Orientierungssätze zur Anmerkung 1. Zum Beweiswert und den notwendigen Feststellungen bei DNA-Treffern (hier: DNA-Mischspur). 2. Zur Annahme eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr bei „Fluchtfällen“. - A.
Problemstellung Wie sind DNA-Spuren im Erkenntnisverfahren zu würdigen? Diese Frage beschäftigt immer wieder Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger, erfordert einige Grundvorstellungen über physikalische ebenso wie biologische Vorgänge – und führt bei fehlerhaften Vorstellungen zu gravierenden Abweichungen in der Würdigung der getroffenen Feststellungen. Der BGH hat regelmäßig Gelegenheit, sich zu grundsätzlichen Fragen der Feststellung und Würdigung von DNA-Spuren zu äußern, so auch in der vorliegenden Entscheidung, die Anlass gibt, Grundsätzliches hierzu in Erinnerung zu rufen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung In einem angeklagten Fall wurde der Angeklagte aufgrund einer vom Gericht festgestellten DNA-Spur verurteilt, die nach Überzeugung des Gerichts nicht von einer sekundären Übertragung herrühren konnte. Die Strafkammer hat sich dabei maßgeblich darauf gestützt, dass sich am Schal des Opfers eine „DNA-Spur des Angeklagten“ befunden habe, die „nicht von einer sekundären Übertragung herrühre“. Der BGH beanstandet, dass bereits die Darstellung der Ergebnisse der molekulargenetischen Vergleichsuntersuchungen nicht den Anforderungen genügt, die nach der Rechtsprechung des BGH an sie zu stellen sind. So wird in den Urteilsgründen hinsichtlich der von mindestens zwei Personen stammenden Mischspur zwar mitgeteilt, wie viele der untersuchten STR-Systeme mit der DNA des Angeklagten als Mitverursacher der Spur übereinstimmen. Es fehlte jedoch die Mitteilung der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form. Bereits dies begründet in ständiger Rechtsprechung des BGH hinreichende Zweifel daran, ob die Strafkammer der DNA-Mischspur einen zutreffenden Beweiswert beigemessen hat. Der BGH weist sodann darauf hin, dass sich vorliegend in den betroffenen Arbeitshandschuhen eine Mischspur von „mindestens zwei bis drei Personen“ befunden habe. Auch wenn der Angeklagte hier der Hauptspurenverursacher gewesen sei, gebe dieser Umstand zumindest Anlass, die Frage zu prüfen und zu erörtern, ob ein anderer Täter Handschuhe mit DNA-Anhaftungen des Angeklagten getragen haben könnte, die von dort auf den Schal der Geschädigten gelangt seien.
- C.
Kontext der Entscheidung I. Biologie 1. Die Entscheidung zum Anlass nehmend soll der Ablauf eines DNA-Vergleichs – grob verkürzt – dargestellt werden: DNA kann aus verschiedenen biologischen Materialien wie Blut, Speichel, Haaren oder Hautzellen extrahiert werden. Diese Proben können als Spuren von einem Tatort, einer verdächtigen Person oder einem Gegenstand stammen. Aus dieser Probe, klassisch durch einen Abrieb gewonnen, wird die DNA isoliert („DNA-Extraktion“), indem Chemikalien eingesetzt werden, die die Zellen aufbrechen und die DNA von anderen Zellbestandteilen trennen (vgl. auch „DNA-Fingerprinting“, Lexikon der Biochemie, Spektrum Verlag). Nach der DNA-Quantifizierung (Messung der Menge der extrahierten DNA) erfolgt die PCR-Amplifikation: Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) wird verwendet, um bestimmte Bereiche der DNA zu vervielfältigen (vgl. „DNA-Polymerasen“, Lexikon der Chemie, Spektrum Verlag), die für die Identifizierung nützlich sind. Diese Bereiche werden als Short Tandem Repeats (STRs) bezeichnet und sind in der DNA jedes Individuums einzigartig. Anschließend erfolgt die eigentliche Analyse: Die amplifizierten