juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG Celle 14. Zivilsenat, Urteil vom 07.06.2023 - 14 U 137/22
Autor:Dr. Michael Nugel, RA, FA für Verkehrsrecht und FA für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum:22.11.2023
Quelle:juris Logo
Fundstelle:jurisPR-VerkR 24/2023 Anm. 1
Herausgeber:Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht
Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht
Zitiervorschlag:Nugel, jurisPR-VerkR 24/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Zum Nachweis von Vorhaltekosten bei einer Betriebsreserve



Leitsätze

1. Vorhaltekosten für ein Reservefahrzeug sind, soweit sie im gegebenen Fall erforderlich und geeignet waren, einen Ausfallschaden zu vermeiden, ersatzfähig, soweit der Geschädigte die Reservehaltung allgemein mit Rücksicht auf fremdverschuldete Ausfälle messbar erhöht hatte und sich diese Vorsorge dann schadensmindernd ausgewirkt hat (BGH, Urt. v. 10.01.1978 - VI ZR 164/75 - BGHZ 70, 199-205).
2. Bei Vorhaltekosten handelt es sich um tatsächlich entstandene Kosten des Geschädigten. Sie sind konkret darzulegen.
3. Die Nutzungsausfallentschädigung ist demgegenüber abstrakt (BGH, Urt. v. 06.12.2018 - VII ZR 285/17 - BGHZ 220, 270-280).
4. Ein Anspruch auf Erstattung von Vorhaltekosten scheidet aus, wenn der Geschädigte zur Überbrückung der Reparaturzeit nicht auf seine Betriebsreserve zurückgegriffen hat. In diesem Fall hat sich Betriebsreserve nicht schadensmindernd ausgewirkt.



A.
Problemstellung
Das OLG Celle hatte über die Voraussetzungen für geltend gemachte sog. Vorhaltekosten zu entscheiden.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin hat als Eisenbahnverkehrsunternehmen nach einem Bahnbetriebsunfall wegen der Beschädigung zweier Doppelstockmittelwagen Schadensersatzansprüche gegen die Beklagtenseite geltend gemacht. Dabei bestand zur Schadenshöhe Streit über die sog. Vorhaltekosten im Zusammenhang mit einer dafür vorgehaltenen sog. „Betriebsreserve“.
Ebenso wie das Landgericht hat das OLG Celle die von der Klägerseite verfolgten Vorhaltekosten für nicht erstattungsfähig gehalten. Zwar könnten Vorhaltekosten für ein Reservefahrzeug, soweit sie im gegebenen Fall erforderlich und geeignet waren, einen Ausfallschaden zu vermeiden, ersatzfähig sein, wenn der Geschädigte die Reservehaltung allgemein mit Rücksicht auf fremdverschuldete Ausfälle messbar erhöht hat und sich diese Vorsorge dann schadensmindernd auswirkt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Erstattungsfähigkeit von Vorhaltekosten sich auf tatsächliche Kosten des Geschädigten bezieht und von einem Nutzungsausfall abzugrenzen ist, bei dem kein konkreter materieller Schaden entstanden sein muss. Eine solche abstrakte Nutzungsausfallentschädigung könne die Klägerin allerdings nicht verlangen, weil es sich bei den beschädigten Fahrzeugen nicht um private eigenwirtschaftlich, sondern ausschließlich erwerbswirtschaftlich genutzte Gegenstände gehandelt hat.
Zwar habe die Klägerseite nun eine Betriebsreserve von zwei Zügen beweisen können, die allerdings zumindest zum Teil einer Instandhaltungsreserve zuzurechnen seien. Es käme jedoch nicht auf die Reservehaltung an sich an, sondern entscheidend sei, ob die Reservehaltung auch im Hinblick auf fremdverschuldete Unfälle erfolgt sei und daher würde schon ein Reservezugverband, der lediglich wegen einer Wartung und Inspektion vorgehalten wird, nicht berücksichtigt werden können. Der zweite angeführte Zug könnte jedoch als Betriebsreserve, da er für Ausfälle vorgesehen ist, zu berücksichtigen sein.
Letztendlich hat das Oberlandesgericht dies aber als Vorhaltekosten nicht getan, da der Tatrichter in der I. Instanz festgestellt hat, dass die Klägerin zur Überbrückung der Reparaturzeit bei dem Ausfall der beiden Waggons nicht auf ihre Betriebsreserve zurückgegriffen hat, sondern (in diesem Fall sogar unentgeltlich) auf Fahrzeuge aus einem Reservepool einer anderen Gesellschaft. Insoweit sei zu beachten, dass die Reservehaltung mit Rücksicht auf fremdverschuldete Ausfälle nicht nur messbar erhöht, sondern sich auch tatsächlich schadensmindernd ausgewirkt haben muss und auf das vorgehaltene Reservefahrzeug zurückgegriffen werden müsse. Da dies vorliegend nicht festgestellt werden konnte, war die Klage entsprechend abzuweisen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Celle zeigt anschaulich die Unterschiede zwischen einer abstrakten Nutzungsausfallentschädigung und den konkreten Vorhaltekosten bei einem gewerblich genutzten Fahrzeug auf. Da die Waggons hier erwerbswirtschaftlich genutzt worden sind, konnte eine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung anders als bei Privatfahrzeugen nicht erfolgen (vgl. grundlegend BGH, Urt. v. 06.12.2018 - VII ZR 285/17 - BGHZ 220, 279). Für eine Erstattungsfähigkeit der Vorhaltekosten ist mithin zweierlei vom Geschädigten nachzuweisen: zum einen das Anfallen einer Reservehaltung mit Rücksicht auf fremdverschuldete Verkehrsunfälle und zum anderen der Nachweis, dass sich diese Vorsorge schadensmindernd ausgewirkt hat, indem auch auf das vorgehaltene Reservefahrzeug aus dieser Reserve zurückgegriffen worden ist (vgl. schon grundlegend BGH, Urt. v. 10.01.1978 - VI ZR 164/75 - BGHZ 70, 199). Dies ist bei der Geltendmachung von Vorhaltekosten aufseiten des Geschädigten zwingend zu beachten, damit die Klage insoweit bei Gericht Erfolg haben kann.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Vorhaltekosten für ein Reservefahrzeug sind mithin nur ersatzfähig, soweit der Geschädigte die Reservehaltung allgemein mit Rücksicht auf fremdverschuldete Ausfälle messbar erhöht und sich diese Vorsorge konkret schadensmindernd auswirkt. Bei diesen Vorhaltekosten handelt es sich mithin um tatsächlich entstandene Kosten des Geschädigten, die anders als eine Nutzungsausfallentschädigung auch konkret darzulegen sind (BGH, Urt. v. 10.01.1978 - VI ZR 164/75 - BGHZ 70, 199, 201). Werden Vorhaltekosten begehrt, muss also insbesondere der Nachweis erbracht werden, dass tatsächlich ein Reservefahrzeug vorgehalten worden ist (OLG Hamm, Urt. v. 03.03.2004 - 13 U 162/03 - VersR 2004, 1572).
Wichtig ist auch, dass ein Ersatz von Vorhaltekosten nicht neben einer Nutzungsausfallentschädigung verlangt werden kann. Wenn der Geschädigte Ersatz der Vorhaltekosten beansprucht, entfällt nämlich der Entschädigungsanspruch wegen entgangener Gebrauchsvorteile (BGH, Urt. v. 10.01.1978 - VI ZR 164/75 - BGHZ 70, 199, 201; OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.02.1989 - 1 U 289/88 - NZV 1989, 231). Auch dies gilt es in der Praxis entsprechend zu berücksichtigen.



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