neueren Rechtsprechung findet sich dieses Kriterium etwa als Bezugspunkt des Untätigbleibens (etwa in OVG Koblenz, Urt. v. 29.09.2004 - 8 A 10664/04 Rn. 22) bzw. wird vom BVerwG als Element einer Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände bewertet (BVerwG, Beschl. v. 15.01.2020 - 2 B 38/19 Rn. 12). Wenn – wie im entschiedenen Fall – die Vorkehrungen und Maßnahmen nicht auf dem Untätigbleiben des Nachbarn und auf dem daraus resultierenden Vertrauen beruhen, sondern sich schlicht als Ausnutzen einer erteilten Baugenehmigung erweisen, sind diese Vertrauenserwägungen unerheblich – selbst dann, wenn der Nachbar anschließend weiter untätig bleibt, kann es zu einer Verwirkung nicht (mehr) kommen (vgl. schon BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 - 4 C 4/89 Rn. 28). Denn es fehlt für das Merkmal der Treuwidrigkeit an der neben dem Zeitablauf erforderlichen kausalen Verknüpfung des Verhaltens des Berechtigten mit bestimmten Maßnahmen des Verpflichteten und deren Folgen (VG Cottbus, Urt. v. 26.04.2023 - 3 K 823/19 Rn. 29). Die Ausführungen des Senats zum durch die wirksame Baugenehmigung aufgrund ihrer Legalisierungswirkung (vgl. dazu BGH, Urt. v. 21.01.2022 - V ZR 76/20 Rn. 14 zur Auswirkung auf zivilrechtliche Abwehransprüche) aktivierten formellen Bestandsschutz liegen ebenfalls auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung. Ein bauaufsichtliches Einschreiten ist in einem solchen Fall erst nach Aufhebung der Genehmigung wieder eröffnet (OVG Bautzen, Urt. v. 22.12.2017 - 1 A 111/15 Rn. 29; OVG Bautzen, Beschl. v. 10.06.2021 - 1 B 217/21 Rn. 17); bis zu diesem Zeitpunkt besteht auch ein Anspruch des Nachbarn auf Einschreiten nicht. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist die Feststellung, dass der formelle Bestandsschutz nur so weit reiche wie die Baugenehmigung selbst. Für die Praxis ist dieser Gesichtspunkt aber von erheblicher Bedeutung, weil es einer Analyse des jeweiligen „Prüfprogramms“ der Genehmigungsbehörde, einer Auslegung der Baugenehmigung und ggf. auch der Antragsunterlagen bedarf, um Inhalt und Reichweite der Legalisierungswirkung im Einzelfall konturieren zu können. Namentlich bei Baugenehmigungen, die vor längerer Zeit und auf der Grundlage abweichender Fassungen des öffentlichen Baurechts erteilt worden sind, kann dies einen erheblichen Aufwand bedeuten. Vorliegend war insbesondere zweifelhaft, ob es sich bei der Nutzung des Antennenmastes als Mobilfunkanlage noch um eine von der Genehmigung gedeckte handelt. Als eines von mehreren Argumenten wurde eine in den Antragsunterlagen erwähnte Anfrage der Beigeladen herangezogen – dies zeigt, wie „tiefgehend“ die Auswertung von Antragsunterlagen und Baugenehmigung ggf. erfolgen muss.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung bestätigt und ergänzt die bisherige Rechtsprechung zu den Rechtsfragen um die Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte und um die formelle Bestandskraft von Baugenehmigungen, bietet aber zugleich instruktive Ausführungen zu „Randfragen“. Bezüglich der Verwirkungsthematik verdeutlicht sie zudem, dass die Anforderungen an die besonderen Umstände hoch sind und dass der Bauherr sein „Vertrauendürfen“ und „Vertrauthaben“ mit geeigneten Mitteln dokumentieren und nachweisen (können) muss. Hat er allein die erteilte Baugenehmigung ausgenutzt, wird sich daraus allein im Regelfall keine Verwirkung herleiten lassen. Zu beachten ist allerdings, dass die divergente Rechtsprechung zum Erfordernis des „Umstandsmoment“ neben einem „Zeitmoment“ bzw. zum Verhältnis dieser Momente dazu führen kann, dass es in verschiedenen Ländern zu abweichenden Bewertungen der Verwirkung kommen kann. Hinsichtlich der formellen Bestandskraft ist in der Praxis besonderes Augenmerk auf eine möglichst eindeutige und bestimmte Formulierung des Bauantrags sowie auf eine entsprechende Fassung des Tenors der Baugenehmigung zu richten, sollen die Risiken einer nachträglichen Auslegung zur Feststellung von Inhalt und Reichweite der Bestandskraft vermieden werden. Klare Textfassungen liegen freilich auch aus anderen Gründen im Interesse aller Beteiligten. Dem Bauherrn ist zu raten, auf eine Präzisierung und Konkretisierung der Baugenehmigung hinzuwirken und diffus weit gefasste Ausführungen eben nicht hinzunehmen (oder aufgrund eines durch sie vermeintlich eröffneten „Spielraums“ sogar zu begrüßen).
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Der Senat hat sich in seiner Entscheidung mit einer Reihe weiterer Einzelfragen befasst. Instruktiv sind insbesondere die ergänzenden Hinweise zu immissions- und denkmalschutzrechtlichen Aspekten. Auch eine immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Anlage wie die Mobilfunkanlage sei (von der Beigeladenen) so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert würden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar seien, sowie dass nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt würden. E stehe es unbeschadet der Baugenehmigung frei, eine Unterlassung unzumutbarer Immissionen mit dem öffentlich-rechtlichen Immissionsabwehranspruch zu verfolgen und sich mit der Bitte um ein Einschreiten an die zuständige Immissionsschutzbehörde zu wenden. Anders liegt es hinsichtlich des Denkmalschutzrechts: Denkmaleigentümern komme ein verfassungsrechtlich abgeleitetes Abwehrrecht gegen erhebliche Beeinträchtigungen ihres Kulturdenkmals zu; § 12 Abs. 2 SächsDSchG sei entsprechend verfassungskonform auszulegen. Wegen der Konzentrationswirkung der Baugenehmigung, die die denkmalschutzrechtliche Genehmigung ersetze, schließe die Legalisierungsfunktion einen Anspruch des E auf bauaufsichtliches Einschreiten „trotz der aus denkmalschutzrechtlicher Perspektive unbefriedigenden Situation“ auch insoweit aus.
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