DNA-Fragmente werden der Größe nach sortiert, indem sie durch ein Gel oder eine Kapillare geleitet werden (Elektrophorese). Die so sortierten DNA-Fragmente werden dann detektiert und die Ergebnisse als Elektropherogramm dargestellt. Größe und Anzahl der Fragmente in den verschiedenen STR-Bereichen werden analysiert. Das so erstellte DNA-Profil wird dann mit Referenzproben verglichen, die etwa von einem Verdächtigen, dem Opfer oder der DNA-Datenbank ( https://de.wikipedia.org/wiki/DNA-Analysedatei) stammen können, um schließlich den allseits bekannten Bericht zu erstellen. 2. Das Verständnis dieser Analyse ist für das Erkennen von Verteidigungsmöglichkeiten unerlässlich und gibt gleichzeitig Gelegenheit, das hier verwendete „Vokabular“ in den richtigen Kontext zu stellen: Der Vergleich von DNA-Profilen auf biologischer Ebene konzentriert sich, wie eingangs dargestellt, auf bestimmte Bereiche der DNA, die als Short Tandem Repeats (STRs) bekannt sind. Diese STRs befinden sich an bestimmten Stellen (Loci) im Genom und variieren in der Anzahl der Wiederholungen zwischen Individuen. In der forensischen DNA-Analyse werden bestimmte STR-Loci ausgewählt, die eine hohe Variabilität in der Bevölkerung aufweisen. Diese „Loci“ sind dann die Stellen, an denen der Vergleich stattfindet. Ein Allel ist eine bestimmte Version eines Gens oder DNA-Abschnitts an einem bestimmten Locus („Allele“, Lexikon der Biochemie, Spektrum Verlag). Bei STRs bezieht sich das Allel auf die Anzahl der Wiederholungen an einem bestimmten Locus. Da Menschen zwei Chromosomensätze haben (einen von der Mutter und einen vom Vater), gibt es zwei Allele an jedem Locus. Die Kombination dieser beiden Allele an einem bestimmten Locus bildet den Genotyp. Allele sind für jedes Individuum einzigartig (außer bei eineiigen Zwillingen), so dass eine Übereinstimmung der Allele an mehreren Loci ein starker Hinweis darauf ist, dass die Proben von derselben Person stammen. Die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Übereinstimmung wird jedoch durch die Häufigkeit der Allele in der Population beeinflusst, und je mehr Loci verglichen werden, desto stärker ist der Beweis. Beim Profilvergleich werden die Allele an den ausgewählten Loci in der Tatortprobe mit den Allelen in der Referenzprobe verglichen. Wenn die Allele an jedem Locus in beiden Proben übereinstimmen, liegt eine Übereinstimmung vor. Verschiedene Faktoren können den Vergleich erschweren, insbesondere Mischproben von mehreren Personen, DNA-Abbau oder Kontamination. Diese Faktoren müssen bei der Interpretation der Ergebnisse unbedingt berücksichtigt werden. 3. Sekundärübertragung und Mischspuren: für juristische Vorgänge ist die Frage, wie eine DNA-Spur zustande gekommen ist bzw. gekommen sein kann, regelmäßig die besonders relevante. Im Umgang mit DNA wird in der Wissenschaft das Kürzel DNA-TPPR („DNA transfer, prevalence, persistence, recovery“) verwendet, wobei der juristisch so besonders relevante „Transfer“ nur ein Teilaspekt ist, der für jegliche Übertragung von DNA steht. Die rechtsmedizinische Fachliteratur betrachtet die Begrifflichkeit der Sekundärübertragung dabei mangels klarer Definition und Mehrdeutigkeit als unglücklich, man unterscheidet lieber zwischen den Begrifflichkeiten des direkten und indirektem Transfers (dazu: „Möglichkeiten und Grenzen der forensischen DNA-Analyse unter dem Gesichtspunkt verschiedener Szenarien zur Spurenentstehung“, Stellungnahme der gemeinsamen Spurenkommission der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute in Rechtsmedizin 2021, 31:395–404). Ein direkter Transfer liegt in einer Übertragung von DNA durch direkten Kontakt der Person, von der die DNA stammt, mit einem Gegenstand bzw. einer anderen Person. Der indirekte Transfer betrifft alle weiteren Formen der Übertragung von DNA, wobei die übertragende Person keinen direkten Kontakt hatte. Wenn von einer Mischspur die Rede ist, sollte diese ebenfalls in das richtige „Vokabular“ eingereiht werden: Wenn in der Mehrzahl der untersuchten Markersysteme ein oder zwei Allele detektiert werden, liegt eine Einzelspur, ein Einzelprofil oder auch eine Reinspur vor. Dies spricht für einen einzelnen Spurenverursacher. Dem gegenüber steht die Mischspur bzw. das Mischprofil: Eine solche Einordnung spricht für eine Personenmehrzahl und ist anzunehmen, wenn in mehreren Markersystemen mehr als zwei Allele nachgewiesen werden (BGH, Urt. v. 29.04.2021 - 4 StR 46/21). Die maximale Zahl nachgewiesener Allele pro DNA-Merkmalssystem entspricht dann einer Mindestzahl an Spurenverursachern (Spurenkommission, a.a.O.). II. Anforderungen des BGH Der BGH hat eine umfangreiche Rechtsprechung zum Umgang mit DNA-Proben entwickelt: So verlangt er bei der Darstellung von Ergebnissen, die auf einer Wahrscheinlichkeitsberechnung aufgrund einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhen, dass die Wahrscheinlichkeitsberechnung in der Revisionsinstanz nachvollziehbar ist. Deshalb sind in jedem Fall zumindest der Spurentyp (Einzel- oder Mischspur) und das Ergebnis des Gutachtens in Form einer numerischen biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage mitzuteilen (BGH, Beschl. v. 26.05.2021 - 5 StR 529/20). Die Darstellung des erzielten Ergebnisses in verbaler Form – etwa dergestalt, dass eine Spur „zweifelsfrei dem Angeklagten“ zuzuordnen sei – reicht mangels dahin gehend vereinheitlichter Skala nicht (BGH, Beschl. v. 09.11.2021 - 4 StR 262/21 und BGH, Beschl. v. 15.05.2023 - 6 StR 164/23). Bei Mischspuren und nicht standardisierten Verfahren sind folgende Feststellungen zu treffen - ob und in welchem Umfang Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen festgestellt wurden, - mit welcher „Wahrscheinlichkeit“ die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist und - sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (zu alledem BGH, Urt. v. 05.06.2014 - 4 StR 439/13; BGH, Beschl. v. 28.08.2018 - 5 StR 50/17; BGH, Beschl. v. 27.06.2017 - 2 StR 572/16; BGH, Urt. v. 29.04.2021 - 4 StR 46/21 und BGH, Beschl. v. 20.05.2015 - 4 StR 555/14). Allerdings lässt der BGH auch Ausnahmen zu: Wenn sich die DNA-Analyse auf eindeutige Einzelspuren bezieht und keine Besonderheiten der forensischen Fragestellung vorliegen, kann von den vorgenannten Grundsätzen abgewichen werden. In Fällen, in denen ein allgemein anerkanntes und weitgehend standardisiertes Verfahren zugrunde liegt, wie dies nach Auffassung des BGH beispielsweise bei daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Blutgruppenbestimmung der Fall ist, genügt die bloße Mitteilung des gewonnenen Ergebnisses (BGH, Beschl. v. 19.12.2018 - 4 StR 410/18; BGH, Beschl. v. 15.09.2010 - 5 StR 345/10; BGH, Beschl. v. 28.08.2018 - 5 StR 50/17). Bei einem DNA-Treffer genügt in einem solchen Fall die Mitteilung, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist (BGH, Urt. v. 29.04.2021 - 4 StR 46/21). Ein solches standardisiertes Verfahren ist bei dem – in der forensischen Praxis üblichen und oben beschriebenen – PCR-Verfahren anzunehmen, das dazu dient, aus der Probe und der Vergleichsprobe jeweils eine bestimmte Anzahl der in der Kern-DNA vorkommenden STR eindeutig zu identifizieren und so einen Vergleich zu ermöglichen (BGH, Beschl. v. 28.08.2018 - 5 StR 50/17 und BGH, Beschl. v. 06.03.2012 - 3 StR 41/12). Dies galt ursprünglich im Generellen nicht für die anschließende Wahrscheinlichkeitsberechnung, da diese zunächst die Auswahl einer in Betracht kommenden Vergleichspopulation und z.B. Überlegungen zur Anwendbarkeit der sog. Produktregel erfordert (so noch BGH, Beschl. v. 06.03.2012 - 3 StR 41/12). Dies hat der BGH jedenfalls für eindeutige Einzelspuren, die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, inzwischen anders bewertet; denn nach dem erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Molekulargenetik ist die biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung in Fällen eindeutiger Einzelspuren aus Sicht des BGH soweit standardisiert, dass es einer Darstellung der Anzahl der untersuchten Merkmalssysteme und der Anzahl der Übereinstimmungen in den untersuchten Merkmalssystemen nicht mehr bedarf (BGH, Beschl. v. 28.08.2018 - 5 StR 50/17). Hier genügt also die Mitteilung des Gutachtenergebnisses in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form. Insbesondere bei Mischspuren kommt es letztlich auf den Einzelfall an, wobei regelmäßig die Feststellung im tatgerichtlichen Urteil zu erwarten ist, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen und um welche Art von Mischspur es sich handelt (BGH, Beschl. v. 22.05.2019 - 1 StR 79/19; BGH, Beschl. v. 27.06.2017 - 2 StR 572/16; BGH, Beschl. v. 20.11.2019 - 4 StR 318/19). Weist eine Mischspur jedoch eine eindeutige Hauptkomponente auf, so können für die Darstellung des DNA-Vergleichs die für die Einzelspur entwickelten Grundsätze gelten (vgl. nur BGH, Urt. v. 29.04.2021 - 4 StR 46/21 und BGH, Beschl. v. 29.07.2020 - 6 StR 183/20).
- D.
Auswirkungen für die Praxis DNA-Analysen und darauf basierende Erkenntnisse über (vermeintliche) Treffer sind bekanntlich lediglich Indizien, wenn auch mit einigem Gewicht (BGH, Beschl. v. 06.03.2012 - 3 StR 41/12 und BGH, Urt. v. 06.02.2019 - 1 StR 499/18). Das Ergebnis einer DNA-Analyse ist mit der Rechtsprechung von BGH und BVerfG stets kritisch zu würdigen dahin gehend, dass ihr Aussagegehalt nicht als bindend, sondern lediglich als – im Einzelfall mehr oder minder bedeutsames – Indiz betrachtet werden darf (grundlegend dazu BVerfG, Kammerbeschl. v. 18.09.1995 - 2 BvR 103/92). Denn: Ein DNA-Vergleichsgutachten ist zunächst einmal nur eine abstrakte, biostatistisch begründete Aussage über die Häufigkeit der festgestellten Merkmale bzw. Merkmalskombinationen innerhalb einer bestimmten Population (LG Aschaffenburg, Beschl. v. 21.08.2019 - KLs 105 Js 1991/19). Gleichwohl darf nicht unterschätzt werden, wie verbreitet die Technikgläubigkeit in diesem Bereich dahin gehend ist, wie sicher solche Tests sind (Statistik bei Gigerenzer, Risiko, S. 32). In dem Zusammenhang sollte die Spurenkommission bekannt sein, die unter https://www.gednap.org/de/ (zuletzt abgerufen am 08.11.2023) zu finden ist und zitierfähige Aufsätze, speziell zum Umgang mit Mischspuren, auf ihrer Webseite im Download-Bereich zur Verfügung stellt. Der Umgang mit DNA-Treffern verbleibt letzten Endes eine Frage der faktischen Handhabung: Einerseits ist es unerlässlich, die notwendigen „Vokabeln“ im Umgang mit DNA-Treffern zu beherrschen; andererseits zeigt die Praxis, dass es der seltene Ausnahmefall bleibt, dass tatsächlich auf Ebene der Identitätsbestimmung ernsthaftes Verteidigungspotenzial existiert. Vielmehr verbleibt es beim Fokus auf die Frage, wie es zu der entsprechenden Spur gekommen sein kann. Die Rolle der Verteidigung wird vornehmlich darin bestehen, zu betonen, wie wichtig es ist, die Relevanz einer DNA-Spur für eine Straftat kritisch zu beurteilen, noch bevor eine DNA-Analyse überhaupt durchgeführt wird. Weiterhin muss vor dem Fehler gewarnt werden, die hohe Beweiskraft, die häufig durch biostatistische Methoden bei der Zuordnung einer Spur zu einer Person erreicht wird, kurzerhand auf andere Fragen (wie den Zeitpunkt der Entstehung der Spur oder die Umstände, unter denen die Spur entstanden ist) zu übertragen – oder diese Fragestellungen darüber aus dem Blick zu verlieren. Ganz konkret ist darauf zu achten, dass genau zwischen der Frage nach der Art der Entstehung einer Spur und der Frage nach der Identität des Spurenverursachers unterschieden wird. Die Spurenkommission empfiehlt hierzu, unter Rückgriff auf die in der Fachliteratur vertretene „Hierarchie der Hypothesen“, die folgende strikte Abgrenzung von Bewertungsebenen: 1. Identitätsebene: Von wem stammt die in der Spur nachgewiesene DNA? 2. Herkunftsebene: Welches biologische Material enthält die Spur? 3. Aktivitätsebene: Welche spurenverursachende Handlung wurde durchgeführt? 4. Tatebene: Hat der Beschuldigte die Tat begangen? Vorsicht ist insbesondere in den Fällen geboten, in denen ein Tatverdacht allein auf einer minimalen DNA-Spur beruht, wenn nicht trockene Körperflüssigkeiten im Fokus stehen oder in denen Personen, die (berechtigt) Zugang zum Tatort hatten, als Beschuldigte in Betracht kommen – zugleich kann eine Häufung von Spuren nicht-berechtigter Personen an einem Tatort für eine direkte Übertragung sprechen (zu alledem siehe die Stellungnahme der gemeinsamen Spurenkommission der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute in Rechtsmedizin 2021,31 S. 395, 399; auch in NStZ 2022, 72). Aus Sicht der Verteidigung ist zu beachten, dass Sachverständige davon ausgehen werden, dass bei einem DNA-Transfer immer nur ein Teil der DNA übertragen wird. Es gilt der Grundsatz, dass die DNA-Menge mit jedem Transferereignis abnimmt, während die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von Mischspuren mit jedem Transferschritt zunimmt (Spurenkommission, a.a.O.). Daraus wird regelmäßig gefolgert, dass, je höher der DNA-Gehalt ist, desto eher von einer direkten Übertragung auszugehen sein wird. Ebenso ist zu erwarten, dass Spuren mit DNA einer einzelnen Person (also ohne Vermischung mit anderer DNA) für eine direkte Übertragung sprechen, da eine selektive Übertragung kaum denkbar erscheint. Auch der Aspekt der Kontamination darf durch die Verteidigung nicht unterschätzt werden: Gerade im Bereich des BTM-Strafrechts lohnt es sich, bei Mehrfachtätern (z.B.: mehrere Insassen in einem PKW) und DNA-Analysen zur Zuordnung von Betäubungsmitteln genau zu prüfen, ob überhaupt spurenschonend gearbeitet wurde. Hilfreich ist hier die genaue Betrachtung von Tatort-Fotos, etwa wenn auf Fotos mit Gepäckstücken Hände ohne Handschuhe zu sehen sind, die auf Objekte zeigen. Die Verteidigung muss schließlich im Blick haben, dass der BGH im Einzelfall bei lückenhaften Feststellungen zu Zugeständnissen an die Tatgerichte bereit ist: Mit der Rechtsprechung des BGH beruht ein Urteil auf fehlerhaften Feststellungen im Bereich von DNA-Analysen jedenfalls dann nicht, wenn die Beweiswürdigung sich maßgeblich auf andere Beweismittel stützt und den Ergebnissen der DNA-Analyse trotz der unzureichenden Darstellung nicht jeglicher Beweiswert fehlt (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 14.11.2022 - 6 StR 412/22). Dies gilt umso mehr bei geständiger Einlassung (BGH, Beschl. v. 08.08.2023 - 6 StR 344/23).
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Im Übrigen ging es um die Voraussetzungen des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) bei einer sog. „Fluchtfahrt“: In diesen Fällen versucht jemand, mit seinem Pkw aus einer eingekeilten Situation zu entkommen und stößt bei der Flucht mit anderen Pkw zusammen, typischerweise – so auch hier – mit Einsatzfahrzeugen der Polizei. Zum Tatbestand weist der BGH darauf hin, dass ein vorschriftswidriges Verhalten im fließenden Verkehr nur dann von § 315b StGB erfasst wird, wenn der Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrswidriger Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er also in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“ und es ihm darauf ankommt, dadurch die Sicherheit des Straßenverkehrs zu beeinträchtigen. Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss, zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs, in verkehrsfeindlicher Absicht noch hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde, was ebenfalls durch die Feststellungen zu belegen ist. Gerade dies blieb aus Sicht des Senats offen, nämlich ob ein bedingter Körperverletzungsvorsatz des Angeklagten vorlag, da den Urteilsgründen – auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs – nicht entnommen werden konnte, dass das Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig eingesetzt wurde, also in der Absicht gehandelt wurde, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu pervertieren. Hierzu reicht es nicht aus, wenn das Urteil – wie in diesem Fall – im Wesentlichen Ausführungen zur Sicht des Zeugen, nicht aber zur insoweit maßgeblichen Vorstellung des Angeklagten enthält. Der BGH mahnt in diesem Zusammenhang an, die Fallkonstellationen im Einzelnen zu betrachten: Allein der Umstand, dass ein Fahrzeug in erster Linie als Fluchtmittel eingesetzt wird, zugleich aber mit bedingtem Verletzungsvorsatz auf eine Person (hier: Polizeibeamter) oder ein den Weg versperrendes Fahrzeug zugefahren wird, reicht grundsätzlich nicht aus. Anders verhält es sich hingegen, wenn beim Auffahren zwar allein die Flucht beabsichtigt ist, zugleich aber ein kollisionsvermeidendes Verhalten – etwa ein Ausweichen oder Umfahren des Beamten – nicht möglich ist (BGH, Urt. v. 19.07.2018 - 4 StR 121/18). Insoweit sind also Feststellungen zu den konkreten Umständen möglich, die entsprechende Rückschlüsse zulassen. Auch wenn ein Fahrzeug bewusst eingesetzt wird, um sich z.B. den Weg frei zu rammen, belegt eine spätere Kollision mit Fahrzeugteilen als solchen (hier: Fahrertür des Einsatzfahrzeuges) nicht bereits einen entsprechenden Vorsatz. Bei einem darauf gerichteten Fahrmanöver des Angeklagten wäre zwar ein verkehrswidriger Vorsatz zu bejahen. Die Feststellungen müssen dann aber auch ausschließen, dass bis zuletzt ein kollisionsfreies Passieren des Einsatzfahrzeugs für möglich gehalten und angestrebt wurde – der Verkehrsvorgang wäre dann gerade nicht pervertiert. Allein die Feststellung „beengter räumlicher Verhältnisse“ reiche hierfür nicht aus, so der BGH.
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